Soldat Ithul und Unteroffizier Lakor rannten
die Anhöhe hinauf. Ihre Rüstungen wogen schwer und sie waren
bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit erschöpft. Der Rest ihrer kleinen
Gruppe war fast eine halbe Meile hinter ihnen. Der Kompass des alten Zwergs
hatte sie in Rekordzeit zur Zitadelle zurückgeführt, aber nun
waren sie erneut in größter Eile: Rauchwolken stiegen aus dem
Tal des Hamar auf und lautstarkes Kampfgetöse tönte über
das zerklüftete Land.
Sie erreichten die Hügelkuppe.
Das Bild, das sich ihnen bot, war verheerend.
Aus den Schildpfaden im Westen, jener Ansammlung von Brüchen im uralten
Gestein des Weltenwutgebirges, ergoss sich eine schier endloser Strom von
Dunkelelben in die Ebene, aus der sich an einigen Stellen schwarze Rauchwolken
erhoben. Nach Kräften mieden sie den Teil des Tals, der vom Schutzkristall
beschützt wurde, aber die andere Seite fühlte sich dafür
umso schneller. Rund um die Zitadelle hatte die verbliebene Armee der Grenztruppen
und der Uwarier Stellung bezogen, vereinzelt preschten Reitertrupps vor
und attackierten den anrückenden Feind. Das ganze Tal wirkte wie ein
mit emsigen Ameisen gefüllter Hexenkessel.
"Es hat begonnen", versetzte Lakor. "Das Ende
ist nah."
In diesem Moment gab es unterhalb der Zitadelle
einen Lichtblitz und einen Augenblick später hallte ein ohrenbetäubender
Donner über das Tal. Ein dunkler, fettiger Rauchstreifen zog vom Fuß
der Trutzburg über den Himmel und mitten in die Reihen des Feindes
hinein. Das Ergebnis war eine verheerende Explosion, die die Dunkelelben
wie Kieselsteine auseinandersprengte und Dutzende Meter weit durch die
Luft schleuderte. Gesteinsbrocken wirbelten hoch und regneten todbringend
auf weitere Feindestruppen nieder. Einige Elben flogen in den nördlichen
Teil und wurden noch in der Luft von den tödlichen Strahlen des Schutzkristalls
weggebrannt.
"Mann!" schnaubte der uwarische Unteroffizier.
"Was um alles in der Welt war das!?!"
"Die Zwerge!" rief Ithul begeistert und fassungslos
zugleich. "Die Zwerge sind da!"
-
"Nachladen!" rief Bolbo Eisenbork. Die beiden
kräftigen Zwerge, die ihm an der Kanone assistierten, hoben eine weitere
Pyrolitladung in die Höhe und stemmten sie mit vereinten Kräften
in die Ladeöffnung. Sie hatten bereits vier der etwa zwei Fuß
durchmessenden Stahlkugeln verfeuert und damit dem Kampf gegen die heranstürmenden
Feinde eine entscheidende Wende gegeben.
Lordprotektor Anthulius stand neben dem weißhaarigen
Meisteringenieur und sah in Richtung Osten. Die letzte Explosion war vernichtender
als alle voran gegangenen gewesen, die Dunkelelben stürmten panisch
in alle Richtungen davon. Die Verteidiger von Hamarsburg hielten sich zurück,
um nicht in die Reichweite von Bolbos schrecklicher Waffe zu geraten. Der
von Zurgin Muspelmeister ausgesandte Bote hatte ihn auf halbem Wege nach
Kyrien getroffen, er hatte sich bereits selbst auf den Weg nach Hamarsburg
gemacht. Er und seine Gehilfen waren gerade noch rechtzeitig eingetroffen,
um ihre Kanone in Position zu bringen.
"Feuer!"
Alle pressten ihre Hände auf die Ohren.
Der größere der beiden Gehilfen, ein rothaariger, breitschultriger
Zwerg, schob seine Fackel in eine seitliche Öffnung des Kanonenrohrs
und sprang dann beiseite.
