Die Wasser des Unsterblichen von Benedikt Julian Behnke

Dunkelheit hüllte den Ort bei Einbruch der Nacht ein. Es war ein Ort, an dem Magie herrschte, eine Zeit umging, mit deren Umgang man sich besser nicht konfrontieren sollte. Bäume, groß und dunkel, ragten dort auf, schlossen einen kleinen See ein, über dessen Oberfläche heimliche Nebel wallten. An diesem Ort gab es keinen Laut zu vernehmen, Stille lag dort überall, Ruhe und Frieden, abgeschnitten von der Zivilisation und weit entfernt von jedem lebenden Wesen. Eine wunderschöne Hölle auf Erden. Dennoch hingen dort Spannungen in der Luft, knisterten förmlich unter dem Druck des Nichts, schienen zu scheppern, zu funken... und sogar zu bluten. 
Die großen, ledernen Blätter der Bäume und der sumpfige Boden, der nur klamm mit Sumpfgras bewachsen war, sollten einst mehr gewusst haben. Ein sternenklarer, tiefblauer Himmel umschloss die Stätte und die wattigen, schattenblauen Wolken am Horizont verbargen das ferne Licht der Welt.
Als ein eisiger Wind aufzog, bebte die silbrige Wasseroberfläche leicht und kleine Wellen kräuselten sich auf ihr. Der See war tief, so tief, dass man seine Unendlichkeit kaum erahnen konnte, ein felsiges Höhlenloch, welches sich im Laufe der Jahrtausende mit glasklarem Regenwasser gefüllt hatte. Von einer fremden Magie beschworen, nahm es die Farbe von geschmolzenem Quecksilber an, schwer, bleiern und geheimnisvoll. Zerklüftete Felsen umringten das Gewässer, spiegelten sich nur als schattenhafte Schemen auf dem nassen Grund. 
Es schienen Stimmen zu verklingen, zu hallen in den Felsen, Schreie des Todes, Schreie der Angst und Schreie des Sieges. Das Bild im Wasser wurde deutlicher, zeigte endlich lebende Bewegung...:

Ein Mann entstieg dem Wald, sein Gesicht war von der Düsternis verhüllt, allein seine Robe war sichtbar, ein schwarzer Mantel, ein graues Wollhemd und ein Hose aus dunklem Leder, welche mit eisernen Schutzteilen versehen war. Ebenso war die Brust mit einer Platte aus leichtem Metall versehen, welches mit Lederriemen um den Körper gebunden war.
Jetzt tauchte ein weiterer Mann auf. An der anderen Seite des Sees stand er, ebenfalls das Gesicht im Schatten, nur das glühende Ende einer Zigarette strahlte aus der Dunkelheit. Ihn bekleidete ein heller, sandfarbener Kapuzenmantel mit vielen Taschen, die untere Kleidung aus mit Eisen beschlagenem Leder und einem karierten Kilt, unter dem sich muskulöse Beine befanden, die mit Tierfell umwickelt waren und welches dort festgeschnallt war.
"Talor...", brachte der erste hervor und seine Hand glitt unter seinen Mantel, wo sich ein besonderer Gegenstand befinden musste, welchen er nun fest umklammerte, "wie hast du es geschafft, hier her zu kommen?"
Talor entfernte den Glimmstängel aus seinem Mund, ließ ihn zu Boden fallen und trat ihn aus, ohne die Frage des anderen zu beantworten.  
"Endlich ist es soweit!" sagte er in erwartungsvollem, herablassendem Ton und griff ebenfalls unter seinen Mantel, umklammerte etwas. "Endlich wird sich die Prophezeiung erfüllen", er zog ein im Mondlicht glänzendes Zweihandschwert hervor, dessen Klinge wohl scharf genug war, um einen Felsen mit einem Schlag zu zerteilen, "Palakin!"
Palakin zog eine prachtvolle Schwertscheide hervor und entblößte im gleißenden Licht des vollen Mondes ein perfekt gearbeitetes Samuraischwert.
"Die Schlacht wird sich nun entscheiden", sagte er, trat einen Schritt vor ins Licht. Seine Züge waren scharf geschnitten, eher schlecht rasiert, die Augen geheimnisvoll verbergend und die kurzen Haare schwarz.
