"... und mit viel Getöse fuhr der Huf in sein Gekröse.
Somit die Moral von der Geschicht’: Wilde Hengste zähmt man
nicht."
"Der arme Ritter", kicherte das Mädchen von dem fahrenden Volk
und lehnte ihren Kopf an die Schulter des Barden, der sorgfältig sein
Instrument beiseite legte.
Zufrieden lächelnd lehnte er sich zurück und zog die Maid
mit sich. Erneut hatte sich das Lied hervorragend zum Erringen von Mädchenherzen
geeignet. Alle Frauen, die Anselmo kannte, liebten Geschichten von prachtvollen
Hengsten und strahlenden Rittern.
"Nun", lächelte er und strich der Frau eine schwarze Locke
aus ihrem hübschen, südländischen Gesicht, "das war
eine Episode aus dem viel besungenen Leben dieses edlen Recken. Natürlich
werden nur die Heldentaten des Ritters Georg besungen, vor allem sein Sieg
über den gewaltigen Lindwurm. Aber wie Ihr jetzt wisst, hatte er auch
einige Fehlschläge einzustecken. Oder sollte ich sagen Tiefschläge?"
"Solange nicht Du an einer empfindlichen Stelle von einem
Pferdehuf getroffen wurdest", kicherte sie und beugte sich nach vorne.
Die Nachmittagssonne beschien ihren üppigen Busen.
Anzüglich lächelnd strich sie mit kräftiger Hand
über sein Beinkleid aus dünnem Stoff und er fühlte eine
bekannte Regung.
"Als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, war noch alles in bester
Ordnung", grinste der Sänger und überließ sich nun ganz
den geschickten und geübten Händen seiner Bewunderin.
Es dauerte nicht lange und gedämpfte Geräusche von Lust
und Leidenschaft vermischten sich mit dem Surren von Insektenflügeln
und dem allgegenwärtigen Vogelgezwitscher.
Doch noch bevor der Barde am Gipfelpunkt des Genusses angelangt
war, hielt sie inne und grinste ihn keck an.
"Und ich bin wirklich Deine erste große Liebe?"
"Aber natürlich, meine Blume."
"Dann inspiriere ich Dich doch sicherlich?"
Zärtlich streichelt er über ihr hübsches Gesicht:
"Und wie. Zur Zeit arbeite ich an einer Ballade, den Text hatte ich schon,
nur die Musik wollte mir nicht so recht einfallen. Doch Deine Schönheit
ließ die Melodie in mir fließen und nun denke ich, habe ich
es geschafft."
"Wirklich?" lächelte sie zuckersüß und setzte sich
auf. "Dann lass mal hören."
"Wie Du wünschst, meine Blume", seufzte der Barde und griff
nach seiner Fiedel.
"Und danach", versprach sie, "werde ich mich um Dein anderes Instrument
kümmern."
Der Sänger lächelte und begann mit dem Vortrag.
.
Die Moritat vom Erdbeerdrachen
Petrion war ein stolzer Drache ne Zierde seiner Art
doch hat er auch ne große Schwäche sind Erdbeer’n
ganz apart
Wo er die Beeren findet, schluckt er sie gierig rein
für ihn da könnt kein anderer Duhuft so arg verlockend
sein.
Eines schönen Tages fand er ein Erdbeerfeld
für ihn da gab es nix schönres auf dieser weiten Welt
Das Einhorn das die Pflanzen heget, bekam gar einen Schreck
wo vorher alles rot und prall war, war nichts mehr alles weg
Du schlimmer, böser Drache, schimpft er bei sich auwei
doch half das alles nichts mehr, die Pflanzen warn entzwei
Um dies forthin zu hindern, das Einhorn wob voll List
nen Zauber der den Garten schützet wenn jemand davon isst.
In folgender Nacht schleicht sich schon wieder ein Schatten auf
das Feld,
Verputzt die Beeren ganz klammheimlich, was ihm sehr gut gefällt.
Zurück in seiner Höhle, schläft er sogleich dann
ein,
der Zauber tuet seine Wirkung, wird drüber nicht sehr glücklich
sein.
Am nächsten Morgen trinkt er den halben Bach gar leer,
sein Spiegelbild das er erblicket erschreckt ihn dabei sehr.
Am ganzen vorher schönen Körper hat er wie Streusel
jetzt,
ganz viele rote duft'ge Beeren, sein Rücken ganz besetzt.
Sein ganzer Bauch sieht aus jetzt, wie seine Lieblingsfrucht,
die er da im verbotnen Garten die Nacht vorher gesucht.
Zum Gespött der Leute, es wurmet ihn gar sehr,
prangt an der Spitze seines Schweifes ne große rote Beer.
Drum seid gewarnt ihr lieben Leute ich sage Euch es laut
wer in des Einhorns Garten wildert, ihm seine Erdbeer'n klaut.
der wird gar sehr bestrafet, es lohnet sich ja nicht,
hast Du die Früchte Deines Raubes fortan im Angesicht.
Drum lasst den armen Drachen ein warnend' Beispiel sein,
wildert nicht in fremden Gärten sie könnten verzaubert
sein.
.
Niemand achtete auf das Krächzen zahlreicher Krähen hoch
im Himmel.
***
Seit ihrer Auseinandersetzung war Orolyth immer noch nicht zu Petrion
zurückgekehrt. Nicht, dass es dem Drachen etwas ausgemacht hätte.
Freilich, sie fehlte ihm sehr, doch wusste Petrion auch, dass sie ihm weiterhin
ständig Vorhaltungen machen würde, solang er derart verunstaltet
war. Aber genau das wollte Petrion nicht ertragen - von dem Ärger,
den er bekommen würde, weil er für ein paar Maulvoll Erdbeeren
den Kelch, das Hochzeitsgeschenk, hergegeben hatte, ganz zu schweigen.
Das Glücksgefühl der unerwarteten Erdbeerlieferung hatte
sich mittlerweile wieder verflüchtigt. Petrions Magen knurrte vernehmlich,
denn die Erdbeeren hatten noch weniger gesättigt als es die vereinzelten
Krähen taten, die versehentlich zwischen den Drachenzähnen endeten,
wenn die Plagegeister in ihrer Dreistigkeit gar zu nahe an Petrions Maul
vorbeiflatterten.
Immerhin hatte der Drache gelernt, den Schmerz des Angeknabbertwerdens
zu ignorieren.
Nur fiel es ihm schwer, Beute zu jagen. Ständig hatte er den
lärmenden Vogelschwarm zur Begleitung, wodurch jedes in Frage kommende
Beutetier in weitem Umkreis gewarnt wurde.
Seine ständigen Misserfolge bei der Jagd veranlassten Petrion
schließlich, sich am Herdenvieh der Menschen gütlich zu tun.
Das wiederum führte zu zahlreichen unliebsamen Begegnungen
zwischen Bauern und dem Drachen, wobei es Petrion nicht entging, dass die
Zweibeiner kaum mehr Respekt vor ihm zeigten.
Noch vor einigen Wochen hätte es niemand gewagt, auch nur in
seine Nähe zu kommen, geschweige denn, ihm seine Beute streitig zu
machen, doch nun versuchten sogar schon Kinder, die irgendwelche Herdentiere
hüteten, ihn mit Stöcken und Steinschleudern zu verjagen. Freilich
hielten sich solche Übergriffe noch in Grenzen, zumal er solche Angreifer
stets sofort Mores lehrte, aber es war nichtsdestotrotz eine bedenkliche
Entwicklung. Dennoch dachte Petrion nicht daran, sich die Blöße
einer Entschuldigung bei dem Alicorn zu geben.
Wie ein Raubvogel kreiste er hoch am Himmel, die Krähen wie
eine Wolke hinter sich herziehend. Es dauerte nicht lange und seine scharfen
Augen machten eine etwas abseits gelegene Weide aus, auf der genüsslich
einige Haflinger grasten und auch einige Kühe waren zu sehen. Der
appetitliche Duft seiner Mahlzeit in Spe lag in der Luft. Er konnte sich
nur nicht entscheiden, ob Rind oder Pferd, beides duftete verführerisch.
"Na schön, heute frische Kuh", traf Petrion schließlich
die Wahl, sich voller Vorfreude die Lefzen leckend.
Schnell schnappte er noch nach einer besonders aufdringlichen Krähe,
bevor er in einen rasanten Sturzflug überging. Er hatte eine Kuh ausgewählt,
die träge herumlag und sein Kommen nicht einmal bemerkte.
Erst als sich seine todbringenden Krallen tief in ihren Rücken
gruben und er sie vom Boden riss, muhte sie erschrocken auf. Er schleuderte
sie kraftvoll über den Weidezaun und sie blieb mit gebrochenem Rückgrat
liegen.
