Ebenenbruch von Madeleine Scherer
Buch 1: Die Erschaffene
Kapitel 1

Die Würfel fielen auf den schmutzigen Holztisch. Eine Sechs und eine Fünf. Der Imp, der gewürfelt hatte, grinste sein Gegenüber siegessicher an. Dieses verzog keine Miene; der Imp war ein miserabler Spieler, aber er hatte Geld.
"Los, Srya, würfel schon!", drängten die paar Zuschauer, die Wetten auf den Ausgang des Spiels abgeschlossen hatten.
Doch Srya beeilte sich nicht. Ersteinmal schob sie ihr langes, schwarzes Haar zurück, das ihr, glatt wie immer, ins Gesicht fiel. Dann fixierte sie ihr Gegenüber mit einem nagelnden Blick aus ihren dunklen, blauen Augen. Dem Imp, der schon immer ein ziemlicher Angsthase gewesen war, brach der Schweiß aus.
Zufrieden erlaubte sich Srya ein spöttisches Lächeln und würfelte endlich. Zwei Sechsen. Erleichtertes Raunen breitete sich unter den Zuschauern aus, der Imp fluchte und drehte sich gerade um, um sein Geld zu holen, als plötzlich ein Pfeil über seinen Kopf schoss.
Srya stöhnte innerlich auf: das passierte immer, wenn sie am Gewinnen war. Sie sprang auf, Sryas Gedanken rasten: In Canias eisigen Winden würde sie die Verfolger vermutlich abhängen können. Aber dafür müsste sie ersteinmal aus der Kneipe herauskommen. Auf die Unterstützung des Wirts hoffte sie nicht, nicht nachdem sie ihm vor einem halben Jahr das gesamte Mobiliar zerlegt hatte. Außerdem waren Schlägereien und Überfälle in Cania an der Tagesordnung und man war am besten dran, wenn man sie einfach ignorierte. Außer der Überfall richtete sich gegen einen selbst. Wenigstens eines war Srya klar: mehr Zeit zum Überlegen hatte sie nicht.
Schon drangen die ersten Gegner, jedenfalls ging Srya davon aus, dass sie welche waren, in den Raum ein. Die Schwarzhaarige riss sich ein scharfes Messer aus dem Gürtel und warf. Es durchbohrte die Kehl des ersten Mannes, die hinteren wichen zurück.
"Lasst euch nicht einschüchtern, sie ist doch nur eine!" Srya stöhnte erneut; zu wievielt sollte sie denn sonst sein? Noch fünf andere ihrer Messer fanden den Weg in die Kehlen diverser anderer Männer, dann wurde sie von den restlichen Dreißig umzingelt. Da wurde es Srya klar, warum sie hier waren, sonst wäre sie nämlich schon tot.
"Wow, über dreißig Männer, allein für meine Wenigkeit, ich fühle mich geehrt!", spottete sie. Ihre Gegenüber starrten sie verdutzt an.
"Was glaubt ihr denn, natürlich weiß ich, warum ihr hier seid, ich weiß auch, dass ihr einen Teufel auf eurer Seite und einen Portalstein in eurer Tasche habt! Dann benutzt die beiden mal, ich möchte das nämlich auch mal hinter mich bringen!". Srya hätte fast gelacht: Den Gesichtsausdruck dieser Männer zu sehen, machte das, was noch vor ihr lag, fast wieder wett. Doch da sollte sie sich irren.

Ein paar Welten entfernt, in einer kleinen Burg, schritt ein Mann unruhig in einem engen Turmzimmer auf und ab. Ihm gegenüber stand eine mittelalte Frau; ihr Name war Thesta Dele´thien, seiner war Valen. Geschichten wie diese beginnen immer in Burgen und irgendwann trifft der Held ein und rettet uns alle, dachte sie missmutig. Nun, auf dieses Mal wird das wohl kaum zutreffen. Sie warf ihrem Gegenüber, das immer noch auf und ab schritt, einen genervten Blick zu, aber wirklich verübeln konnte sie es ihm nicht. Valen hatte dämonisches Blut in den Adern, folglich war er ungemein temperamentvoll. Und mindestens genauso angespannt wie sie selbst. In diesem Moment klopfte es an der Tür. Boldwin, ihr Page, trat ein.
"Verzeiht, Herrin, doch die Gefangene ist eingetroffen." Die Priesterin hätte schwören können, dass Valen noch etwas bleicher wurde. Rasch legte sie ihm beruhigend eine Hand auf den Arm und flüsterte ihm zu:
"Vertrau mir, Valen, Srya ist genau die Richtige für diesen Job."
 

© Madeleine Scherer
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
.
Und schon geht's hier weiter zum 2. Kapitel...

.
www.drachental.de