Ein ohrenbetäubender Knall ertönte,
die massive Metallröhre blähte sich auf und spie einen weißglühenden
Feuerstreifen aus, der sich auf seinem Weg über den Himmel in einen
fettigen Bogen aus dunklem Qualm verwandelte. Sekunden später wurde
eine weitere Gruppe Dunkelelben von einem Feuerball verschluckt, die Schockwelle
wirbelte die Reihen des Feindes durcheinander und ließ das ganze
Tal erbeben. Massive Gesteinsbrocken lösten sich aus den nächstgelegenen
Hängen des Gebirges und rutschten krachend in die Tiefe.
Der Lordprotektor nahm vorsichtig die Hände
herunter. Sein Schädel dröhnte. Um ihn herum fluchten die Soldaten
und sprachen von schwarzer Magie.
Der alte Zwerg ignorierte sie und gab seinen
Helfern weitere Anweisungen. Im Gegensatz zu Zurgin, dem das Alter eine
gewisse Würde verliehen hatte, war Bolbo eine schier lächerliche
Erscheinung mit seinem langen Kräuselbart unter seiner Knollennase
und den unzähligen Zöpfen und Knoten in seinem schlohweißen
Haar, gekrönt von seiner weiten Kleidung und dem mit Federn geschmückten
Jagdhut auf seinem Kopf.
"Eure Waffe ist wahrlich ein Wunder, Meister
Eisenbork!" rief Anthulius.
Der Zwerg nickte, während er das erste
von mehreren großen Paketen ins Rohr der Kanone bugsierte, meinte
aber mit einem besorgten Blick zu den Schildpfaden: "Aber sie richtet nicht
genug Schaden an, alter Junge... dieses Mal scheinen die hässlichen
Kalkfressen alles losgeschickt zu haben, was in ihrer stinkenden Grube
hinter den Bergen rumkroch..."
Passenderweise kam just in diesem Moment ein
Grenzerhauptmann herangeritten und sprang mit einem hörbaren Scheppern
aus dem Sattel. Es war Atan Jakasgh, der braungebrannte Sohn eines Söldnerfürsten
aus den heißen Ländern südlich von Kyrien. Im Gegensatz
zu vielen anderen Herrschern stand sein Vater fest zur alten Tradition,
den ältesten Nachkommen nach Hamarsburg zum Grenzdienst zu entsenden.
Zwar hatte er nicht geplant, dass dieser dort bleiben und zu einem der
höchsten Offiziere aufsteigen würde, aber nachdem sein anderer,
jüngerer Sohn sich als hervorragender Staatsmann entpuppt hatte, hatte
er ihm seinen Willen gelassen.
"Der Feind hat jede Ordnung verlor’n", berichtete
der Koloss mit derbem Akzent, als er den Befehlsstand mit der Kanone erreicht
hatte. "Die Explosionen hab’n die Reihen aus’nandergesprengt, aber ihre
Zahl is einfach zu groß. Wir könn’n noch einige Wellen zurückschlagen,
wenn der Meisteringenieur uns hilft, aber irgendwann werd’n sie uns überrennen!"
"Haltet die Linien zusammen", befahl der Lordprotektor.
"Wir werden uns etwas ausdenken."
Der Hauptmann nickte und rannte zu dem ausgeruhten
Pferd, das ihm die Stallknechte bereitgestellt hatten.
"Ich fürchte, eure Hilfe wird uns nicht
retten, Meister Eisenbork..."
"Abwarten", schnaubte der alte Zwerg. "Achtung
- Feuer!"
Die folgende Detonation schien die riesige
Kanone fast auseinanderzureißen, alle rissen schmerzerfüllt
die Hände an die Ohren und Anthulius konnte seine Zähne regelrecht
klirren hören. Das Rohr der bebenden Zwergenwaffe spie eine ganze
Wolke von Pyrolitladungen aus, die sich im Flug entzündeten und als
roter Flammenteppich auf das auseinanderstürmende Heer der Dunkelelben
herabregneten. Hunderte von gedrungenen Gestalten wurden von dem feurigen
Vorhang eingehüllt und verbrannten, vor Schmerzen brüllend, zu
einem Nebel aus Glut und Asche. Obwohl der Lordprotektor den Aberglauben
vieler seiner Soldaten nicht teilte, machte auch er das Zeichen des Regens
vor der Brust, als ein Teil der Ebene vor ihnen sich in ein tosendes Meer
aus Feuer und Tod verwandelte. Die Hitze, die über den Talboden heranbrauste
und ihnen entgegenschlug, war fast unerträglich.
