Finsternis von Shadow-Wing

Um sie her war absolute Dunkelheit. Die Luft war kalt und ein wenig feucht, kein Geräusch war zu vernehmen, außer dem ihrer eigenen, flachen Atemzüge. Doch Thea verspürte keine Angst. Die Finsternis erschien ihr wie ein schützender Freund, sie wollte gar nicht fort von hier, selbst wenn sie gekonnt hätte. 
Man hatte sie hier hergebracht um zu sterben. Doch auch den Tod fürchtete sie nicht mehr, eine tiefe Ruhe hatte von ihr Besitz ergriffen, seit sie hier war. 
Thea wußte, wer ihr das angetan hatte. Viele Gesichter in dem unheiligen Kreis um sie her waren ihr bekannt gewesen. Sogar Männer der Kirche waren unter ihnen gewesen, sie hatte einen alten Priester und einen mächtigen Inquisitor erkannt. Auch sie waren gekommen, um an jenem unheilvollem Ritual Teil zu haben, auch sie wollten sich Theas Lebenskraft zu nutze machen für ihre dämonischen Machenschaften. Sie wußte nicht, ob sie Erfolg gehabt hatten, sie wußte nicht einmal, was genau man mit ihr getan hatte, nur die schmerzhaften Schnittwunden hatte sie gespürt, aus denen unaufhörlich ihr kostbarer Lebenssaft geronnen war. Auch jetzt noch tropfte er auf den kalten Steinboden des uralten, finsteren Gewölbes.
Warum man sie ausgewählt hatte, war ihr klar: niemand würde sie vermissen. Sie war ein Waisenkind, aufgewachsen auf der Straße. Ihr Überleben hatte sie nur ihrer Stärke und ihrer Entschlossenheit zu verdanken, durch die es ihr gelungen war, sich Respekt bei den Bewohnern der Straßen zu verschaffen, jenen Ärmsten der Armen, unter denen sie zu Hause war. 
Der einzige Mensch, der ihr jemals Gutes erwiesen hatte, war die junge Witwe Euphemia, die sie vor einigen Tagen so freundlich ansprach und sie schließlich als Dienstmädchen in ihren Haushalt aufnahm. Doch auch ihr Gesicht war im Kreis gewesen, von grausamer, gieriger Ekstase bis fast zur Unkenntlichkeit verzerrt; auch ihr Mund hatte die schändlichen Beschwörungen geformt, welche die dunklen Mächte rufen sollten.
Nein, niemand würde sie vermissen. Sie würde hier in dieser dunklen Gruft sterben, unbeweint und unentdeckt. 
Langsam spürte sie, wie ihre Gedanken sich verwirrten, sie hatte kaum noch genug Kraft die Augen offen zu halten, doch wollte sie weiterhin in die Dunkelheit sehen. Sie erschien ihr tröstend.
Plötzlich schien sich diese Dunkelheit zu verändern. Thea wußte, daß sie immer noch allein war, doch es schien, als wäre die Finsternis selbst zum Leben erwacht. Es hatte nichts bedrohliches an sich, es war ein sanftes, freundliches Bewußtsein, das sie zu umgeben schien.
Dann starb sie.
Sie spürte, wie ihr Herz immer langsamer schlug und schließlich aussetzte. Gleichzeitig fühlte sie, wie eine Kälte sich in ihr auszubreiten begann, wie ihr Atem versagte und ihr Blut zu fließen aufhörte. "So ist es also, wenn man stirbt", dachte sie verschwommen. Dann schien die Dunkelheit auch in ihr zu sein.

Sie wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war - waren es Stunden? waren es Tage? - aber es spielte auch keine Rolle. Thea lag noch immer in dem dunklen Gewölbe. Was war nur passiert? Sie wußte, daß sie gestorben war. Immer noch schlug ihr Herz nicht, kein Atemzug entrang sich ihrer Brust und ihre Haut war kalt. Sie war tot. Und doch war sie bei Bewußtsein, doch spürte sie ihren Körper. 
Und sie spürte die Kraft.
