Feuer... Rauch hing in der Luft, undeutliche
Schreie waren zu vernehmen. Voll dunkler Vorahnungen rempelte er sich durch
die Menschenmassen, die sich vor der Quelle des Feuers versammelt hatten.
Er reichte den Menschen kaum bis an ihre Gürtel, doch die Macht der
Verzweiflung verlieh ihm Kraft, sich nach und nach durchzuschlagen. Er
hörte das Schimpfen der Leute nicht, er musst... musste...
Das bedrohliche Flackern wurde deutlicher,
er sah es durch die dicht stehenden Beine hindurch. Nur noch ein paar Reihen,
dann hatte er es geschafft. Wie vor einer Wand gelaufen blieb er stehen,
das Haus brannte lichterloh, meterhohe Flammen schlugen aus dem inzwischen
eingesunkenen Dach, Glut leuchtete aus den Fenstern. Das Haus war nicht
zu retten. Das Haus. Sein Zuhause.
Er trat einen Schritt darauf zu, erschrockene
Stimmen erschollen, Hände hielten ihn. Blitzschnell drehte er sich
um, stieß die Leute zurück, löste sich aus den Händen,
rannte auf das Haus zu. Mit einem stummen Schrei stürzte er durch
die Tür, nicht beachtend, dass Flammen ihm entgegenschlugen. Nicht
beachtend den beißenden Qualm, der seine Lunge versengte, seine Augen
marterte, nicht beachtend die Hitze, die seine Kleidung und Haare zum Schwelen
brachte. Seine Beine gaben nach, keuchend fiel er auf den gepflasterten
Flurboden, die Kacheln waren brennend heiß, in ihnen spiegelten sich
die Flammen, die überall züngelten. An einigen Stellen war die
Decke vom zweiten Stockwerk durchgebrochen und brennende Trümmer heruntergefallen.
Er kroch zu einer Tür, aus dem ihm die
Flammen wie aus einem Schmiedeofen entgegenschlugen, einst das Esszimmer.
Unter Schmerzen, welche die brennenden Haare verursachten, kroch er näher,
er konnte nicht atmen, war halb blind. Er schaute in die Flammenhölle.
Dort waren sie. Die Tränen verdampften in seinen Augen... Er sah nichts
anderes mehr... nur noch zwei dunkle Stellen in den Flammen... Zwei sich
umklammernde Gestalten... Seine Eltern... ...seine Familie.
Die Decke stürzte herab, riss ihn aus
der Erstarrung. Seine Kleider brannten, mühsam riss er sie sich vom
Leib, während er sich von der Tür entfernte. Auch im Flur verbrannten
die Flammen die Einrichtung, doch es war nichts gegen das Inferno in dem
Raum, welches nun ein Grab war. Immer noch ohne richtig atmen zu können
kroch er weiter. Mit dem roten, Blasen übersäten Handrücken
wischte er sich die Asche von der Stirn, was einmal seine Augenbrauen und
Haare gewesen waren. Nun nahezu blind schleppte er sich vorwärts.
Irgendwas trieb ihn an, er selber war es nicht, seine Gedanken waren tot,
gestorben mit seinen Eltern in den Flammen. Dennoch kroch sein Körper
durch das unmenschliche Inferno, eine Spur aus Blut und Wasser hinter
sich her ziehend. Seine Zunge war so angeschwollen, dass er den Mund nicht
zu schließen vermag, seine Nase verbrannt, keine Luft kam in seine
versengten Lungen. Seine Haare waren verbrannt, nur rote Glut hinterlassend,
seine Augenlieder bedeckten seine Augen, waren zugeklebt. Und dennoch kroch
er zielgerichtet weiter.
Dann griffen seine Hände ins Leere, er
stürzte hinab, riss sich die blasenübersäte Haut vom Fleisch.