Sowohl der Drache als auch die Krähen und verschiedene Nagetiere
hatten sich ihre Bäuche vollgeschlagen und Petrion wollte sich gerade
zu einem kleinen Verdauungsschläfchen zusammenrollen, als ihm der
Wind den Geruch sich nähender Menschen zutrug. Offensichtlich hatte
der Lärm des durch den Angriff aufgeschreckten Herdenviehs den rechtmäßigen
Eigentümer alarmiert. Petrion hatte keine Lust auf eine erneute Konfrontation
mit Menschen, so seufzte er mürrisch und stieß sich mit seinen
kraftvollen Hinterbeinen ab. Schwerfällig schraubte er sich mit matten
Flügelschlägen in die Luft, selbstverständlich die immer
hungrigen Krähen im Schlepptau.
Petrion hatte längst die Hoffnung aufgegeben, dass diese Vögel
einmal genug bekämen von seiner sich immer wieder erneuernden Quastenerdbeere.
Seinen gelegentlichen Feuerbällen wichen sie stets geschickt aus und
mehr als einmal hatte er sich mit dem Drachenfeuer an verschiedenen Körperstellen
selbst versengt.
Als Petrion über eine Lichtung hinweg flog, vernahm er eine
Stimme, die ihm wohl vertraut war und das fröhliche Lachen einer jungen
Frau.
Neugierig ging der Drache ein wenig tiefer und kreiste über
der Lichtung. Langsam formte sich in seinem Kopf eine wunderbare Idee:
Ein Barde kam schließlich weit herum und würde mit Sicherheit
eine Lösung für sein Erdbeerproblem wissen. Vielleicht hatte
er ja irgendwo mal etwas aufgeschnappt, wie man Flüche lösen
konnte.
Doch als er das Lied hörte, das der Barde gerade seiner Liebschaft
oder wer auch immer dieses Mädchen sein mochte vorgetragen hatte,
keimte Ärger in dem Drachen auf. Offensichtlich hatte ihn dieser habgierige
Erdbeerverkäufer hintergangen und Gott und der Welt von dem Erdbeerfluch
erzählt - und nun sangen sogar schon die Barden davon...
Das donnernde Rauschen der Schwingen riss die Liebenden aus ihrem
Schäferstündchen.
Doch diesmal wirkte der Barde nicht im Geringsten verängstigt
und auch die junge Frau zeigte keinerlei Anzeichen von Furcht, ein Umstand,
der dem Drachen nicht entging, genauso wenig wie der forsche Ton, den der
Sänger anschlug.
"Diesmal muss ich Dir aber nicht erklären, was Gekröse
ist, nicht wahr? Diesmal willst Du mich direkt berauben, so wie Du den
armen Erdbeerverkäufer überfallen und ausgeraubt hast, nicht
wahr?"
"Wie bitte, was?"
Petrion wurde durch diese verbale Attacke völlig aus dem Konzept
gebracht. Doch fing er sich sofort wieder und blickte feste in die Augen
des Menschen vor ihm, der so gar keine Scheu vor ihm zeigte. Ob das an
seinem verunstalteten Äußeren lag?
"Ich weiß nicht, wovon Du sprichst, Mensch. Du solltest besser
Deine Zunge hüten, wenn Du mit einem Drachen sprichst."
"Das würde ich, wenn ich mit einem Drachen sprechen würde.
Nicht aber, wenn ich es mit einem gemeinen Dieb zu tun habe, der über
wehrlose fahrende Händler herfällt und ihn seiner einzigen Ware,
die er hat, den Erdbeeren, beraubt."
Nun meldete sich auch die Frau zu Wort, die bisher schweigend daneben
gestanden hatte.
"Du hast gehört, was mein Liebster gesagt hat. Und nun verschwinde,
bevor ich Dir Deine Schuppen gerbe."
Zu Petrions großer Überraschung hatte sie nach einem
dicken Ast gegriffen, den sie nun wie ein Schwert vor seiner Schnauze hin
und her schwang.
Der Drache konnte sich die feindselige Haltung der beiden Menschen
nicht erklären: Dieser Frau war er im Leben nie zuvor begegnet und
dem Barden hatte er niemals ein Leid zugefügt. Genauso wenig wie jenem
Händler, von dem der Barde gerade gesprochen hatte. Um ihn herum hüpften
die Krähen krächzend und sich um seine Quastenbeere zankend.
Müde schlug er mit einer Tatze nach ihnen und wandte sich dann mit
einem plötzlichen Aufblitzen in seinen Augen an die beiden Menschen.
"Du hast Dich ganz schön verändert, seit ich Dich das
letzte Mal gesehen habe", sagte er mit honigsüßer Stimme zu
der Frau. "Vor allem, waren Deine Haare nicht bei unserer Begegnung blond
wie das Sommerkorn im hellen Sonnenlicht? Und wo hast Du Deine liebreizende
Schwester gelassen?"
"Wir haben uns nie gesehen. Und ich habe keine Schwester", antwortete
sie und beobachtete voller Misstrauen den Drachen.
"Nicht? Ob ich mich da geirrt habe? Aber Du sagst doch, der da
wäre Dein Liebster. Und er hat Dir doch auch seine Liebe geschworen.
Ich habe das genau gehört. Er verwendete die gleichen Worte, wie bei
unserem Zusammentreffen. Sogar die Geschichte von dem Ritter und dem Pferd,
das er zähmen wollte, hat er Dir noch einmal erzählt."
Das war natürlich ein gewaltiger Bluff, denn tatsächlich
hatte der Drache nur das Lied über ihn selbst gehört und ein
paar Wortfetzen aus dem Liebesgesäusel der beiden aufgeschnappt. Doch
seine Lebenserfahrung hatte ihm einiges an Weisheit beschert und er kannte
die Vorgänge in einem Menschenhirn. Menschen waren in ihrem Verhalten
so vorhersehbar. Seine Rechnung ging auf.
"Was redest Du da?"
Die Frau blickte nun ihren Geliebten an, der mit hochrotem Kopf
und hängenden Schultern wie ein begossener Pudel dastand.
"Das ist ein Missverständnis", sagte er leise und warf dem
Drachen einen Blick zu, der Bände sprach: Eine Mischung aus bodenlosem
Zorn und auch Verzweiflung.
"So ist das also", rief die junge Frau und warf den Prügel
auf den Boden, um stattdessen ihre Faust zu ballen.
"Du hast also noch mindestens eine andere. Und ich habe Dir geglaubt,
ich habe Dich geliebt, ich..."
"Aber, cara mia, Liebes, ich... lass mich erklären. Ich..."
"Vergiss es!"
Und zu Petrions aber auch zu Anselmos absoluter Verblüffung
hatte sie dem Barden eine schallende Ohrfeige versetzt, die ihn rückwärts
taumeln ließ.
Da ließ Petrion ein donnerndes Gebrüll vernehmen, das
sogar die Krähen erschrocken aufflattern ließ.
"Schluss jetzt! Hört mich an, alle beide."
Frau und Barde wussten, dass der Drache keinen Widerspruch dulden
würde und trotz seines lächerlichen Aussehens ging von ihm genügend
Autorität aus, dass sie beide verstummten und ihn reglos anblickten.
"So ist es schon besser", grollte Petrion zufrieden und setzte sich
auf seine Hinterbeine, seinen pflanzlichen Schweif so um sich wickelnd,
dass die beiden Menschen zumindest nicht die Erdbeere am Schweifende erblickten,
die bereits wieder voller Genuss von einigen Krähen aber auch von
einem Igel beknabbert wurde.
"Ich wollte Euch nur eine Lektion erteilen. So wie sich Deine Gefährtin
hier von meinen Worten beeindrucken hat lassen, hast Du Dich von den Worten
von irgendjemandem beeindrucken lassen, ohne den Wahrheitsgehalt dieser
Worte zu hinterfragen."
"Worauf willst Du hinaus, Drache?" fragte die Frau.
"Du hast Deinem Gefährten Misstrauen entgegen gebracht, nachdem
ich eine Behauptung aufgestellt habe, die Du nicht hinterfragt hast. Doch
genau das hättest Du tun müssen, denn vielleicht ist die Wahrheit
eine ganz andere, als meine Worte Glauben machten? Ich habe davon gesprochen,
dass ich Deinem Gefährten begegnet bin und er damals eine andere Begleitung
bei sich hatte. Aber ich habe mit keinem Wort erwähnt, dass er Dich
betrügen würde. Und wenn ich in das Herz dieses Sängers
blicke, weiß ich, dass er voller Liebe zu Dir ist."
