Diese Geschichte ist ab 2005 am Drachentaler Wettbewerb leider nicht mehr teilnahmeberechtigt,
da sie in den vorherigen Jahren zu wenig Punkte erhalten hat.
 
Der Geschichtenerzähler von Gangleri

Große und gespannte Kinderaugen schauten auf den alten Geschichtenerzähler.
Hin und wieder rief eines der Kinder "Fang endlich an zu erzählen".
Und er fing an: "Es war einmal..." "Ein König" schrie ein kleiner Junge. "Nein, eine Prinzessin" rief ein kleines Mädchen.
"Ruhe bitte" sagte der Geschichtenerzähler grimmig. "Also, es war einmal..." "Wieso war eigentlich immer mal und ist nicht heute noch?" fragte der gleiche Störenfried, der die Geschichte schon einmal unterbrochen hatte.
"Ach, will der kleine Mann etwa bestimmen, wie ich die Geschichte zu erzählen hab? Was willst du denn hören?"
"Wie sie zu einem Geschichtenerzähler geworden sind, dann hören wir endlich mal was von jemanden, der nicht mal war!" sagte der Kleine frech.
"In Ordnung, dann erzähle ich, wie ich zu meiner Berufung gekommen bin. Und ich schwöre euch, dass jedes Wort wahr ist, so unglaublich es sich auch anhört.
Das ist schon lange her aber ich kann mich dran erinnern, als wenn es gestern gewesen wäre.
Ich war ein kleiner neugieriger Junge, für ein Bauernjungen ziemlich reich und auch sehr angesehen.
Mein Vater war Bauer und baute Getreide an. Die Ernte fiel immer sehr gut aus, wodurch wir niemals hungern mussten. Wir lebten in der Nähe vom Schloss unseres Königs.
Daher ging es uns, obwohl wir Bauern waren, ziemlich gut.
Ich war damals sehr frech und habe geprahlt mit unserem Reichtum und meinen guten Kleidern.
Eines Abends hörte ich von draußen eine Stimme meinen Namen rufen, während ich versuchte zu schlafen."
"Wie ist denn ihr Name?" fragte eines der Kinder.
"Oh, ihr wisst ja gar nicht wie wichtig der Name ist und wie gefährlich, ihn zu nennen.
Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, bei der Stimme.
Es war spät am Abend, aber ich fürchtete mich nicht, hinaus zu gehen.
Es war eine dunkle und unheimliche Nacht, das einzige Licht, das mir den Weg erhellte, waren der Mond und die Kerze, die ich mitnahm, damit sie mir Trost spendete und mir ein wenig die Angst nahm.
Normalerweise kannte ich keine Angst, Elfen, Werwölfe, so ein Unsinn.
Das einzige, was ich zu fürchten hatte, waren Wölfe, doch die meisten wurden gnadenlos gejagt, daher trauten sie sich kaum an unserem Dorf heran.
Ich folgte der Stimme. Ich ging immer weiter, erst über den Marktplatz und dann durch eine Gasse, die ich vorher noch nie gesehen habe, so als hätte sie sich extra für mich dort hingebaut.
Ich ging durch diese Gasse und plötzlich stand ich in einem Wald.
Es war kein normaler Wald. Denn als ich nach hinten schaute, war nichts mehr vom Dorf zu sehen und ich bekam es mit der Angst zu tun. Doch ich folgte weiterhin der Stimme, die meinen Namen rief in der Hoffnung, sie könnte mir wieder heraus helfen."
"Was war das denn für eine Stimme?" fragte ein kleines Mädchen.
"Es war eine der unheimlichsten Stimmen, die ich je gehört habe. Zumindest war sie für mich unheimlich, denn sie klang fast genauso wie meine, nur abgemagerter und so als wäre die Person sehr, sehr krank. Ich ging immer tiefer in den Wald und bald sah ich einen Jungen, er war wohl so alt wie ich, der an einer Tanne gelehnt war. Er trug nur eine Decke, die voll mit Löchern war und unangenehm roch.
Neben ihm stand eine Kerze, ich schaute sie mir genau an und konnte mich kaum von ihr losreißen. Ich weiß nicht warum, es war wie Magie.
Wenige Augenblicke später wurde mir schwarz vor den Augen.
Als ich wieder zu mir kam, saß ich an der Tanne umhüllt mit einer stinkenden Decke und vor mir immer noch die Kerze.
Der andere Junge trug meine Kleidung und ging weg. Er drehte sich nur einmal um, worauf ich sehr erschrak, denn der Junge hatte nicht nur meine Kleidung, er hatte auch mein Gesicht, meine Figur und meine Augen.
