Blutige Dublonen von Jens Eppinger

Der köstliche Dampf frisch gerösteter Bratkartoffeln wehte durch das kleine Bauernhaus. Summend griff Brin Emerek nach dem Holzlöffel auf der wurmstichigen Anrichte und vermengte die geschälten Zwiebeln mit der fettigen Sud der schweren Pfanne. Zischend spritzten winzige Tropfen des heißen Öls über die bereits rußige Feuerstelle und verteilten sich auf Holz und Metall. 
Die wachsamen, blauen Augen der jungen Frau flogen rasch über den gedeckten Tisch. Drei schäbige Teller, drei Gläser und eine Karaffe Brunnenwasser standen neben einem liebevoll zugerichteten Löwenzahnsalat. Schnell zog Brin noch drei zerkratzte Gabeln aus einer halbgeöffneten Schublade und legte sie sorgsam neben jeden der Teller. 
Das weiche, hübsche Gesicht des sechzehnjährigen Mädchens war vor Anstrengung rot verfärbt. Schweißperlen rannen über ihre zarte Stirn und vermischten sich mit kleineren Rußflecken auf Wangen und Nase. 
Brin schwenkte noch einmal den Löffel durch die dampfenden Kartoffeln und wischte sich anschließend die Hände an ihrer schmuddeligen Schürze ab. 
„Wo ist der Speck„, sagte sie leise zu sich und langte nach der kleinen Schale, die sie auf der Fensterbank abgestellt hatte. Als sie die bescheidene Portion Fleisch mit dem Pfanneninhalt vermischte, fuhr sie mit ihrem Ärmel über die feuchte Stirn. „Wo bleibt das Bier?„, schrie sie in die leere Küche. Als sie keine Antwort erhielt schlug sie wütend mit dem Handballen auf den gedeckten Tisch. 
Eine Strähne ihres dunklen zusammengebundenen Haares hatte sich gelöst und kräuselte sich auf ihrer Stirn. „Ramir, wo in Golums Namen steckst du?„ Resigniert stapfte sie aus der engen Küche in den kalten Flur. Vor dem Fuß der ausgetretenen Kellertreppe blieb sie stehen. Dunkelheit. Nichts als Dunkelheit. Von ihrem Bruder keine Spur. „Ramir, wie lange brauchst du noch? Vater ist gleich hier und will mit uns essen.„ 
Brins Nackenhaare sträubten sich bei dem Gedanken ihrem Bruder zu folgen.
Sie verabscheute den finsteren Keller. Einmal hatte ihr Vater sie hinunter geschickt. Ein Krug Ale und eine getrocknete Hartwurst hatte er von ihr verlangt. Keine allzu schwere Aufgabe für eine heranwachsende Frau, doch erinnerte sie sich noch mit Schaudern an ihren letzten Besuch in der gruftgleichen Kammer. 
Spinnen, viele Spinnen. Einige so groß, wie eine Mohnblüte hingen an den düsteren Wänden des schwach beleuchteten Raums. Brin hatte damals allen Mut zusammengenommen und war zitternd die Stufen hinaufgestiegen. Seitdem schickte sie stets Ramir, ihren ein Jahr jüngeren Bruder, hinab, dem das widerliche Ungeziefer wenig auszumachen schien. 
Nervös trommelten Brins Finger auf dem morschen Geländer. Warum trödelte Ramir stets? Soeben wollte sie zu einer weiteren Schimpftirade ansetzen, als ein lautes Zischen ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Küche lenkte.
„Beim ewigen Bann des Unheiligen, das Essen!„
Mit wehender Schürze und einigen ungelenken Sätzen ihrer Holzpantoffel war Brin an der knisternden Feuerstelle. Fluchend hob sie die dampfende Pfanne von dem Herd und ließ sie polternd auf den grob gezimmerten Tisch nieder. 
„Angebranntes Essen und kein Ale im Haus„, murmelte sie verdrießlich. „Vater wird toben.„
Brin vernahm das tappende Geräusch nackter Füße auf dem Dielenboden. Mit einem wütenden Blick auf den vor ihr innehaltenden Ramir schaufelte sie die letzten Würzkartoffeln auf den Teller.
„Das ist alles deine Schuld„, giftete sie.
Der amüsierte Blick ihres Bruders schürte ihren Zorn noch mehr. „Wo ist das Ale?„, blaffte sie und schwang drohend ihren Kochlöffel vor Ramirs sommersprossigen Gesicht.