Er kam so hart auf, dass es ihm die Luft aus den Lungen presste, pfeifend
zog er die kühlere Luft des Kellers ein. Unter unsäglichen Schmerzen
kroch er von der Stelle, immer noch nichts sehend, doch genau wissend,
wohin es ihn trieb. Seine blutig aufgerissenen Hände trafen auf den
Stein, wimmernd zog er sich die niedrige, kaum einen Fuß hohe Mauer
hoch. Auf der anderen Seite ließ er sich zu Tode erschöpft hineinfallen.
Der regungslose Körper schlug auf die Wasseroberfläche auf. Das
Wasser schlug über ihm zusammen.
Telos schreckte aus den Schlaf auf, sein Atem
ging keuchend. Er bekam kaum Luft. Auch wenn der rationale Teil seines
Gehirns ihm sagte, dass er nicht mehr Wasser atmete, schaffte er es kaum
sich zu beruhigen. Es war eiskalt, die Luft war schneidend. Er hatte sich
aufgerichtet und die dünne Decke dabei abgeworfen. Die Kälte
des Winters biss ihm in die bloße Haut. Zitternd ließ sich
Telos auf sein kümmerliches Gestell von Bett zurückfallen.
Wieder dieser Traum, vergeblich versuchte
er die Gedanken abzuschütteln. Er sah das Inferno immer noch vor seinen
geschlossenen Augen. Krampfhaft versuchte er die Augen offenzuhalten, sich
der eisigen Kälte in dem großen, ungeheizten Raum bewusst zu
machen, sich zu überreden, dass alles nur ein Traum war.
Nur zögernd ließen sich die Eindrücke
zurückdrängen und letztendlich schaffe er es, sich doch zu überzeugen.
Sein Traum war niemals so geschehen. Natürlich, seine Eltern kamen
bei einem Feuer im Haus ums Leben. Doch er selbst war weder dabei gewesen,
noch hatte er solch eine Flammenhölle überlebt. Er erinnerte
sich genau, zumindestens war er der Meinung, sich genau zu erinnern, doch
nach solch einem Traum war er sich jedes mal nicht mehr so sicher. Andererseits,
wie hätte er dies überleben können?
Er war damals bei seinem Onkel gewesen. So
wie jedes Jahr für ein paar Tage. Dieser hatte ihn das auch nach mehrmaligem
Nachfragen von Telos immer ruhig und verständlich wiederholt. Es gab
keinen Grund, für solch einen eindringlichen Traum. Es war das selbe
wie jedes Jahr. Immer wieder das gleiche.
Telos richtete sich auf, nein, es war
nicht das selbe. Er lag hier in diesem kalten Raum und nicht im warmen
Haus seines Onkels. Der Junge schaute sich um, sein Blick strich über
die Reihen der Betten der anderen Kinder hier im Waisenhaus. Hier war er
die meiste Zeit des Jahres zu Hause. Doch nicht um diese Zeit. Sein Onkel
war seit fast drei Tagen überfällig. Er schwang seine Beine aus
dem Bett und schlüpfte in seine Holzpantoffeln. Sie waren eiskalt,
doch er zuckte nicht einmal zusammen. Das Licht des Morgens hatte die hohen
Fenster des Raumes noch nicht erreicht, auch war er wohl der erste aus
diesem Raum, der wach war. Er wollte nicht hier sein, er wollte zu seinem
Onkel. Er warf sich seinen Umhang um die schmalen, zitternden Schultern.
Es war sein kostbarstes Stück, es war zwar dünn und hielt doch
warm. Sein Onkel hatte den nachtschwarzen Umhang von einer fernen Reise
mitgebracht. Telos würde ihn für kein Geld der Welt hergeben.
