Diese Geschichte ist ab 2005 am Drachentaler Wettbewerb leider nicht mehr teilnahmeberechtigt,
da sie in den vorherigen Jahren zu wenig Punkte erhalten hat.
 
Duell im Eis von Christian Fermer

Der eisige Nordwind peitschte durch die verschneiten Schluchten und Berge von Norsca. Eine graue Wolkendecke verdeckte den Himmel und kleine Schneeflocken fegten fast waagerecht über das Land. Das Wort 'ungemütlich' würde diesem Wetter nicht annähernd gerecht werden, es war eher gefährlich. Eine einsame Gestalt hinterließ seine Fußabdrücke im Schnee, sie war groß und in einen dicken, grünlichen Umhang gehüllt. Das einzige Körperteil, das nicht von Stoff eingehüllt war, war sein Gesicht. Und genau wie das Wetter war es kalt, und gefährlich.
Mehrere Wochen lang war Goran bereits hinter ihm her, und er hatte keine Ahnung, warum dieser Psychopath ausgerechnet hierhin fliehen musste. Er, dessen Namen er nicht einmal kannte. Er, der eine Spur aus Tod und Leid hinter sich her zog. Er, der seine Geliebte auf dem Gewissen hatte. Er, der bald dafür bezahlen würde.
Nur kurz hob Goran den Kopf, um nach vorne zu blicken. Schneidend kalter Wind fuhr ihm durchs Gesicht, den er kaum noch zu spüren vermochte. Schnell blickte er wieder auf den Boden und folgte den Abdrücken vor ihm im Schnee. Die einzige Kraft, die ihn noch dazu bewegte, einen tauben Fuß vor den anderen zu setzen, war sein Hass. Und das Wissen, dass er seinem Ziel näher kam, denn die Spuren wurden immer deutlicher. Bald würde er dem grausamen Hexer gegenüberstehen. Er beschleunigte seinen Gang.
Hier in dieser Einöde gab es nichts. Das letzte Anzeichen von Leben hatte er bereits einen Tag hinter sich gelassen. Es war eine dreckige kleine Hütte gewesen, bewohnt von einem armen, alten Narren. Goran war die ganze letzte Nacht über weitergelaufen, aus Angst, schlafend im kalten Schnee zu sterben. Sein Magen war leer, und er glaubte auch nicht wirklich daran, dass er den Weg zurück überstand.
Die Umgebung wurde hügeliger, er konnte nicht mal genau sagen, ob die Berge vor ihm aus Stein oder Eis waren. Wieder blickte er kurz nach vorne. Dann blieb er stehen. Er schloss die Augen mehrmals und öffnete sie wieder. Ungefähr vierhundert Schritt vor ihm stand eine dunkle, hagere Gestalt, im Schatten eines großen Berges.
Einzelheiten waren nicht genau zu erkennen. Goran bewegte sich nun so schnell wie es ihm möglich war auf den Hexer zu, das Schwert unter dem Mantel fest umklammert. Die Gestalt wandte sich nach links dem Berg zu und verschwand in einer kleinen Höhle.
Die Höhle, sowie der Berg schienen völlig aus Eis zu bestehen und obwohl sich nirgends am Himmel die Sonne zeigte, herrschte drinnen eine Art abendliches Zwielicht. Goran öffnete den Mantel ein wenig und zog sein Schwert, dann trat er ein.
Seine starken Atemgeräusche hallten laut und kalt von den Eiswänden wieder, während er sich langsam vorbewegte. Riesige Eiszapfen hingen von der Decke oder ragten aus dem Boden. Manche trafen sich auf halbem Weg und bildeten starke Säulen. Trotz des glatten und unwegsamen Untergrundes fand er genug Halt. Langsam bewegte er sich vorwärts. Obwohl er körperlich am Ende seiner Kräfte war, schienen seine Sinne schärfer als sonst. Der Höhlengang wollte kein Ende nehmen und das einzige, was er vernahm, waren seine Schritte und sein Atem, der sich wie ein weißer Schleier von seinem Mund löste.
Tap..tap..tap.
Die Anspannung und seine Wut waren zu groß. Lange Zeit hatte er nicht mehr gesprochen, trotzdem war jedes seiner Worte klar und verständlich, sowie der Zorn in ihnen.
"Zeige dich! ... Du missratener Emporkömmling einer Hure, stell dich mir und stirb für deine Taten!"
Seine Stimme hallte unerträglich laut in der engen Eishöhle wider. Eiszapfen wackelten und zuvor klare Eisflächen zeigten Risse.
Stille.
Er schrie und schlug mit seinem riesigen Schwert gegen eine der Eissäulen, die in tausend Stücke zersprang.