Das Heulen des folgenden Sturmwindes ließ
rasch nach.
"Das hat geholfen", bemerkte Bolbo Eisenbork
so trocken, dass es die Umstehenden merklich erschreckte. "Aber es wird
nicht reichen, und ich habe nicht genug konzentriertes Pyrolit für
eine weitere Ladung."
Anthulius musste sich verkneifen, ihm zu sagen,
dass er sogar ein bisschen froh darüber war. Diese Feuerwaffe war
einfach zu schrecklich.
"Ich fürchte, ich weiß nur noch
einen Ausweg", meinte der Zwerg.
Der Lordprotektor sah den Blick des Meisteringenieurs
und antwortete: "Und der wird mir nicht gefallen, stimmt’s?"
-
"Wir müssen die Schildpfade stürmen",
erklärte Anthulius mit fester Stimme.
Die um ihn herum am Befehlsstand versammelten
Offiziere bedachten ihn mit zweifelnden bis entsetzten Blicken, und einigen
fiel es sichtlich schwer, ihre Einsprüche zurückzuhalten. Leutnant
Vaklor, ein hünenhafter Lurrier mit kurz geschorenem, dunkelblau schimmerndem
Haar, sprach schließlich aus, was alle dachten: "Lord Protektor,
wie um alles in der Welt sollen wir das machen - und warum?"
Bevor Anthulius antworten konnte, brummte
Bolbo Eisenbork, der neben ihm stand: "Ich weiß ja nicht, ob's dir
aufgefall'n is, Jüngelchen, aber wir steh'n kurz davor, hier alle
vor die Hunde zu gehen." Mit dem Daumen deutete er nach Westen zum Gebirge,
wo die Dunkelelben ihre Reihen ordneten und sich auf einen neuen Angriff
vorbereiteten. Noch immer strömte ihre Verstärkung aus den Falten
in der sonst massiven Gesteinswand. "Wenn wir die Pfade nicht verschließen,
wird dieses Tal bald bis zum Rand mit Kalkfressen gefüllt sein."
Alle blickten etwas säuerlich drein,
konnten ihm aber kaum widersprechen.
"Meister Eisenbork bereitet eine weitere Sprengladung
vor", fuhr der Lordprotektor fort. "Eine, die stark genug sein wird, die
Wände des Berges einzureißen und so hoch mit messerscharfem
Geröll zu füllen, dass die Dunkelelben mindestens ein halbes
Jahrtausend brauchen werden, um die Schildpfade wieder freizuräumen
- wenn sie es überhaupt versuchen."
"Der Haken an der Sache ist," fügte Bolbo
hinzu, "dass ich und einer meiner Gehilfen die Ladungen - es sind zwei
- an den Wänden im Inneren der Pfade anbringen müssen. Wir müssen
also in die Schildpfade hinein."
"Wir dürfen das nicht tun", wand plötzlich
Jainen Wohkarson ein, ein alter grauhaariger Hauptmann, nach dem Lordprotektor
der dienstälteste Offizier von Hamarsburg. "Es widerspricht Seiner
Warnung!"
Einige jüngere Offiziere runzelten die
Stirn oder verdrehten sogar abfällig die Augen. Wenn man bei den Grenzern
von Ihm sprach, meinte man den ersten Lordprotektor, der von Ulwaith
dem Großen, dem ersten König von Kyrien, vor unzähligen
Jahrhunderten mit der Verteidigung der Östlichen Reiche betraut worden
war und die Zitadelle errichtet hatte. Sein Name war in der Geschichte
verschwunden, aber seine Lehren, allen voran die Warnung, die Schildpfade
niemals zu verschließen, egal wie verlockend oder notwendig es auch
erscheinen mochte, hatten bis heute Bestand.
"Unsinn!" blaffte Jakasgh, der braungebrannte
Hüne. "Er konnte nicht ahnen, dass die Schrecken noch einmal
so mächtig werden würden."
"Es sind Seine Lehren!" gab Wohkarson
empört zurück.
"Wenn wir es nicht tun, wird bald niemand
mehr hier sein, um sich an Seine Lehren zu erinnern!"
