Es war war fast lächerlich. Seit Jahrzehnten
war es klar, dass es dazu kommen würde, doch auf einmal taten alle
so, als ob es ganz plötzlich und unerwartet über sie hereinbräche.
Argon schüttelte den Kopf. Das Meni-Ter
fand alle elf Sommer statt, an jener Sonnenwende, wenn das Licht der Sonne
am mildesten schien, wenn der Sommer über die Jahre am kühlsten
war. Gerade zu dieser Zeit, wo alle Brunnen ausreichend Wasser führten,
wo die Steppe das ganze Jahr über grün sind und wo die Herden
am besten wuchsen. Alle elf Jahre, so lange wie die Ältesten aus den
Clans zurückdenken konnten.
Argon lächelte die untergehende Sonne
schief an. Er war aus dem Lager in die Weiten der Steppe geritten, um ein
wenig Ruhe von dem ganzen Lager zu haben und was war? Seine Gedanken kreisten
um das selbe Thema, welches auch wohl an jedem Feuer von jedem Clan der
Rendlanden besprochen wurde.
Seit vor langer Zeit die Zwerge nicht mehr
zu ihrem gemeinsamen Meni-Ter kamen, selbst Telos Vater kannte keinen des
Kleinen Volkes mehr, fand das Fest jedes Jahr auf dem Gebiet eines anderen
Clans statt. Und dass diesmal der Clan des Steppenwolfs dran war, war mindestens
seit dem letztem Fest jedem aus den verschiedenen Clans bekannt. Und doch
schien nun jeder aus allen Wolken zu fallen.
Der junge Krieger schüttelte den Kopf,
völlig in Gedanken strich er seinem Pferd über die Flanken, während
er regungslos den Sonnenuntergang beobachtete. Ein Adler drehte weit entfernt
über der endlosen Ebene seine Kreise. Argon wünschte ihm viel
Glück auf der Jagd. Dennoch, ohne sein Dazutun kehrten die Gedanken
wieder auf das Fest zurück. Der Sommer war angebrochen, Meni-Ter war
nicht mehr fern.
Meni-Ter, das Fest des Friedens, das Fest
in Erinnerung an der Freundschaft der Clans mit dem Kleinen Volk, das Fest,
an dem jeder Clan der weiten Rendlanden zusammen kam. Ein Fest der Geschichten,
der Freude, des Spiels und des Handels. Das Fest der Clans. Und doch drohte
dieses Jahr der Frieden gestört zu werden.
In den letzten Jahren wuchsen die Problem schlagartig
an.
Argon ließ seinen Blick über die
Ebene der Rendlanden schweifen. Das Gras war gelb gebrannt, von der Sonne
ausgedörrt. Und das in einem Jahr des Meni-Ter. Ja, es war Sommer,
doch es war Sommer eines Ter-Zyklus. Der mildeste Sommer in elf Jahren.
Und wie sah es aus? Die Sonne verbrannte das Grün der Steppe.
Das hieß, weniger Wasserstellen, weniger
Ernte, die man von den wilden Pflanzen sammeln konnte. Und vor allen die
wilden Herden zogen weiter nordwärts, um in kühlere Gefilde zu
gelangen und zu überleben.
Der Stammeskrieger seufzte. Normalerweise
keine Unregelmäßigkeit, hätten sie Zemni-Ter. Doch es war
Meni-Ter, und die Herden zogen jetzt schon in Richtung Norden.
Die Sonne berührte den Horizont und tauchte
das Land in helles Abendrot. Langsam drehte sich der junge Clanmann und
schaute nach Norden. Schwach, ganz schwach konnte er kurz über den
Horizont im dunkler werdenden Himmel den Stern des Nordens ausmachen. Um
in dem kommenden Jahr des Zemni-Ter nicht zu hungern, müssten sie
den Herden nach Norden folgen. Wütend stieß Argon ein Schnauben
aus, sein treues Pferd schaute erstaunt auf, aber als sein Begleiter ihm
wieder beruhigend die Flanke strich, begann er wieder von den dürren
Halmen zu zupfen.
Norden, ja, dort gab es genug Wasser, dort
floss der Große Strom, der Lentafluss, wie ihn die Kaiserlichen nun
nannten. Die Kaiserlichen. Jene Menschen, welche den Wald des Flusses abholzten,
die Herden töteten und mit ihren eisernen Werkzeugen den Boden aufrissen.
Dort im Norden, wo die Länder grün sind und wo einst mächtige
Wälder den Großen Strom gesäumt hatten. Doch nun wurde
alles von den Kaiserlichen abgeholzt. Nun wuchsen statt der Wälder
dort ihre Häuser. Winzige enge Häuser, wo diese Menschen ein
ganzes Leben an der selben Stelle verbrachten und den Boden mit ihren Werkzeugen
quälten, damit dieser ihnen Nahrung gab.