„Aus„, kam die knappe Antwort des schmächtigen Jungen. Wie zur Bestätigung vollführte er eine aussagende Geste mit seinen kurzen Armen. 
Brins Wut hatte ihren Höhepunkt erreicht. Energisch stemmte sie ihre Hände in die zierliche Hüfte. „Hast du es etwa fallen lassen?„
Ramir schüttelte rasch den Kopf. „Aus„, wiederholte er fast jämmerlich und versuchte mit seinen Fingern eine der knusprigen Kartoffeln zu erlangen. Doch Brin war schneller. Mit einem Patsch hatte sie ihm den Löffel auf den Handrücken geschlagen. Ramirs anschließendes Heulen ließ sie nicht erweichen.
„Wasch` dir gefälligst die Hände, bevor du zu Tisch gehst!„ Brin überlegte kurz. Als Ramir weinend die Küche verließ, kramte sie in ihrer Tasche nach Silber. Tatsächlich förderten ihre rauhen Finger zwei Silbertaler zu Tage, die sie abwägend vor sich hielt. Die eingestanzte Kaiserkrone auf der Kopfseite der Münze fesselte Brins Blick für wenige Augenblicke. Als sie wieder auf sah, stand Ramir grinsend vor ihr.
„Essen?„, fragte er ungeduldig, wobei seine vorstehenden Glubschaugen über den Tisch kreisten.
„Nein, Ramir! Wir haben kein Ale. Vater wird wütend, wenn er kein Ale zum Essen hat.„ Brin verzog angewidert den Mund. Die Vorstellung, daß sie für jeden Fehler gerade zu stehen hatte, behagte ihr ebenso wenig, wie ihren behinderten Bruder zu kommandieren. Aber was sollte sie tun? Ihr Vater Caldec war mit Nachbarn auf dem Feld. Die Ernte stand kurz bevor. Wer außer ihr sollte sich um den Hof, um das Essen und um Ramir kümmern? 
Mit einem Stoßseufzer trat sie an ihrem Bruder vorbei. Im Gehen band sie sich die Schürze ab und warf sie mißmutig über die Lehne des Stuhls.
„Ich bin gleich wieder da. Sag` Vater, daß ich versuche bei Brewerek etwas Bier zu kaufen!„ Eifrig nickend hockte sich Ramir an den Tisch. Seine krummen Hände grabschten nach der Gabel, die er wieder und wieder in die braungebrannten Kartoffeln stieß. 

Caldec Emerek hatte die schartige Sense abgelegt. Erschöpft bückte er sich über den mit Wasser gefüllten Eimer und tauchte seine schmerzenden Hände in das kühle Naß. Mit gelassener Zufriedenheit benetzte er sein unrasiertes Gesicht und wusch sich Dreck und Schweiß von der wettergegerbten braunen Haut. Sein sonst wirres, graues Haar lag in schmierigen Strähnen auf seinem kantigen Haupt. Die nackten, stark behaarten Arme glänzten in der schwülen Mittagssonne. 
Angewidert zog der in die Jahre gekommene Mann sein völlig durchnäßtes Leinenhemd über den Kopf und warf es achtlos in eines der leeren Holzfässer. Hier, im Schuppen des kleinen Bauernhauses, war die Hitze weniger drückend als auf dem offenen Feld. 
Der ehemaliger Söldnerführer langte nach einem löchrigen Stück Lumpen und wischte sich damit über die breite Brust. Trotz seines fortgeschrittenen Alters, besaß Caldec noch immer die Figur, um die ihn viele Recken beneideten. Seine stählernen Muskeln hatten sich im Laufe der Zeit als sein wertvollstes Kapital erwiesen. Von unzähligen Kämpfen durchtrainiert und abgehärtet, bereitete ihm die harte Arbeit auf dem Land nur wenig Mühe. Selbst die stumpfe Sense zu seinen Füßen wurde wie ein Zweihänder unerbittlich durch das meterhohe Korn geschwungen.
Gut gelaunt griff Caldec nach dem sauberen Wollhemd, das Brin ihm morgens zu recht gelegt hatte. Mit einem Zug streifte er es sich über und verließ pfeifend den kleinen Schuppen. 

Als Caldec die Stube betrat, wehte ihm der appetitliche Duft der Röstkartoffeln entgegen. Hungrig ließ er sich neben dem glucksenden Ramir nieder, der gedankenverloren ein öliges Blatt Löwenzahn vor die großen Augen hielt. 
„Versuchst du mir wieder die Zukunft vorauszusagen, kleiner Seher?„ 
Liebevoll strich seine Rechte über Ramirs wuscheliges Lockenhaupt. 
