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Diese Geschichte wurde von den Drachental-Besuchern zur
zweitbesten Fantasy-Story 2008 im Drachental gewählt!

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Wahrheit
oder:
Warum man nicht versuchen sollte, jemand zu sein, der man nicht ist von Arihpas

Sie stieg aus dem Wasser und das Sonnenlicht brachte ihre hellblauen Schuppen zu unvergleichlichem Glitzern.
Lalec war sich sicher, niemals eine auch nur annähern so schöne Drachin gesehen zu haben. 'Ich könnte den ganzen Tag nur rumliegen und nichts anderes tun, als ihr bei jeder Bewegung zuzusehen', dachte der rostrote, noch recht junge Großdrache vor sich hin. 'Wenn ich mich nur mal trauen...', doch etwas anderes lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich. Sogar Saradra vergaß er für einen kurzen Moment. Er hatte schon seit geraumer Zeit nichts gegessen und so kam es ihm recht gelegen, dass just in diesem Moment ein saftiger Hase vor seine Nase sprang. Der Hase richtete sich auf und schnupperte. Den Drachen, nicht mal einen Meter neben ihn, hatte er nicht gesehen. Lalec leckte sich übers Maul und war grade im Begriff zuzuschnappen, als der Hase ihn bemerkte und wild davonsprang. Darauf achtete der Drache jedoch nicht, da sich hinter dem Hasen unglückseligerweise ein Dornenbusch befunden hatte. Mit einem kurzen Jaulen zog Lalec seine schmerzende Schnauze zurück. Als er wieder aufsah blickte er die - inzwischen näher gekommene - Drachin an. "Da lieg ich hier eine halbe Stunde auf der Lauer, nur um einen schmackhaften Hasen zu erwischen, und dann so was. Oh, äh, hallo Saradra. Ich hatte dich gar nicht gesehen."
"Du liegst eine halbe Stunde auf der Lauer? Nur für einen Hasen?" fragte sie, sichtlich amüsiert.
"Ähmm, ja, äh... es war wie gesagt ein sehr schmackhafter Hase. Aber das war mir ja eigentlich egal, ich wollte ihn ja nur jagen, ähh, weil... Hasen so schwer zu fassen sind. Als Herausforderung."
Saradra grinste. "Du meinst doch sicher diese kleinen Wesen, die man überall finden kann. Ich wusste gar nicht, dass es soooo schwer ist, einen zu erlegen..."
'Das hab ich ja mal wieder toll hingekriegt', dachte Lalec. Jedoch fragte er nun, darum bemüht, interessiert zu klingen: "Hast du schon mal einen Hasen erlegt, dass du so was sagst?"
Man sah ihr an, dass es ihr schwer fiel, nicht zu lachen. "Jaaaa, den einen oder anderen, vielleicht ein paar Dutzend..."
Lalec hätte sich selbst in den Schwanz beißen können. Sogar er hatte schon etliche Hasen gefangen. Nun jedoch sah er die Möglichkeit vielleicht wieder Boden bei Saradra gut zu machen. "Dann musst du ja eine exzellente Jägerin sein. Allerdings auch kein Wunder bei solch mächtigen Schwingen, so starken Beinen, so..."
Jetzt konnte Saradra ihr Lachen nicht mehr halten, sie prustete los und Lalec sah beschämt zu Boden. Als sie sich beruhigt hatte, sagte sie: "Gib es zu, du bist mir wieder gefolgt!"