Petrion blickte den Barden an: "Du siehst, was Worte ausrichten
können. Doch Du darfst Deiner Freundin, die wirklich wunderschön
ist, keinen Vorwurf machen. Denn auch Du hast irgendwelchen Worten vertraut,
die Dir jemand gesagt hat und nun verurteilst Du mich, ohne mich überhaupt
zu kennen."
"Das stimmt so nicht!" rief der Barde und sprang auf.
"Ich habe recherchiert. Ich war bei dem Magier Thrinidates und er
erzählte mir, nachdem ich von dem Fluch gehört habe, der über
Dich verhängt worden ist, was geschehen ist: Von Deiner unnatürlichen
Gier nach Erdbeeren, dass Du vor lauter Gier sogar seine Erdbeerpflanzen
zerstört hast und er deshalb Dir eine Lektion erteilen wollte. Er
meinte auch, dass Du..."
"Dass ich jemandem brutal überfallen hätte und ihn seiner
Erdbeeren beraubt habe?"
"Nein", widersprach Anselmo sofort. "Das hat Thrinidates niemals
geäußert. Diese Aussage stammte von dem fahrenden Händler,
dem ich begegnet bin."
"Einem fahrenden Händler? Hatte dieser Mann eventuell Erdbeeren
verkauft?" fragte Petrion, dessen Verdacht sich nun bestätigte. "Erzähle
mir mehr von dieser Begegnung."
Anselmo erzählte dem Drachen, wie er auf seiner Wanderung den
umgeworfenen Verkaufswagen entdeckt hatte und von dem zerlumpten, erschöpften
und offensichtlich verstörten Mann, der aus dem Dickicht gekrochen
war. Dass dieser davon berichtet hatte, von einem Drachen angesprungen
worden zu sein und dass dieser Drache all seine Vorräte an Erdbeeren
verschlungen hatte. Dieser Anblick sei so traumatisierend für ihn
gewesen, dass er nun keine Erdbeeren mehr verkaufen könne.
"Nachdem er dann den Drachen beschrieben hatte, der ihn angeblich
überfallen hatte, habe ich mich an unsere erste Begegnung erinnert.
Daran, dass Du ja auch an meinen Erdbeeren... Interesse gezeigt hast. Außerdem
gab es bereits Gerüchte, dass ein Drache mit einem Fluch belegt worden
war. Ich dachte sofort daran, das Gehörte zu einer Ballade zu verarbeiten.
Als ich mich vergewissert hatte, dass der Mann keine weitere Hilfe mehr
benötigte, habe ich sofort den Magier Thrinidates aufgesucht, denn
er war der einzige Zauberer, dem ich eine solche Macht zugeschrieben hatte.
Denn ich bin schon jemand, der sich erst einmal Hintergrundinformationen
beschafft, bevor ich ein Ereignis vertone. Nun ja, nach dem Besuch bei
Meister Thrinidates hatte ich dann den Text zu meiner Ballade, doch erst
meine Gefährtin hier inspirierte mich zu der richtigen Melodie. Das
war die Moritat vom Erdbeerdrachen, die Du eben gehört hast."
"Immerhin hast Du Dir die Mühe gemacht, Dir weitere Informationen
zu verschaffen. Doch leider hast Du nicht den Wahrheitsgehalt der Worte
dieses Menschen hinterfragt. Denn dazu hättest Du denjenigen, der
auf so üble Weise beschuldigt worden ist, aufsuchen müssen und
Dir dessen Version dieser Geschichte anhören müssen. Erst wenn
Du beide Seiten der Medaille hast, kannst Du sie zu einem stimmigen Ganzen
zusammenfügen und Dir dann darüber ein eigenes Urteil bilden."
"Dann lass uns hier nicht dumm sterben", forderte Anselmo den Drachen
auf. "Erzähle uns Deine Sicht dieser Geschichte und ich werde gegebenenfalls
den Text meiner Moritat ändern."
Petrion schüttelte den Kopf: "Das wird nicht nötig sein,
mein Freund."
Er erhob sich und baute ich in einer leicht prahlerischen Pose vor
den beiden Menschen auf.
"Ihr müsst wissen, meine Freunde, dass das, was der Händler
gesagt hat, stimmt. Ich bin in der Tat auf ihn zugestürmt und habe
seine Erdbeeren vertilgt und dabei wohl auch in meinem Eifer den Verkaufswagen
umgestoßen, vielleicht sogar zerstört. Das lag nicht in meiner
Absicht, genauso wenig, wie ich die Erdbeerpflanzen des Zauberers zerstören
wollte. Es mag auch sein, dass dieser Händler durch meinen Anblick
zu Tode erschrocken ist. Aber er hat, aus welchen Gründen auch immer,
nicht erwähnt, dass ich ihn für diese Erdbeeren mit einem Kleinod,
einer Kostbarkeit aus meinem Hort, mehr als reichlich dafür entschädigt
habe. Ich habe diesen Händler zu meiner Höhle genommen und dort
durfte er sich aussuchen als Preis für die verzehrten Früchte,
was immer sein Herz begehrte. Er hatte sich für einen Kelch entschieden,
der als Hochzeitsgeschenk für meine über alles geliebte Gemahlin
Orolyth und mich speziell angefertigt worden war. Ich habe sofort erkannt,
dass er für ein so schmächtiges Männlein - der Arme schien
seit Tagen schon keine ordentliche Mahlzeit mehr im Bauch gehabt zu haben
- viel zu schwer und zu unhandlich zu tragen gewesen war. Ich habe ihm
angeboten, ihm ein kleineres Stück von gleichem Wert zu geben, aber
er bestand darauf, dass er genau diesen Kelch wollte und so ließ
ich ihn von dannen ziehen. Hatte er den Kelch denn nicht dabei, als Du
ihm begegnet bist?"
"Leider nein. Aber es würde erklären, weshalb er so mit
Schlamm besudelt war und seine Hände waren verkrustet mit Dreck. Wahrscheinlich
hatte er ihn irgendwo im morastigen Waldboden vergraben, weil er mich für
einen Banditen hielt oder irgendetwas in der Art."
"Wie dem auch sei", schloss der Drache, "ich bin nicht gekommen,
um mich in irgendeiner Weise zu rechtfertigen und auch nicht, um Dir einen
Vorwurf zu machen oder die moralische Klaue zu heben. Ich habe Dich gestört,
weil ich Deine Moritat über mich vernommen habe und gehofft habe,
dass Du mir helfen kannst. Ich wollte Dich um Hilfe bitten."
"Wenn ich helfen kann, will ich es gerne versuchen."
"Sieh mich an", forderte Petrion den Barden auf. "Ich kann so nicht
bleiben. Ich kann nicht mehr auf Jagd gehen, weil mich dieses lärmende
Vogelpack auf Schritt und Tritt verfolgt und verrät. Ich kann meinen
eigenen Anblick nicht länger ertragen. Und, was das Schlimmste ist,
meine Geliebte Orolyth hat mich verlassen. Sie wird erst zurückkommen,
wenn ich wieder der alte Petrion bin."
"Aber, wie soll ich Dir da helfen? Ich bin ein fahrender Sänger,
kein Magier. Nur ein mächtiger Zauberer wird den Fluch brechen können."
"Das ist mir schon klar. Aber ich dachte, vielleicht hast Du auf
all Deinen Reisen... etwas gehört, was mit weiterhilft. Vielleicht
weißt Du jemanden, an den ich mich wenden kann in meiner Not."
Der Barde lächelte: "Hast Du es schon mal mit dem Zauberer
versucht, der Dich mit diesem Fluch geschlagen hat?"
"Du meinst, Meister Thrinidates?"
Petrion kratzte sich verlegen seine rote, erdbeerartige Brust.
"Das geht nicht", sagte er leise.
"Wieso sollte das nicht gehen?" fragte Anselmo verständnislos.
"Das verstehst Du nicht. Ich kann nicht einfach zu ihm gehen und
ihn darum bitten, dass er den Fluch von mir nimmt."
"Und warum nicht? Ich denke mir, dass er es sogar tun wird, wenn
Du ihn darum bittest. Vielleicht wartet er sogar darauf. Natürlich
wirst Du ihn für den wiederholten Erdbeerdiebstahl um Verzeihung bitten
müssen."
"Du redest schon genauso einen Unsinn wie meine Orolyth", grollte
Petrion und stieß einen Rauchkringel aus seinen Nüstern aus.
"Strapaziere nicht meine Geduld - autsch! Was war das?"
Ärgerlich blickte der Drache zu seinem Schweif und war überrascht,
dass er dort neben den üblichen Krähen auch die Gefährtin
des Sängers erblickte. Mit einem großen Messer hatte sie einfach
ein großes Stück Fruchtfleisch aus seiner Erdbeerquaste herausgeschnitten.