Eine unglaubliche Kraft, die sie vollkommen auszufüllen schien, unbändig und wild. Sie richtete sich auf und mit jeder Bewegung wurde die neue Energie, die sie erfüllte, deutlicher spürbar. Sie wußte, daß sie tot war, und doch war sie es nicht. Sie hatte sich verändert, alles hatte sich verändert, das wußte sie. Aber es gefiel ihr. Obwohl nach wie vor nicht der geringste Lichtschimmer den Raum erhellte, konnte sie nun klar und deutlich das große, leere Gewölbe vor sich liegen sehen. Gar nicht weit von ihr führte eine steinerne Treppe zu einer Falltür hinauf. Etwas trieb sie hinaus. Ja, sie wollte der Welt entgegentreten mit ihrer neu gewonnenen Stärke. Außerdem spürte sie, daß da noch etwas war, was sie zu tun hatte. 
Die Falltür war von ober verriegelt, doch es war überraschend leicht den Riegel zu sprengen. Schon stand sie in der Ruine der kleinen, verfallenen Kirche. Von dem verderblichen Ritual der geheimen Bruderschaft war nichts mehr zu erkennen.
Es war kurz nach Sonnenuntergang, sie mußte also einen ganzen Tag in der leeren Gruft gelegen haben. In einiger Entfernung konnte sie die Lichter der großen Stadt funkeln sehen. Thea konnte das Leben dort spüren, als hätte sie einen zusätzlichen Sinn dafür erhalten. Auch ihre normalen Sinne funktionierten um ein vielfaches besser. Wilde Erregung bemächtigte sich ihrer, als sie loslief, der Stadt, dem Leben entgegen.
Kurz vor der Stadt begegnete ihr eine junge Frau, kaum älter als Thea selbst. Ihre Gier und ihre Erregung wurden fast unerträglich. Dieser lebendig Leib, diese Lebenskraft! Und dann wußte sie plötzlich, was sie zu tun hatte. Sie würde sich das nehmen, was man ihr genommen hatte. 
Die Frau war schon an ihr vorbei, Thea packte sie von hinten, drückte ihr eine Hand auf den Mund und riß sie in ein nahes Gebüsch. Sie spürte, daß ihre Eckzähne nun lang und spitz waren; sie rammte sie in die herrlich pulsierende Halsschlagader der Frau und spürte, wie das warme, süße Blut ihren Mund füllte, wie der Körper unter ihren Armen zuckte. Ekstatisch nahm ihr toter Körper den Lebenssaft in sich auf. Dann sackte die Frau in ihren Armen zusammen und Thea ließ die Leiche sanft ins Gras gleiten. Sie fühlte sich nun stärker als je zuvor. 
In der Stadt angelangt genoß sie es, eine ganze Weile einfach durch die Menschenmassen zu schreiten, all das Leben um sich herum zu spüren und ihre Andersartigkeit. Bald jedoch wurden ihre Schritte zielstrebiger. Es war eine Stunde vor Mitternacht, als sie das große imposante Haus erreichte. Der Türsteher war sehr überrascht, sie zu sehen. 
"Theodora! Die Herrin sagte du seist abgereist. Zu deiner kranken Mutter!"
"Abgereist... Ja, das bin ich allerdings!" sie lächelte kalt. "Ich habe aber entdeckt, daß ich noch einiges mit Ihr zu begleichen habe."
Der Türsteher war immer noch verwirrt, doch soviel er wußte, mochte die Herrin dieses Mädchen sehr und er wollte nicht seinen Posten verlieren. Also führte er sie in den Salon des großen Hauses und hieß sie warten. Die Herrin mußte jeden Moment kommen.
Thea ließ sich in einem der breiten Lehnstühle nieder, mit dem Rücken zur Tür gewendet. Immer noch umspielte das kalte Lächeln ihre Lippen.
Sie mußte nicht lange warten, da hörte sie, wie sich die Tür öffnete. 
"Guten Abend, Lady Euphemia", grüßte Thea ruhig.
Sie spürte förmlich wie die Frau zusammenzuckte. "Wer..., wer ist da?"
"Aber, aber! Ihr werdet doch noch Euren kleinen Schützling wiedererkennen, dem Ihr so viel Gutes getan habt, meine Lady!" antwortete sie spöttisch, erhob sich von ihrem Sitz und wandte sich um.
