Asgir fiel und fiel, in tiefstes Dunkel. Mit der Zeit, die ihm unendlich
erschien, ward das Dunkel durch einen grünlichen Schimmer durchwebt
und in der Ferne blitzte etwas Blaues auf.
Plötzlich fand er sich auf der Zinne eines sehr hohen und in
der strahlenden Sonne blendendweißen Turmes wieder. Er blickte weit
über blaues Meer hinweg, die Gischt der an die steile Felsenküste
brandenden Wogen schäumte weiß, und er vernahm das brausende
Tosen des Meeres und die klagenden Schreie der Seemöwen, welche auf
den Klippen nisteten. Eine leichte Brise frischte auf, und trug eine verspielte
und nachdenkliche Melodei heran.
Von Elgrand unsanft geschüttelt wachte Asgir auf. "Es geht weiter."
Nachdem die Gefährten bereit für die Weiterreise waren
und kärglich gefrühstückt hatten, Zwerge sind ja bekanntlich
sehr geschäftstüchtig und der Wirt ihrer Herberge machte dabei
keine Ausnahme, erkundigte sich Asgir bei Gwildor, wohin er sie denn zu
führen gedachte. "Zunächst müssen wir zum südlichen
Ende des Teklaroth Gebirges gelangen, wobei die Reise auf dem regulären
Weg, zu Fuß oder mit dem Pferd, aber zu lange dauern dürfte,
wir müssen also eine bessere Alternative finden. Ein endgültiges
Ziel kann ich noch nicht benennen, aber vorerst beabsichtige ich, euch
in die befestigte Stadt Torfah zu geleiten." Jaldrin, eine aus Gwalanthäa
stammende elbische Bogenschützin, die sich in der Nähe auf die
Reise vorbereitet, und das Gespräch verfolgt hatte, legte vehementen
Widerspruch ein: "Weshalb dies? Die Zwergenstadt ist doch recht sicher,
waffentragen ist schließlich verboten, und obwohl Midras sicherlich
bald Wege finden wird, uns doch noch in seine Gewalt zu bekommen, falls
wir hier bleiben, ist der Weg nach Torfah mindestens doppelt so gefährlich,
wie hier zu verweilen."
"Du vergisst, dass Midras' Elitekrieger den waffenlosen Kampf beherrschen,
womit wir also wesentlich stärker gefährdet wären als du
denkst, und ich kenne einen relativ sicheren Weg nach Torfah!" entgegnete
Gwildor. "Auch wir sind erfahrene Kämpfer!" Erwiderte Jaldrin, welche
sich in ihrem Stolz getroffen fühlte. "Hast du jemals Laedronische
Kämpfer bei der Ausübung des Iana-Dae gesehen?" fragte Gwildor
zweifelnd. "Nein", gab Jaldrin zu. "Dann lasse Dir eines gesagt sein: Diese
Kampftechnik ist tödlicher als manche Waffe, und die Laedron sind
Meister in ihrer Ausübung!" Mit diesen Worten wendete sich Gwildor
ab und schritt von dannen, Jaldrin blickte ihm ärgerlich nach und
widmete sich dann wieder ihren Reisevorbereitungen.
Die Gruppe sammelte sich in einer geräumigen Halle, nicht weit
von der Herberge entfernt.
Als alle anwesend waren, begann Gwildor seine Pläne von der
Reise nach Torfah der Gruppe zu erklären. Als er geendet hatte, richtete
er noch eine Frage an Morwindor: "Morwindor, unser Führer, wie Du
nun weißt, wollen wir möglichst schnell an das Süd-Ende
des Gebirgszuges, und selbst mit Pferden sind wir zu langsam. Du weißt
doch sicherlich einen deutlich schnelleren Weg?" fragte Gwildor in einem
Ton, als ob er schon näheres wüsste. Woraufhin Morwindor kurz
nachdachte und schließlich erwiderte: "Es gibt eine Möglichkeit,
in vier und einer halben Stunde bis an das Südtor zu gelangen, wofür
wir zu Pferd eine halbe Woche benötigen würden. Diese birgt allerdings
ein gewisses Risiko in sich und ist auch sehr teuer!" Bei seinem letzten
Wort zauberte sich ein Lächeln, bei dem er etwas von Risikozulage
murmelte, auf Morwindors Lippen. "Schon vor zwei Generationen wurde von
unseren Vorfahren ein Schnelltransportsystem im Teklaroth- Gebirge installiert,
welches teilweise über- und teilweise unterirdisch verläuft.
Man kann Waren, aber auch Personen besonders schnell an Nord-, Süd-,
Ost-, und West-Ende des Gebirges transportieren. Unkosten pro Fahrt eines
"Wagens", in welchen zehn Personen mit Gepäck passen oder vier Pferde,
von hier ab bis ans Südtor dürften an die achtzig Goldstücke
betragen!" Auf die Gesichter der Gefährten hin, die diese bei der
Nennung solcher Kosten machten, fügte Morwindor an, daß sich
sicherlich noch über den Preis verhandeln ließe.
Gwildor entzog sich der aufkommenden Beschuldigung, die Geldbörsen
seiner neuen Freunde zu sehr zu beanspruchen, mit der Aussage: "Wollt ihr
schnell in Sicherheit gelangen oder nicht?"
Die Entscheidung, das Schnelltransportsystem zu benutzen, fiel den
Gefährten etwas leichter als schließlich ein von Gwildor geladener
Zwerg, der der verantwortliche Zwergenbeamte für die örtliche
Station war, und anbei bemerkt Morwindors Vetter namens Murindor, eine
Gruppenermäßigung von vierzig Goldstücken zuließ.
