Das Falnith von Philipp Morlock
Kapitel IV

Asgir fiel und fiel, in tiefstes Dunkel. Mit der Zeit, die ihm unendlich erschien, ward das Dunkel durch einen grünlichen Schimmer durchwebt und in der Ferne blitzte etwas Blaues auf.
Plötzlich fand er sich auf der Zinne eines sehr hohen und in der strahlenden Sonne blendendweißen Turmes wieder. Er blickte weit über blaues Meer hinweg, die Gischt der an die steile Felsenküste brandenden Wogen schäumte weiß, und er vernahm das brausende Tosen des Meeres und die klagenden Schreie der Seemöwen, welche auf den Klippen nisteten. Eine leichte Brise frischte auf, und trug eine verspielte und nachdenkliche Melodei heran.

Von Elgrand unsanft geschüttelt wachte Asgir auf. "Es geht weiter."
Nachdem die Gefährten bereit für die Weiterreise waren und kärglich gefrühstückt hatten, Zwerge sind ja bekanntlich sehr geschäftstüchtig und der Wirt ihrer Herberge machte dabei keine Ausnahme, erkundigte sich Asgir bei Gwildor, wohin er sie denn zu führen gedachte. "Zunächst müssen wir zum südlichen Ende des Teklaroth Gebirges gelangen, wobei die Reise auf dem regulären Weg, zu Fuß oder mit dem Pferd, aber zu lange dauern dürfte, wir müssen also eine bessere Alternative finden. Ein endgültiges Ziel kann ich noch nicht benennen, aber vorerst beabsichtige ich, euch in die befestigte Stadt Torfah zu geleiten." Jaldrin, eine aus Gwalanthäa stammende elbische Bogenschützin, die sich in der Nähe auf die Reise vorbereitet, und das Gespräch verfolgt hatte, legte vehementen Widerspruch ein: "Weshalb dies? Die Zwergenstadt ist doch recht sicher, waffentragen ist schließlich verboten, und obwohl Midras sicherlich bald Wege finden wird, uns doch noch in seine Gewalt zu bekommen, falls wir hier bleiben,  ist der Weg nach Torfah mindestens doppelt so gefährlich, wie hier zu verweilen."
"Du vergisst, dass Midras' Elitekrieger den waffenlosen Kampf beherrschen, womit wir also wesentlich stärker gefährdet wären als du denkst, und ich kenne einen relativ sicheren Weg nach Torfah!" entgegnete Gwildor. "Auch wir sind erfahrene Kämpfer!" Erwiderte Jaldrin, welche sich in ihrem Stolz getroffen fühlte. "Hast du jemals Laedronische Kämpfer bei der Ausübung des Iana-Dae gesehen?" fragte Gwildor zweifelnd. "Nein", gab Jaldrin zu. "Dann lasse Dir eines gesagt sein: Diese Kampftechnik ist tödlicher als manche Waffe, und die Laedron sind Meister in ihrer Ausübung!" Mit diesen Worten wendete sich Gwildor ab und schritt von dannen, Jaldrin blickte ihm ärgerlich nach und widmete sich dann wieder ihren Reisevorbereitungen.

Die Gruppe sammelte sich in einer geräumigen Halle, nicht weit von der Herberge entfernt.
Als alle anwesend waren, begann Gwildor seine Pläne von der Reise nach Torfah der Gruppe zu erklären. Als er geendet hatte, richtete er noch eine Frage an Morwindor: "Morwindor, unser Führer, wie Du nun weißt, wollen wir möglichst schnell an das Süd-Ende des Gebirgszuges, und selbst mit Pferden sind wir zu langsam. Du weißt doch sicherlich einen deutlich schnelleren Weg?" fragte Gwildor in einem Ton, als ob er schon näheres wüsste. Woraufhin Morwindor kurz nachdachte und schließlich erwiderte: "Es gibt eine Möglichkeit, in vier und einer halben Stunde bis an das Südtor zu gelangen, wofür wir zu Pferd eine halbe Woche benötigen würden. Diese birgt allerdings ein gewisses Risiko in sich und ist auch sehr teuer!" Bei seinem letzten Wort zauberte sich ein Lächeln, bei dem er etwas von Risikozulage murmelte, auf Morwindors Lippen. "Schon vor zwei Generationen wurde von unseren Vorfahren ein Schnelltransportsystem im Teklaroth- Gebirge installiert, welches teilweise über- und teilweise unterirdisch verläuft. Man kann Waren, aber auch Personen besonders schnell an Nord-, Süd-, Ost-, und West-Ende des Gebirges transportieren. Unkosten pro Fahrt eines "Wagens", in welchen zehn Personen mit Gepäck passen oder vier Pferde, von hier ab bis ans Südtor dürften an die achtzig Goldstücke betragen!" Auf die Gesichter der Gefährten hin, die diese bei der Nennung solcher Kosten machten, fügte Morwindor an, daß sich sicherlich noch über den Preis verhandeln ließe. 
Gwildor entzog sich der aufkommenden Beschuldigung, die Geldbörsen seiner neuen Freunde zu sehr zu beanspruchen, mit der Aussage: "Wollt ihr schnell in Sicherheit gelangen oder nicht?"  
Die Entscheidung, das Schnelltransportsystem zu benutzen, fiel den Gefährten etwas leichter als schließlich ein von Gwildor geladener Zwerg, der der verantwortliche Zwergenbeamte für die örtliche Station war, und anbei bemerkt Morwindors Vetter namens Murindor, eine Gruppenermäßigung von vierzig Goldstücken zuließ. Mit dem zusätzlichen Versprechen, auch noch Lieferware mitzunehmen, hatte dann jeder nur noch fünfundzwanzig Goldstücke zu zahlen, was dem Monatsgehalt eines Minenarbeiters entsprach.
Osgald, der immer zu Scherzen aufgelegt war, bemerkte: "Wenn das mit unseren "Fluchtgbühren" so weiter geht, hätten wir Midras nicht berauben müssen!" Aber die anderen waren nicht in solch heiterer Stimmung und straften ihn mit bösen Blicken.
Allen war klar, dass sie ohne Rücksicht auf Kosten immer die schnellste Fluchtmöglichkeit nehmen mussten.
Und das Schnelltransportsystem der Zwerge war, wie sich erweisen sollte, ein, zu recht, teures.