"Doch, das ist wirklich lecker. Möchtest Du auch ein Stück
probieren, Anselmo?"
Sie grinste und Petrion tat sein Bestes, um seinen Schweif in Sicherheit
zu bringen.
"Und Du bist Dir wirklich sicher, dass Du es nicht über Dich
bringen kannst, mit dem Meistermagier zu sprechen? Eine Schande. Andererseits,
ein Erdbeerdrache hat seinen Vorteil. Und wie ich sehe, wächst die
Frucht auch gleich wieder nach. Cara mia", der Barde blickte nun die junge
Frau an, "bitte probiere doch mal ein Stück Frucht von seiner Brust."
"Was erlaubt Ihr Euch eigentlich!" brüllte Petrion zornig und
breitete im gleichen Augenblick seine Flügel aus.
Kraftvoll stieß er sich mit seinen Hinterbeinen ab und ließ
zwei Menschen zurück, die sich anblickten und lachten.
Sie sahen den von seiner Kräheneskorte umgebenen Drachen von
dannen ziehen und als er außer Sichtweite war, beschäftigten
sie sich wieder mit sich selbst, die Welt um sich herum vergessend.
***
Die Milch zauberte filigrane Wölkchen in den Tee, als der Meistermagier
gedankenverloren in seiner Tasse umrührte. Dabei wippte anmutig sein
spiralförmiges Horn auf seiner Stirn. Dass er Besuch bekommen würde,
daran hatte er nicht im Geringsten gezweifelt, aber er hatte nicht mit
dieser Besucherin gerechnet.
"Natürlich hast Du vollkommen Recht, meine hoch verehrte Orolyth.
Zumal gerade in Deinem Zustand solche Aufregungen nicht gerade förderlich
sind und in der Tat brauchst Du einen zuverlässigen Gatten mehr denn
je, der nun einen geeigneten Nistplatz für die Aufzucht Eurer Jungen
findet. In diesem Punkt kann ich Dir auch behilflich sein. Aber bezüglich
der Lösung des Fluchs, nun, ich fürchte, da muss sich Petrion
schon persönlich bei mir einfinden. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen,
dass ich ihm eine Buße nicht ersparen werden kann."
Die Drachin nickte zustimmend und ihre hellen, sandfarbenen Schuppen
glitzerten im Sonnenlicht wie geschmolzenes Gold. Doch ihre zuckende Schwanzspitze
verriet ihre Unzufriedenheit, wobei sie sich selbst nicht darüber
im Klaren war, ob sich ihr Unmut gegen Thrinidates wendete oder gegenüber
ihren Gemahl, der sie in diese missliche Lage gebracht hatte. Drachen waren
nun einmal unsagbar stolze Kreaturen und es hatte sie ein großes
Maß an Überwindung gekostet, den Meistermagier in dieser Angelegenheit
aufzusuchen. Doch hatte er ihr die buchstäblich goldenen Brücken
gebaut und hatte einen Kompromiss angeboten, den auch der stolzeste Drache
in dieser Situation eigentlich nicht ablehnen konnte.
Sie setzte sich auf ihre Hinterbeine und blickte durch das weit
geöffnete Fenster in das düstere Arbeitszimmer direkt in die
Augen des Alicorns. Es war nicht Unhöflichkeit oder gar Ablehnung
der Grund dafür, dass Thrinidates seine Besucherin nicht herein gebeten
hatte - es lag schlichtweg an Orolyths Größe. Zwar waren die
Eingangshalle und das pompöse Stiegenhaus, ja sogar die Kellergewölbe
groß genug, dass darin ein ausgewachsener Drache genügend Platz
finden konnte, aber nicht die einzelnen Zimmer. Außerdem hatte es
auch Orolyth vorgezogen, lieber im hellen Sonnenlicht zu sitzen als in
der kahlen, kühlen Eingangshalle. Daher unterhielten sich Alicorn
und Drachin durch das Fenster.
"Also, mein Gemahl soll Dir für eine bestimme Zeit als Dein
Sklave dienen und im Gegenzug nimmst Du den Fluch von ihm und wir dürfen
uns, bis unser Nachwuchs groß gezogen ist, auf Deinem Grundstück
einrichten?"
Thrinidates lächelte: "Es wäre mir eine große Ehre,
wenn auf meinem Grund und Boden neue Drachen das Licht der Welt erblickten,
in der Tat. Du hast den dichten Wald gesehen, er würde genug Nahrung
und Schutz für Euch bieten. Aber es stimmt nicht, dass Dein Gemahl
mir als Sklave dienen soll. Er soll mir nur bei einigen Aufgaben
behilflich sein, seine helfenden Tatzen geben, um es so auszudrücken."
Orolyth schnaubte auf: "Du kannst Dir nicht vorstellen, wie stur
Petrion sein kann. Sein Stolz geht ihm über alles, mit Mitteln der
Vernunft wird man nicht zu ihm durchdringen können. Allerdings habe
ich auch keine Lust, ihn anzubetteln, auf Deinen Vorschlag einzugehen."
Ihre Augen blitzten und sie fügte grollend hinzu: "Außerdem
habe ich ihm klipp und klar gesagt, dass er mich erst dann wieder zu Gesicht
bekommt, wenn er Vernunft angenommen hat."
Thrinidates seufzte. Nicht nur Petrion war stolz und stur. Drachen
eben. Er trank die Tasse leer und erhob sich.
Aus einer eleganten Glasvitrine holte er eine etwa kürbisgroße
Kristallkugel und stellte sie auf einen kleinen, mit Runen verzierten Holztisch.
Er murmelte einige Worte und blickte konzentriert in die Kugel,
in der sich langsam ein Bild manifestierte. Gespannt blickte ihm die Drachin
über die Schulter und schnaubte überrascht einen Rauchkringel
aus ihren Nüstern, als sie ihren Gemahl erblickte. Es war ein trauriger
Anblick. Der einstmals so stolze Drache lag am Boden und sprach mit zwei
Menschen, einer jungen, südländisch aussehenden Frau und einem
Mann, während freche Krähen mit scharfen Schnäbeln immer
wieder auf die leuchtend rote Erdbeere, die einst eine Schweifquaste gewesen
war, einhackten. Auch andere Waldbewohner taten sich gütlich an dieser
Frucht.
"Ich denke mal", kommentierte Thrinidates das Geschehen, "Du brauchst
ihn gar nicht lange überreden, zur Vernunft zu kommen. Das tun schon
diese beiden Menschen und, ohne es zu wissen natürlich, die Krähen."
Thrinidates räumte die Kugel wieder an den für sie vorgesehenen
Platz, nicht ohne sie zuvor mit einem Lederlappen rituell gesäubert
zu haben und fuhr fort: "Petrion wird mir schon sehr bald einen Besuch
abstatten. Du kannst Dir in dem Wald schon einen geeigneten Unterschlupf
suchen. Ich verspreche Dir, Orolyth, es wird alles in Ordnung kommen."
Die Drachin nickte und trat einige Schritte zurück. Sie nickte
Thrinidates huldvoll zu und wandte sich in einer eleganten, fließenden
Bewegung, die dem Alicorn vor Bewunderung den Atem stocken ließ,
um. Mit ihren Hinterbeinen stieß sie sich ab und schwang sich mit
kraftvollen Flügelschlägen hoch in den wolkenlosen Himmel.
Thrinidates blickte Orolyth hinterher, bis von ihr nur noch ein
winziger, unbedeutender Punkt zu sehen war, und machte sich anschließend
an die Arbeit. Er wusste, dass er spätestens am nächsten Tag
noch einmal Besuch haben würde und er wusste auch, dass das Brauen
des entsprechenden Antidots weitaus aufwendiger und komplizierter sein
würde als die Erstellung des ursprünglichen Erdbeerschutzmittels.
***
Diese unglaubliche Respektlosigkeit, mit der man ihm begegnet war,
nagte an seinem Drachenstolz und wütend stieß er mehrere Feuersalven
gegen die Krähen, die ihm nach wie vor nachstellten, aus. Der Geruch
verbrannter Federn verriet ihm, dass seinem Zorn der eine oder andere Plagegeist
zum Opfer gefallen war, doch sofort tauchten buchstäblich aus dem
Nichts neue, gefiederte Störenfriede auf. Die Worte Anselmos hatten
sich in sein Gehirn gebrannt: "Nur ein Meistermagier kann diesen Fluch
lösen."
Petrion wusste so gut wie jedes andere Wesen auch, dass es keinen
Magier gab, der an die Fähigkeiten Thrinidates heranreichen konnte.
