Der Elfenlord von Bastian Bernig
Falsche Gastfreundschaft

"Und wie schmeckt euch der Wein, Ehrwürdiger?", fragte der Bürgermeister freundlich.
"Gut, der beste, den ich je getrunken habe", antwortete Xuji, der in Wirklichkeit noch nie einen getrunken hatte und es auch nicht getan hätte, wenn der Bürgermeister nicht darauf gedrängt hätte.
"Das freut mich, wisst ihr, wir heben ihn für unseren höchsten Gäste auf", erklärte Retak.
"Apropos höchste Gäste, wie kommt es, dass ihr mich wie einen König verwöhnt?", fragte der Druide den Mann, woraufhin dieser antwortete: "Das liegt an der Geschichte unserer Stadt, als unsere Vorfahren hierher kamen, so heißt es, wurden sie von einem Magier vor einem schrecklichen Dämonen gerettet. Seitdem heißen wir jeden Magier als Ehrengast willkommen, und in der Geschichte unseres Städtchens ist nicht selten vorgekommen, dass auch diese Gäste uns bei Schwierigkeiten geholfen haben."
"Wie interessant. Ich frage mich, wo Kora so lange bleibt", meinte Xuji leicht besorgt und sah auf die Rathausuhr, "sie ist schon fast eine Stunde fort."
"Sicherlich macht sie sich extra hübsch für euch", erwiderte der Bürgermeister augenzwinkernd und goss ihm noch mehr Wein in den Kelch.
Höflich trank der Jugendliche einen Schluck, woraufhin sich der Bürgermeister und ein anderer Mann besorgt anblickten. Dies war bereits Xujis vierter Becher, nach ihren Erfahrungen brauchte es meistens nur zwei.
Und die ersten Wirkungen, wie Ohnmachtsanfälle und Bewusstseinsverlust, traten normalerweise innerhalb weniger Minuten ein.
Während einige Tänzer und Musiker ihre Darbietungen zeigten, versetzte der junge Druide sich in tiefe Meditation. In diesem Trancezustand verließ seine Seele den Körper. Während dieser, von den anderen unbemerkt, leicht zusammensackte, dehnte Xuji seinen Wahrnehmungsbereich aus. Dabei bemerkte er, dass sich komischerweise nur Erwachsene in der Stadt befanden, doch das interessierte den Jugendlichen nur wenig und so suchte er weiter nach Koras Aura. Und fand sie im Keller des Rathauses, es war nicht so sehr die Tatsache, dass sie bewusstlos war, die ihn überraschte, sondern dass sich zwei weitere Personen bei der Diebin befanden. Ihre Auren verrieten Xuji sofort, dass es sich bei beiden um Magier handelte und dass sie beide vom gleichen Leiden befallen waren.
"...großartige Vorführung, nicht wahr, Ehrwürdiger?", bekam er über die Nabelschnur, die seinen Astralleib auf der geistigen Ebene mit seinem realen Körper auf der physischen verband, mit und beeilte sich daraufhin zurückzukehren.
Doch dort hatte ihn der Bürgermeister mit anderen bereits umringt und meinte: "Endlich! Ich dachte schon, dass das Gift nie wirkt. Los, bringt ihn in die Zelle zu den anderen."
Eine der Wachen wollte nach seiner Schulter greifen, aber ein schneller Wind frischte auf und schleuderte die umstehenden Männer davon. Mehrere Bogenschützen zielten auf den Druiden als er aufstand, doch keiner ihrer Pfeile durchbrach den wütenden Wirbelsturm, der den Druiden umgab. Mehrere mit Schwertern bewaffneten Männer versuchten sich ihm in den Weg zu stellen, als er das Rathaus betrat, doch keiner von ihnen konnte sich ihm weiter als auf  wenige Meter nähern, bevor er an die Wand geschleudert wurde und von der Wucht des Aufpralls bewusstlos liegen blieb.
Die dicke Kellertür war durch ein großes Schloss gesichert, doch dieses zerschmolz wie Butter in der Sonne, als es von Xujis Stab berührt wurde. In einer Ecke lag Stroh und darauf die bewusstlosen Gefangenen. Der junge Druide lehnte seinen Stab in die Tür und flüsterte einen leisen Schutzzauber. Dann ging er zu Kora und legte ihr eine Hand auf dem Kopf, einen Augenblick später erwachte die Diebin stöhnend.