Mit dem zusätzlichen Versprechen, auch noch Lieferware mitzunehmen,
hatte dann jeder nur noch fünfundzwanzig Goldstücke zu zahlen,
was dem Monatsgehalt eines Minenarbeiters entsprach.
Osgald, der immer zu Scherzen aufgelegt war, bemerkte: "Wenn das
mit unseren "Fluchtgbühren" so weiter geht, hätten wir Midras
nicht berauben müssen!" Aber die anderen waren nicht in solch heiterer
Stimmung und straften ihn mit bösen Blicken.
Allen war klar, dass sie ohne Rücksicht auf Kosten immer die
schnellste Fluchtmöglichkeit nehmen mussten.
Und das Schnelltransportsystem der Zwerge war, wie sich erweisen
sollte, ein, zu recht, teures.
Zunächst aber musste man im Berg selbst sehr hoch hinaufgelangen,
wie ihnen Murindor erklärte, da sich die Station auf der achtzehnten
Ebene, kaum dreihundert Fuß unter dem Gipfel, befand.
Sie selbst befanden sich auf der ersten Oberebene der Zwergenstadt
die sich in siebenundzwanzig Ebenen aufteilte, sieben Unterebenen, die
Erdebene und neunzehn Oberebenen. Wenn man bedachte, dass ein Höhenunterschied
von an die hundertfünfzig Fuß zwischen den Ebenen bestand, hatten
die Gefährten folglich noch ungefähr zweitausendfünfhundert
Fuß Vertikal in die Höhe hinter sich zu bringen. Dies verdross
einige der Gefährten, die keine Lust auf ewiges Treppensteigen hatten,
aber glücklicherweise gab es in Rhôk-Aszinas nicht nur Treppen,
sondern auch für Pferde und Kutschen geeignete Gänge, die als
Verbindungen zwischen den Ebenen dienten. Und so machten sie sich auf,
reitend und über die Kunstfertigkeit der Zwergensteinmetze, die makellose,
glatte Wände in härtesten Fels zu hauen vermögen, staunend.
Die stetige Steigung und der lange Weg waren nicht leicht zu bewältigen,
aber dennoch mussten sie nicht rasten und gelangten recht schnell bis auf
die achtzehnte Ebene.
Die Station war entgegen den Erwartungen der Gefährten
schlicht eingerichtet, ein für die Zwergenstadt üblicher Gang
mündete in den zwei Mann hohen und zwei Kutschen langen wie breiten
Warteraum. Zur Linken befanden sich zwei, für zehn Personen Platz
bietende, steinerne Banken an der Wand, zur Rechten war ein Schalter, der
aber momentan nicht besetzt schien, und direkt gegenüber zu dem Eingang,
durch welchen sie soeben getreten waren, befand sich eine verschlossene
stählerne Tür.
Die Gefährten blickten erwartungsvoll zu Murindor, der nun
mit ernster Miene vortrat, um etwas zu sagen.
"Es ist euch allen bekannt, was euch hinter dieser Tür erwarten
wird, aber ich will euch eindringlich davor warnen, die Bahnen, auf welchen
die Wagen sich bewegen, zu betreten, das kann tödlich enden!" sagte
er in ernstem Ton. "Und nun, gehen wir!" Mit diesen Worten zückte
Murindor einen silbrigen Schlüssel mit ansehnlichem Bart und schloss
die Tür auf, welche daraufhin lautlos und von selbst aufschwang.
Die Halle, die sie nun betraten, war von einem seltsamen Geruch erfüllt,
der an tiefste Schluchten und Bergwerks- Stollen erinnerte, was, in Bezug
auf die Höhe des Ortes, verwunderlich war, und es war auch wärmer
als in den vorigen Räumen.
Asgir schätzte das Gewölbe auf zwei Mann Höhe und
den Bahnsteig, auf welchem sie sich befanden, auf 150 Fuss Länge,
und als er einen der eifrigen Zwerge, die inzwischen die Wagen mit Gepäck
und den Pferden der Gruppe beluden, nach der Funktionsweise des Schnelltransport-Systems
fragte, erhielt er eine kurze und informative Antwort: "Die Wagen werden
mit Hilfe der Lageenergie, die sie hier oben haben, beschleunigt, am Ziel
werden sie dann wieder über Aufzüge in die Höhe gehievt."
Zur Linken befand sich eine grosse Öffnung, durch die eine
Wagenbahn in den Berg hinab führte, und auf eben dieser Bahn
standen auch schon vier Wägen zur Abfahrt bereit.
"Nun denn!" sagte Morwindor laut. "Bezahlt wird vor der Abfahrt!"
Und nachdem alle Gefährten gezahlt hatten verschwand er für eine
Weile hinter einer weiteren stählernen Türe rechts des Einganges.
Als er zurückkam erklärte er den Gefährten, wie sie sich
während der Fahrt zu verhalten hatten, denn aus Sicherheitsgründen
durfte niemand seinen Platz während der Fahrt verlassen, und wies
ihnen ihre Plätze zu.
Als Alles verstaut war und er noch einmal alle Gurte, die Personen,
Tiere und Gepäck befestigten, auf ihre Festigkeit geprüft hatte,
wünschte ihnen Morwindor noch viel Glück auf ihrer Reise und
gab Zeichen zum Lösen der Wagenhalterungen, die die Wagen, solange
sie sich auf einer Station befanden, am wegrollen hinderten.
Gemächlich setzte sich der Zug in Bewegung und rollte auf die
grosse schlundartige Öffnung in der Wand zu.
© Philipp
Morlock
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