"Hier bin ich."

War diese Stimme nur Einbildung gewesen? Schnell drehte er sich, um den Ursprung der Stimme auszumachen, und da stand er.
Groß und hager. Seine Kleidung war alt und dreckig, gerade mal eine Stufe über denen von Dieben und Bettlern. Übersät von verschiedenen kleineren Gegenständen, die durch Bänder an seinem "Gewand" hingen. Kettchen, Beutel oder Federn. Jeder seiner Bewegungen erzeugte ein Klirren, und Goran fragte sich, wieso er dieses nicht schon vorher wahrgenommen hatte. Er schien nicht zu frieren. Sein Gesicht war ein Bild des Jammers und des Wahnsinns.
Wahrscheinlich weil er weiß, dass er nun sterben muss, vermutete Goran. Mit hoch erhobenem Schwert rannte er auf den Hexer zu und schrie den Namen seiner Geliebten. 
"Sha`ri"
Schneller als Gorans Auge es wahrnehmen konnte, drehte sich der Hexer elegant zur Seite und packte Goran mit seiner rechten Hand im Nacken. Mit Übermenschlicher Kraft hob er Goran an und dieser bemerkte, wie er den Bodenkontakt verlor.
Wieder erscholl die traurige Stimme des Hexers.
"Ja... und so wiederholt es sich wieder, ein weiterer zornerfüllter Mensch, eine weitere zu raubende Seele.... Der Preis einer hohen Macht ist ewige Wachsamkeit."
Goran hieb mit seinem Schwert, das immer noch in seiner rechten Hand ruhte, blindlings hinter sich.
Ein schmerzliches Stöhnen war zu hören und kurz darauf wurde Goran fallengelassen. Gekonnt rollte er sich ab und stand wieder vor dem Hexer, der sich nun seine blutende Seite hielt.
"Nun wirst du für Sha`ris Tod bezahlen, Hexer!"
Goran führte einen schnellen Schwertstreich gegen die verletzte und ungeschützte Seite des Hexers aus. Wieder ertönte ein schmerzliches Wimmern und ein deutlich größer gewordener Blutstrom ergoss sich auf den kalten Boden aus Eis. Er wollte nachsetzen, sein Werk vollenden und Rache nehmen. Ein weiterer gewaltiger Schwerthieb sauste auf den Magier nieder.
"Genug...", sprach er und schlug mit seiner bloßen Hand gegen Gorans niederfahrendes Schwert. Ein lautes krachendes Geräusch erscholl und Gorans Schwert flog ihm aus der Hand und in eine dicke Eiswand hinein. Goran schrie und hielt sich seine schmerzende rechte Hand, kraftlos fiel er auf die Knie. Der lange anstrengende Marsch und der Kampf hatten ihn doch mehr Kraft gekostet, als er dachte. Auch der Hexer sank vor ihm mit rasselndem Atem nieder.
"...es ist Genug. Nun bin ich wirklich geschwächt genug, so dass nicht einmal mehr der Ring mir helfen wird."
"Du redest wirres Zeug! Welche Schmach, dass ich nicht einmal mehr genügend Kraft besitze um einen Verrückten zu Töten!"
Langsam glitt Gorans rechte, schmerzende Hand Richtung Stiefel, in dem er stets ein Jagdmesser versteckt hielt.