Vielleicht wäre Lalec über das Auftauchen eines anderen Drachen froh gewesen, doch wenn es auch nur einen Drachen gab, den er nicht leiden konnte, dann war es der, der grade auf der geräumigen Lichtung landete: Drancor, ebenfalls ein Großdrache, war schon seit jeher Lalecs Rivale.
"Da bist du ja, Saradra, meine liebste aller..."
"Ach, halt doch die Klappe!"
Nun grinste auch Lalec. Er liebte es zu sehen, wie jemand Drancor eins "vor die Schnauze" gab.
"Machst du dich über mich lustig, du kleines Drachchen? Vielleicht sollte ich dir zeigen, dass man sich nicht über Stärkere lustig macht..."
Innerlich war Lalec schon ziemlich verängstigt. Drancor war zwar genauso alt, jedoch wesentlich stärker als er. Doch vor Saradra wollte er sich nichts anmerken lassen: "Komm doch her, du kleiner, schwacher...", doch während er sprach ahnte er, dass er viel zu weit gegangen war; Brüllend stürmte Drancor auf ihn zu, viel zu schnell, als dass Lalec hätte reagieren können.
Zum zweiten Mal an diesem Tage jaulte Lalec auf, als Drancors Fänge in seine Flanke schlugen. Er stieß ihn mit seinem Flügel beiseite und setzte ebenfalls zu einem Biss an, den Drancor jedoch ohne große Mühe mit einem Schlenker seines grüngeschuppten Halses parierte. Sich böse anstarrend wichen beide ein Stück zurück und bevor einer von ihnen die Initiative ergreifen konnte ging Saradra dazwischen:
"Wieso benehmt ihr euch immer so aggressiv? Wenn alle Drachen wie ihr wärt, dann würden wir uns schon selbst ausgerottet haben."
Drancor war sichtlich verärgert. Er stand in dem Ruf, niemals einen Kampf vorzeitig zu beenden. "Halt du dich da raus, Drachin! Das geht nur mich und diesen Schwächling etwas an."
Vielleicht wäre dies alles noch viel schlimmer ausgegangen, wenn nicht Girdrar, ein sehr alter, durch und durch goldener Großdrache, zufällig vorbeigekommen wäre. Die Rivalität der beiden Jungdrachen war weithin bekannt und so war es für den alten Weisen nicht schwer zu erkennen, was gerade geschah. Bedächtig setzte er auf und sprach mit leicht donnernder Stimme: "Drancor, wieso kämpfst du schon wieder gegen Lalec?"
Erleichterung durchströmte Lalec. Er hatte schon um seine Gesundheit gefürchtet. 'Was für ein Glück, dass einer der Alten grad vorbeikommt...' Doch als Girdrar weitersprach, wünschte sich Lalec, er wäre doch nicht gekommen:
"Du weißt doch genau, dass er schwächer ist als du. Such dir gefälligst jemanden, der genauso stark ist wie du."
Herablassend lächelnd sah Drancor zu Lalec: "Du hast recht. Es ist gegen meine Würde mit solch einem Drachen zu kämpfen." Und mit einem mächtigen Satz erhob er sich in die Lüfte.
"Tja, ich geh dann auch mal auf die Jagd...", meinte Saradra und während sie davonschwebte rief ihr Girdrar noch ein "Ich wünsche gute Jagd" hinterher.
Bedrückt sah Lalec abermals zu Boden. Mit schweren Schritten kam Girdrar zu ihm herüber. "Du hättest dich nicht mit ihm anlegen sollen. Die Wunde ist zwar nicht tief, aber die nächste könnte es sein..."