Der Wald war nicht das Heim der Clans, ein
anderes Volk sollte dieses beschützen. Doch dieses hatte wohl versagt,
denn nun war das Land um den Fluss kahl. Zumindestens vom weit entfernten
Meer im Westen bis zu der Stelle, wo sich der Fluss der Berge mit dem Fluss
des Waldes zu dem Großen Strom vereinigte. Dort, wo nicht nur das
große, steinerne Gebäude drohend seine Schatten warf, sondern
wo auch unzählige kleine Häuser auf einem Platz zusammengedrängt
waren. Dort mussten mehr Kaiserliche wohnen, als der Clan des Steppenwolfes
und der Großen Bärin zusammen an Männern, Frauen und Kindern
zählte.
Und doch schienen sie nicht genug zu haben,
ein neues, steinernes Gebäude war vor wenigen Jahren errichtet worden
und zwar eindeutig auf dem Land der Clans. Weder durch Reden noch durch
Angriffe der Clans konnte man die Kaiserlichen zurückdrängen.
Ihre metallenen Armeen waren zwar selbst auf dem Pferd ziemlich unbeweglich,
doch den Kriegern der Clans zahlenmäßig weit überlegen,
und ihre Waffen schlugen tödliche Wunden, ihre steinernen Gebäude
waren nicht zu zerstören.
Und sie bauten schon wieder eines ihrer Steingebäude,
von welchen aus sie die Clans angreifen konnten, und das, obwohl die Clans
ja selbst ihren hölzernen Kriegerlagern kaum etwas entgegenzusetzen
hatten. Sie drängten die Clans nach Süden und schlachteten die
Herden, welche nach Norden drängten.
Argon schüttelte den Gedanken ab, die
Sonne war nun fast verschwunden, die Nacht brach herein. Nacht. Der Clankrieger
schaute sich um, doch die Ebene war leer und lag still vor ihm. Die Nacht,
eine weitere Geißel, welche die Clans heimsuchte. Nicht die Nacht
selber, die friedliche, ruhige Decke, welche von den Sorgen des Tages ausruhen
hieß. Doch auch gab es nun Gefahren, die es früher nicht gegeben
hatte. Die Angriffe der Kerik. Schwarze Drachen der Nacht. Sie waren nicht
groß. Nicht so groß wie die Drachen der Vorfahren. Dennoch
vermochten diese lichtscheuen Geschöpfe mit ihren scharfen Krallen
in einem Augenblick mühelos ein Pferd zu zerreißen. Feuer war
nicht ihr eigen, ja sie schienen das brennende Licht gar zu fürchten,
doch die Dunkelheit, welche sie einzuhüllen schienen, machten sie
gegen alles außer Flammen fast unverwundbar.
Tödlich kamen sie in der Nacht, ihre
Schreie ließen die Muskeln erstarren, und aus der Dunkelheit stürzten
sie sich auf ihre Opfer.
Die Augen des Kriegers suchten den Sternenhimmel
ab, nach einem Schatten, welcher das Funkeln verdecken mochte. Seine Hand
lag an dem Bogen, welchen er an dem dünnen Sattel des Pferdes gehangen
hatte. Er wusste, in der mit Ton ausgekleideten Tasche lag Glut, welche
seine Pfeile blitzschnell in die für die Kerik schmerzhaften Waffen
verwandelten. Er selber hatte noch nie einen der Drachen getötet,
doch ihre Feuerpfeile vermochten zumindestens die Lager vor den Ungeheuern
beschützen.
Einige aus dem Clan behaupteten, diese Untiere
kamen aus den Steingebäuden des Kaiserreichs, doch wie sollten diese
solch Ungeheuer zu bändigen wissen. Argon schüttelte den Kopf,
das Reich war zwar durch seine Größe mächtig, doch solche
Untiere...
Andererseits war es wahr, dass diese Kreaturen
die Clans erst heimsuchten, als die Kaiserlichen das erste Gebäude
aus Stein auf dem Gebiet der Clans bezogen hatten.
Eigentlich waren diese Kerik keine Gefahr
mehr, außer man war unwachsam. Was allerdings zur Folge hatte, dass
jeder Clan nun auch zum Friedensjahr des Meni-Ter unter scharfen Wachen
zu stellen war.
Langsam drehte sich der Clankrieger um und
machte sich zu Fuß auf dem Heimweg, sein treues Pferd folgte ihm
trottend.