Langsam schlurfte der Junge durch die Reihen
der Schlafenden. Kinder und auch Ältere, die etwa in seinem Alter
waren. Alle schliefen noch. Als Telos so auf den Ausgang zuging, wurde
ihm bewusst, dass er einer der ältesten hier war. Spätestens
in ein, zwei Jahren würde er dieses Waisenheim verlassen müssen
und würde bei einem der Handwerksmeister untergebracht werden. Nicht,
dass er das Heim vermissen würde, doch die Mönche der Göttin
Taria, welche dieses Heim leiteten, hatten sie immer gut behandelt. Kaum
konnte er sich an Schläge oder solch etwas erinnern. Er hatte gehört,
dass einige der Handwerksmeister nicht ganz so freundlich waren und dass
sich nicht wenige bald in das Heim zurück sehnten. Telos wollte nicht
unter einen der Handwerker der Stadt fast als Sklave arbeiten und hoffte
noch ein wenig Zeit hier verbringen zu können. Immerhin hatte er hier
Essen und ein Bett. Die Mönche der Göttin des Lebens und der
Liebe und was weiß wer noch, taten ihren Dienst gewissenhaft.
Mit zitternden Händen wusch sich Telos
in dem eiskalten Wasser des Wasserraumes. Dennoch, um dieser Zeit war er
normalerweise bei seinem Onkel. Denn obwohl die Mönche gute Menschen
waren, lebte das Waisenhaus von Spenden und diese flossen nicht gerade
reichlich, was man vor allem im Winter spürte. Bebend rieb sich der
Junge ab. Wo blieb nur sein Onkel?
Immer war er auf Reisen gewesen. Telos hatte
es aufgegeben, zu bitten ihn begleiten zu dürfen oder ihn für
ein paar Tage länger als normal in der Stadt verweilen zu lassen.
Er war froh, dass er einige Tage mit ihm verbringen dufte. Seine großherzige
Liebe zu spüren, warmes Essen, ein weiches Bett zu haben und vor allen,
bis tief in der Nacht Geschichten zu hören. Geschichten, die im Gegensatz
zu den religiösen Geschichten der Mönche nicht von den überirdischen
Wundern der Göttin erzählten, sondern von Geschichten der Welt.
Geschichten aus alter Zeit, aus der Zeit der Elfen und Geister. Geschichten
von Helden und Abenteurern. Aber auch nicht so schöne Geschichten
von Kriegen aus der Vergangenheit. Sinnlose Kriege. Geschichten, die Telos
niemandem erzählen durfte, da sein Onkel sonst in großer Gefahr
wäre. Geschichten von den Kriegen des Kaisers gegen die Elfen. Gegen
Elfen, die nicht so bösartig waren, wie nun mit aller Macht verbreitet
wurde. Geschichten, als noch unendliche Wälder die Lande bedeckten,
als die Menschen noch ein kleines Volk am Meer waren.
Geschichten, die im Gegensatz zu den Geschichten
der Mönche nicht nur von der Göttin handelten. Telos stockte.
Im Gegensatz? Nein, jetzt wo er drüber nachdachte, nicht im Gegensatz.
Eine andere Perspektive vielleicht, aber im Gegensatz? Zumal Telos herausgefunden
hatte, dass den Mönchen auch nicht jeder ihrer Geschichten erlaubt
war. Gegensätze gab es höchstens mit den Geschichten des Kaisers
und vor allen mit den Geschichten der Priester des Lagos. Telos mochte
den Gott nicht, der, laut seines Onkels und laut Bruder Keltik, nicht einmal
ein richtiger Gott war.
Telos zuckte mit den Schultern, als er sich
auf den Weg zum Tor machte. Wie auch immer, diese alle blieben was sie
waren, Geschichten. Trotz seines Lebens hier im Waisenhaus der Taira glaubte
Telos nicht wirklich an die Göttin. Er glaubte ja nicht einmal den
Geschichten seinen Onkels. Er grinste in sich hinein, die Geschichten waren
schön und boten gute Ablenkung, doch das Leben zeigte etwas anderes.