Noch bis tief in die Nacht lag Lalec wach da. Jedoch eher wegen dem beschämenden Gedanken vor Saradra so gedemütigt worden zu sein, als vor Schlaflosigkeit. Auch die ersten Sonnestrahlen des nächsten Morgens, die ihn weckten, schienen ihm nicht mehr so schön wie am Tag zuvor. 'Nicht nur, dass mir so etwas passiert, es passiert mir auch immer und immer wieder...' Widerwillig erhob er sich und begann sein Essen zu jagen. Doch vor lauter Kummer konnte er sich nicht konzentrieren und fing grade mal einen alten, schwachen Rehbock. Und das auch erst nach einer schmerzhaften Erfahrung mit dessen Hörnern.

Diese Nacht schlief er zwar schnell ein, jedoch war sein Schlaf voller Alpträume, die immer damit endeten, dass Drancor ihn demütigte. Da war ein Traum, in dem Lalec versuchte einen Hirsch für Saradra zu erlegen. Jedoch stieß ihn dieser immer und immer wieder. Dann kam auch noch Saradra dazu. "Saradra, wenn ich dir doch nur sagen könnte, wie sehr ich dich liebe...", murmelte der Drache im Schlaf. Doch sie lachte nur. Saradra lachte ihn aus. Er wünschte sich, er könnte im Erdboden versinken und plötzlich tat sich die Erde auf und er fiel und fiel...
Plötzlich erwachte er und bevor er wieder einschlief, meinte er noch eine dunkle Gestalt vor dem Mond fliegen zu sehen.

Auch am folgenden Morgen war Lalec betrübt. Aber als er sich reckte und die frische Morgenluft einsog, spürte er etwas. Irgendetwas war heute anders. Es war, als wenn ein besonderer Duft in der Luft läge. 'Vielleicht schaff ich es ja heut Saradra zu sagen, was ich für sie empfinde...' machte sich Lalec Hoffnungen. Aus purem Instinkt flog er in die Richtung eines Plateaus, auf dem sich Saradra gelegentlich aufhielt und tatsächlich war sie da. Sie lag neben Drancor und beobachtete zwei Vögel, die einen Baum umkreisten. In der Nähe waren auch einige andere Drachen, die sich die Zeit mit Gesprächen und kleinen Kämpfen vertrieben, unter ihnen auch Girdrar.
Während Lalec zur Landung ansetzte erhob sich bereits Drancor. Die Furcht, die Lalec jedes Mal durchströmte, wenn er Drancor gegenüberstand, war wie weggefegt. Auch Drancor schien dies zu bemerken, denn er zog die Lefzen hoch und knurrte Lalec an, eine überdeutliche Herausforderung. Auch einige andere Drachen sahen nun herüber, darunter Girdrar und Saradra. In Girdrars Blick war eine Mischung aus Neugier und Besorgtheit zu erkennen.
Als sich die Blicke von Lalec und Saradra trafen, meinte er, etwas in ihren Augen zu erkennen. Ein Feuer, das er anscheinend immer übersehen hatte. Plötzlich blickte sie wieder zu den Vögeln, als würde es sie nicht weiter interessieren.
Er wandte sich wieder Drancor zu, jede Faser seines Körpers gestrafft, bereit anzugreifen. Lauernd umkreisten sich die beiden Drachen, langsam und wachend. Jeder wartete darauf, dass der andere den ersten Schritt tat. Und dann schossen beide nach vorn: Drancor schnappte nach Lalecs Hals, doch dieser tauchte unter Drancor hinweg und biss ihn in einen Flügel. Knurrend wichen beide Drachen wieder zurück, nur um sofort wieder aufeinander zuzuschnellen. Diesmal gelang es Drancor Lalecs Halsansatz mit seinen Halsstacheln zu streifen. Und noch mal entfernten sich die Drachen und sprangen im selben Moment aufeinander zu. Und noch viele Male wiederholten sie sich. Nach einer Stunde standen sie sich immer noch gegenüber, aus vielen Wunden blutend und sichtlich geschwächt. Mittlerweile blickten alle Drachen zu ihnen und viele waren näher herangekommen. Solche, mit aller Härte geführte Kämpfe kamen nicht allzu oft vor. Plötzlich sprang Drancor ein weiteres Mal vor, doch er stolperte über eine Mulde und fiel Lalec zu Füßen. Dieser setzte sein Maul an Drancors Halsansatz an und...
Ließ wieder ab. "Du bist es nicht mal wert, dass man dich tötet." Triumphierend stolzierte er zu Saradra, während die umstehenden Drachen durch Brüllen ihren Beifall ausdrückten. Doch als Lalec Saradras eisigen Blick sah, schmolz sein eben gewonnenes Selbstvertrauen dahin.
"Du hast es anscheinend immer noch nicht verstanden, Drachchen!" sagte sie, erhob sich und ließ den verblüfften Lalec einfach stehen. Selbst die Achtung, die man ihm nun entgegenbrachte, war Lalec egal. Er hatte das Gefühl, als wäre dieser eine Blick eine größere Demütigung gewesen, als alles andere zuvor.

