Das Bengy-Herz von Muiziana
Kapitel 5: Der Unfall

Alle der Turnierteilnehmer stellten sich in Position.
Ein Junge in einer hellblauen Hose, der auf einem schneeweißen Andalusier-Hengst saß und sich schon seit längerem unauffällig nach allen Seiten umdrehte, entdeckte sie endlich. Sie saß dort mit ihren beiden Freundinnen. Was wollte sie hier, was wollten ihre Freundinnen und was wollten sie hier bezwecken?
Und wie um alles in der Welt soll ich sie aufhalten!
Aber Moment, na klar...

Melanie schaute, wer alles in seiner Startbox so zappelte, es waren nicht besonders gut gepflegte Pferde, so wie die von Melissa, aber sahen alle recht kräftig aus.
Moment mal, dieser Junge auf dem weißen Andalusier-Hengst kam ihr bekannt vor, aber nur woher!
Da drehte der Junge sich plötzlich um und schaute Melanie direkt an. Was natürlich nur Einbildung sein konnte, denn aus dieser Entfernung konnte er sie unmöglich sehen.
Doch da hob er auch schon seine Hand und grüßte.
Aber als er sie sinken ließ führte er seine Hand nicht wieder in Richtung Zügel sondern zu seinem Mund und dann warf er auch noch eine Kusshand zu Melanie herauf. Kein Zweifel, er meinte sie.
Melanie errötete und wandte ihren Blick von dem Platz.
Janine und Simone hatten es auch bemerkt und sahen Melanie strafend an.
"Was ist los mit dir? Wer ist das da unten und woher..." Simone endete abrupt, sie schaute schnell hinunter, da ertönte auch schon die Startglocke.
Golumbia sprang mit einem riesigen Sprung aus ihrer Startbox und schoss davon. Der seltsame Junge schaute jetzt nur geradeaus und versuchte einen schnellstmöglichen Start hinzulegen.
Aber Simone hatte ihn trotzdem erkannt. Sie sog erschrocken die Luft zwischen ihren Zähnen ein und starrte Melanie wütend an.
"Weißt du, wer das ist, Melanie?
Hast du ihm irgendetwas erzählt?
Bitte antworte doch!"
Melanie schaute verdutzt drein. "Nein, ich weiß nicht wer... oder..." Melanies Augen wurden groß. "Ja, ich weiß, wer das ist. Matt, Magier Matt."
Simone nickte.
"Ja, dem bin ich begegnet. Im Pferdestall, er hat mir dort geholfen."
Simone sah nicht glücklich aus, ganz im Gegenteil.
"Nein, ich habe ihm aber nichts gesagt, ich hab mich mit ihm nur über diese seltsamen Pferde von Melissa unterhalten. Die hatten..."
"OK, sie hat nichts verraten, dann ist ok. Den Rest kann sie uns später erzählen. Jetzt guckt doch mal, was da unten passiert."
Alle schauten jetzt wieder gebannt auf den Platz dort unten.
Die Reiter waren in der Zwischenzeit schon eine halbe Bahn gelaufen.
Noch hielten sich Matt und Melissa an der Spitze. Doch Matt wurde immer schneller und schneller, so schnell, dass man die Beine seines Pferdes gar nicht mehr klar erkennen konnte.
Aus dem Lautsprecher tönte es: "Der Teilnehmer der Nummer 11" - das war Matt - "holt zur Nummer 1" - und das war Melissa - "sehr rasch auf, obwohl er ein Neu-Einsteiger ist. Kann er die Nummer eins von ihrem dreijährig errungenen Thron herunter zerren? Es könnte knapp werden."
Es knisterte und der Lautsprecher verstummte wieder.
Doch da passierte es auch schon. Matt schob sich weiter an die Spitze und - absichtlich oder unabsichtlich war nicht zu erkennen - streifte Golumbia mit seiner Flanke an dem Vorderbein. Darauf war Melissa und vor allem Golumbia nicht gefasst gewesen. Der Engpass von Matt hatte Golumbia einen Schritt aussetzen lassen vor Schreck. Sie stolperte, einmal, noch einmal und sie kam ins schlingern. Melissa nahm an Geschwindigkeit ab und ritt einen engen Linkspass und kam einigermaßen elegant aus der Situation. Doch anders bei Matt. Er hatte eigentlich schneller werden wollen, doch sein Hengst hatte seine Beine nicht mehr unter Kontrolle.