Auch Talor stieg aus dem Schatten, betrat den steinigen Rand des Sees und zeigte sein Gesicht. Es war ungewaschen, die Augen hatten einen machtgierigen Glanz und die wirren, leicht lockigen Haare trug er lang und als er grinste, sah man eine Zahnlücke.
Beide Körper waren mit Narben und verheilten Schnittwunden versehrt, zeugten von harten Kämpfen in der Vergangenheit.
"Der Unsterbliche wird aus den Reihen der Sterblichen hervortreten..."
Beide gingen sie nun in Kampfstellung, Talor in die abwehrende und Palakin in die offene. Einen kurzen Moment bewegte sich keiner, beide starrten sich an, versuchten den ersten Schritt des Gegners vorauszuahnen, tauchten in ihren Gegenüber ein, wobei sie kurz die Augen schlossen und die kühle Luft scharf einsogen.
Plötzlich sprangen sie beide zur gleichen Zeit in die Luft, katapultierten sich mit einer enormen Kraft in die Höhe und ließen ihre Klingen dann genau auf halbem Weg funkensprühend gegeneinander krachen. Es war ein Moment der Nähe, der Moment und dann landeten sie beide auf dem Platz, von welchem der jeweilige Gegner gesprungen war. 
"Du bist gut geworden. Du hast meinen ersten Schritt perfekt vorausgeahnt", sagte Talor schon deutlich schwerer atmend als zuvor. 
"Ich habe es nicht vorausgeahnt, ich habe es gewusst!" gab Palakin spielerisch von sich und lächelte. Talor gab einen knurrenden Ton von sich und griff wieder an, sprang über den kleinen See, der zwar nur fünf Meter maß, aber trotzdem als See galt, schnell und geschickt, sodass Palakin nur abwehrend die Klinge in die Höhe reißen konnte, um den Streich abzuwehren. Der Schlag war hart und er ging beim Aufprall ein paar federnde Schritte zurück, erwartete den nächsten Angriff, parierte ihn und drückte das Schwert seines Gegners verbissen nach oben, während sie sich direkt in die Augen starrten. Der siegesgewisse Blick Talor’s ließ Palakin zurück schrecken und so versetzte der Zweite ihm mit dem Knauf seines Schwertes einen Schlag ins Gesicht. Der Getroffene taumelte abgelenkt zurück und hielt sich die Nase, aus der ein schmaler Blutstrom floss, das Samuraischwert schleifte schlaff am Boden, doch er umklammerte es noch mit einer Hand.
Den Moment nutzte Talor, um mit dem Zweihandschwert auszuholen und es mit einem bösartigen, verrückten Grinsen auf Palakin sausen zu lassen. Dieser rebellierte, haute fest, aber ungeschützt von der Seite auf die feindliche Klinge ein und ließ so den Schlag ins Leere gleiten. Der Stahl tauchte durch das Laub, welches den Boden bedeckte und dann ein paar Zentimeter in die Erde, durchtrennte dabei alle Wurzeln ohne Widerstand. Talor zog es wieder heraus und ging abermals in Kampfstellung. Palakin hatte sich nun wieder gefasst und hielt das Schwert nun wieder mit beiden Händen. 
Ein weiteres Mal war Talor es, der angriff, die Waffe hoch über dem Kopf erhoben und dann zuschlug. Palakin stoppte den Hieb, indem er seine Waffe horizontal hielt, kurze Zeit dagegen drückte, wobei er vorgab immer mehr Kraft zu verlieren, sodass Talor nicht mehr ganz so gut auf seine Deckung achtete und sich nur noch auf den Hieb konzentrierte. Der Erste ließ blitzschnell locker und wich dabei aus, sodass Talor wieder daneben traf und er mit einer seitlichen Bewegung den Rumpf des Gegners aufschlitzte. Ein großer Riss zog sich durch dessen ledernes Hemd und auch die bleiche Haut darunter wurde etwas verletzt. Talor stöhnte, fuhr mit der einen Hand zu seiner Wunde, stoppte so notdürftig die Blutung. 
"Ich habe dich unterschätzt, Palakin Taruhan!" sagte er mit leicht zitternder Stimme, wobei immer etwas Blut aus seinem Mundwinkel lief. "Ein zweites Mal wird mir das nicht passieren!"