Doch Petrion war nun einmal ein Drache. Unmöglich konnte er zu diesem
Magier gehen, der zu allem Überfluss auch noch eine Art Pferd war,
zwar geflügelt und gehörnt - und mit Zauberkräften obendrein
versehen, aber immer noch im Grunde nach ein Pferd. Nein, es musste doch
einen anderen Weg geben.
Petrion konnte keinen klaren Gedanken fassen, während er ziellos
über Wälder und Wiesen unter ihm flog. Immer wieder erschien
ihm das Bild seiner geliebten Orolyth. Würde er sie wiedersehen? Würde
sie zu ihm zurückkehren? Er liebte sie über alles und er wollte
sie nicht verlieren - um keinen Preis der Welt. Doch sie hatte ihm klar
gemacht, was sie von ihm und seinem Verhalten hielt und sie ließ
ihm praktisch keine andere Wahl - wenn er sie wieder sehen wollte. Doch
einfach war es nicht. Andererseits, momentan war nicht mehr viel von seinem
Stolz und seiner Würde geblieben: Die Menschen hatten die Unverfrorenheit
besessen, ihn zu verspotten, ja ihn tatsächlich zu berühren -
das klang besser als ein Stück aus seiner Schweiferdbeere zu schneiden
-, er litt Hunger, weil er kaum mehr Beute schlagen konnte und zu allem
Überfluss verbreitete ein dahergelaufener fahrender Händler Halbwahrheiten
und Unrichtigkeiten über den Drachen, die ebenfalls seinem Ruf schadeten.
So konnte es nicht weitergehen. Nur, was sollte er tun? Zu dem Anwesen
des Zauberers fliegen, an der Tür klopfen und sagen: "Hallo, ich bin
der Drache, der Deine Erdbeeren gefressen hat. Bitte vergib mir und nehme
diesen Fluch von mir."
Das würde vielleicht ein Mensch tun, oder dieser Schakal von
einem Händler, aber niemals ein stolzer Drache. Eine andere Option
wäre natürlich, Teile des Anwesens in Schutt und Asche zu legen,
den Zauberer aus seinen schützenden Mauern herauszuholen und ihn unter
Anwendung geeigneter Maßnahmen zur Rücknahme des Fluches zu
bewegen. Bestimmt war auch ein Meistermagier nicht besonders hitzebeständig
oder aber der Meistermagier würde es mit hoher Wahrscheinlichkeit
nicht besonders schätzen, wenn scharfe Drachenkrallen sein makelloses
Fell durchfurchen würden oder gar das Horn abgebrochen würde...
Petrion verwarf diesen Gedanken sofort wieder. Ein solcher Akt der
Rohheit könnte sich weiter negativ auf seinen Ruf auswirken und abgesehen
davon, wenn Thrinidates nur halb so mächtig war, wie alle behaupteten,
würde sich das Alicorn mit Sicherheit zu wehren wissen. Und selbst
wenn es Petrion gelingen würde, in einem Kampf den Zauberer zu besiegen,
welchen Nutzen hätte das schon? Thrinidates würde eher sterben
als ihm zu helfen und er würde für alle Zeiten als Erdbeerdrache
das Gespött der ganzen Welt sein. Nein, diese Option war keine und
daher dachte Petrion weiter über seine Situation nach.
Vor lauter Sinnieren bemerkte er gar nicht, wie er auf Thrinidates
Anwesen zusteuerte.
Endlich hatte Petrion sich einen Plan zurechtgelegt, als er landete.
Immer wieder hatte er mögliche Entschuldigungen formuliert, diese
kurz überdacht und dann verworfen. Es war eine delikate Angelegenheit,
denn schließlich war der Drache es gewesen, der dem Alicorn Schaden
zugefügt hatte, auch wenn es sich nur um Erdbeeren gehandelt hatte.
Der Zauberer hatte daraufhin nur eine Maßnahme ergriffen, sein Eigentum
zu schützen, indem er dem Erdbeerdieb eine ordentliche Lektion erteilte.
Andererseits gehörte der Zauberer aber einer Spezies an, die von Standpunkt
der natürlichen Ordnung aus an sich Beutecharakter hatte.
Leise seufzend setzte Petrion ein wenig unbeholfen auf. Er würde
den Zauberer aus seiner Behausung heraus bitten, um den entwürdigenden
Akt des Entschuldigens so schnell wie möglich hinter sich zu bringen
- hoffentlich wurde er dabei von niemandem beobachtet.
Petrion hatte noch nicht einmal seine Flügel ordentlich hinter
seinem Rücken gefaltet, als Thrinidates bereits vor ihm stand.
"Wie schön, der Erdbeerdrache ist schließlich doch noch
zu mir gekommen. Und da Du mich so inständig um Verzeihung für
Deinen Frevel an meinen Erdbeerpflanzen bittest, will ich Dir vergeben.
Doch Strafe muss sein, bevor ich den Fluch von Dir nehmen kann."
"Wie? Was? Ich...", stammelte Petrion verwirrt.
Thrinidates eigenartige Begrüßung hatte ihn völlig
aus dem Konzept gebracht und trotzdem tat ihm das Alicorn einen unschätzbar
großen Gefallen damit. Auf diese Weise konnte Petrion sein Gesicht
vor dem Magier wahren, da er nun nicht von sich aus um Verzeihung bitten
musste. Aber jetzt wartete Thrinidates auf eine entsprechende Antwort.
"Ja... in der Tat."
Petrion versuchte eine möglichst reuevolle Miene aufzusetzen,
was ihm jedoch gründlich misslang. Aber nun war es endlich ausgestanden.
Thrinidates lächelte: "Siehst Du, das was doch gar nicht so
schwer. Und wie der Zufall so will, bin ich gerade dabei, ein entsprechendes
Gegenmittel zu brauen, damit Du bald wieder Deine ursprüngliche, prachtvolle
Gestalt zurückerhältst."
"Wirklich? Das ist nett von Dir."
Petrions Miene hellte sich auf. Bald würde er wieder ein normaler
Drache sein, seine geliebte Orolyth würde zu ihm zurückkommen
und er hatte sein Gesicht vor diesem Alicorn gewahrt.
"Nicht so hastig, mein Freund", dämpfte Thrinidates Petrions
Euphorie. "Du erinnerst Dich? Ich habe auch von Bestrafung gesprochen.
Ohne die geht es nicht, mein Freund."
"Wieso? Bin ich nicht schon gestraft genug gewesen? Sieh mich doch
mal an! Autsch!"
Genau diesen Augenblick hatten Petrions ständige Begleiter
ausgesucht, um sich erneut an seiner Quastenbeere zu verköstigen.
Außerdem riss ein weißfelliges Hermelin kleine Stücke
aus der sich gerade wieder regenerierenden Erdbeere.
"Ja, ich sehe schon. Darum liegt es sicherlich in Deinem Interesse,
so bald wie möglich Buße zu tun, denn die Absolution wird die
Aufhebung des Fluches sein."
"Also schön", lenkte Petrion verzagt ein. "Was verlangst Du
von mir zur Sühne?"
"Sei nicht so theatralisch, mein Freund. Du sollst mir ein wenig
Deine Drachenstärke zur Verfügung stellen, Deine Kraft und Ausdauer.
Mehr verlange ich gar nicht von Dir. Warte hier."
Einen Augenblick später kehrte Thrinidates mit einer großen,
noch ungebrauchten Sense zurück. Er machte eine vage Geste in Richtung
des Erdbeerfeldes.
"Siehst Du das hoch gewachsene Unkraut am Feldrand und in der daran
angrenzenden Wiese? Das muss alles weg. Ich reagiere allergisch, wenn ich
mit dem Unkraut in Berührung komme und auf magische Weise bekomme
ich es nicht weg."
Petrion glotze ungläubig. Er war sich nicht sicher, ob er richtig
verstanden hatte, was der Magier von ihm verlangte.
"Was ist?" fragte Thrinidates und drückte dem verdutzten Drachen
die Sense in die Tatze.
Da, wie bei jedem anderen Drachen auch, seine Daumenkralle den vier
Fingerkrallen gegenüberstand, konnte Petrion genauso geschickt etwas
greifen oder ein Werkzeug gebrauchen wie jedes andere anthropomorphe Geschöpf.
"Schau mich nicht so entgeistert an. Du nimmst jetzt diese Sense
in die Hand und mähst das Unkraut."
Petrion konnte nicht mehr länger an sich halten: "Ja, wer bin
ich denn?" rief er aus.