Melanie sah nur noch ein wildes Ringen um das Gleichgewicht von dem Hengst und ein lautes qualvolles Wiehern, wahrscheinlich hatte er sich beim Verheddern verletzt. In seinem hohen Tempo stürzte er. Durch den Aufprall wurde Matt aus dem Sattel gerissen, er schlitterte ein ganzes Stück weit im Sand dahin. Doch sein Pferd fiel auf die Seite und wurde von der Wucht des Aufpralls und der Geschwindigkeit gute zehn Meter weitergeschleift, direkt auf Matt zu.
Die Menge schrie auf. Es handelte sich nur noch um Sekunden.
Kann denn niemand etwas unternehmen! Melanie sprang auf. Matt wurde unter seinem Pferd begraben und beide blieben regungslos liegen.
Melanie schlug die Hände vors Gesicht. Überall Blut, das Fell von dem Hengst war voll davon.
Sie besann sich schnell wieder und rannte wie sie es noch nie getan hatte, sie wurde immer schneller. Sie hörte die stöhnende Menge hinter ihr, die das Spektakel gebannt verfolgt hatte.
Das letzte, was Melanie unten auf dem Platz sah, war, dass einige Sanitäter angelaufen kamen und dass Melissa anhielt und in Matts Richtung ritt, wahrscheinlich um ihm zu helfen.
Dann hatte sie die untersten Treppe erreicht und nun waren die Tribünen im Weg, um etwas zu sehen. Melanie kämpfte sich mit ihren Ellenbogen durch die Menschenmasse. Sie war nun unten angekommen und lief wie um ihr Leben den Kiesweg entlang, wo überall Pferde geführt wurden, die wahrscheinlich noch später geritten werden würden. Doch das interessierte sie nicht, sie wollte so schnell zu Matt wie möglich.
Ihr war es egal, ob sie die Pferde scheu machte oder was die Stallburschen ihr wütend nachriefen.
Nun hatte sie schon das Gatter zum Turnierplatz erreicht und sie sprang mit einer Leichtigkeit darüber hinweg, die sie sich nicht erklären konnte. Ein Wächter, der dort am Gatter aufpasste, hatte sie zu spät gesehen und er bekam sie nicht mehr zu fassen, nur noch ihre Tasche, die sie um die Schulter geschlungen getragen hatte, und entriss sie ihr, sprintete ihr aber dann auch schnell hinterher.
Melanie war jetzt auf dem großen Platz und sie rannte auf Matt zu.
Die Sanitäter waren noch nicht bei ihm. Warum das denn? Man sah doch wohl, dass es ihm nicht gut ging, ganz und gar nicht.
Da sah sie, dass die Leute noch unterwegs zu ihm waren.
Nun war Melanie echt verdutzt, aber auch nur kurz. Entweder sie war so schnell gelaufen, dass sie noch vor den Sanitätern angekommen war, oder die Sanitäter hatten sich Zeit gelassen - unmöglich, beides - aber das scherte sie jetzt gar nichts mehr, sie war bei dem Hengst angekommen.
Die Menge hielt hörbar die Luft an und Melanie konnte Simone und Janine schreien hören, sie sollte zurückkommen, aber sie hörte nicht auf sie.
Melanie versuchte nun, bei dem Hengst angekommen, das Pferd wegzuschieben.
Das Pferd lag nur auf Matts linkem Arm - schlimm genug - aber sie versuchte es weiter und sie schaffte es Zentimeter um Zentimeter. Nun waren auch der Wächter und die Sanitäter angekommen und halfen ihr. Sie schafften es gemeinsam, Matt zu befreien.
Melanie sah Matt an. Er sah so aus, als würde er ruhig schlafen, war aber nur ein wenig staubig und sandig.
Ihr lief eine einzelne Träne über die Wange. Matt rührte sich nicht; die Männer hoben ihn auf eine Trage.
Doch bevor Melanie sich das Gefühl auch eingestehen konnte, überkam es sie einfach, es war eine Wut und eine unterdrückte Macht, die herausgelassen werden wollte.
Melanie kniete sich zu Matt herunter und berührte seine Stirn. Die Männer wichen einen Schritt zurück, warum auch immer.
Melanie spürte etwas Starkes in ihr, das versuchte, die Kontrolle über ihren Körper zu gewinnen, es auch schaffte.