„Sag´ mir, was du siehst!„ Während sich Caldec noch den Rest der Kartoffeln aus der Pfanne auf den Teller schaufelte, begannen Ramirs Lippen tonlose Worte zu formen. Böser Mann, böser Mann. Verständnisvoll schüttelte Caldec sein Haupt und probierte vorsichtig das heiße Essen.
„Deine Schwester ist eine ausgezeichnete Köchin. Lorea hätte sie nicht besser zubereiten können.„ Bei diesem Gedanken hielt er kurz inne. „Seid nunmehr vier Jahre„, murmelte er leise und richtete seinen Blick wieder auf den Teller. „Verfluchter Dunkelelf.„

Caldec goß sich etwas Brunnenwasser ein und leerte sein Glas in einem Zug. „Haben wir kein kühles Ale im Haus oder warum muß ich den ganzen Tag nur Wasser trinken?„ Erwartungsvoll richtete sich Caldecs Blick auf seinen Sohn, dessen Augen noch immer das Salatblatt fixierten. Caldecs gutmütige Miene verzog sich allmählich. 
„Ist Brin draußen bei der Wäsche oder füttert sie die Hühner?„ Mit einer kurzen Geste wies er auf Brins leeren Platz. Als Ramir noch immer keine Antwort von sich gab, erhob sich Caldec angesäuert und trat hinaus in Freie.
„Brin?„, rief er in die Mittagshitze. Systematisch suchten seine dunklen Augen die Umgebung ab. Nichts. Nur das Brummen unzähliger Insekten dröhnte ihm antwortgleich in den Ohren. „Verfluchtes Miststück.„ Hinter sich vernahm Caldec Ramirs stolpernde Schritte. Verärgert wand er sich um und sah ihm tief in die Augen. „Treibt sie sich wieder mit diesem Hochstapler Skoreg herum? Antworte mir endlich Ramir, was wird hier gespielt?„ 
Caldec kniete sich vor seinen Jungen und schüttelte ihn sanft. „Bei Golum, ich weiß, daß du dich lieber mit Brin unterhältst als mit mir. Aber bitte sag´ mir jetzt, wo deine Schwester ist?„ Ramirs große Augen weiteten sich vor Furcht, als er an seinem Vater vorbei, auf die breite Pflasterstraße sah.
„Aus„, stammelte er ängstlich. „Bier ist aus.„ 
Caldec nickte dankbar. „Sie hätte auch einen Zettel hinterlassen können„, mahnte er ihn und nahm Ramir auf seinen starken Arm. „Du brauchst keine Angst zu haben, nicht vor mir.„ 
Soeben wollte Caldec mit ihm wieder in die Stube treten, als ihm Ramirs grobe Hände furchtsam auf die Schultern hämmerten.
„Böser Mann„, wimmerte er in sein Ohr und wand sich vom Arm seines Vaters. Der alte Söldner ließ ihn gewähren und drehte sich der Straße zu. Im schwülen Schein der prallen Sonne flimmerte das Bild vor seinen Augen. Ein Reiter hielt sein Roß auf den Hof zu. Langsam aber stetig näherkommend. 

„Geh ins Haus, Ramir! Ich werde mit ihm sprechen.„ 
Mit einem Klaps auf den Rücken schickte Caldec seinen Sohn hinein. Der erfahrene Kämpfer atmete tief durch. Seine Augen hatte ihn nicht getäuscht. Das gleißende Sonnenlicht wurde von der Rüstung des Fremden reflektiert.
„Bei Azzalurs krummen Hörnern, warum laßt ihr mich nicht in Frieden.„ 
Caldec trat wütend in den Staub. Er hätte Ramir sein Schwert bringen lassen sollen. Nun war es zu spät. 
Seine muskulösen Arme vor der Brust verschränkt, wartete Caldec mehrere Augenblicke. Endlich, als der Reiter die Straße verließ und auf den Hof zusteuerte, erkannte der ehemalige Söldner das ausdruckslose Gesicht. Caldecs Mundwinkel verzogen sich. Angespannt trat er dem Reiter entgegen. Winzige Schweißperlen bildeten sich auf seiner faltigen Stirn. Seine Kehle war wie ausgetrocknet. 