Tja, Meni-Ter, irgendwie kam es Argon so vor,
als ob mit Anbruch des Friedensjahrs alle Probleme, welche außerhalb
der Clans existierten, verschwanden und dafür die Streitigkeiten unter
den Clans zunehmen. Dabei müsste es doch umgekehrt sein, die Clans
hielten untereinander Frieden, und die Kaiserlichen dachten nicht daran
- und schon gar nicht die Kerik -, im Jahr des Meni-Ter Ruhe zu geben.
Und doch schien der drohende Hunger, die Kriege und die Veränderung
der Ter-Zyklen in Vergessenheit zu geraten.
Es gab nur ein Thema, das Meni-Ter auf dem
Gebiet des Clans des Steppenwolfes. Beziehungsweise auf dem Gebiet des
Nachtsperlings.
Inzwischen kannte wohl jedes Kind der Clans
diese Geschichte besser als die eigentlichen Probleme. Argon hatte vor
einigen Tagen einen jüngeren Kriegeranwärter gefragt, was das
größte Problem der Clans sei. Die Antwort war, der Clan des
Steppenwolfes. Der junge Mann ballte seine Hand zur Faust und öffnete
sie bewusst langsam. Sie hatten das Friedensjahr und dann so etwas...
Gut, auch das Friedensjahr hieß nicht,
dass sich jeder dran hielt, obwohl es die Tradition verlangt, doch war
der drohende Hunger, die Kerik und der Landraub der Kaiserlichen nicht
schlimmer?
Ein Seufzer entwich dem Krieger. Hörte
man seine Clanbrüder so am Feuer, anscheinend nicht.
Der Clan des Steppenwolfes ließ das
Meni-Ter auf dem ehemaligen Stammesland des Clans der Nachtsperlinge stattfinden.
Ein wenig konnte Argon sie ja verstehen, es
war ja einiges passiert.
Vor einen Tar-Zyklus, im Zemni-Ter, vor genau
16 Jahren starb der Clanführer des Clans der Nachtsperlinge durch
eine schwarze Klinge. Eine Klinge des Assassinenvolks der Skar aus der
Wüste tief im Süden. Da dessen Sohn nicht allzu gut auf seinen
Vater zu sprechen gewesen war, wurde er verdächtigt. Der Clan drohte
zu zerbrechen und dem Häuptlingssohn stand die Aussicht auf ein Führungsduell
vor Augen. Da er wusste, schwächlich von Natur aus, dass er gegen
niemanden aus dem Clan bestehen würde, bat er seine Frau, ihren Vater
um Hilfe zu bitten, damit er dem Tode entrinnen würde.
Der Vater, er war der Häuptling der Steppenwölfe,
reagierte sofort. Schon damals einer der größten Clans, zog
er mit seinen Kriegern zum Lager der Nachtsperlinge und sorgte, mit Hilfe
seiner Krieger, wieder für Ruhe. Er bestimmte, dass, um die Stabilität
des Clans zu wahren, der Nachtsperlingsclan von nun an das Lager des Steppenwolfclan
teilen würde. Und kaum ein Jahr später, als sich einige des Nachsperlingsclans
ihren eigenständigen Clan wieder errichten wollten, gab der Häuptling
der Steppenwölfe ihnen ihr Land nicht wieder und hieß es Land
der Steppenwölfe.
Argon schüttelte den Kopf. Clanzusammenschlüsse
waren nicht unüblich, doch die Tradition verlangte, dass, sollte sich
einer der Clans wieder abspalten wollen, dass dem Clan sein Stammesland
wieder zustand oder zumindest so viel, wie die Clanmänner zum Leben
bräuchten.
Und dort hatte der Steppenwolfclan die Tradition
gebrochen.
Das Problem war, dieser Clan war nun der größte
in den Rendlanden und keiner der anderen Clans wagte sich dort einzumischen.
Und nun? Der Clankrieger blieb kurz stehen
und schaute in die Perlenkiste des funkelnden Himmels. Nun, im Jahr des
Friedens gingen auf einmal die Diskussionen los. Es ging sogar so weit,
dass der Sandschlangenclan und der Wüstenfuchsclan nicht zum Fest
des Meni-Ter kommen würden. Und dies nur, weil sich der Häuptling
des Steppenwolfclan weigert, das ehemalige Land der Nachtsperlinge als
dieses anzuerkennen und sich zudem noch weigert, selber am Führerduell
teilzunehmen. Diese Duelle focht immer sein fast unbesiegbarer Bruder aus.