Thrinidates duckte sich geschickt unter dem aus Versehen ausgestoßenen
Feuerstrahl weg und erwiderte gelassen: "Ein verzauberter Drache, der seiner
eigenen Gier zum Opfer gefallen ist. Und jetzt legt es dieser Drache offensichtlich
auch darauf an, seinem eigenen Stolz zum Opfer zu fallen."
Das hatte gesessen. Petrion grummelte etwas Unverständliches
vor sich hin und machte sich dann schließlich an die Arbeit, während
Thrinidates in das Haus zurückkehrte, um nach dem Gebräu zu sehen,
das mittlerweile kurz vor seiner Vollendung stand.
Die Sonne stand schon tief am Horizont, als Petrion ein wenig außer
Atem die Sense an die Hauswand lehnte.
"Komm, reinigen musst Du sie schon noch, Du Schlamper", wies ihn
Thrinidates an, der wieder plötzlich aufgetaucht war.
Der Magier machte sich sofort daran, die Arbeit des Drachens zu
kontrollieren und stellte hoch erfreut fest, dass Petrion das gemähte
Unkraut feinsäuberlich auf einem großen Komposthaufen zusammengetragen
hatte.
"Brav, Brav", lobte der Magier und bedeutete dem Drachen, ihm ins
Haus zu folgen.
"Weißt Du übrigens, was für eine prächtige
und kluge Gefährtin Du hast? Aurylia, oder wie war doch gleich ihr
Name?"
"Orolyth", entgegnete der Drache und kniff seine Augen zu engen
Schlitzen zusammen. "Wie kommt es, dass Du meine Gefährtin kennst?"
"Ach, nur flüchtig. So, da wären wir. Gleich löse
ich den Fluch."
Sie standen vor Thrinidates verschlossenem Arbeitszimmer und gerade
so als ob ihm etwas einfiel, schlug sich das Alicorn mit flacher Hand auf
die Stirn: "Ach, wie dumm von mir, ich habe tatsächlich noch eine
wichtige Zutat vergessen. Schaust Du rasch mit in den Keller und hilfst
mir suchen? Ich lagere meine Vorräte dort unten."
"In den Keller?" Petrion blickte den Magier zweifelnd an. "Ist da
überhaupt Platz für mich unten?"
"Bestimmt", lächelte Thrinidates und stieg vor dem Drachen
die Treppe hinab.
"Ach Du meine Güte! Wie sieht es denn hier aus?" entfuhr es
dem Drachen, der in seiner Höhle stets peinliche Ordnung hielt. Schließlich
verabscheuten Drachen nichts mehr als Unordnung.
"Ja, das habe ich ganz vergessen, ich war hier schon so lange nicht
mehr unten. Ich fürchte, das wird nun eine kleine Ewigkeit dauern,
bis wir in dem Durcheinander die fehlende Zutat finden", sagte Thrinidates
verlegen.
"Was für eine Zutat soll das eigentlich sein?" fragte Petrion
und hatte ein ungutes Gefühl.
"Eine Buchecker", erwiderte Thrinidates leichthin. "Irgendwo habe
ich hier noch eine rumliegen gehabt."
"Eine Buchecker? Das ist jetzt nicht Dein Ernst, oder? Warum nicht
gleich eine Backerbse?" maulte der Drache und sah zu, wie sich Thrinidates
abmühte, eine schwere Holztruhe zur Seite zu schieben. Er nieste heftig,
als eine Staubwolke in seine Nüstern geriet.
"Eine Backerbse? Eigentlich keine schlechte Idee. Aber ich habe
keine mehr, soweit ich mich erinnere. Aber die Buchecker ist hier unten
irgendwo. In einem kleinen, ovalen Döschen", antwortete das Alicorn
und fügte dann beiläufig hinzu: "Wenn hier unten mal aufgeräumt
wäre, das ganze Gerümpel hier verschwunden wäre, dann würde
man viel leichter und schneller etwas finden."
Petrion nickte stumm und sah weiterhin Thrinidates bei der Arbeit
zu. Offensichtlich hatte er den dezenten Hinweis nicht verstanden. Das
Alicorn seufzte und fuhr im Plauderton fort: "Ich bin zwar ein mächtiger
Zauberer, aber leider ist es mir bis zum heutigen Tage nicht gelungen,
einen Zauberspruch zu finden, der mir hilft, Ordnung zu halten. Das ist
ganz ähnlich wie mit dem Unkraut draußen im Garten."
"Ach so?" kommentierte Petrion und ließ sich dazu herab, mit
der linken Klaue einen Stapel Holzbretter beiseite zu schieben, damit Thrinidates
dahinter nach der Buchecker suchen konnte.
"Da fällt mir ein, was ich Dich noch fragen wollte. Sind eigentlich
alle Drachen so... wie soll ich sagen... so stolz?" führte das Alicorn
die etwas einseitige Konversation munter weiter.
"Stolz?" Petrion posierte ein wenig prahlerisch, soweit das in dem
unaufgeräumten Kellergewölbe und vor allem in der gegenwärtigen
erbarmungswürdigen Gestalt möglich war.
"Nun ja, wenn man nicht gerade ein Erdbeerdrachen ist, so wie Du
eben", fügte Thrinidates rasch hinzu.
Das hatte gesessen.
"Was? Nun, wir Drachen sind nun mal die prachtvollsten und stärksten
und weisesten Geschöpfe auf dieser Welt, egal was andere, uns unterlegene
Spezies, auch immer behaupten. Und nun mach schon, ich will endlich wieder
meine richtige Drachengestalt haben. Außerdem habe ich durch den
Staub hier schon einen ganz rauen Hals."
"Wenn Du mir suchen helfen würdest, wären wir vielleicht
schon längst dabei, den Trank zu vollenden", gab Thrinidates freundlich
zurück und fuhr fort: "Weißt Du, ich habe deshalb gefragt, weil
ich vor einiger Zeit einmal einen Drachen in Not bei mir aufgenommen hatte."
"Ein Drache in Not? Und der kommt zu einem aufrecht gehenden Pferd
mit einem Horn auf der Stirn und einem Paar Federflügel?" erkundigte
sich Petrion verächtlich. "Wahrlich, weit haben es manche Drachen
gebracht. Und, was war mit dem?"
"Nun ja. Er war eines der prachtvollsten Geschöpfe, die ich
bis damals je zu Gesicht bekommen hatte. Darauf war er zu Recht stolz.
Nur leider ging sein Stolz soweit, dass er jede Hilfe zur Selbsthilfe ablehnte."
"Wie meinst Du das?"
"Nun ja, ich riet ihm, sich eine Beschäftigung zu suchen, damit
er nicht vor Langeweile in Trübsal verfällt. Ich selber hätte
genügend Aufgaben für ihn gehabt, als er seine Zeit bei mir verbrachte,
aber er hatte das geflissentlich ignoriert und es vorgezogen, sich stattdessen
in ein abgelegenes Zimmer zurückzuziehen und Trübsal zu blasen.
Ein befreundeter Kaufmann, den ich aufsuchte, weil ich - ich erinnere mich
daran noch so gut als ob das Ganze erst gestern gewesen wäre - ein
wenig Zauberöl und einige magische Kerzen für ein Experiment
benötigt hatte, erzählte mir, dass er händeringend nach
einer Hilfskraft suchen würde. Natürlich dachte ich da gleich
an meinen Gast und hocherfreut gab mir der Händler etwas mit für
den Drachen. Aber meinst Du, mein Gast hätte auch nur das geringste
Interesse daran gezeigt? Er hätte nur auf einige Fragen dieses Kaufmanns
antworten müssen. Aber das lag anscheinend unter seiner Würde."
"Das ist nicht schön, wenn er seine Dankbarkeit, dass er bei
Dir bleiben durfte, auf diese Weise gezeigt hat. Und was ist dann passiert?"
"Nun ja", erwiderte Thrinidates leichthin, "da ich selbst ein hoch
beschäftigter Meistermagier bin, konnte ich mich nicht viel mit ihm
beschäftigen. Er hat sich dann in seine eigene Höhle zurückgezogen.
Man sagt, er sei an seinem eigenen Stolz zugrunde gegangen."
Petrion sog geräuschvoll die Luft ein: "Also gut", sagte er
leise, denn diesen Wink mit dem Zaunpfahl hatte er sehr wohl verstanden.
"Trete beiseite, ich helfe Dir. Alles verbrennen?"
"Verbrennen? Nein, um Gotteswillen, nein!" rief Thrinidates und
hob abwehrend die Hände.