Der Reiter zügelte seinen tiefschwarzen Hengst einige Handbreit von Caldec entfernt. Sein dunkles, schulterlanges Haar hatte er zu einem adretten Schwanz geflochten, der prächtig über seiner polierten Brustplatte lag. Die stechenden Augen des Mannes musterten Caldec geringschätzig. Wortlos hob er sich aus dem schlichten Ledersattel und führte das anscheinend kampferprobte Roß an ihm vorbei. Caldec betete stumm und folgte ihm in einem gewissen Abstand. 
Als der Reiter sein stolzes Pferd in dem kleinen Stall untergebracht hatte, holte er Caldec mit einem knappen Wink heran. Mit einem Kopfnicken wies er ihn an die Stube zu betreten, dann trat er selbst hinein. 
Caldec atmete tief durch als er bemerkte, daß Ramir die Küche verlassen hatte. Offenbar versteckte sich der Junge im Keller oder in ihrer gemeinsamen Schlafkammer. 
Inzwischen hatte sich der gepanzerte Gast an den Tisch gesetzt und stumm nach der Karaffe Wasser gegriffen. Caldec setzte sich ihm gegenüber und versuchte so ruhig wie möglich zu verhalten. Sein altes Breitschwert stand in der Nische zur Speisekammer, weniger als einen Schritt entfernt. Abwartend blickte er auf die glänzende Rüstung des Mannes und auf den achteckigen Stern, der in goldenen Konturen auf der Platte eingelassen war.
„Magisch„, dachte Caldec. „Dieses verfluchte Stück ist mit Chaosmagie versehen.„ 
Trotz der sengenden Hitze hatte der stumme Gast seinen dichten Reiseumhang und die reich verzierten Lederhandschuhe nicht abgelegt. Scheinbar desinteressiert suchte er mit seiner Gabel die letzten Krümel Röstkartoffel zusammen und verzehrte gelassen den restlichen Salat. Caldec betete, daß Brin unterwegs noch ihrer heimlichen Liebe Skoreg begegnete. Obwohl Caldec den lasterhaften Bauernjungen nicht ausstehen konnte, war seine Tochter jetzt bei ihm besser aufgehoben, als bei ihrem Vater. 
Als der finstere Fremde seine Mahlzeit beendet hatte, sah er Caldec tief in die Augen. Widerwillig erwiderte dieser den Blick und griff dabei nach einem Stück trockenen Brot. Schweigend saßen sie sich gegenüber, bis der Söldner das Gespräch begann.
„Ich bin raus aus dem Geschäft. Ich nehme keine Aufträge mehr an. Egal wieviel man mir bietet.„
Die stechenden Augen des Fremden verrieten keine Reaktion. Gelangweilt kratzte er mit dem Besteck einige Kerben in den Tisch. Bevor Caldec etwas hinzufügen konnte, hob er seine Hand und deutete auf den alten Kämpfer.
„Wer sagt denn, daß ich dich anheuern will, Bauer?„ 
Caldec schluckte. Er hatte Ferst stets gemieden. Nun saß ihm der wohl verruchteste und gefährlichste Kopfgeldjäger Amberlonias direkt gegenüber. An seinem Tisch. In seinem Haus. 
„Wo ist Lorea?„
Caldec stutzte. „Sie ist tot, Ferst. Ein Dunkelelf hat sie erschossen.„ Wieder durchfuhr ihn der tiefe Schmerz. „Es war ein Hinterhalt. Man hatte uns reingelegt.„ 
Ferst Ruuf lehnte sich zurück. Seine Rechte legte sich bequem auf den Griff seiner Saphirschwinge. Sein Markenzeichen. Kein anderer Schwertmeister schien tödlicher mit dieser Klinge umzugehen als Ferst. Caldecs wachsamer Blick blieb kurz auf dem eleganten Schaft haften.
„Wie tief bist du gefallen, Mann? Vom fähigsten Schüler der Schwertmeistergilde zu einem Frauen und Kinder tötenden Meuchelmörder.„
Der Kopfjäger hob erstaunt die linke Braue. „Es wundert mich, daß du das sagst, Caldec. Noch vor wenigen Jahren warst du Teil unserer Bruderschaft.„ Caldec faßte neuen Mut. 
„Ich gehörte nie zu deinesgleichen. Ich bin ein Mann von Ehre. Ich habe weder Frau noch Kind auf dem Gewissen.„ 
Caldecs Bemerkung  ließ Ferst müde lächeln. „Wie einfältig von dir zu glauben, die Vergangenheit so einfach zu vergessen. Aber deswegen bin ich nicht hier.„ 
Caldecs nervöser Blick richtete sich wieder nach seinem Breitschwert. Wieviel sicherer würde er sich fühlen, läge jetzt der kühle Stahl auf seinem Schoß. 