"Wasislos?", fragte sie trunken.
"Ich sag es nicht gern, aber du hattest Recht, hier werden Magier offenbar hinterrücks gelyncht", erklärte Xuji traurig lächelnd.
Ein Zischen von der Tür ließ die Jugendliche endgültig wach herumwirbeln, aber es war nur ein Pfeil der von dem magischen Schild an der Tür abgeprallt war. Währenddessen untersuchte der Druide die anderen Gefangenen, der eine war ein alter, weißbärtiger Mann in blauer Robe mit den Ornamenten eines Zauberers und der andere ein Jüngerer Ende zwanzig mit braunem Haar und einer roten Tunika, die das Emblem der Feuermagier trug.
"Was hast du herausgefunden, bevor sie dich geschnappt haben?", fragte der Jugendliche interessiert.
"Ich habe den Bürgermeister mit einem anderen Mann gesehen, der hat aus einem Fläschchen Gift in den Wein geschüttet", erzählte Kora ihre Erinnerung, "dann weiß ich nur noch, dass ich dich warnen wollte und mir plötzlich schwarz vor Augen wurde."
"Gut, sieh doch mal bitte nach, ob sich jemand hinter der Tür befindet, wenn ja sag ihnen, dass sie das Fläschchen rausrücken sollen", bat Xuji sie, während er seinen Beutel durchsuchte.
Vorsichtig näherte die Diebin sich der Tür und tat, worum der Druide sie gebeten hatte. Nach einiger Zeit kam tatsächlich der Mann mit dem Fläschchen dicht gefolgt vom Bürgermeister. Als sie nah genug waren, streckte Xuji seinen Arm durch den Schild und nahm ihm das Gift ab. Dann setzte er sich hin und nahm einen Schluck.
Alle Anwesenden blickten ihn überrascht an, während der Druide versuchte, das Gift am Geschmack zu erkennen: "Jonasbeere, vielleicht mit Geißenblatt? Nein, zu bitter, eher wie Erdwurz, nur stärker, wahrscheinlich Wespenkiefer oder Sternenklaue! Und dann noch etwas wie süßes Eulenauge, könnte eine Kreuzung mit Mäusezahn sein; aber das letzte ist schwer..."
Kora stockte fast der Atem als er das Gift hinunterschluckte.
"Vielleicht Rubinwurzel?", überlegte er gerade, als die Jugendliche ihm das Fläschchen aus der Hand riss. "Hey?! Was soll das?"
"Das musst du gerade sagen, schluckst hier einfach noch mehr Gift in dich hinein", schrie Kora, die kurz davor war, sich zu vergessen.
"Aber ich muss die Bestandteile des Giftes herausfinden, sonst kann ich kein wirksames Gegenmittel für die beiden hier herstellen!", erklärte er, selbst schon etwas wütend.
"Ich will aber nicht, dass du dein Leben für die zwei wegwirfst", erklärt die Diebin verzweifelt.
"Das tue ich auch nicht, Kora, bitte verstehe doch, wir Druiden sind gegen jegliche Arten von Gift völlig immun, ich könnte mich damit nicht umbringen, selbst wenn ich wollte", schrie er laut.
"Oh", meinte Kora leise und gab ihm das Fläschchen zurück, "na dann mach mal weiter." Trotzdem kniff sie besorgt die Augen zusammen als er noch einen Schluck nahm.
"Ja, eindeutig Rubinwurzel; ziemlich perfide diese Mischung, wurde wahrscheinlich von einem Alchemisten in Tok Mora gebraut", erklärte Xuji nachdenklich.
Hinter der Tür hörte er ein ertapptes Japsen und auch Kora fragte überrascht: "Das weißt du nur durchs probieren?"
"Was? Nein, natürlich nicht, aber um solch ein kompliziertes Gift zu brauen, braucht es Wissen, über das neben Druiden und Hexen nur die Gilde der Alchemisten der Inseln im Süden verfügt", erzählte der Druide ihr, während er das Gegengift zusammenmischte.