Er entfernte die krampfhaft zitternde Hand von seiner Brust und Palakin merkte, dass die Verletzung deutlich kleiner geworden war und nur noch etwas von dem Lebenssaft herauslief, kurze Zeit später war sie ganz verheilt und nicht mehr als eine gut verheilte Narbe blieb.
"Deine Heilkräfte haben sich seit unserem letzten Kräften enorm verbessert", gab Taruhan zu und stieß einen leisen Pfiff dabei aus. Ein Zucken ging durch Talor’s Schwertarm.
"Du dagegen hast deine Deckung wieder einmal vernachlässigt!"
Palakin stockte und sank leicht zusammen. Die Klinge Talor’s steckte bis zum Heft in seinem Oberschenkel, sie war durch das schützende Metall gedrungen und kam blutverschmiert auf der anderen Seite wieder zum Vorschein. 
"Ein glatter Durchstoß!" lachte Talor und drehte die Waffe leicht in der Wunde, sodass der krampfhafte Schmerz wieder und wieder durch Palakin’s Körper gejagt wurde. Dieser zitterte und rang nach Atem, während Talor seinen Spaß mit ihm hatte. 
"So lange das Schwert in der Wunde steckt, kann sie nicht verheilen!" 
Palakin ließ entkrampft den mit Elfenbein verzierten Griff seines Samuraischwertes los und hielt statt dessen das Bein, versuchte so zu verhindern, dass weiteres Blut in es gelangen konnte, herauslaufen würde und er an zu hohem Blutverlust sterben würde. 
Talor trat das Schwert seines Gegners beiseite und fragte mit grausamer Stimme, die in Taruhan’s Gehirn vor Bosheit dröhnen schien:
"Na? Wie gefällt dir dass?" Er ruckte mit dem Schwert, sodass der am Boden Gekrümmte wieder laut aufstöhnte. "Soll ich dir deinen Abschied vereinfachen? Ein Wort von dir genügt..."
Er stutzte. Palakin hatte die Schneide seines Zweihandschwertes fest gepackt, sodass die Klinge Blut aus seinen Handflächen triefen ließ und versuchte es so gegen Talor’s Kraft herauszuschieben. 
"Was...?" stieß er hervor und war überrascht über die Stärke des erst Unterlegenen. So fest er auch versuchte, die Waffe wieder tiefer hineinzustoßen, er schaffte es nicht und Taruhan schob und drückte immer stärker mit einer ungeahnten Macht und jeden Zentimeter, den er von dem Stahl befreite begann wieder zu heilen, sich zusammenzufügen.
Auf einmal war das Schwert ganz aus seinem Oberschenkel verschwunden und mit einem geradezu vor Stärke trotzenden Ruck brach Palakin Taruhan die Schneide des Zweihandschwertes mitten entzwei.
"Nein, was...?"
Talor konnte es immer noch nicht glauben, stolperte entsetzt zurück, flehte, bettelte auf den Knien, betete ihn fast an...
Da erhob Palakin sein Samuraischwert, schwank es weit ausholend und gerade, als Talor mit angstverzerrter Fratze flüchten wollte, dabei aber immer wieder stolperte und schließlich von großer Angst gepackt zitternd und heulend am Boden mit abwehrend erhobenen Händen liegen blieb, vollendete Taruhan seinen Streich und aus des Feindes Augen losch das Lebensfeuer.
Der Sieger hob das Schwert gen Himmel, fixierte dort einen unbestimmten Punkt an und sagte mit fester, vollendeter Stimme:
"Es kann nur einen geben!"
Ein hell gleißender Blitz entfloh dem Himmel, hüllte Palakin ganz in sich ein und dieser spürte, dass nun Talor’s Kraft in ihn überging...
Freude erfüllte ihn, doch auch die Trauer war nicht weit. Hatte er das Richtige getan? Die Kraft und das Wissen durchströmte ihn, dann auf einmal ließ das helle Licht nach und nur noch die Erinnerung daran weilte in seinem Kopf...

Das Bild im Wasser verschwamm wieder, hatte so eben von dem letzten Kampf der Unsterblichen gezeugt. Doch jetzt schien wieder alles wie vorher, leer. Leichte Fußspuren im Boden und aufgewühlte Blätter könnten Aufschluss über diese Sache geben, doch hat sich in den langen Jahren nie jemand nah hier verirrt, nach hier, dem Gewässer des Unsterblichen...
 

© Benedikt Julian Behnke
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