„Was willst du dann von mir? Mich töten?„ 
Wieder ließ Fersts kühles Lächeln Caldec verstummen. „Ich will einen Namen„, sagte der Schwertmeister tonlos. „Selan Disterkerz war einmal dein Partner. Du erinnerst dich an ihn?„ Caldec nickte und kaute erwartungsvoll auf dem harten Stück Brot in seinem Mund.
„Er ist untergetaucht. Ich kann ihn nirgends finden. Vielleicht hat er sich einen neuen Namen zugelegt. Wäre doch möglich oder täusche ich mich, Bauer?„ Ferst lehnte sich weit über den Tisch und sah Caldec tief in die Augen. Dem Söldner schien es, als würde der Kopfjäger bis zu seiner Seele vordringen. „Er war dein Partner. Wem außer dir würde er seine neue Identität verraten?„ 
„Er ist tot, Ferst. Er ist bei einer Messerstecherei in Kerat umgekommen. Vor etwa zwei Jahren.„ Caldecs Muskeln verkrampften sich. Wie er erwartet hatte schüttelte Ferst sein Haupt. 
„Nein, nein, nein, Caldec. Ich glaube du verstehst nicht worum es geht. Selan hat etwas, was ihm nicht gehört. Ich will es kurz erklären.„ Ferst setzte sich wieder und spielte lustlos mit der Gabel. „Mograch Oletok ist dir bekannt, nicht wahr? Ihm wurde vor wenigen Wochen eine Schatulle seiner wertvollsten Diamanten gestohlen. Wegelagerer hatten seinem Kurier in einem Waldstück aufgelauert. Dem armen Jungen wurden mehrere Dolchstöße verpaßt. Die Schatulle leer zurückgelassen. Wie du sicher weißt, ist Selan ein Meister im Umgang mit dem Dolch.„
Caldec blickte resigniert zu Boden. „Ich glaube nicht, daß Selan derartige Überfälle nötig hat. Er...„
„Ist ein Mann von Ehre, genau wie du.„ Ferst winkte gelangweilt ab. „Dennoch habe ich den Tatort untersucht und festgestellt, daß er es nicht allein gewesen ist. Zwei seiner Männer habe ich bereits gestellt. Es dürfte einige Zeit dauern, dir die Umstände zu erklären, wie ich auf sie gestoßen bin. Doch was glaubst du haben sie mir vor ihrem Tod gebeichtet? Auch wenn ihnen der Name ihres Anführers unbekannt gewesen ist, so konnten sie ihn doch vortrefflich beschreiben. So exakt, daß selbst ein Fremder sich einen Steckbrief hätte anfertigen können.„ Der Kopfjäger legte die Gabel auf seinen Teller. „Du wirst verstehen, daß Mograch gerne seine Diamanten wiedersehen würde. Fünfhundert Dublonen sind schließlich eine Menge Geld.„
„Fünfhundert„, pfiff Caldec durch seine Zähne. „Trotzdem kann ich dir nicht helfen, Ferst. Ich habe von Selan nichts mehr gehört.„
Caldec erhob sich, doch Ferst deutete ihm an sitzen zu bleiben. „Ich weiß, daß du nicht alleine lebst, Bauer. Wäre doch schade, wenn deine Tochter dich mit zerschnittener Kehle in der Küche finden würde.„ Caldecs große Augen ließen Ferst eisig lächeln. „Also, mein Freund. Welchen Namen hat sich Disterkerz jetzt zugelegt?„ 
Caldec atmete tief durch. Mehrere Herzschläge vergingen, bevor er Ferst wieder in die Augen sah. „Teffok. Er nennt sich Teffok Sunderbelk. Wo er sich aufhält, weiß ich nicht.„ 
Der Schwertmeister nickte. Mit verzogenen Mundwinkel spähte er zu Caldecs Breitschwert in der Nische. „Ach, bevor ich es vergesse, Caldec. Mograch hat mich gebeten dich zu töten, nachdem du den Namen genannt hast.„
Caldec sprang auf. Torkelnd wankte er zurück und hielt den Arm vor sich ausgestreckt. 