"Aufhören." Der Lordprotektor sprach
nicht besonders laut oder mit scharfer Stimme, aber die aufkeimende Diskussion
verstummte abrupt. Alle Blicke richteten sich auf ihn, und er wusste, dass
er nun eine wichtige Entscheidung zu treffen hatte. Als Lordprotektor war
es seine Aufgabe, die Lehren der alten Zeit zu bewahren, aber zugleich
war es sein vorrangigster Auftrag, jede tödliche Gefahr vom Land seiner
Väter abzuwenden...
"Was ist euer genauer Plan, Meister Eisenbork?"
fragte er.
Alle schwiegen, nur Jakasgh schnaufte erleichtert.
"Ein Ablenkungsmanöver muss her!" erläuterte
der alte Zwerg. "Ihr und eure Männer müsst die Dunkelelben so
sehr ablenken, dass niemand von ihnen mehr darauf achtet, was über
ihren Köpfen passiert."
"Und was werdet ihr tun?" knurrte Hauptmann
Wohkarson. "Über ihre Köpfe hinwegfliegen?"
Der Meisteringenieur wandte sich zu dem alten
Offizier um. Ein breites Grinsen legte sich auf seine Lippen.
-
Lordprotektor Anthulius schwang sich in den
Sattel und sah zu Hofzauberer Hijbudan hinüber, der sich, umstellt
von Offizieren, die alle mindestens einen Kopf größer waren
als er, sichtlich unwohl fühlte. Er hatte dem jungen Magier das Kommando
über die Zitadelle übertragen, was viele der dienstälteren
Soldaten mit merklichem Unwillen gesehen hatten.
"Ihr wisst Bescheid, Hijbudan", rief er. "Wenn
wir die Schildpfade erreichen, gebt ihr Meister Eisenbork das Signal."
"Verstanden, Lord Protektor."
Der alte Offizier nickte, ließ seinen
Hengst wenden und rief den etwa neunzig versammelten Reitern zu: "Abmarsch!"
Mit militärischer Präzision setzte
sich die kleine Armee in Bewegung, die Pferde trampelten lautstark über
den Felsboden in den nördlichen Teil der Ebene. In einer lang gezogenen
Prozession durchquerten sie den nördlichen Teil der Ebene in schnellem
Trab, um dann umzuschwenken und direkt auf die Öffnung der Schildpfade
zuzuhalten. Die Dunkelelben geiferten sie wütend an, konnten ihnen
aber auf der vom Kristall beschützten Seite des Tals nichts anhaben.
Uwarische Reiterschützen schwenkten an den Flanken aus und machten
ihre Bögen bereit.
Jakasgh ritt dichter an den Lordprotektor
heran und rief: "Es sind viele!"
Der alte Befehlshaber nickte und beschleunigte
sein Tier. Die ganze Armee folgte ihm nach und verfiel in einen schnellen
Galopp, das Donnern der Hufe ließ den Boden erbeben. Schwert und
Lanzen wurden gezogen, Speere gezückt und Visiere heruntergeklappt.
"Arthor!" brüllte der Lordprotektor,
und als die Schützen das Feuer eröffneten und kurz darauf die
erste Reihe von Reitern in die Dunkelelben hineinkrachte und alles unter
den Hufen der Schlachtrösser begrub, dröhnte der Name des uwarischen
Kriegsgottes aus allen Kehlen.
-
"Sie haben die Elben angegriffen", rief Hijbudan
und ließ das kunstvoll verzierte Fernrohr sinken. "Es geht los."
Er hatte sich auf den Kristallring teleportiert und stand neben der absurd
anmutenden Maschine, die Bolbo Eisenbork gemeinsam mit seinen Gehilfen
aufgebaut hatte. Es sah aus wie eine Art Schlitten mit lederbespannten
Flügeln und einem mit leicht entzündlichem Gas gefüllten
Ballon an der Oberseite. Auch verschiedene Getriebe und Auspuffrohre waren
zu erkennen, und irgendwo im Inneren des mechanischen Leibes ratterten
bereits schwere eiserne Zahnräder.
Eisenbork und der große rothaarige Zwergengehilfe
waren auf zwei hölzerne Sitze auf der Oberseite geschnallt. Sie trugen
Pelzjacken und große, lächerlich wirkende Brillen mit daumendicken
Gläsern sowie lederne Kappen.