In dieser Nacht plagten Lalec wieder Alpträume. Saradra mit ihrem eiskalten Blick, ein besiegter, aber lächelnder Drancor, "Du hast es anscheinend immer noch nicht verstanden... DRACHCHEN!"
Dann wurde sein Traum von einer Erinnerung abgelöst. Eine Lektion, die ein alter Drache jedem Jungdrachen beigebracht hatte: "Um ein wahrer Drache zu sein, musst du herausfinden, wer du wirklich sein willst. Nichts anderes kann jemals so wichtig sein. NICHTS, hört ihr..."

Als Lalec am nächsten Morgen erwachte, war ihm klar, weshalb ihn Saradra so angesehen hatte. Er verstand nun auch den Sinn ihrer Worte. Nun war ihm klar, wieso sie nie an Drancor interessiert schien. Trotz der vielen Wunden, die ihm seit seinem Kampf zu schaffen machten, erhob sich Lalec und flog zu einem Ort, zu dem er vor ein paar Tagen niemals geflogen wäre: Drancors Wohnhöhle.
Am Eingang von dieser lag der geknickte Drache. Als er Lalec sah, zuckte er kurz zusammen. "Willst du mich jetzt töten? Ach nein, das war ich ja nicht wert...", brummte Drancor.
'Jetzt oder nie', dachte Lalec, während er sagte: "Ich bin gekommen, um mich zu entschuldigen."
Drancors Maul klappte auf; mit so was hatte er nicht gerechnet.
"Es tut mir leid, dass ich dich so verletzt habe und noch mehr, dass ich dich so gedemütigt habe. Das war nicht ich. Ich..."
Doch Drancor unterbrach ihn, nun wieder hochmütig: "Ach, jetzt kommst du wieder angekrochen. Hast wohl Angst, dass ich dich platt mache, sobald ich mich von deinem Glückstreffer erholt habe. Nur Verlierer entschuldigen sich, du kleines, Drachenbaby!"
Lalec hatte mit so was gerechnet und während er seine Schwingen ausbreitete sagte er noch kurz: "Du musst deine Lektion noch ebenso lernen wie ich es getan habe. Schade, ich dachte, du hättest mal was gelernt. Ich wünsche gute Genesung... Drachchen."

Während er davonflog überlegte er, wo Saradra wohl sein könnte.
"Suchst du mich?" erklang ihre sanfte Stimme neben ihm. "Ich glaube, du hast inzwischen deine Lektion begriffen."
Lalec neigte den Kopf. Saradra flog neben ihm.
"Bist du mir gefolgt?", fragte er grinsend.
Sie grinste ebenfalls, antwortete jedoch nicht.
Lalec sammelte all seinen Mut: "Saradra, ich muss dir sagen ..."
"...dass du mich liebst? Ich weiß."
Lalec fiel fast aus allen Wolken. "Du wusstest es. Du wusstest es die ganze Zeit? Und dennoch..."
Wieder unterbrach sie ihn: "Ich ahnte es. Sicher war ich mir erst, als ich dich im Schlaf hörte."
'Die Gestalt vor dem Mond...' Ein Gefühl durchströmte Lalec. Es war wunderbar, so wunderbar, dass er es niemandem hätte beschreiben können. Noch einmal fasste er sich beim Herz und stellte die entscheidende Frage: "Und? Hab ich eine Chance?"
Wieder lachte Saradra, doch dieses Mal war es ein warmes, freudiges Lachen. "Du fragst noch, nach allem was geschehen ist? Ich glaub, ich sollte zu dir in deine Höhle kommen. Meine ist mir jetzt irgendwie zu einsam..."
 

© Arihpas
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