Zwar interessierte er sich für Geschichten aller Art, doch persönlich
glaubte er nicht, dass eine davon wirklich wahr war. vielmehr war er der
Ansicht, dass in allen Geschichten ein wahrer Kern steckte und erst, wenn
man so viele Geschichten wie möglich kannte, mochte man vielleicht
irgendwann die Wahrheit herausfiltern. Ein Gedanke, den ihn sein Onkel
gelehrt hatte.
Nimm nicht's zu wahr. Menschen verwischen
die Wahrheit, selbst wenn sie es nicht beabsichtigen. Prüfe alles
und behalte das beste im Herzen.
Womit er wieder mit den Gedanken bei seinem
Onkel war. Inzwischen stand er am Tor und blickte, nachdem er Bruder Lehmann,
der heute Tordienst hatte, zugenickt hatte, auf die von Schneematsch verdreckte
Straße.
Es war noch zu früh, kaum ein Mensch
schlich durch die enge, schmutzige Straße. Doch Telos wartete, wartete
wie er es schon seit drei Tagen tat. Auch diesmal machte ihn Bruder Lehmann
darauf aufmerksam, dass die Morgenmesse begann, doch Telos blieb stehen
und wartete.
Die Straße füllte sich langsam
mit Menschen, kaum einer würdigte den schmalen Jungen mit seinem dunklen
Umhang eines Blickes. Geschäftig liefen sie durch den bald zertrampelten
Matsch, der die Straße bedeckte. Er wartete und wartete. Die Sonne
ging auf, Bruder Lehmann wurde abgelöst. Und Telos wartete.
Die Ablösung, Telos schaute ihn nicht
einmal an, machte ihn drauf aufmerksam, dass es Essen gab. Da er kein Narr
war, seufze er nur, machte sich dann aber auf, um einen Happen zu sich
zu nehmen.
Er kaute gerade auf dem harten Kanten und nahm
etwas von dem warmen, aber dünnen Tee, als Bruder Keltik auf ihn zukam,
um ihn aufzufordern, mitzukommen. Telos wollte schon freudig aufspringen,
als er er sich bewusst machte, dass auch Keltik sich mit ihm gefreut hätte,
wenn sein Onkel endlich angekommen wäre. Doch das Gesicht des Dieners
der Göttin war ausdruckslos, wie aus Stein. Telos zuckte die Schultern,
auch wenn er lieber wieder den ganzen Tag am Tor gestanden hätte,
schienen die Mönche etwas für ihn zu tun. Lustlos schlurfte er
hinter Bruder Keltik her.
Dieser führte den Jungen in das Zimmer
des Priesters Talmon. In dessen Kammer, welches sein Arbeitsraum war, waren
außer dem Priester noch zwei andere, fremde Männer. Nachdem
Telos den Prister und die beiden Männer höflich und respektvoll
begrüßt hatte, hieß ihn der Priester sich zu setzen. Misstrauisch
setzte sich Telos auf den schlichten Stuhl vor dem grob gezimmerten Tisch
des Priesters. Wie auch die beiden Männer blieb auch Bruder Keltik
stehen. Der Priester begann das Gespräch und sah Telos dabei fest
in die Augen.
"Telos", er machte eine Pause und fuhr dann
fort, "du wartest zur Zeit noch auf deinen Onkel, nicht wahr?"
Telos selber schwieg, es war eine Feststellung,
keine Frage. Aber irgendetwas an dem Ton, dem kaum bemerkbaren Zögern,
störte ihn, störte ihn ganz gewaltig.
"Telos", setzte der alte Priester wieder an,
"das Leben ist nicht immer einfach."
Das störende Gefühl wurde stärker.
"Taira gibt und Taira nimmt, sie ist die Göttin,
sie bestimmt über das Leben."
Das störende Gefühl wandelte sich
in ein dicken Klos.
"Telos", wieder ein Zögern, "Telos, dein
Onkel ist tot."
Irgendwie war es ganz unwirklich. Er schien
neben sich zu sitzen. Ein Teil von ihm dachte: 'Das war ja klar, das
war ja so etwas von klar. Bei dieser Einleitung.' Der restliche Körper
drohte schier an dem Klos im Hals zu ersticken.