"Verrückt? ... so mag es für dich aussehen. Genauso wie für all die anderen. Der Ring braucht sie und nimmt ihnen das, was ihnen lieb ist. Er tötet einen und zehn wollen ihn rächen. Egal wie viele er umbringt, es werden immer mehr. So viele zerstörte Träume....
Und immer muss ich wachsam bleiben und mich der Macht des Ringes bedienen, um zu überleben. Und wenn ich unachtsam sein kann, wenn ich es meinem Körper erlaube zu schlafen. Weißt du, was ich dann sehe....?"
Gorans Hand ergriff nun fest den Griff des Dolches. Gleich würde er diesem Irren den Gnadenstoß versetzen. "Nein.."
"Die Toten! Alle diejenigen, dessen Seelen geraubt wurden. Sie kommen zu mir in meinen Träumen und rächen sich an mir für ihren Tod!.... Jeder einzelne... und auch deine Geliebte Sha`ri."
Gorans Arm erstarrte. Wie konnte er es wagen, über sie zu reden?
"Hier kannst du sie nicht hören?"
Der Magier erhob seine Rechte Knochige Hand, an der ein plumper Eisenring steckte. Er war schlecht gearbeitet und schien mehr eine Art Ein-Finger-Schlagring darzustellen. Das sollte er sein, dieser mächtige, gefährliche Ring?! Vielleicht glaubte das dieser Narr ja wirklich. Aber nicht der Ring hatte Sha`ri getötet, sondern er.
--Geliebter--, erklang eine liebliche Stimme in Gorans Kopf.
"Nein, das... das kann nicht sein... Sha`ri? ...wo?"
--Hiilf mir.... befreie mich!--
Goran sah dem Magier eiskalt in die Augen. Das war ein Trick. Es musste einfach ein Trick sein.
"STIRB!"
Mit der letzten ihm verbliebenen Kraft schnellte das Jagdmesser vor, traf den Hexer knapp unterhalb der linken Schulter. Erneut beschmutzte rotes Blut alte Federn und Silberkettchen. Stöhnend fiel der Hexer nach hinten und Goran sprang auf seinen Brustkorb. Das Messer fest an seine Kehle gedrückt.
"Und nun, Hexer, wirst du sterben!"
"Ja, das werde ich... aber erst kurz nach dir!"
Ein grauenerregendes Zischeln erklang hinter Gorans Schläfen. Laut und bedrohlich lähmte es seine Gedanken. Seine Augenlieder flackerten und er fürchtete, sein Kopf würde jeden Augenblick explodieren, während sein Körper erstarrt schien. Dann, von einem Moment auf den anderen, hatte es aufgehört. Und er fing sich den härtesten Schlag ein, den er jemals hatte einstecken müssen.
Sterne tanzten vor seinen Augen und er kämpfte dagegen an, in wohliger Schwärze zu versinken.
Sekunden oder Stunden vergingen, er vermochte die Zeit nicht mehr einzuschätzen. Ewigkeiten oder Augenblicke, tot oder lebendig.
Dann spürte er einen Druck auf sich, eine warme Berührung, die ihn zurückholte. Langsam öffnete er die Augen.
Der Hexer hockte nun auf ihm, immer noch schwer blutend aber kein Anzeichen von Erschöpfung zeigend.
Seine linke Hand umschloss nun Gorans Hals und begann mit der Kraft eines Schraubstocks zuzudrücken. Kraftlos versuchte er dem Eisenharten Griff zu entkommen und er bemerkte wie die wohlige Schwärze langsam zurückkehrte. Das Gesicht des Hexers näherte sich dem Gorans. Wahnsinn und Pein standen ihm in den weit aufgerissenen Augen und der Speichel floss ihm förmlich aus dem Mund.
"Nun... tapferer Rächer... wirst du sterben. Doch während deine Seele frei sein wird, bleibt die Seele deiner Frau hier drin." Er hob erneut seine rechte Hand und der zuerst plumpe Eisenring glühte und pulsierte, als sei er eben aus einem Schmiedefeuer gekommen.
Kleine Funken lösten sich von ihm und schwirrten durch die Höhle.
"Sie bleibt gefangen in diesem verfluchten Ring" Er grinste ohne jeden Verstand. "Ihr werdet nie wieder vereint sein, nicht einmal im Tod...."
Goran stöhnte innerlich. Er spürte, wie der letzte Rest Leben in ihm erlöschen wollte. Nein. Oh bitte... Sha`ri... verzeih mir.