Die zierliche Frau erbleichte. "Du! Aber du bist tot! Du mußt tot sein! Du..." Panik leuchtete aus ihren Augen. Dann, mit einer Schnelligkeit, die man ihr nicht zugetraut hätte sprang sie herum und griff nach der Türklinke. Doch Thea war schneller. Obwohl sie ein gutes Stück entfernt gestanden hatte, stand sie zwischen Euphemia und der Tür, noch ehe diese sie berühren konnte. Spöttisch lächelte sie die ältere Frau an. "Wer sagt euch denn, daß ich das nicht bin?"
Dann schlug Thea ihre Zähne in ihren Hals, diesmal war es ihr egal, daß ihr Opfer schrie und schrie, bis es schließlich in ihren Armen erschlaffte - im Gegenteil: sie genoß es. Dann trat sie ans Fenster. Zwei Stockwerke unter ihr lag eine schmale Seitengasse. Als sie sprang hörte sie wie hinter ihr die Tür geöffnet wurde, doch der verstörte Diener sah nicht einmal mehr ihren Schatten.

Thea genoß ihr neues Dasein in vollen Zügen. Nie war die Welt so süß, so verführerisch, so voller Versprechen gewesen. Und sie gehörte ihr. Tagsüber schlief sie in verschiedenen Kellern oder Grüften, denn das Tageslicht machte sie schwach und schläfrig, nachts streifte sie durch die Straßen, genoß das berauschende Leben um sich her und labte sich an dem Blut ihrer Opfer, welche sie mit lustvoller Willkür auswählte. Sie war ganz und gar zu einem Geschöpf der Finsternis geworden, was sie reizte, das tat sie; kein Gewissen, keine Skrupel hinderten sie daran, ihr Dasein so zu führen, wie sie wollte, so aufregend, so erfüllt und so berauschend wie nur möglich. Nichts ließ sie unversucht und von Tag zu Tag ließ sie ihre Menschlichkeit weiter hinter sich zurück: ihr Sklavendasein war vorbei.
Eines Abends saß sie, wie sie es sich in letzter Zeit angewöhnt hatte, in einer der verrufensten Schenken der Stadt. Sie trug ein dunkles, verführerisches Kleid aus edlem Stoff und mit Perlen besetzt, welches einem ihrer früheren Opfer gehört hatte. Ihr langes, schwarzes Haar wallte offen über ihre Schultern. Sie beobachtete genüßlich die Männer in der Bar, gespannt darauf, wer es diesmal sein würde. Sie wußte, daß jeder einzelne hier nur auf die Gelegenheit wartete, über sie her zu fallen. Manche wollten ihr Geld, manche ihre Unschuld, manche auch beides. Doch es war noch sehr früh am Abend, so daß nicht genug Betrieb in der Wirtschaft war; zu mehr als plumpen Anmachen fehlte den Männern der Mut. Nach einer Weile stand sie auf und verließ den 'Einäugigen Hund', sie wußte, daß man ihr folgen würde, zu oft schon hatte sie dieses Spielchen gespielt. Heute dauerte es lange. Erst als sie fast die Einmündung der einsamen Seitengasse auf eine belebtere Straße erreicht hatte, schlug ihr Verfolger zu. Es war ein großer, massiger Mann, stark wie ein Bär und doch wäre es für sie kein Problem gewesen, ihn mit einem Schlag niederzuschmettern. Doch sie ließ sich zu Boden werfen, sie liebte diesen Ausdruck der Überraschung in den Augen der Schurken, wenn sie plötzlich ihre Unterlegenheit erkannten. 
Gerade wollte sie ihn herum wirbeln, um seine Halsschlagader zu erreichen, als sich plötzlich wildes Hufgetrappel näherte. Noch bevor sie reagieren konnte, sackte der Kerl über ihr zusammen. Kräftige Hände zogen ihn von ihr herunter und halfen ihr aufstehen. 
Vor ihr stand ein junger, reich gekleideter Mann. In der einen Hand hielt er den Dolch, mit welchem er den Schuft getötet hatte, mit der anderen sein unruhiges Pferd. 