"Bereit?" rief der junge Hofzauberer.
Der Zwerg nickte.
Hijbudan hob die Hände und murmelte einige
leise Beschwörungen. Einen Moment lang erfüllte ein goldener
Schimmer die Luft um das fremdartige Gefährt, dann verschwammen seine
Formen und es war weg.
"Die Tarnung wird nicht lange halten!" rief
er in die scheinbar leere Luft vor sich. "Wahrscheinlich nicht mehr als
fünf Minuten!"
Im nächsten Augenblick ertönte ein
dumpfer Knall, dann setzte eine Art Motorengeräusch ein. Hijbudan
spürte einen heftigen Windzug, als das unsichtbare Fluggerät
vom Rand des Kristallrings schlitterte.
-
Lordprotektor Anthulius ließ sein Breitschwert
kreisen und schlitzte mehreren Dunkelelben zugleich die Brustkörbe
auf. Eine weitere der glutäugigen Abscheulichkeiten wollte ihn von
der Seite attackieren, aber Jakasgh war bereits heran und trennte ihr mit
einem wuchtigen Lanzenhieb den Kopf ab, bevor er zwei weitere Elben niederritt.
Sie hatten sich mitten im Ausgang der Hauptschlucht der Schildpfade festgesetzt
und hieben nach vorn und hinten hartnäckig auf den Feind ein. Die
Dunkelelben waren von dem Manöver merklich überrascht und wichen
teilweise zurück; es würde jedoch nicht mehr als den Befehl eines
etwas besonneneren Kommandanten brauchen, um das Schicksal der menschlichen
Angriffstruppe zu besiegeln.
"Der Zwerg müsste jetzt unterwegs sein",
rief Jakasgh. "Aber ich sehe nichts!"
"Gut!" gab der Lordprotektor über das
Schlachtgetümmel hinweg zurück. "So soll es sein!"
Eine herrenlose Axt wirbelte an ihm vorbei
und riss einen bärtigen Uwarier aus dem Sattel. Mit einem erstickten
Gurgeln verschwand er in der schwarzen Masse der Elben, die ihn sogleich
wie hungrige Aaskäfer überschwemmten. Das reiterlose Pferd ging
durch, trat wild um sich und stolperte schließlich, um im Tode noch
mehrere der schwarzen Ungetüme unter sich zu begraben.
"Haltet euch eng beieinander", befahl Anthulius.
"Wir müssen noch eine Weile aushalten!"
-
Bolbo Eisenborks weiße Zöpfe flatterten
im Sturmwind, als er die klappernde und schnaufende Flugmaschine über
die Ebene steuerte. Wilde Turbulenzen wirbelten durch das Tal, er hatte
Mühe, den Kurs auf die Schildpfade zu halten. Sein Gehilfe Jörgi
saß hinter ihm und steuerte die Dampfmaschine, die für Vortrieb
sorgte. Das Klappern seiner Zähne war selbst jetzt noch zu hören.
"Druck halten!" schrie Bolbo.
"Versuch’s ja!" gab der jüngere Zwerg
zurück.
Die Maschine war ein Prototyp, dessen Erprobung
Bolbo die letzten zehn Jahre vor sich hergeschoben hatte. Obwohl er dieses
Wunderwerk der Technik selbst konstruiert und gebaut hatte, stand er doch
wie die meisten Zwerge lieber mit beiden Füßen fest auf der
Erde. Erst die aktuelle Notsituation hatte ihn überzeugt, das Gerät
anzuwenden.
Und zu seiner großen Überraschung
machte es ihm großen Spaß.
Ein Windstoß von Steuerbord traf das
Fluggerät und neigte es um fast sechzig Grad. Jörgi schrie einige
wütende Zwergenflüche, während sein Meister nur breit grinste
und die wilde Fahrt genoss.
-
Als das absurde Fluggerät mit den beiden
Zwergen an Bord die in die schwarzen Felswände gebrochene Schlucht
der Schildpfade erreichte, hatte Hijbudan mehr und mehr Mühe, es zu
erkennen. Zwar machte das magische Fernrohr, das Meister Eisenbork ihm
überlassen hatte, den Tarnzauber unwirksam und vergrößerte
seine Sichtweite enorm, aber nun stieß es langsam an seine Grenzen.