Der Druck auf seinem Hals ließ nach und Goran bekam stoßweise Luft. Er sah, wie die rechte Hand des Magiers anfing zu zittern.
Noch immer glühte der Ring und eine rote Aura aus Hitze bildete sich um ihn. Immer noch grinsend keifte der Magier und schrie in einer Sprache, die Goran nicht kannte. Seine rechte Hand zitterte nun sehr stark, er schien keine Kontrolle mehr über ihn zu haben. Er ließ von Goran ab und hielt nun mit der Linken seinen rechten Arm fest umklammert.
Langsam und zitternd näherte sich der Ring dem Gesicht des Hexers.
Dieser schwitzte aus sämtlichen Poren und hatte an einigen Stellen größer werdende Brandwunden.
Goran war erschöpft und am Ende, er blieb liegen, und starrte gebannt auf die Szene, die sich ihm da bot.
Gleich hatte der Ring sein Ziel erreicht. Der Hexer hörte auf zu grinsen und es schien, als sei er sich seiner Situation vollends bewusst.
"Nun erkenne ich...."
Stille.
Ein lauter und sofort erstickender Schrei. Eine Hitzewelle von solcher Intensität, dass sie das Eis um den Hexer zum Schmelzen brachte.
Heißes Wasser spritzte Goran ins Gesicht. Schwarzer Rauch und der Geruch nach verbranntem Fleisch füllten nun die Höhle.
Goran schloss die Augen.
Der Hexer war tot. Gestorben durch seine eigene Macht und den Wahnsinn. Eine Träne rann Gorans Wange hinunter.
Oh Sha`ri…. Leb wohl.

Epilog

Schwärze. Unendliche Schwärze. Ein geborgenes Gefühl von Freiheit. Immer deutlicher wurde diese Wahrnehmung, dieser Vorstoß seiner Essenz in eine neue Welt.
Er spürte wie er seine Hülle ablegte, wie er sich fast vollständig von seinem Körper löste. Frei von Zeit und Raum.
Vielleicht war es nur Zufall. Vielleicht auch Schicksal oder ein Fluch.
Gorans Körper zuckte in einem letzten Stadium des Todes, und seine rechte Hand berührte dabei etwas. Etwas Warmes und Mächtiges.
Goran spürte, wie sich alles zurückzudrehen begann, auf eine Weise, die nicht sein durfte. Fest schloss sich Gorans Hand um den Ring des Hexers. Wärme und Leben begannen in seinen Körper zurückzufließen. Schließlich öffnete er die Augen und stand auf.
Er strotzte vor Kraft und die Kälte machte ihm nichts aus. Er blickte auf das plumpe Stück Eisen in seiner Hand.
"Du warst sein Untergang, und ich brauche dich nicht."
Er wollte den Ring einfach fallen lassen, hier beim Hexer. Auf dass ihn niemand finden würde.
--Goran... Geliebter!-- Sha`ris Stimme erklang glücklich in seinen Gedanken. Schnell steckte er sich den Ring an den Finger.
"Sha`ri! Ich habe dich gerächt, deinen Mörder gestellt."
--Ja, das hast du... Ach Goran, ich bin so glücklich, wieder bei dir zu sein. Ich liebe dich!--
Eine Träne rann über Gorans Gesicht.
"Aber... ich kam zu spät! Damals. Du würdest noch Leben, wäre ich da gewesen, bei dir!"
--Ich vergebe dir. Ich würde dir immer wieder vergeben, denn meine Liebe zu dir ist stärker, als jeder Groll es jemals sein kann--
Goran glaubte, sie in seinen Gedanken lächeln zu sehen.
--Komm, Geliebter, lass uns nach Hause gehen. Von nun an werden wir immer zusammen sein. Nichts auf der Welt wird uns wieder entzweien, nicht einmal der Tod.--
Entschlossen wandte sich Goran dem Ausgang der Höhle zu und stapfte kurz darauf entschlossen durch den Schnee. Die grauen Wolken waren verschwunden und die hellen Strahlen der Sonne ließen alles freundlich weiß erstrahlen. Er war glücklich, von nun an würde alles besser werden. Alles.
"Ja", sagte Goran und lächelte, "für immer zusammen...."
 
© Christian Fermer
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