"Hier unten sind auch Schriften, Bücher und Folianten von unschätzbarem
Wert. Wenn Du mir wirklich helfen möchtest, dann würde ich Dich
bitten, all diese Truhen und Kisten ins Freie zu bringen. Auch das Gerümpel,
das hier überall herumliegt. Dann können wir sehen, was man davon
alles wegwerfen kann und ich bin mir sicher, dass wir auf diese Weise die
Buchecker auch weitaus schneller finden werden."
Petrion blickte zweifelnd auf die nächstbeste Truhe. Sie war
aus massivem Eichenholz gefertigt, verstärkt durch mehrere Riemen
aus Eisen. Sie machte einen sehr schweren Eindruck.
"Leider funktioniert mein Levitationszauber nicht, da dieser im
Zusammenhang mit Ordnungmachen stehen würde", erklärte Thrinidates
und fügte dann leise hinzu: "Aber für einen Drachen mit seinen
gewaltigen Kräften müsste das doch das reinste Kinderspiel sein.
Ich könnte mir vorstellen, dass jede Kuh, die so ein Drache als seine
Beute in seine Höhle schleppt, weitaus schwerer ist als irgendeiner
der Gegenstände hier."
Der Mond schien hell vom wolkenlosen Nachthimmel. Zusätzlich
spendeten unzählige magische Leuchtkugeln, die Thrinidates erschaffen
hatten, Licht.
Der Drache hatte tapfer Kiste um Kiste, zahllose Truhen, Alteisen
und andere schwere Gegenstände aus dem Keller ins Freie geschafft.
Erschöpft und enttäuscht ließ er sich auf den Boden neben
dem Gerümpel plumpsen, denn die Buchecker hatten sie freilich nicht
gefunden.
"Kopf hoch, mein Freund. Ich bin zuversichtlich, dass wir sie noch
finden werden. Ich würde vorschlagen, dass Du in all diesen Kisten
hier suchst. Räume am Besten alles aus und schaue genau nach. Wenn
Dir dabei Dinge auffallen, die man nicht mehr gebrauchen kann, dann lege
diese am Besten auf einen eigenen Haufen. Ich selber werde mich nun im
ausgeräumten Keller noch einmal gründlich umsehen", teilte das
Alicorn munter die Arbeit auf und schnippte mit den Fingern.
Aus dem Nichts tauchten ein gefüllter Wassereimer, mehrere
Putzlappen und ein großer Besen auf. Thrinidates griff danach und
erklärte: "Und wenn ich schon gerade mal den Keller so schön
leer habe, dann kann ich dort auch gleich ein wenig sauber machen."
"Aber... was ist mit dem Gegenmittel?" fragte Petrion unglücklich
und reckte seinen Schweif. Jetzt erst fiel ihm auf, dass schon seit längerer
Zeit kein Quälgeist mehr an seiner Erdbeerquaste geknabbert hatte.
"Gemach, gemach, mein Freund. Alles zu seiner Zeit: Aufräumen,
Buchecker finden und dann der Trank, nicht wahr?"
Noch bevor der Drache erwidern konnte, war das Alicorn mit den Putzutensilien
wieder im Haus verschwunden. Seufzend machte sich Petrion ans Werk und
öffnete die erste Truhe.
Die Arbeit entpuppte sich für Petrion als gar nicht einmal so
unangenehm, wie dieser zunächst befürchtet hatte. Akribisch schlichtete
er Bücher und Gewand, irgendwelche Utensilien und allerlei andere
Dinge wieder zurück in Truhen und Kisten. Die Buchecker war ihm allerdings
noch nicht unterkommen. Es gab noch ein anderes Problem, das Petrion zu
schaffen machte: Zwar hatte ihm Thrinidates aufgetragen, Dinge, die nicht
mehr benötigt wurden, sofort auszusondern, doch, woher sollte ein
Drache wissen, was ein Magier in Zukunft noch gebrauchen konnte oder nicht.
Kaputtes und Angeschlagenes, das war eindeutig und Petrion hatte bereits
einen beträchtlichen Stapel mit nutzlosem Abfall angehäuft. Doch
bezüglich des Restes würde er Thrinidates fragen müssen.
Der Inhalt zweier schwerer Holztruhen hatte ihn besonders fasziniert.
In der einen waren dutzende, wenn nicht gar hunderte silbern glänzende
Scheiben gelagert, allesamt mit dem gleichen Durchmesser, der circa zwölf
Zentimeter messen mochte, und alle hatten ein gleich großes Loch
in der Mitte. Im Mondlicht glitzerten und funkelten diese Scheiben wie
Diamanten und Petrions Sammelinstinkt war geweckt worden. In der anderen
Truhe waren ebenfalls Scheiben gelagert, nur dass diese weitaus größer
und aus einem anderen Material gefertigt waren. Die meisten von ihnen waren
schwarz und glänzten im Gegensatz zu den Silberscheiben nicht.
"An die habe ich gar nicht mehr gedacht", ließ sich eine bekannte
Stimme vernehmen.
Petrion zuckte zusammen. Erneut war Thrinidates neben ihm aufgetaucht,
ohne dass der Drache etwas von dem Nahen des Alicorns bemerkt hatte.
"Was ist das?" fragte der Drache. "Ich habe so etwas noch nie gesehen,
aber es sieht wunderschön aus."
"Das ist eine besondere Art Zauber, eine der wenigen Zauber, zu
denen das Menschengeschlecht fähig ist", erklärte Thrinidates
und nahm aus beiden Truhen jeweils eine Scheibe heraus.
"Auf beiden ist Musik enthalten und mit einer bestimmten Apparatur,
die ebenfalls von Menschenhand geschaffen wurde, kann man die Töne,
die auf diesen Scheiben enthalten sind, zum Leben erwecken. Wenn Du magst,
kann ich Dir das später vorführen."
Petrion schüttelte den Kopf: "Es würde mich interessieren,
aber ich... nun, ich würde gerne den Fluch gelöst haben."
"Das kann ich verstehen", entgegnete Thrinidates. "Und ich habe
eine gute Nachricht für Dich. Ich habe die Buchecker gefunden und
der Trank ist bereits fertig. Er muss nur noch auskühlen. Vorher müssten
aber diese ganzen Sachen wieder in den..."
"Ich habe schon verstanden", erwiderte Petrion resigniert.
"Warte noch!" bremste ihn der Magier, als der Drache sich die erste
Truhe geschnappt hatte.
Eilig musterte das Alicorn noch etliche Gegenstände aus, die
es mit Sicherheit nicht mehr benötigen wurde.
"Siehst Du, mein Freund, jetzt ist es nicht mehr so viel, was in
den Keller zurückgehört. Den Rest hier", Thrinidates deutete
mit einer lässigen Handbewegung auf einen zu einem auf recht stattliche
Größe angewachsenen Stapel, "würde ich Dich bitten, morgen,
nachdem Du Deine richtige Gestalt wieder erlangt hast, mit Deinem mächtigen
Feueratem restlos zu vernichten. Und diese beide Truhen hier, die lass
mal in der Eingangshalle stehen."
***
Während Petrion die Truhen und Kisten wieder in das mittlerweile
vor Sauberkeit blitzende Kellergewölbe brachte, pflückte Thrinidates
im Schein des silbernen Mondlichts einundzwanzig Erdbeeren. Behutsam legte
er sie in eine kupferne Schüssel und brachte sie in sein Arbeitszimmer.
Dort füllte er mit geschickten Bewegungen das gebraute, geruchsneutrale
Gegenmittel in die zuvor aufs Gründlichste gereinigte Gartenspritze
und besprühte die prallen, roten Früchte mit einem feinen Nebel,
immer und immer wieder.
Er hatte genug von dem Antidot gebraut, um damit später sein
gesamtes Erdbeerfeld zu behandeln, wohl wissend, dass der Drache nie wieder
sich ungefragt an seinen Früchten gütlich tun würde.
Die Erdbeeren glänzten vor Feuchtigkeit, als sie Thrinidates
in die große Vorhalle brachte. Der Drache war immer noch damit beschäftigt,
den Keller wieder einzuräumen und das Alicorn lauschte befriedigt
den Geräuschen der harten, körperlichen Arbeit, während
es einen bizarr anmutenden Apparat aufbaute.
Petrion kam gerade die Treppe hoch, als Thrinidates die letzte der
beiden Truhen mit den runden Scheiben neben dem Apparat in Position gebracht
hatte.
"Fertig", keuchte Petrion und ließ sich ermattet auf seinen
Bauch plumpsen.
"Das hast Du gut gemacht", lobte der Magier und konnte der Versuchung
nicht widerstehen, dem Drachen mit weicher Hand sanft über die schuppige
Schnauzenspitze zu streicheln.
Petrion war viel zu müde, um darüber empört zu sein.
Der herrliche verführerische Duft von frischen Erdbeeren erreichte
die Drachennüstern.