Langsam flößte er es den beiden ein und berührte sie kurz am Nacken. Danach nahm er seinen Stab aus der Tür, hielt ihn dem Bürgermeister drohend unters Kinn und verlangte: "Ruft zwei Wachen, sie sollen die beiden auf den Marktplatz tragen und keine faulen Tricks!" Bei diesen letzten Worten flammte der Kristall an der Spitze seines Stabes auf.
"Na-natürlich", antwortete Retak und fiel fast um als er nach oben verschwand, um Xujis Befehl auszuführen.
Als sie das Rathaus verließen, fiel Kora zuerst auf, dass der Platz zwar menschenleer war, sich aber die Menschen in den dunklen Gassen und den Häusern versteckten und sie aufmerksam beobachteten. Die verängstigten Wachen legten die Bewusstlosen vorsichtig auf die Tische, bevor sie sich genauso davonmachten.
Die Diebin beobachtete wie Xuji seinen linke Arm erhob, plötzlich frischte der Wind ohne Vorwarnung wieder auf und begann seine ausgestreckte Hand zu umkreisen. Verwirrt rieb sie sich die Augen und sah wieder auf ihn, hatte sie gerade wirklich weiße Funken um Xuji wehen sehen?!
"Er benutzt den druidischen Wind, nicht schlecht für sein Alter", bemerkte eine Stimme hinter Kora.
Diese drehte sich schnell um und zog gleichzeitig ihren Dolch. Doch es war bloß der alte Zauberer, der nun aufgewacht war.
"Was ist das?", fragte die Jugendliche neugierig.
"Einer der speziellen Fähigkeiten der Druiden, mit ihm können sie das Wetter beeinflussen und sogar über kurze Entfernung mit einander in Kontakt treten", erklärte der alte Mann und klang dabei, als würde er einen Text zitieren. "Ich vermute, dass er versucht, Unterstützung zu rufen."
Gerade als Kora antworten wollte, stöhnte der andere Mann, als er erwachte.
"Uohh, was für ein Kater",  rief er laut, "das reicht, kein Alkohol mehr für die nächste Woche!" Nun erst bemerkte er, wo er sich befand, sprang auf und entzündete eine Flamme in seiner Hand, die allerdings sofort wieder verlosch.
"Offenbar ist die Wirkung des Giftes noch nicht völlig abgeklungen", meinte der Zauberer fasziniert, "aber wo bleiben meine Manieren, mein Name lautet Norban von der Sternenbucht, Zauberer."
"Ich bin Kora, aus dem Herzogtum Nepen, und das ist Xuji´scor... ein Druide aus dem Norden", erklärte die Diebin, als sie erkannte, dass der Zauberer darauf wartete.
Etwas entspannter setzte sich der andere Mann wieder hin und meinte: "Fernan Steinweg, Magier des Feuers! Was ist hier los?"
"Wir sind offenbar einem geschickten Giftanschlag zum Opfer gefallen, aber die beiden hier haben uns gerettet", antwortete Norban leichthin.
"Na ja, eigentlich hat Xuji alles gemacht", erklärte die Diebin verlegen.
Dieser kam langsam wieder zurück und setzte sich neben Fernan.
"Und habt ihr jemanden erreicht?", fragte der Zauberer.
Der Druide maß den alten Mann mit einem prüfenden Blick und meinte dann: "Ja, sie wird bald hier sein!"
"Noch mehr Druiden", lästerte der Feuermagier, was ihm sofort einen bösen Blick von Xuji einbrachte.
"Vorsicht", warnte Norban ihn, "ein Zwist in Feindesland anzufangen, wäre eine zuverlässige Methode, uns umzubringen, außerdem glaube ich nicht, dass du gewinnen könntest."
"Ich, ein erfahrener Feuermagier gegen so einen schwachen Druidenjüngling, ha, das meint ihr doch nicht ernst", lachte Fernan ungläubig.
Doch der Zauber schüttelte nur lächelnd den Kopf und meinte: "Ein wenig mehr Aufmerksamkeit würde dir nicht schaden, sieh genau hin, dann wirst du die große Kraft spüren, die tief in ihm verborgen liegt, und das ist nur seine eigene, als Druide hat er schließlich noch andere Möglichkeiten, um sich zusätzliche Macht zu besorgen, wie zum Beisp..."
"Mir gefällt es nicht, wie viel ihr über die Geheimnisse unseres Ordens wisst", rief eine schneidende Frauenstimme.
 
© Bastian Bernig
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