Priester Talmon machte eine Geste und einer
der fremden Männer reichte Telos einen Ring, den dieser völlig
passiv an sich nahm, in seiner Hand barg, des Onkels Ring. Der Mann erzählte
etwas, doch Telos hörte nicht mehr zu, er war praktisch taub. Er spürte
nicht die Hände, die Bruder Keltik ihm auf die Schultern legte, spürte
nicht, wie er bald darauf aus dem Raum geführt wurde. Bruder Keltik
führte ihn nicht in das Gemeinschaftszimmer, sondern in die winzig
kleine Nebenkapelle, welche kaum mehr als eine kleine Statue von Taira
enthielt. Und dort saß Telos taub und regungslos auf dem einzigen
Schemel in der kleinen Kammer.
Erst als ihn Bruder Keltik das Abendessen brachte,
erwachte Telos aus der Starre. Lahm nahm er sein Mahl zu sich. Als sich
der Mönch erhob, um ihn alleine zu lassen, sprach ihn Telos flüsternd
an:
"Ich möchte zu seinem Haus."
Bruder Keltik erstarrte für einen Augenblick,
schloss kurz die Augen und nickte dann verständlich. Dennoch sagte
er vorsichtig: "Das geht nicht, das Haus ist von der Wache versiegelt worden.
Dein Onkel war kein... kein besonderer Freund des Kaisers."
Der Junge nickte, er verstand seinen Freund.
Und er hatte noch deutlich untertrieben. Selbst die wenigen Tage, die Telos
immer bei ihm verbrachte, machten ihm deutlich, wie sehr er gegen Kaiser
Leganos III. war. Auch wenn er sich sicher war, dass sein Onkel nicht wirklich
etwas gegen den Kaiser vorhatte, würden die Wachen wohl jetzt erst
einmal eindringlich nach Hinweisen suchen. Kurz kam ihm in den Sinn, dass
dies auch die Todesursache gewesen sein könnte, doch er rief sich
zurecht. Sein Onkel war ein Reisender, kein Aufrührer. Dessen war
er sich ziemlich sicher.
Trotz alledem, er musst in das Haus. Er wusste
wie es weiter ging. Die meisten Waisen hatten ein ähnliches Schicksal.
Waren sie noch nicht volljährig, also 16, und ihre Eltern starben,
ohne jemand anderem das Eigentum zu übermachen, gehörte alles
der Stadt. Und diese zögerte nie lange, es zu verkaufen, für
Geld, welches sie dringend benötigte. Zwar nicht für Straßen
oder gar Waisenhäuser, sondern für Feste.
Telos regte dies nicht einmal mehr auf, er
hatte es sich abgewöhnt, was er nicht ändern konnte, darüber
lohnte es sich nicht, sich aufzuregen.
"Die beiden Herren heute", begann Bruder Keltik
wieder, "sie wollen dich noch einmal sprechen. Priester Talmon konnte sie
aber für heute abwimmeln, aber spätestens morgen wollen sie mit
dir sprechen."
Telos nickte grimmig. Er konnte sich denken,
auf welche Richtung das Gespräch hinauslaufen würde. Er
hatte kein Interesse. Etwas hölzern, nach dem langen, regungslosen
Sitzen, stand er auf.
"Du wirst gehen, nicht wahr?"
Der Junge nickte auf die Frage des Mönches,
dann fragte er leise: "Ihr bekommt keine Probleme, wenn ich plötzlich
weg bin?"
Bruder Keltik lächelte freundlich: "Wir
sind Diener Tairas, wir stehen unter ihrem Schutz."
'Den ihr auch dringend nötig habt,
nachdem euch der Kaiser diesen Schutz aufgekündigt hat', dachte
Telos, sprach es aber nicht aus.
