Die Armeen der Vergangenheit von Iris Wohlhaupter
3. Kapitel

Dunkelheit, undurchdringlich. Ein Wind, so kalt, dass es einem das Blut in den Adern gefrieren ließ. Nässe, warm, es roch nach Blut.
Dendrin erwachte. Sie strich sich über ihr Gesicht und traf dabei Klimt an der Schnauze. Energisch stieß sie ihn weg. Schnell richtete Dendrin sich auf und öffnete die Augen.
"Na endlich!", sagte Klimt erleichtert. "Ich dachte schon, du würdest gar nicht mehr aufwachen!" Klimt hatte ihr über das ganze Gesicht geleckt.
Sie sah ihn verwundert an und es weiteten sich ihre Augen. Lächelnd fragte sie: "Hast du dir etwa Sorgen um mich gemacht?!"
Kimt sah schnell weg und wurde wieder ernst. "Nein, aber ich kann kaum ohne dich zu Elhana zurückkehren!" Das hatte Dendrin getroffen. Doch Klimt sprach weiter: "Stell dir vor, das würde ich tatsächlich machen! Ich würde sofort vom Rudel verbannt werden!!!"
Das beleidigte Dendrin so sehr, dass sie die Nase rümpfend zu Boden starrte. Sie fragte: "Wo sind wir?"
Klimt sah sie vorwurfsvoll an. "Was denkst du denn?! In einer Höhle natürlich! Oder sieht das hier für dich aus wie ein Wald, oder etwas ähnliches?"
Sie blickte ihn grimmig an. "Ach nein... ich meine wo?! Sind wir immernoch bei diesem Ray Shen und seinem Rudel?"
Klimt schnaufte tief. "Ja, leider."
"Oh..." sagte Dendrin niedergeschlagen. Ihr Magen knurrte. "Haben sie uns wenigstens etwas zu essen gegeben?"
Klimt nickte und blickte zum Höhlenausgang. Daneben lagen ein paar kleiner Beeren und ein Stück Fleisch. "Dort." sagte er.
Dendrin nickte und krabbelte darauf zu. Sie nahm das kleine Stück Fleisch und wollte gerade hinein beißen, hielt aber inne und fragte Klimt: "Hast du schon etwas gegessen?"
Er nickte, also verschlang sie gierig das Fleisch und machte sich dann sofort über die kümmerlichen Beeren her.
Als sie mehr oder weniger gesättigt war, rutschte sie nahe an Klimt herran und flüsterte: "Glaubst du, dass wir aus der Höhle..."
Doch gerade als sie ihre Frage beenden wollte, wurde sie durch ein schwer schleifendes Geräusch unterbrochen. Etwas kam die Höhle herrunter gekrochen. Ein schmutziger grauer Wolf, kleiner und viel jünger als Klimt, mit großen Pfoten, tapste in die Höhle. Er hatte ein merkwürdiges Bündel im Maul und warf es Dendrin vor die Füße. Mit einem grimmigen Gesichtsausdruck bedeutete er Klimt, ihm zu folgen. Klimt sah nochmal zu Dendrin und folgte dem Wolf widerstandslos.
Dendrin besah sich das Bündel und öffnete es. Ein neues, sauberes Kleid kam zum Vorschein. Schmunzelnd musterte sie es, senkte den Blick und schaute auf ihr eigenes. Schließlich blickte sie zum Ausgang und vergewisserte sich, dass sie ungestört war und es auch blieb. Nickend streifte sie den Ärmel ihres eigenen Kleides über die Schulter und zog es aus. Nochmals blickte sie zum Ausgang. Sie war immernoch allein. Also zog sie sich das saubere Kleid über den Kopf und blickte an sich hinunter. Es passte wie angegossen, was sie sehr verwunderte.
Woher sollten Wölfe wissen, was ein Mensch trägt? Und woher wussten sie ihre Größe? Schmunzelnd warf sie die Überreste eines einmal so schönen Kleides in die Ecke und wartete. Auf was wusste sie nicht. Als aber nach einer Weile nichts geschah und sie des Wartens überdrüssig wurde, krabbelte sie zum Ausgang der Höhle und kroch hinauf. Oben angekommen, musste sie ihre Augen vor dem grellen Sonnenlich schützen. Es war mitten am Tag. Ein Wolf, den Dendrin nur zugut kannte, wartete auf sie. Murrend und ungeduldig schob er sie vor sich her.
