Er rannte um sein Leben. Seine kurzen Haare
flatterten im Wind, der in der engen Schlucht pfiff, durch die seine Flucht
ihn führte. Mühsam schleppte er sich vorwärts. Längst
waren alle Reserven seines Körpers verbraucht, doch irgendwie schaffte
er es, sich auf den Beinen zu halten.
Schweiß rann ihm über die Stirn
und brannte wie Feuer in seinen Augen, doch dieses Feuer war nichts im
Vergleich zu dem Schmerz, der in seinen Gliedern loderte.
Trotz des hohen Tempos, das er vorlegen musste,
gelang es ihm einen Blick nach hinten zu werfen.
Und was er dort sah, machte jeden Gedanken
an eine noch so kurze Pause überflüssig.
Etwas kam wie eine Woge aus undurchdringlicher
Finsternis hinter ihm herangerollt, Schatten, die keine waren, Dunkelheit,
die inmitten des Sonnenlichts zu existieren schien.
Etwas kam dort hinten, das war alles, was
er sagen konnte, doch was immer es auch war, es durfte ihn nie erreichen.
Verzweifelt warf er sich wieder nach vorn.
Seine Schritte hallten von den hohen Felswänden wieder und entwickelten
durch das Echo einen ohrenbetäubenden Lärm. Und trotzdem konnte
er ganz genau die dumpfen, polternden Schritte seiner Verfolger hören.
Plötzlich rutschte er auf den Kieseln,
die den Boden der Schlucht bedeckten, aus. Bei dem verzweifelten Versuch
das Gleichgewicht zu halten, blieb er an seinen eigenen Beinen hängen
und ging mit einem Entsetzensschrei zu Boden. Angstvoll versuchte er sich
aufzurappeln und kämpfte mit seinem Mantel, der sich beim Sturz um
seine Füße gewickelt hatte, wobei er sich etliche Schürfwunden
zuzog. Doch diesen Schmerz spürte er nicht. Zu groß war die
Angst.
Als er schließlich wieder auf beiden
Beinen stand, schaute er sich kurz um.
Panik zeichnete sich auf seinem Gesicht ab.
Die schwarze Woge hatte ihn noch nicht erreicht, aber sie war bereits so
dicht herangekommen, dass er in ihr zwei rötliche glühende Punkte
ausmachen konnte. Ohne noch länger zu zögern rannte er wieder
los.
Um ein Haar wären diese Schritte die letzten
seines Lebens gewesen. Die Kreatur stand wie aus dem Boden gewachsen vor
ihm. Sie stürmte nicht heran oder sprang aus dem Schatten hervor,
sondern war einfach da und griff unverzüglich an. Bevor er überhaupt
die Chance hatte zu reagieren, bohrten sich bereits scharfe Krallen tief
in seine Schulter. Er schrie vor Schreck und versuchte, sich aus dem stählernen
Griff zu befreien. Verzweifelt trat er gegen den massigen Körper.
Die Kreatur stieß ein Grunzen aus und lockerte den Griff ein wenig.
Mit einer blitzschnellen Körperdrehung
gelang es ihm, sich aus der tödlichen Umarmung zu befreien. Sofort
sprang er an dem Ungeheuer vorbei und wich weiter zurück.
Doch damit war er keineswegs in Sicherheit.
Die Kreatur schrie ihre Enttäuschung über die fliehende Beute
heraus und mobilisierte ihre enorme Körperkraft, um ihn mit einem
gewaltigen Satz zu erreichen. Diesmal war er jedoch vorbereitet. Als die
Kreatur sprang ließ er sich einfach fallen und rollte über der
Schulter ab. Der Dämon segelt über ihm durch die Luft und versuchte
noch im Flug ihn mit seinen Klauen zu erreichen. Das einzige jedoch, was
das Ungeheuer zu fassen bekam, war der Stoff des Mantels, der in Fetzen
gerissen wurde.
Die Kreatur krachte mit solcher Wucht gegen
die Felswand, das der Stein splitterte. Dann stürzte sie zu Boden.
Schon schüttelte der Dämon seine Benommenheit ab und ging in
den nächsten Angriff über, doch so schnell die Kreatur auch war,
er war schneller. Er stieß seinen Dolch tief in die Kehle des Ungeheuers
und sprang sofort zurück.
Dunkles, fast schwarzes Blut schoss aus der
Wunde und die Kreatur torkelte einen Schritt zur Seite. So schnell er konnte
brachte er sich außer Reichweite des blind um sich schlagenden Wesens.
Schließlich sank es zu Boden. Das blutverschmierte Gesicht drückte
eine Art Unglauben über das gerade Geschehene aus. Dann schrie das
Ungeheuer seinen Schmerz heraus und starb mit lautem Gurgeln, als das Blut
die Lungen füllte.
Inzwischen war die dunkle Woge gefährlich
nahe gekommen, so dass er sofort weiterhetzte. Die rotglühenden Augen
im Nacken stürmte er zwischen den Felswänden entlang. Eine Hand
hatte er auf die klaffende Wunde gepresst, die er sich bei dem Kampf zugezogen
hatte. Verzweifelt drehte er sich noch einmal um und erstarrte mitten in
der Bewegung.
Hinter ihm war nichts.
Unheimliche Stille lag über der engen
Schlucht und selbst die Luft schien zu stehen. Da beschlich ihn plötzlich
eine Kälte, als wenn der Luft ihre ganze Wärme entzogen würde,
doch dieses Gefühl verging so schnell, wie es gekommen war. Unsicher
schaute er sich um, doch es war alles wie zuvor. Keine Regung war zu sehen.