"Habt Ihr Euch verletzt, Mylady?" fragte er nun besorgt.
Er gefiel ihr. Er hatte ein markantes Gesicht, eine gute Figur, ...und diese anständige Art hatte ihren ganz besonderen Charme. Ja, er würde einen guten Ersatz abgeben für den stinkenden Lüstling.
"Mylady? Geht es Euch gut?" fragte er eindringlich, durch ihr Schweigen beunruhigt. 
Erst jetzt fiel ihr auf, was für wunderbare Augen er hatte. Sie waren von einem dunklen, kräftigen Grün und strahlten eine Stärke und eine Aufrichtigkeit aus, wie sie sie nie zuvor bei einem Menschen gesehen hatte. Er schien tatsächlich interessant zu sein, und das war bei einem Lebenden selten genug. Sie beschloß, auf die Rolle einzugehen, die er ihr gab. Töten konnte sie ihn schließlich immer noch. 
"Ich bin unverletzt. Tausend Dank, daß Ihr mir zu Hilfe eiltet. Dieser Barbar...", sie starrte auf die Leiche zu ihren Füßen und fing an zu zittern. 
Sofort ging er darauf ein: "Sorgt Euch nicht, Mylady!" Er legte fürsorglich den Arm um sie. "Nun seit Ihr ja außer Gefahr. Ein Glück, daß ich im rechten Moment vorbei kam. Aber was habt Ihr nur zu so einer Stunde in dieser Gegend verloren? Wißt Ihr denn nicht, wie gefährlich das ist?" 
"Man hat mich entführt, aber ich konnte entkommen. Sie werden noch hinter mir her sein..." Furchtsam sah sie sich um.
Wieder reagierte er sofort wie sie es beabsichtigt hatte. "Kommt, ich werde Euch in Sicherheit bringen. Später können wir immer noch alles bereden."
Das Pferd scheute, als er versuchte sie in den Sattel zu heben. Kluges Tier! dachte sie bei sich. Es spürt genau, daß hier etwas nicht stimmt. Schließlich aber gelang es ihrem edlen Retter das Pferd einigermaßen zu beruhigen. Er schwang sich hinter ihr auf und gemeinsam ritten sie durch die Straßen und Gassen, schließlich aus dem Stadttor hinaus und weiter auf einem schmalen Weg, der zwischen duftenden Feldern und Wiesen entlang führte. Thea lächelte in sich hinein. Das konnte noch sehr interessant werden. 
Schließlich erreichten sie ein großes Anwesen. Hinter alten Bäumen versteckt lag ein großes, altes Herrenhaus auf das ihr Retter zuhielt. Direkt vor der wuchtigen Eingangstür zügelte er das Pferd. Sogleich kam ein Stallknecht herbei nahm ihm die Zügel ab und führte das Tier um das Haus herum. Der junge Mann geleitete sie am Arm die Stufen hinauf und durch die Tür, die inzwischen von einem eifrigen Diener geöffnet worden war. "Dies ist also mein bescheidenes Heim. Ich hoffe es macht Euch nichts aus, Lady, daß ich Euch in diese einsame Gegend verschleppte", entschuldigte er sich.
"Nicht im Geringsten. Ich bin Euch zu tiefstem Dank verpflichtet, schließlich habt Ihr mein Leben gerettet. Und bitte: ich bin keine Lady, Ihr könnt mich immerhin Theodora nennen, oder Thea, wie es meine Freunde tun. Auch würde es mich freuen, wenn wir uns mit 'Du' anreden könnten." Das gestelzte Gerede ging ihr allmählich auf die Nerven.
"Gerne, Thea. Ich halte auch nicht viel von diesen Etiketten. Ich bin Niklas." Er lächelte sie warm an und reichte ihr die Hand. Dann fiel ihm etwas auf. "Du bist ja eisig. Kein Wunder, in dem dünnen Kleid so einen weiten Weg zu reiten... Wo hatte ich bloß meine Gedanken?" Sogleich führte er sie in einen gemütlichen Raum, halb Arbeitszimmer, halb Salon, bot ihr einen Sessel am Kamin an, in dem bereits ein helles Feuer knisterte und hüllte sie in eine warme Decke ein.