"Hier, die sind für Dich, mein Freund", bot sie der Magier
dem Drachen an.
Misstrauisch schnupperte Petrion über die Früchte. Gier
blitzte trotz der bleiernen Müdigkeit in seinen Augen auf und doch,
etwas ließ ihn zögern.
"Ich habe getan, was Du wolltest", sagte er leise. "Nimm bitte den
Fluch von mir."
"Aber das will ich doch gerade tun", entgegnete Thrinidates ein
wenig verwundert.
Eigentlich hatte der Zauberer damit gerechnet, dass sich Petrion
ohne langes Zaudern sofort über die Erdbeeren hermachen würde.
Hatte die ihm erteilte Lektion tatsächlich sogar die drachentypische
Gier ausgetrieben?
"Du musst die Schale leeren, ich habe die Erdbeeren mit dem Gegenmittel
behandelt. Und während Du die Erdbeeren genießt, führe
ich Dir den Menschenzauber vor."
Immer noch ein wenig skeptisch griff Petrion nach der ersten Frucht
und führte sie an sein Maul, während der Magier eine der silbernen
Scheiben in eine Lade auf der Stirnseite dieses eigentümlichen Apparates
einlegte.
Augenblicklich war der Raum erfüllt von harmonischen Klängen,
die dem Drachen offenbar gefielen, denn er zuckte vor Verzückung mit
seiner Schweifspitze, die immer noch eine Erdbeerquaste war.
"Iss nur, iss. Die müssen alle weg. Und wenn Du später
noch mehr Erdbeeren willst, kannst Du gerne noch welche haben", forderte
ihn das Alicorn auf.
"Diese Scheiben und den Apparat kannst Du, wenn Du magst, Deinem
Hort hinzufügen. Ich habe keine Verwendung mehr für diese Dinge."
Doch die Worte des Magiers drangen an Petrions Ohren nur noch wie
durch einen Schleier. Eine bleierne Müdigkeit hatte den Drachen befallen
in dem Augenblick, als er die letzte Erdbeere zerkaut und geschluckt hatte.
Eine wohlige Wärme umhüllte den Drachenleib, als Thrinidates
eine Formel rezitierte und schließlich leise sagte: "Schlaf Dich
gesund, mein Freund. Und wenn Du erwachst, dann habe ich eine Überraschung
für Dich."
Petrion wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte. Doch zum ersten
Mal seit wie es ihm schien einer Ewigkeit, wachte er auf, ohne die pickenden
und beißenden Schmerzen an seinem Schweifende zu spüren. Auch
drang kein zänkisches Gekrächze mehr an sein Gehör, dafür
wurde seinen Nüstern ein Duft zugetragen, dezent und doch so verlockend.
Ein Duft, wie ihn Petrion schon so lange nicht mehr gerochen hatte und
den er doch so sehr schon vermisst hatte.
Gleichzeitig fühlte er eine zärtliche Nähe, nach
der er sich insgeheim so sehr verzehrt hatte.
Langsam öffnete er seine Augen und blickte in die Augen seiner
Gefährtin, die ihre Schnauzenspitze liebevoll gegen die seine gedrückt
hatte.
"Endlich bist Du wieder Du selbst geworden. Endlich ist mein Petrion,
der stolze Vater unseres Nachwuchses, zurückgekehrt."
Noch ein wenig benommen richtete sich Petrion auf. Zaghaft bewegte
er seinen Schweif hin und her - das Gefühl war ein völlig anderes
als in den letzten Tagen, in denen die Quaste jene prachtvolle Erdbeere
gewesen war. Vorsichtig warf er einen Blick über seine Schulter zurück.
Sie war weg! Petrions Herz machte einen Freudenhüpfer. Anstatt der
lästigen Frucht endete sein Schweif wieder wie früher in einer
geschmeidigen, eleganten Quaste.
Orolyth lächelte ihn an: "Du bist wirklich wieder ganz der
Alte. Und so gefällst Du mir auch am besten."
Zärtlich küsste sie ihren Liebsten, doch dann blickte
sie ihm direkt in die Augen.
"Ich hoffe aber", begann sie mahnend","dass diese Geschichte für
Dich eine Lehre sein wird. Dass Du in Zukunft die Finger von verbotenen
Früchten lässt. Hier! Thrinidates hat vor der Höhle ein
Pfund Erdbeeren für Dich hingestellt. Dir missgönnt ja keiner
Deine Erdbeeren. Aber lerne sie zu schätzen und verschlinge sie nicht
einfach in Deiner Gier."
"Oh, Erdbeeren!" rief Petrion erfreut aus und stürmte aus der
Höhle.
Was für ein prächtiger Morgen. Er hatte seine richtige
Gestalt wieder, keine Plagegeister, die auf ihn herumhackten, eine ordentliche
Portion Erdbeeren und das Wichtigste: Seine geliebte Orolyth war wieder
bei ihm.
"Petrion! Was habe ich Dir gerade gesagt?" tadelte die Drachin,
die neben ihn getreten war und zusah, wie der Drache die Erdbeeren mit
gierig blitzenden Augen vertilgte.
"Aber ich wertschätze und genieße sie doch", schmatzte
Petrion und sein Schweif zuckte vor Verzückung hin und her.
Als er alle Erdbeeren verputzt und die Schüssel fein säuberlich
ausgeschleckt hatte, blickte er sich zufrieden um.
"Wo sind wir eigentlich? Das ist nicht meine Höhle."
"Thrinidates war so nett und hat uns einen Nistplatz zur Verfügung
gestellt. Er wollte unsere Jungen auf seinem Gelände aufwachsen sehen.
Ich habe ihm versprochen, dass Du ihm dafür gelegentlich hilfreich
zur Hand gehst."
"Na toll", grummelte Petrion.
"Komm, stell Dich nicht so an. Thrinidates tut uns schließlich
einen großen Gefallen. Da wird Dir schon kein Zacken aus der Krone
fallen, wenn Du ihm ab und an eine helfende Tatze gibst. Er hat Dir auch
von dem einen Drachen erzählt, den er bei sich aufgenommen hatte?
Wir Drachen müssen doch schließlich alles daran setzen, unseren
guten Ruf zu wahren."
"Du hast ja Recht", sagte Petrion kleinlaut und dann fiel sein Blick
auf die beiden Truhen vor der Höhle und auf die eigenartig anmutende
Apparatur.
"Oh!" rief er freudig aus und öffnete mit raschen Griffen die
beiden Truhen.
"Petrion, was ist das? Diese Sachen hat Thrinidates noch vorbei
gebracht, während Du geschlafen hast. Er meinte, Dir hätte das
gefallen und Du dürftest das behalten."
"Da ist Musik drauf. Schau her."
Voller Enthusiasmus legte Petrion eine der silbernen Scheiben ein
- nicht ohne sich zuvor an den farbigen Reflexionen zu erfreuen, die das
Licht der Morgensonne auf die Scheibenoberfläche zauberte.
"Oh, Orolyth, sieh nur... Da haben einige dieser Scheiben die gleiche
Bezeichnung und eine fortlaufende Nummerierung."
Petrion packte mit Feuereifer die Scheiben aus der Truhe und legte
sie fein säuberlich nebeneinander auf den Boden.
"Da fehlen einige Nummern, wie es den Anschein hat."
Rasch verräumte der die Scheiben wieder und erhob sich.
"Ich werde Thrinidates fragen, ob er die fehlenden Nummern hat oder
weiß, wer sie haben könnte. Ich muss diese Sammlung unbedingt
vervollst..."
"Petrion?!" rief Orolyth und klappte nachdrücklich die Kiste
zu.
"Ja, Liebes?" fragte Petrion unschuldig.
Die Drachin kannte den Blick ihres Gemahles. Jede Faser in seinem
Körper schrie danach, die Sammlung zu vervollständigen. Drohend
senkte Orolyth ihren Kopf und grollte: "Kein übermäßiger
Erdbeergenuss mehr und keine weiteren Silberscheiben - und auch keine weiteren
von diesen schwarzen Scheiben hier: Haben wir uns verstanden?"
"Aber", wagte Petrion den Widerspruch, "nur die paar fehlenden Silberscheiben
mit diesen Nummern?"
"Ich sagte: Keine", schnaubte Orolyth und Petrion wusste,
dass jedes weitere Wort in dieser Angelegenheit sinnlos sein würde,
zumal sich seine Gefährtin gerade anschickte, mit geschickten Bewegungen
die Silberscheibe, die noch in dieser geheimnisvollen Maschine gesteckt
hatte, mit Petrions seidiger Schweifquaste zu verflechten.
© Peter
Lässig
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