"Ich gehe sofort", meinte er entschlossen,
"mich hält nichts mehr hier. Bitte übermittle Priester Talmon
meinen Dank, für die Zeit, die ich hier war, wo ihr mich genährt
und das Leben geschult habt. Auch dankt der großen Taira von mir."
Der Mönch lächelte glücklich,
als er die Worte des Jungen vernahm und ließ ihn alleine in der kleinen
Kapelle. Doch auch Telos blieb nicht lange, schon bald war er draußen
in den Straßen.
.
Die Nacht war eiskalt, es schneite und die
Luft biss beim einatmen. Zitternd fragte sich Telos, ob er nicht besser
im Waisenhaus die Nacht hätte verbringen sollen. Aber nein, er brauchte
den Schutz der Dunkelheit, um in das Haus seines Onkels zu kommen.
Lautlos schlich er durch die Nacht. Es war
seine Stadt, er kannte sie auswendig, kannte jede Gasse. Kaum einer hatte
den Orientierungssinn von ihn, kaum einer konnte sich so gut verstecken
oder unauffällig durch die Menschen mischen. Telos hatte immer schon
viel Zeit verbracht, indem er einfach ohne Ziel durch die engen Gassen
der Stadt zog. Im Waisenhaus hatte kaum einer ein Problem damit, wenn die
älteren Kinder das Gebäude verließen, solange sie ihre
täglichen Arbeiten machten. Diese Arbeiten dauerten gewöhnlich
den halben Tag, die andere Hälfte war eigentlich gedacht, die Kinder
in dem Wort der Taira zu schulen. Zum Glück für Telos und einige
andere Kinder, gab es einige Mönche, die ab und an ein Auge zudrückten.
Vor allen Bruder Keltik, der persönlich für Telos verantwortlich
war.
Telos grinste, als er sich vor einem Nachtwächter
in eine dunkle Ecke einer Gasse drückte. Sein Umhang war perfekt,
um in den Schatten zu verschwinden. Er hatte es ausprobiert, der Umhang
war so schwarz, dass ahnungslose Passanten auf Armlänge vorbeigehen
konnten, ohne ihn zu bemerken. Voraussetzung war, dass sie kein Licht bei
sich trugen. Der Nachtwächter hatte ein Licht, doch Telos wusste,
wie er geeignete Verstecke fand, um sich vor den einzelnen Wächtern
zu verstecken.
Es dauerte nicht lange, dann war Telos bei
dem Haus seinen Onkels. Es war nicht groß, doch inzwischen lebten
so viele Menschen in der Stadt, dass es wunderlich war, wie ein einzelner
Mann sich ein Haus leisten konnte, nur um es ein paar Tage im Jahr zu nutzen.
Doch das war egal, sein Onkel war nun tot und er war zwar traurig, war
aber der Meinung, dass ein halber Tag regloses Trauern genug war. Er konnte
es nicht ändern, wozu also hadern und klagen. Nimm das Leben wie es
kommt. Und jetzt musste er zusehen, wie er mit seinem neuen Leben klarkam,
jetzt, wo sein Onkel tot war.
Tot.
Irgendetwas stimmte daran nicht. Es war ein
merkwürdiges Gefühl. Die beiden fremden Männer hatten dieses
Gefühl ganz sacht angestoßen. Das, was ihm Bruder Keltik gesagt
hatte, hatte dieses Gefühl bestätigt und verstärkt. Und
die drei Wachen, dort vor der Tür an ihrem wärmenden Feuer, waren
wieder eine Bestätigung. Er musste in das Haus.
Lautlos näherte er sich dem Haus von hinten,
hinten hatte es keine Tür, also sahen die Wachen es nicht als nötig
an, auch hier zu wachen. Und die Fenster waren versiegelt, mit dem Siegel
der Stadtgarde. DAS ist wirklich ungewöhnlich. Jetzt würde nichts
mehr Telos davon abhalten, ins Innere des Gebäudes zu schlüpfen.