Einer der stärksten Krieger aller Clans. Eigentlich auch gegen die
Tradition, doch da der Häuptling für die Dauer des Kampfes die
Clanführung an seinen Bruder abgegeben hatte, bog er sich die Tradition
zurecht wie er sie brauchte. Einige tapfere Krieger verloren so ihr Leben,
denn obwohl diese Duelle nicht zwingend tödlich sein mussten, ging
es bei den Steppenwölfen nicht zimperlich zu.
Und nun sollte das Meni-Ter dort stattfinden.
Die Letzten, die sich noch als Nachtsperlinge sahen, ob sie nun im Steppenwolf-
oder anderen Clans waren, schrien auf. Und nun, nach den langen Jahren
des Wegsehens schien dies nun endlich auch ein Thema außerhalb der
Ratszelte zu sein. Vor allen stand die berechtigte Frage, ob das Meni-Ter
überhaupt noch ein Fest des Friedens sei, wenn der Frieden zwischen
dem Clan des Steppenwolfs und dem Clan des Nachtsperlings nicht gewährleistet
sei.
Und um diese Frage zu beantworten war Argon
für Tage in die Weiten der Rendlanden geritten.
Er wusste, zum Morgenaufgang würde sein
Vater, der Häuptling des stolzen Clans der großen Bärin,
seine Entscheidung kundtun, ob der Clan zum Fest erscheinen oder wie Wüstenfuchs-
und Sandschlangenclan fernbleiben würde.
Der Häuptlingssohn kannte seinen Vater,
dieser würde lange und genau überlegen und abwägen, wie
die Antwort lauten würde. Er wusste, die Antwort seines Vaters würde
die Richtige sein.
Allerdings waren die jungen Krieger des Bärinclan
an ihn, den Sohn, herangetreten, wie die jungen Krieger entscheiden sollten.
Alle Bemühungen, die erwartete Antwort seines Vaters als Entscheidung
für den gesamten Clan hinzustellen, schlug fehl. Und schließlich
hatte ihn sein Vater selbst gelehrt, dass die Jugend einen eigenen Clan
im Clan darstellte, mit eigenen Entscheidungen und eigenem Häuptling
und dass er stolz sei, dass sein Sohn dieser Jungkriegerführer war.
Also musste er selber entscheiden.
Er wusste, das Lager war nicht mehr weit und
er würde eine Entscheidung haben, wenn die ersten Posten der Jungkrieger
ihn entdeckt haben würden.
Er blieb stehen, schloss die Augen. Er sprach
mit dem einzigen, der ihn hier in der leeren Weite hören und verstehen
würde. Dem einzigen Gott, den einzigen Geist.
Er dankte für das Leben, für die
Freiheiten der Rendlandebenen.
Er dankte für das Vertrauen der Jungkrieger
in ihn und für die Lehren seinens Vaters und der Ahnen.
Er dankte für das Fest des Friedens und
für das Jahr des Meni-Ter.
Doch dann kam er zum Bitten.
Er bat für echten Frieden, für Verständnis
der Clans.
Er bat für Schutz für jeden einzelnen
im Clan für alles, was jeder brauche mochte.
Er bat dafür, dass er der Erwartungen,
die in ihn gesetzt wurden, erfüllen können würde.
Und er bat um die richtige Antwort.
Langsamen Schrittes näherte er sich dem
Lager, in der fast erhebungslosen Ebene konnte er bereits die Spitzen der
Zelte in den dunkelblauen Himmel ragen sehen. Und dann, ganz leise, aber
er hörte es doch, der Ruf eines Waldkäuzchens.
Es gab Tagesritte entfernt nicht einen großen
Wald, dafür hatten sich innerhalb von einigen Augenblicken die ganze
Gruppe der Jungkrieger um ihn versammelt. Lautlos waren sie aus der Dunkelheit
erschienen und warteten nun stumm auf die Worte ihres Anführers.
Argon schaute langsam von einem Gesicht in
das nächste. Jeder einzelne von ihnen war bereit, auf sein Wort hin
gegen die Bestimmung des Häuptlings des Clans zu verstoßen.
Jeder einzelne wäre nicht dem Häuptling, sondern ihm gefolgt.
Er wurde ganz ruhig, ließ seinen Blick
nach Osten schweifen. Dort, am unendlich entfernten Horizont war das erste
Grau des Tages zu sehen. Wieder schaute er in die erwartungsvollen Gesichter,
dann sagte er laut und bestimmt:
"Wir ziehen zum Meni-Ter.
Nutzen wir die Gelegenheit zum Spiel, zum
Wettkampf,
zum Hören der Geschichten der Ahnen,
zum Handel und zum Frieden.
Nutzen wir die Gelegenheit zum Dialog."
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© ArgRIB
Skywalker
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