Jäger von Deya

Die schweren Lider heben sich langsam. Er blinzelt, die goldenen Augen noch trübe vom Schlaf. Ist es schon Zeit? Bald wird der Mond am Himmel stehen. 
Gemächlich erhebt er sich, streckt die müden Glieder und trottet zum Höhlenausgang. Seine eisenharten Krallen schlagen Funken aus dem Gestein. 
Die letzten Strahlen der Sonne tauchen die schroffen Berggipfel in flammendes Rot. Tief unter ihm schimmert ein Fluss, das leise Rauschen eines Wasserfalls ist zu vernehmen. Ansonsten ist es still. So still, dass er seinen eigenen Atem hören kann. 
Gemächlich lässt er sich auf die Hinterhand nieder, schlingt den langen Schwanz um den massigen Körper. So sitzt er lange, unbewegt. Bis die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist und der Mond als glänzende Scheibe über seinem Haupt steht. Schimmernd bricht sich sein Licht auf den Schuppen, lässt den ganzen Körper wie in flüssiges Silber getaucht erscheinen. 
Langsam erhebt er sich, breitet die gewaltigen Schwingen aus. Einmal, zweimal lässt er sie durch die Luft zischen. Eine lange Narbe zieht sich über die lederne Haut seines rechten Flügels, Erbe eines lang zurückliegenden Kampfes. Damals war er noch jung, unerfahren und wurde rasch zur Beute. Doch er hat gelernt, ist selber zum Jäger geworden. 
Er erhebt den Kopf zum Mond, hell schimmert das Elfenbein seiner Zähne. Ein rauher Schrei dringt tief aus seiner Kehle, hallt durch die stillen Berge. Von weit her ertönt eine Anwort. Schwach, kaum mehr als ein Windhauch, doch er weiss, sein Ruf wurde erhört.  
Noch einmal lässt er den uralten Schrei über die Berggipfel hallen, dann stösst er sich ab, springt in die Leere hinaus. Mit einem Male sind seine Bewegungen geschmeidig, jede Spur von Schläfrigkeit ist daraus verschwunden. Seine mächtigen Schwingen peitschen die kühle Nachtluft, als er sich höher in den Himmel hinaufschraubt. 
Ein zweiter Schatten taucht neben ihm auf, dann noch einer. Wie schon seit Urzeiten versammeln sich seine sechs Brüder um ihn, warten ungeduldig auf sein Signal zum Aufbruch. Ihre kräftigen Kiefer schnappen ins Leere, begieriges Grollen lässt die Luft erzittern. 
Er spannt die Glieder, schon kann er das Blut ihrer Beute auf der Zunge schmecken. Mit kräftigem Flügelschlag pfeilt er nach Norden, seine Brüder hinter ihm. Sieben silberne Schatten auf der Jagd.
 
© Deya
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