Er war allein. Da durchfuhr ihn von neuem diese eisige Kälte. Diesmal
bemerkte er, dass die Kälte aus seinem eigenen Innern kam. Kälte,
die ihn erstarren ließ wie die Berührung des Todes.
Augenblicklich begriff er. Es war eine Warnung
– eine Warnung, dass ihn etwas töten wollte. In flüchtiger Unsicherheit
beugte er sich vor um zu lauschen. Er war in Gefahr, in tödlicher
Gefahr.
Und dann waren sie da.
Wie Schatten brachen sie zwischen den Felswänden
hervor und er musste sich beherrschen um nicht vor Entsetzen zu schreien
und in Panik zu geraten. In mächtigen Wogen dunkler, zuckender Leiber
wälzten sie sich durch die Schlucht, Dämonen jeglicher Größe
und Gestalt. Mit reißenden Zähnen und scharfen Krallen, tödlichen
Stacheln und glänzende Schuppen stürmten, krochen und schlängelten
sie auf ihn zu.
Missgestaltete, schwarze Wesen, Furien und
anderes Getier schnappten in ihrer Gier ihn zu erreichen nach ihren Brüdern
und schlugen mit ihren Klauen zu. Dann kletterten und stolperten sie eilig
über die Leichen derer, die gefallen waren. Die Dämonen kreischten
schrill im Vorgefühl des Triumphes, denn sie waren haushoch überlegen.
Er wich immer weiter zurück, doch als
er in seinem Rücken den kalten Stein der Felswand spürte, wusste
er, dass es keine Möglichkeit mehr gab zu fliehen. Er saß fest.
Das Grauen schlug über ihm zusammen wie die Wellen der stürmischen
See. Doch dann, seinen Tod vor Augen, sammelte er ein letztes Mal seine
Kräfte. Er schwor sich, so viele Abscheulichkeiten wie möglich
mit in den Tod zu nehmen.
Ein letztes Mal konzentrierte er sich auf
die uralten Mächte, die ihm zu eigen waren und die schon so viele
Leben gerettet hatten. Doch dieses Mal beschwor er sie nicht, um Leben
zu schenken, sondern um es zu nehmen. Ein letztes Mal spürte er den
klaren Strom der Energie, die alles Lebendige durchzog.
Dann schlug er zu.
Blaue Flammen schossen aus seinen Händen
hervor und rasten auf die Dämonen zu. Immer wieder versengte sein
Feuer Schuppen und Fell. Es war ein schrecklicher Kampf, den er sich mit
den Ungeheuern lieferte, doch so viele Kreaturen er auch tötete, es
waren einfach zu viele. Langsam spürte er, wie die Quelle seiner Kräfte
versiegte. Er war am Ende.
Plötzlich tauchte über den Dämonen
ein Schatten auf und wilde Hoffnung durchfuhr ihn. Sollte er doch noch
einmal davon kommen?
Doch dieser Hoffnungsschimmer verblasste,
als er die Gestalt sah, die sich über den dunklen Horden materialisierte.
Sie war gänzlich in einen schwarzen Mantel gehüllt. Das einzige,
was er erkennen konnte, waren zwei rotglühende nichtmenschliche Augen
unter der tiefschwarzen Kapuze. Dann hob die Gestalt ihre knochigen, geschuppten
Arme. Sofort brachen die Dämonen ihren Angriff ab. Die Luft knisterte,
als sich in den Händen der Gestalt eine weiße Feuerkugel bildete,
und auf ihn zuraste.
Mit einem verzweifelten Schrei versuchte er
dem tödlichen Geschoss auszuweichen, doch auf einen Wink der Gestalt
hin änderte sie ihre Flugbahn und schlug krachend gegen seine Brust.
Er konnte gerade noch spüren, wie seine Rippen nachgaben, bevor er
von den Flammen eingehüllt wurde. Sofort begann er, sich auf dem Boden
zu rollen um die Flammen zu löschen, doch die Intensität der
Hitze nahm eher noch zu, als dass sie abnahm. Schließlich begannen
die Flammen auch nach seinem Gesicht zu lecken. In Todesqualen schrie er
noch ein letztes Mal auf und fuhr senkrecht im Bett hoch.
Philip hatte seine Augen weit aufgerissen.
Nur langsam fand er in die Wirklichkeit zurück, so intensiv und real
waren die Bilder seines Traumes gewesen. Die kurzen blonden Haare klebten
an seiner Haut und auch das Bettlaken war so schweißgetränkt,
dass es wie eine zweite Haut an seinem Körper haftete.
Langsam sah Philip sich um. Er war zu Hause
in seinem Zimmer. Es war immer noch das selbe Zimmer, in dem er Abends
zu Bett gegangen war. Seine gebrauchten Klamotten hingen über dem
Stuhl seines Schreibtisches, das Rollo war heruntergelassen und auch seine
Schuhe standen dort, wo er sie hingestellt hatte.
Trotzdem kniff er sich sicherheitshalber einmal
fest in den Arm und stöhnte vor Schmerz auf. Erleichtert schwang er
sich aus seinem Bett und schlich leise durch den Raum, um das Fenster zu
öffnen. Es war wirklich unerträglich warm. Genüsslich sog
Philip die kühle Nachtluft in sich hinein und beobachtete die funkelnden
Sterne, bevor er zurück ins Bett huschte um in einen traumlosen Schlummer
zu fallen.
Seine letzten Gedanken galten dem immer wiederkehrenden
Alptraum, der ihn schon seit ungefähr einem Jahr plagte.
© René
Sterzl
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