"Meister Hijbudan", rief ein junger Unteroffizier,
der gerade auf den Kristallring heraustrat. "Die Bewohner sind im Aufruhr!
Sie drängen in die höheren Ebenen und verlangen Einlass in den
Turm!"
Auch das noch, dachte der junge Hofzauberer,
straffte sich und drehte sich auf dem Absatz um. "Nehmt Euch ein paar Wachen
und bringt die Leute unter Kontrolle. Sagt ihnen, dass ihnen keine Gefahr
droht."
"Könntet Ihr nicht..."
"Nein", erwiderte er scharf. "Ich muss hier
oben bleiben. Nehmt euch alle Wachen, die ihr finden könnt, und bringt
die Leute zur Ruhe!"
"Jawohl, Meister Hijbudan", sagte der Offizier
knapp und verschwand.
Er selbst wandte seinen Blick wieder der fernen
Schlacht zu. Mehr und mehr Dunkelelben drangen ins Freie, das schrumpfende
Heer des Lordprotektors wurde zusehends zurückgedrängt und eingekreist.
Hijbudan wurde plötzlich klar, was bevorstand.
Er schloss die Augen und ließ das Fernrohr sinken. Seine seit Kindertagen
geschulten Sinne tasteten nach dem unsichtbaren Strom hinter der Wirklichkeit,
suchten Kontakt zu jener schwer greifbaren zweiten Realität, aus der
er die Kraft für den bevorstehenden Akt ziehen würde.
-
"Langsamer!" dröhnte Bolbo.
Jörgi trat in ein spezielles Pedal, woraufhin
ein am Bug des Fluggeräts angebrachtes Rohr eine heiße Dampfwolke
ausspie. Sie wurden langsamer und gerieten einen Moment ins Trudeln. Die
Felswand kam ihnen bedrohlich nahe, dann riss Bolbo das schwere Steuer
herum und sie schwebten in die Schildpfade hinein.
"Du meine Güte", knurrte sein Gehilfe
und sah hinab. Tief unter ihnen stürmten immer mehr Dunkelelben durch
die schmale Felsengasse, um sich auf die menschlichen Verteidiger zu werfen.
Plötzlich ertönte ein leises Zischen
und Bolbo hatte den Eindruck, um sie herum würde eine riesige Seifenblase
platzen.
"Das war’s", sagte er halblaut. "Der Zauber
hat sich aufgelöst."
Mit schlimmsten Befürchtungen sahen sie
erneut hinab, aber keine der schwarzhäutigen Kreaturen sah nach oben,
niemand bemerkte sie. Entschlossen wandten sie sich wieder ihrer Aufgabe
zu und steuerten das Fluggerät tiefer in die Schlucht, bis einige
tiefe Felsspalten in Sicht kamen, die in etwa dreihundert Fuß Höhe
diagonal über die steinerne Wand zu ihrer Linken verliefen. Sie wirkten,
als hätte ein riesiges Tier mit seiner Pranke zwei oder drei Mal tief
in den Fels gerammt und so Jahrhunderttausende überdauernde Narben
hinterlassen.
"Ein perfekter Platz!" rief Bolbo.
Sie lenkten ihren Flieger so nahe wie möglich
an einer der größten Spalten heran, dann bemühte Jörgi
sich, die Position zu halten. Der alte Meisteringenieur dagegen schnallte
sich ab, nahm ein schweres Paket zur Hand und balancierte vorsichtig über
das Gerüst der rechten Tragfläche. Der Flieger neigte sich bereits,
Jörgi rief eine Warnung, aber da hatte Bolbo das Paket bereits mit
aller Kraft in die Felsspalte geworfen, wo es in einem schartigen Bruch
im Gestein hängen blieb. Schnell machte der alte Zwerg sich auf den
Rückweg und nahm wieder in seinem Sitz Platz.
"Nächste Spalte!" rief er nach hinten
und kramte ein weiteres Paket hervor.
-
Ein junger Uwarier wurde vor Anthulius' Augen
einfach von seinem Pferd gezerrt und unter einem Heer von Dunkelelben begraben;
seine entsetzlichen Schreie hallten noch einen Moment über das Kampfgetümmel,
ehe sie abrupt verstummten.