„Warte, Ferst! Wieviel Gold zahlt dir Mograch?„ 
Der Kopfjäger sah auf. Belustigt strich er über den Griff seiner wertvollen Klinge. „Zehn Dublonen für den Namen und fünf für deinen Kopf.„ 
Caldec hastete zu dem kleinen Schrank neben der Speisekammer und zog einen faustgroßen Lederbeutel hervor. „Das ist mein ganzer Besitz. Zwanzig Dublonen. Du kannst sie haben, wenn du mich leben läßt und dafür dieses Schwein tötest.„ 
Ferst grinste amüsiert. „Schön, Caldec. Ein lohnender Tag für mich.„ Lässig schnappte er nach Caldecs Beutel und verstaute ihn in seiner Hosentasche. „Nur schade für dich, daß ich alle meine Aufträge erfülle. Ganz gleich wieviel du mir bietest.„ Ferst stand auf und dreht sich um. Wie er erwartet hatte, sprang Caldec in die Nische und zog sein altes Breitschwert aus der ledernen Scheide. 
„Mich kriegst du nicht, Mörder.„ Zweimal kreuzten sich die flinken Klingen, dann sank Caldec tot zu Boden. Blut rann aus seiner sauber gezogenen Halswunde und ergoß sich über das hölzerne Parkett. Ein schriller Schrei ließ Ferst herumwirbeln. Ein Knabe rannte mit gezogenem Messer brüllend auf ihn zu. Mühelos schlug der Kopfjäger ihm die schartige Waffe aus der Hand und streckte ihn gnadenlos nieder. Mit offener Brust sackte Ramir neben seinen Vater und keuchte wimmernd seinen letzten Atemzug. 

Ferst sah sich um. Unbeteiligt stieg er über die beiden Leichen hinweg und schob seine Schwinge in die Scheide. Draußen hörte er das Poltern von Holzpantoffel, als ihm Brin mit zwei steinernen Krügen Ale entgegenkam. 
„Die brauchst du jetzt nicht mehr, Kind.„ Ungehindert trat er in den Stall und löste den Knoten mit dem er sein Pferd angebunden hatte. Als er kurz darauf Brins barmherzige Schreikrämpfe vernahm, schwang er sich zufrieden in den Sattel. 

„Und du bist sicher, daß er sich Teffok Sunderbelk nennt?„ Die gierigen Schweinsaugen des untersetzten Kahlkopfs flogen hektisch umher. 
Ferst nickte und griff nach einer frischen Traube, die in einer goldenen Schale auf Mograchs Pult lag. „Ich bin mir sicher. Caldec hätte nicht umsonst das Leben seiner Kinder riskiert.„ 
Der vornehm gekleidete Diamantenhändler rieb sich glucksend seine kurzen Finger. „Wundervoll Ferst. Du bist dein Geld wert. Wenn wir Teffok und die Steine haben, werde ich dich als meinen Leibwächter ernennen.„ 
Der Kopfjäger lutschte nachdenklich die süße Traube. In dem scharlachroten Gewand und der weißen Hose aus Hermelin wirkte Mograch wie ein selbst ernannter König. „Bevor du es dir überlegst, mein Lieber, habe ich noch deinen Lohn.„ Eifrig fingerte Mograch an seiner mit Perlen bestickten Börse und schüttete zwanzig goldene Kaisermünzen in die offene Hand. 
„Ich habe mir erlaubt Deine Prämie zu erhöhen. Zwanzig Dublonen. Du hast es dir verdient, mein Freund.„
Ferst schob die Münzen zu den anderen in den Beutel und nickte wohlwollend. „Bevor ich es vergesse, Mograch. Caldec zahlte mir ebenfalls zwanzig Dublonen dafür, daß ich dich töte.„ Mograchs schallendes Gelächter dröhnte durch den kleinen Vorraum seines Anwesens.
„Was für eine Idee. Dieser Mann hatte mehr Mut, als ich dachte.„ 
Ferst grinste und fiel in Mograchs Lachen ein. „Stimmt, Oletok. Aber du kennst meine Prinzipien. Ich erfülle stets meine Aufträge. Da mache ich auch vor dir nicht halt.„ 
Mograchs jämmerliches Protestgeschrei war das letzte, was er an diesem Abend von sich gab. Ein schneller Stoß in seinen breiten Hals beendete das Leben des betrügerischen Händlers. Gurgelnd fiel er vor Fersts Füße und besudelte den kostbaren Teppich mit seinem dunklen Blut. 
„Ein wahrhaft lohnender Tag für mich.„ Ferst wischte die Klinge an Mograchs Kleidern trocken. „Ich freue mich schon Teffok zu sehen. Fünfhundert Dublonen hat mir bisher noch kein Auftrag gebracht. Nur schade, Teffok, daß du sie nicht teilen kannst.„