"Du mußt hungrig sein. Soll mein Diener uns noch etwas bringen?" 
Oh ja, hungrig bin ich. Schließlich hast du mich bei meinem Mal gestört..., dachte sie belustigt. Laut sagte sie: "Nein danke. Ich bin noch viel zu durcheinander, um essen zu können." So langsam begann ihr die Rolle des verängstigten Mädchens zu gefallen.
"Was ist denn eigentlich passiert? Du sagtest, du seist entführt worden?"
Sie begann ihm eine einfache, wie glaubwürdige Geschichte zu erzählen, wonach sie die Tochter eines reichen Händlers wäre, der sie auf eine Geschäftsreise mitgenommen hatte. In der Stadt waren sie dann überfallen worden, ihr Vater konnte entkommen, sie nahm man gefangen.
Die ganze Zeit über beobachtete sie ihn genau: fasziniert folgte er jedem ihrer Worte, sein Blick hing fest an ihrem Gesicht und doch hatte sie nicht das Gefühl, daß es die Geschichte war, die ihn so in ihren Bann zog. Diese grünen Augen erweckten eine Sehnsucht in ihr, wie sie sie nie zuvor gespürt hatte. Sie fragte sich zum ersten mal, ob ihr Dasein wirklich so vollkommen war, wie sie geglaubt hatte. Sie war ihr eigener Herr, konnte tun und lassen was sie wollte, und doch... Zum ersten Mal fiel ihr auf wie einsam sie war, allein unter all den Lebenden. Sie war immer einsam gewesen, es hatte sie nie berührt, wieso also sollte es nun eine Rolle spielen? Wieder sah sie in seine Augen und einen Moment lang wünschte sie sich, wieder ein Mensch zu sein. 
Sie unterhielten sich lange. Je später es wurde, um mehr verwirrte Niklas sie. Doch ihm schien es nicht anders zu gehen. Aus irgendeinem Grund sehnte sie sich plötzlich nach menschlicher Nähe. Nach seiner Nähe. Er faszinierte sie, wie sie es noch nie erlebt hatte und gleichzeitig machte es ihr auch Angst. Es war das erste mal seit jener Nacht in dem Gewölbe, daß sie weich wurde. Sie ließ zu, daß ein anderer Macht über sie hatte, auch wenn er nichts dafür konnte.
Das Feuer brannte herab und er beugte sich vor, um es zu schüren. Plötzlich waren sie sich ganz nahe. Sie konnte seinen Herzschlag hören. Fest sahen sie sich an und es schien ihr, als würde sie in diesen grünen Augen ertrinken. Dann spürte sie seine Lippen auf den ihren, und alle Zweifel waren verflogen. Nie zuvor hatte ein Mann sie geküßt, und lange hatten ihre Lippen nur Haut berührt, um zu töten, doch nun war alles anders: sie erwiderte seinen Kuß voller Leidenschaft. 
Es war, als würde eine Mauer eingerissen, gnadenlos fluteten die Gefühle über Thea hinweg. Sie griff nach ihm und zog ihn näher an sich, wieder und wieder küßten sie sich, während er mit zitternden Fingern ihr Kleid öffnete. Nie hatte sie so gefühlt. Ihre Sinne waren so stark wie nie und intensiver als je zuvor spürte sie das Leben, das ihn durchfloß.
Seine Hände umschlossen ihre schmalen Schultern, sanft und doch fordernd zog er sie zu sich herab. "Wer bist du?" flüsterte er verwirrt, doch sie verschloß seinen Mund mit dem ihren.
Sie liebten sich auf den weichen Fellen vor dem flackernden Kamin, leidenschaftlich und verzweifelt zugleich, erst in den frühen Morgenstunden schlief er erschöpft an ihrer Schulter ein. 
Das Feuer war herab gebrannt, ihre Haut, nur durch die Hitze der Flammen und seinen Schweiß gewärmt, wurde wieder kalt, der Hunger in ihr übermächtig. An ihrer Schulter spürte sie Niklas' Halsschlagader gleichmäßig klopfen.
 

.