Der Lordprotektor sah sich um. Seine Leute
hatten keine Chance. Der Feind hatte sie schon fast eingekreist.
Ein Dunkelelb sprang ihn an und spießte
sich selbst auf seinem Breitschwert auf. Anthulius schüttelte ihn
ab und wendete sein in Panik um sich tretendes Pferd. "Rückzug!" brüllte
er aus Leibeskräften. "Zieht euch zurück! Rückzug!"
Die Reiter reagierten mit der ihnen antrainierten
Schnelligkeit, Zügel wurden herumgerissen und Feinde aus dem Weg geworfen,
um den Platz für eine schmale Gasse zu schaffen. Nur Augenblicke später
galoppierten die knapp zwei Dutzend verbliebenen Reiter vom Kampfschauplatz
fort, mähten einige ausfallende Dunkelelben nieder und wollten sich
gen Norden wenden, wo die Kristalle sie vor Verfolgung schützen würden.
Einer der Klügeren unter den Elben musste dieses Manöver jedoch
vorausgeahnt haben; ein kompakter Verband löste sich aus dem Getümmel
und bildete mit erstaunlicher Geschwindigkeit eine Sperre zwischen den
Reitern und dem Nordtal, Pfeile wurde abgefeuert und ein Unteroffizier
links neben dem Lordprotektor sank tödlich getroffen aus dem Sattel.
Anthulius gab dem Befehl zum freien Ritt.
Sie mussten versuchen, auf der unsicheren Seite des Tals zu entkommen.
-
Bolbo schleuderte das vierte und letzte Paket
in eine lautenförmige Felsspalte, sprang regelrecht in den Sattel
und schrie zu Jörgi: "Wenden und weg hier!"
Das Fluggerät drehte sich unbeholfen
und schwebte den Weg zurück, den es gekommen war, als plötzlich
ein scharfes Sirren ertönte und ein schwarzer Pfeil die Bespannung
der linken Tragfläche durchschlug.
"Sie haben uns gesehen!" rief Jörgi in
Panik.
Weitere Pfeile folgten, ein breiter Bolzen
traf das Luftkissen und riss ein fast handbreites Loch, aus dem sofort
heißes Gas zu entweichen begann. Der Flieger geriet ernsthaft ins
Trudeln und begann zu sinken.
Bolbo zog grimmig eine gläserne Phiole
hervor, in der sich ein zusammengeknülltes und in Öl getränktes
Tuch befand. Als er die Phiole öffnete und das Tuch mit einer eilig
angesteckten Pyrolitkerze entzündete, gerieten auch dessen magische
Zwillinge im Inneren der vier Pakete mit dem mit herkömmlichem Sprengstoff
gestreckten Pyrolit in Brand. Nur Sekundenbruchteile später blähten
sich die Felsspalten hinter ihnen auf und die gesamte Schlucht wurde auf
einer Länge von hundert Fuß auseinander gerissen. Weißglühende
Trümmerstücke wirbelten hin und her, ein Orkan aus Feuer, Staub
und scharfkantigen Felsbrocken füllte die Schildpfade aus, eine donnernde
Schockwelle raste nach Süden und blies die Dunkelelben wie Kieselsteine
in die Luft, ehe sie Bolbos und Jörgis Fluggerät erfasste und
mit sich riss.
-
Der Knall war ohrenbetäubend, und im nächsten
Moment spie die Öffnung der Schildpfade eine Wolke aus Staub, Trümmern
und zerfetzten Leibern aus, die sich über den westlichsten Teil des
Hamartals ergossen. Lordprotektor Anthulius und seine Gefährten wurden
von ihren Rössern gefegt und landeten unsanft in der Landschaft. Ein
dumpfes Heulen wehte über die Ebene, als der Sog der folgenden Implosion
die Elben in der Nähe der Schlucht einsaugte. Die Erde begann zu beben
und es schien, als würde das komplette Weltenwutgebirge in seinen
Grundfesten erschüttert. Rauch und Staub hüllten die Umgebung
ein.