Zum Glück kannte er das Gebäude besser als die Wachen. Da die
Häuser hier Mauer an Mauer standen, ging Telos wieder einige Gebäude
zurück, um dort bequem an einer schon seit Jahren lehnenden Leiter
auf das Dach zu steigen.
Lautlos wie eine der zahlreichen Katzen in
der Stadt kroch Telos über das eisglatte Dach. Es war so dicht bewölkt,
dass es stockdunkel war, nur das Feuer der Wachen brachte etwas Licht.
Nur erreichte es Telos kaum.
Mit vor Kälte steifen Händen kroch
er auf Händen und Füßen über den Dachfirst, sich immer
wieder flach hinlegend, wenn einer der Wachen aufzuschauen schien. Immer
wieder einen Herzsprung zu erlebend, wenn er mit seinen kalten Fingern
abglitt. Immer wieder nach unten schauend, ob die Wachen das Klappern seiner
Zähne nicht doch gehört hätten. Doch Handbreit um Handbreite
kam er vorwärts.
Es dauerte schier Ewigkeiten, dann hatte er
sein Ziel erreicht, den Schornstein des Kamins im Haus. Des Kamins, vor
dem er immer in wohliger Wärme den Geschichten des Onkels gelauscht
hatte. Gleich neben dem Schornstein war eine geheime Luke in das Dach eingelassen,
niemand, der sie nicht kannte, würde sie je finden. Lautlos ließ
er sich in das dunkle Innere gleiten. Er zitterte am ganzen Körper.
Nicht nur vor Kälte, sondern vor Furcht. Zwar hatte er aufgrund seiner
Begabung des Versteckens schon den ein oder anderen Taschendiebstahl probiert,
doch war er noch nie in ein Haus eingestiegen. Dass dieses Haus eigentlich
leer war und dass es seinem Onkel gehörte, änderte kaum etwas
daran.
Dennoch, obwohl er die müden Stimmen
der Soldaten draußen hörte, schlich er zitternd durch das Haus.
Er kannte es auswendig, er brauchte kein Licht. Und die Zimmer, in die
das Licht des Feuers leuchtete, mied er, wenn möglich. Er wusste nicht,
wonach er suchen sollte, doch er durchsuchte jedes Zimmer. Er wagte kaum
zu atmen, doch er zwang sich, alles genau abzusuchen. Die meisten der unzähligen
Bücher waren schon nicht mehr da, wahrscheinlich von den Wachen als
Beweismaterial für seine kaiserfeindlichen Aktivitäten mitgenommen.
Da in den Büchern einige Geschichten standen, die sich laut Kaiser
ganz anders abgespielt hatten, waren diese sicherlich gut als Beweise zu
gebrauchen. Telos war nur traurig, weil er kaum glaubte, dass er diese
Bücher noch einmal wiedersehen würde.
Und endlich, der Junge durchsuchte gerade
ein Zimmer, das durch den rötliche Schein des Feuers durch ein Fenster
schwach erhellt war, als es ihm auffiel. Eine Verzierung, die für
Fremde schon Ewigkeiten an dem Balken sein konnte. Doch Telos kannte das
Haus, und dies war neu. Es war das Bild einer Taube. Am Bildrand standen
einige Worte. Und obwohl die Gefahr bestand, dass ihn Wachen sahen, ging
er so nahe heran, dass er es lesen konnte.
Tauben, träger von Nachrichten.
Telos Herz jubilierte, dies war die Nachricht,
auf die er gehofft hatte. Doch dann erstarrte er, gerade so, als ob sie
neben ihm stand, hörte er die Stimme einer der Wachen: "Hey, ist da
was im Haus?"
Der Junge duckte sich und fluchte innerlich.
Eine andere Wache fragte: "Du willst doch nicht etwa da rein, das ist nicht
umsonst versiegelt."