Zunächst aber musste man im Berg selbst sehr hoch hinaufgelangen, wie ihnen Murindor erklärte, da sich die Station auf der achtzehnten Ebene, kaum dreihundert Fuß unter dem Gipfel, befand.
Sie selbst befanden sich auf der ersten Oberebene der Zwergenstadt die sich in siebenundzwanzig Ebenen aufteilte, sieben Unterebenen, die Erdebene und neunzehn Oberebenen. Wenn man bedachte, dass ein Höhenunterschied von an die hundertfünfzig Fuß zwischen den Ebenen bestand, hatten die Gefährten folglich noch ungefähr zweitausendfünfhundert Fuß Vertikal in die Höhe hinter sich zu bringen. Dies verdross einige der Gefährten, die keine Lust auf ewiges Treppensteigen hatten, aber glücklicherweise gab es in Rhôk-Aszinas nicht nur Treppen, sondern auch für Pferde und Kutschen geeignete Gänge, die als Verbindungen zwischen den Ebenen dienten. Und so machten sie sich auf, reitend und über die Kunstfertigkeit der Zwergensteinmetze, die makellose, glatte Wände in härtesten Fels zu hauen vermögen, staunend. Die stetige Steigung und der lange Weg waren nicht leicht zu bewältigen, aber dennoch mussten sie nicht rasten und gelangten recht schnell bis auf die achtzehnte Ebene. 
Die  Station war entgegen den Erwartungen der Gefährten schlicht eingerichtet, ein für die Zwergenstadt üblicher Gang mündete in den zwei Mann hohen und zwei Kutschen langen wie breiten Warteraum. Zur Linken befanden sich zwei, für zehn Personen Platz bietende, steinerne Banken an der Wand, zur Rechten war ein Schalter, der aber momentan nicht besetzt schien, und direkt gegenüber zu dem Eingang, durch welchen sie soeben getreten waren, befand sich eine verschlossene stählerne Tür.
Die Gefährten blickten erwartungsvoll zu Murindor, der nun mit ernster Miene vortrat, um etwas zu sagen. 

"Es ist euch allen bekannt, was euch hinter dieser Tür erwarten wird, aber ich will euch eindringlich davor warnen, die Bahnen, auf welchen die Wagen sich bewegen, zu betreten, das kann tödlich enden!" sagte er in ernstem Ton. "Und nun, gehen wir!" Mit diesen Worten zückte Murindor einen silbrigen Schlüssel mit ansehnlichem Bart und schloss die Tür auf, welche daraufhin lautlos und von selbst aufschwang.

Die Halle, die sie nun betraten, war von einem seltsamen Geruch erfüllt, der an tiefste Schluchten und Bergwerks- Stollen erinnerte, was, in Bezug auf die Höhe des Ortes, verwunderlich war, und es war auch wärmer als in den vorigen Räumen.
Asgir schätzte das Gewölbe auf zwei Mann Höhe und den Bahnsteig, auf welchem sie sich befanden, auf 150 Fuss Länge, und als er einen der eifrigen Zwerge, die inzwischen die Wagen mit Gepäck und den Pferden der Gruppe beluden, nach der Funktionsweise des Schnelltransport-Systems fragte, erhielt er eine kurze und informative Antwort: "Die Wagen werden mit Hilfe der Lageenergie, die sie hier oben haben, beschleunigt, am Ziel werden sie dann wieder über Aufzüge in die Höhe gehievt."
Zur Linken befand sich eine grosse Öffnung, durch die eine Wagenbahn in den Berg hinab führte,  und auf eben dieser Bahn standen auch schon vier Wägen zur Abfahrt bereit.
"Nun denn!" sagte Morwindor laut. "Bezahlt wird vor der Abfahrt!" Und nachdem alle Gefährten gezahlt hatten verschwand er für eine Weile hinter einer weiteren stählernen Türe rechts des Einganges. Als er zurückkam erklärte er den Gefährten, wie sie sich während der Fahrt zu verhalten hatten, denn aus Sicherheitsgründen durfte niemand seinen Platz während der Fahrt verlassen, und wies ihnen ihre Plätze zu.
Als Alles verstaut war und er noch einmal alle Gurte, die Personen, Tiere und Gepäck befestigten, auf ihre Festigkeit geprüft hatte, wünschte ihnen Morwindor noch viel Glück auf ihrer Reise und gab Zeichen zum Lösen der Wagenhalterungen, die die Wagen, solange sie sich auf einer Station befanden, am wegrollen hinderten.
Gemächlich setzte sich der Zug in Bewegung und rollte auf die grosse schlundartige Öffnung in der Wand zu.
 

© Philipp Morlock
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Bestimmt geht's hier bald weiter zum 5. Kapitel...

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