Der Lordprotektor spürte eine kräftige
Hand am Ellenbogen. Jakasgh hatte sich aufgerappelt und half ihm nun auf
die Füße. Um sie herum lagen mehrere tote Pferde, auch einer
ihrer Kameraden rührte sich nicht mehr.
"Sammeln und Verteidigungskreis bilden", befahl
Anthulius hustend. Viele Dunkelelben waren sicherlich getötet worden,
aber noch viel mehr hatten es ins Tal geschafft und würden sie bald
attackieren.
Jakasgh rief halblaute Befehle in den sich
rasch legenden grauen Nebel und rief die Männer zusammen. Bald waren
sie zu acht und bildeten eine lose Phalanx.
"Vorsichtiger Rückzug", knurrte der Lordprotektor.
"Wir müssen zusehen, dass..."
Seine Worte wurden von einem wütenden
Keifen aus vielerlei Kehlen unterbrochen. Schabende und knirschende Geräusche
ertönten, und dann tauchten überall um sie herum bedrohlich funkelnde
rote Augenpaare im Nebel auf.
"Kreis bilden!" rief Jakasgh. Im Nu hatten
sie sich Rücken an Rücken formiert und hielten den langsam näher
kommenden Dunkelelben ihre Schwerter und Äxte entgegen. Es waren viele.
Zu viele, um ihrer ohne Pferde Herr zu werden.
"Lord Protektor", murmelte Jakasgh neben ihm.
"Was gibt es, Hauptmann?"
"Es war eine unvergleichliche Ehre, unter
Euch zu dienen."
-
Um den Kristallring der Zitadelle wirbelte
ein regelrechter Orkan, ein Wirbel aus dunklen Wolkenfetzen umkreiste die
Spitze des Turms. Die Luft war aufgeladen und alle starrten auf die im
Zentrum des Sturms verharrende Gestalt des Hofzauberers Hijbudan. Sein
Haar flatterte hin und her und seine Robe hob sich im Wind, während
seine Arme weit ausgestreckt blieben.
Als die Grenze des Erträglichen erreicht
war, riss der junge Magier die Arme zusammen und richtete seine ineinander
verkrallten Fäuste auf den Punkt in der Ferne, an dem die Dunkelelben
den spärlichen Überrest der menschlichen Angriffstruppe eingekreist
hatten.
Wie auf Befehl brach aus dem Wolkenwirbel
ein weißglühender, weit verzweigter Blitz hervor, der sich in
Hijbudans aufleuchtendem Körper bündelte und in das Tal hinabfuhr.
-
Der Lordprotektor hatte gerade sein Schwert
zur Verteidigung erhoben, als plötzlich ein Arm aus weißem Feuer
in die Dunkelelben vor ihm fuhr und ein halbes Dutzend von ihnen zu Asche
verbrannte. Bläuliche Entladungen zuckten über die Körper
der Überlebenden, während der zischende Blitz um die Menschen
herum durch die Reihen ihrer Feinde tanzte, sie auseinander wirbelte und
zu dampfenden Fleischklumpen zerschmolz. Entsetzte Schreie wurden laut
und einige Elben versuchten zu fliehen, aber als die schreckliche Naturgewalt
nach einigen Augenblicken verpufft war, lagen fast alle tot am Boden.
"Was zur Hölle...?" fragte Atan Jakasgh
verdattert.
"Hijbudan", meinte der Lordprotektor nicht
ohne einen Hauch von Stolz in der Stimme.
"Seht, Lord Protektor!" rief einer der jüngeren
Soldaten und deutete auf die Schildpfade.
Der Nebel hatte sich größtenteils
verzogen. Und die Schildpfade gab es nicht mehr. Wo in den vergangenen
Jahrtausenden eine tiefe Schlucht in den kolossalen Klippen des Weltenwutgebirges
geklafft hatte, türmten sich nun messerscharfe Felsentrümmer,
soweit das Auge reichte. Meister Eisenborks Explosivladungen hatten zwar
einige Steine ins Rollen gebracht, aber entscheidend war das Beben gewesen,
das der Detonation gefolgt war und die komplette Gebirgslandschaft oberhalb
des Hamartals umgestaltet hatte. Der Durchgang, der über Äonen
hinweg die freien Reiche des Ostens mit dem schwarzen Land der Albträume
verbunden hatte, war für immer geschlossen.
© Imladros
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