"Ich habe etwas dort drinnen gesehen", antwortete
die erste Stimme, "und im Gegensatz zu gewissen anderen Personen habe ich
noch kein Alkohol intus."
"Jetzt mach mal einen Punkt", murmelte der
Zweite wieder. Telos hörte Schritte vor der Tür. Jetzt fiel die
Angststarre von ihm ab, er sprintete los.
"Ich sehe ihn, los!" - "Halt, stehen bleiben!"
- "Im Namen des Kaisers, sie sind verhaftet!"
Telos sprintete die Treppe bis zum Dachboden
hinauf. Unten hielten sich die Wachen nicht lange auf, kurzerhand traten
sie die Tür ein, stürmten ins Innere und folgten ihm nach kurzem
Umsehen. Blitzschnell war er an der Luke raus - das war schwieriger als
rein, vor allen, da ihm die Angst fast den Atem nahm. Dennoch war er schneller
auf dem Dach, als die Wachen heran waren.
"Da ist eine Luke", hörte er hinter sich,
als er selbige gerade zuwarf. Schlotternd versuchte sich Telso auf dem
glatten Dach so schnell wie möglich fortzubewegen.
"Dort, ich sehe ihn, er ist auf den Dach."
Das war's, ein Fehlgriff und er schlitterte die Schräge hinab. Der
Schrei blieb ihm in der Kehle stecken, als er über den Rand des Daches
hinaus glitt und einen Moment in der Luft hing.
Auf dem Innenhof lag zum Glück Schnee,
nicht wirklich viel, aber gerade so, dass er nicht vor Schmerzen das Bewusstsein
verlor.
"Er ist vom Dach gefallen, los, hinterher.
Haltet den Dieb!"
Telos raffte sich trotz der Schmerzen auf,
kletterte über einige Zäune, welche die Innenhöfe voneinander
trennten, um dann durch eine enge Gasse in einer anderen Straße zu
verschwinden. Er hörte die Wachen: "Hey, wo ist er hin." - "Los zur
Straße, die Innenhöfe sind leer."
Doch er war schon weiter. Die Rufe der Wachen
wurden leiser, als sie seine Spur verloren, und langsam kamen die betäubenden
Schmerzen zurück. Telos überlegte, ins Waisenhaus zurückzukehren,
doch er wollte den Mönchen, die ihm sicher geholfen hätten, keine
Probleme bereiten, also schleppte er sich weiter.
In einer Gasse kam er kaum noch vorwärts,
er stützte sich mit seinen vor Kälte blauen Händen an einer
Hauswand und versuchte sich weiterzuschleppen.
"Hey, Kleiner. Was sollte der Tumult dort hinten."
Telos hatte kaum die Kraft seinen Kopf zu drehen, ein schwarz gekleideter
Mann trat auf ihn zu und sah ihn mitleidig an. "Was gestohlen, was?", fragte
er mit einen Grinsen.
Doch der Junge antwortete nicht, müde
und mit schmerzerfülltem Blick schaute er seinen Gegenüber stumm
an.
"Siehst schlimm aus", meinte dieser, "was
hast hast du denn gestohlen, vielleicht kann ich ja was für dich machen?"
Telos schwieg weiter. Der andere schaute überrascht,
sagte dann aber: "Ach was, komm einfach mit." Damit griff der junge Mann
den Jungen an der eiskalten Hand und zog Telos mit sich. Zum Schluss musste
er ihn auch noch tragen.
.
Es dauerte drei Tage, bis Telos endlich Kraft
hatte, zum Taubenturm zu gehen. Er war mit seinem Onkel schon oft dort
gewesen und daher kannte er den Turmwärter gut. Dieser gab Telos einen
einfachen Zettel:
Hey, Großer.
Tut mir Leid, dass ich dich enttäuschen
muss.
Du musst nun alleine klar kommen.
Sei getrost, ich lebe.
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© ArgRIB
Skywalker
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse
bitte das unmittelbar am @ angrenzende "no" und "SPAM" entfernen!
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