Trotz ihres Widerwillens ließ sie es zu. So gingen sie noch eine Weile bis sie zu einer Ansammlung von Wölfen kamen. Als Dendrin Klimt entdeckte, rannte sie sofort zu ihm und ließ sich neben ihm nieder.
"Was soll das hier?" flüsterte sie leise.
Klimt schwieg - so wie alle Wölfe. Dendrin sah sich verwundert um und stellte fest, dass sie vor dem selben hohen Felsen standen, auf dem am Vorabend Ray Shen saß. Ein leises Raunen erfüllte die kühle Luft. Man konnte die Unwissenheit und Anspannung förmlich riechen. Schließlich sprang Ray Shen auf den Fels. Sofort verstummte die Menge. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Gebieterisch und erniedrigend blickte er auf sie alle hinab. Für einen kurzen Moment blieb sein Blick an Dendrin hängen. Sein Gesicht blieb ohne Ausdruck.
Schließlich erhob sich seine Stimme: "Zu Anfang, möchte ich auf meine Ehrengäste hinweisen. Zwei aus dem Rudel unserer Erzfeinde haben sich hier eingefunden." Er grinste hämisch.
Alle Blicke richteten sich auf Dendrin und Klimt. Dendrin spürte, wie Unbehagen in ihr aufkam. Plötzlich teilte sich die Menge vor ihnen und sie wurden energisch nach vorne gestoßen. In geringem Abstand blieben sie vor dem Fels stehen und blickten zu Ray Shen hinauf.
Dieser ergriff wieder das Wort: "Aber deswegen habe ich euch nicht zusammen gerufen." Er machte eine Pause, um die Erwartung zu steigern. "Heute Abend werden wir von hier aufbrechen, um eine zu frühe Konfrontation mit Elhanas Rudel zu vermeiden." Er blickte zu Dendrin hinunter und lächelte kalt. "Unsere Gäste werden selbstverständlich mitkommen", sagte er leise, nur für Klimt und Dendrin verständlich. Schließlich wandte er sich ab und war verschwunden.
Ein erstauntes Murmeln erhob sich. Die Ansammlung löste sich langsam auf und Klimt und Dendrin wurden wieder zurück zu ihrer Höhle gebracht. Hastig krochen sie hinein und setzten sich auf das trockene Laub. Niemand sagte etwas. Jeder war in seinen eigenen Gedanken versunken.
Am nächsten Morgen, kurz vor Sonnenaufgang, wurden sie wieder aus ihrer Höhle gescheucht. In der Kälte zitternd wurde Dendrin zu Ray Shen geschleppt. Mit halbgeöffneten Augen starrte sie ihn schläfrig an. Er, von seinem Fels hinunter springend, sah sie ernst an und biss in ihr Handgelenkt, um sie zu einer Gruppe von Wölfen zu schleppen. Als er von ihr abließ und sich umschaute, verzerrte sich sein Gesicht vor Wut. "Was soll das hier werden?!", schrie er die Gruppe an. "Wo sind die anderen?! Verschlafenes, faules Pack!" Sofort waren wieder alle wach. Einige rannten los, um die anderen zu wecken. Dendrin kicherte, als sie dies sah. Und doch staunte sie, welche Macht Ray über sie hatte. Dieser jedoch kümmerte sich nicht weiter um sie, packte Dendrin - da er ihr kichern bemerkt hatte - fester am Handgelenk als vorhin und schleifte sie mit sich. Wimmernd und mit schmerzverzogenem Gesicht stolperte sie mit ihm. 
Nach einer Weile kamen drei mickrige Kreaturen von Wölfen mit Klimt im Schlepptau auf sie zu. Ray lockerte seinen Biss, als er Klimt sah und zog knurrend die Lefzen zurück.
 
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Und bald geht's hier weiter zum 4. Kapitel...

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