Melanie wurde tief in ihr Inneres gestoßen und konnte nur zugucken, was ihr anderer Führer ihrem Körper befahl.
Etwas versuchte in ihrem Kopf herauf zu sprudeln, alte Erinnerungen, aber der derzeitige Führer über ihrem Körper ließ es schnell verschwinden.
Das andere Ich legte nun eine Hand auf Matts Brust und die andere holte das Bengyherz hervor. Melanie gefror das Blut - das, welches ihr noch gehorchte.
Melanie Nummer zwei berührte mit dem Bengyherz ihren Handrücken, dessen dazugehörige Hand auf Matts Brustkorb ruhte. Und was Melanie jetzt spürte, war unglaublich. Sie spürte zwei Herzen pochen, einmal ihr eigenes und das des Bengy-Herzens und nun ... da war es schon wieder, ein leises sanftes Pochen, welches von Sekunde zu Sekunde zunahm an Kraft. Sie schloss die Augen - Nummer zwei. Ich spürte es deutlich, ich glitt wieder in meinen Körper zurück. Das dritte Herz war nun so weit angeschwollen, dass alle drei Herzen zusammen im Einklang schlugen.
Plötzlich berührte eine Hand meinen Hals und die Kette mit dem Bengy-Herz.
Sie schlug abrupt die Augen auf.
Matt hatte ein böses Funkeln in den Augen und drückte nun mit seiner Hand ihre Luftröhre zu. Melanie japste. Sie hörte überhaupt nichts mehr. Sie sah nur, dass Matt aufgerichtet vor ihr saß und sie vor im kniete und er sie am Hals hielt und anscheinend umbringen wollte. Ihre Gedanken rasten.
Seine Pupillen wurden größer und größer bis sie sein ganzes Auge ausgefüllt hatten.
Er öffnete seinen Mund und sprach etwas, aber in einer anderen Sprache, das konnte Melanie an der Bewegung seines Mundes sehen.
Die Luft blieb ihr weg, sie japste, es wurde dunkel, sie erkannte nur noch verschwommen was geschah.
Ein schwarzes Pferd war da, sie konnte aber nur die Fesseln sehen.
Ein Mädchen zog Matt von ihr weg und der Griff um ihrem Hals lockerte sich, bis Matts Hand endlich wieder weg war.
Es klarte sich auf, ihr Blick wurde wieder schärfer. Und Sauerstoff strömte in ihre geschändeten Lungen. Sie sog ihn erleichtert und in großen Zügen ein.
Als Melanie zu sich kam und mit wackeligen Beinen aufstand, sah sie, wie beim Gatter Simone und Janine auf sie zu liefen und dass der Wächter und die Sanitäter total geschockt dastanden.
Da aber kniete Melissa, den Blick hasserfüllt auf Matt gerichtet, der am Boden mit dem Knie von Melissa ausgestrecht da lag.
Sie hörte Matt krächzen: "Es ist zu spät, ich hab sie schon gerufen."
Und ein Grinsen stahl sich auf sein Gesicht, welches Melissa mit einer Bewegung ihres Knies ganz schnell wieder verfliegen ließ.
Ihr Gesicht war aber sichtlich weißer geworden bei Matts Worten.
Simone und Janine waren angekommen.
Da ließ Melissa Matt los, hielt ihn aber sofort wieder im Nacken fest. Melissa machte sich eine Hand frei und pfiff auf zwei Fingern so laut und schrill, dass es von den Tribünen vielfach zurück erklang.
Und dann holte sie sehr tief Luft, bis sie fast zu platzen schien, aber in diesem Moment konnte Matt seinen Ellenboden freikriegen und ihn in Melissas Seite bocken, dass es krachte; man sah förmlich, wie eine Rippe barst.
Melissa entwich die ganze Luft in einem Keuchen.
Sie schlug Matt kräftig mit ihrem Unterarm auf den Kopf, so dass er bewusstlos wurde.
Dann nahm sie unter Schmerzen nochmal so viel Luft und ließ einen seltsamen Ton in den Wind verweht in einer nicht menschlichen Melodie.
Kurz darauf brachen aus den Wolken zwei riesige geflügelte Pferde hervor.
Hinter sich hörte Melanie ein Wiehern und sie drehte sich um. Hinter ihr kam Golumnia aus dem Stall gelaufen, irgendwie musste sie sich befreit haben.
 

© Muiziana
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Und sicher schon bald geht's hier weiter zum 6. Kapitel...

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