Sofort wurde mir klar, dass ich das da war, was da durch den Wald lief.
Es kam mir vor wie eine Fluch. Ich habe sehr gejammert denn ich habe mich unendlich hungrig und krank gefühlt und habe den Luxus vermisst, der nur wenigen Bauern gegönnt war.
Während ich so jammerte und weinte, fielen drei Tränen auf die Kerze, die daraufhin zischte. Aber es war kein normales Zischen, es war etwas anderes, es war, als hätte die Kerze gesprochen. Sie sagte zu mir: "Zschu jämmerliches reisches armesch Kindzisch."
Sie wiederholten diesen Satz mehrmals bis ich ihn verstanden habe, denn sie sagte: "Du jämmerliches armes reiches Kind" "Was meinst du damit?" fragte ich die Kerze. "Du jämmerliches dummes armes reiches  Kind" "Wagst du mich zu beleidigen? Was fällt dir ein, du bist nur eine Kerze und lebst durch meine Flamme, die ich für dich entfacht habe" "Du jämmerliches dummes eingebildetes Kind" "Nun werd aber nicht frech" erwiderte ich.
"Du meinst wohl, du könntest mich beleidigen, weil ich aussehe wie ein armer Bettler, aber das bin ich nicht. Auch wenn ich so aussehe, ich bin wohlhabend und angesehen unter den Bauernkinder" Darauf hin wackelte die Flamme der Kerze hin und her, grade so, als würde sie sich über mich lustig machen. "Du bist ein ganz armes Kind. Du weißt wirklich nicht, wo du bist oder?" "Nein, das weiß ich nicht, aber es scheint ein sehr wunderlicher Ort zu sein, wenn ich hier mit einer Kerze spreche" "Oh ja, das ist es wohl. Das hier, mein lieber armer dummer Junge, ist das Herz der Natur. Dies ist der Wald der Seelen, dort wo alle Seelen entstanden sind" "Warum bin ich hier?" "Deine Seele ist krank, denn du bist von einer schlimmen Krankheit befallen" "Von was für einer Krankheit? Bringt es mir den Tod?" fragte ich ängstlich. Die Kerze antwortete "Oh, nicht der Tod, sondern etwas viel schlimmeres.
Deine Seele erfriert unter deinem Herzen, denn dein Herz ist kalt und ungemütlich und es stinkt so wie die Decke, die du trägst. Du bist zu sehr auf das Geld und dein Wohlergehen fixiert." "Wer war der Junge, der mich hier alleine gelassen hat?" "Das warst du. So wie du für immer sein würdest, würde ich dir nicht helfen." "Wobei helfen?" "Du bist ein guter Mensch, aber das Geld macht dich krank, du musst dich lösen von dem Reichtum und dich befreien. Du musst dich erlösen von dem Geld und den wahren Reichtum entdecken".
Nach diesen Satz wehte ein heftiger Wind und erlosch die Flamme, somit war ich allein.
Erst wollte ich mich rufen, um endlich wieder befreit zu werden aus diesem unheimlichen Wald, doch dann fiel mir etwas besseres ein, um meine Ängste und Sorgen loszuwerden und den Göttern zu zeigen, dass ich mich ändere."
"Was haben sie denn getan?" fragte eines der Kinder.
"Ich habe geschlafen, dann habe ich meditiert, dann wieder geschlafen und dann wieder meditiert.
Während ich so geschlafen und meditiert habe, ist mir vieles klar geworden.
Mir fielen eine Menge Weisheiten unter den Baum ein, ein Wissen, was ich unbedingt teilen wollte. Eine Zeitlang fühlte ich mich sehr einsam, doch dann lernte ich die kleineren Geschöpfe zu erblicken und akzeptieren. Eine kleine Schnecke kroch über meine Decke, so als wolle sie mir Gesellschaft leisten.
Ich fragte sie, warum sie denn so langsam und betrübt wirkte, und darauf hin sagte sie: "Ich bin klein und kaum jemand beachtet mich, zudem bin ich zu langsam, um den Tieren zu folgen und Freundschaft zu schließen. Lange habe ich nichts mehr gehört von den Lehren des Bibers oder den witzigen Abenteuern des Fuchses. Geflüchtet sind alle vor den Mensch und der bitteren Kälte." "Du kannst bei mir bleiben und ich werde dir etwas erzählen."
"Oh fein. Eine wahre Geschichte?" " Da muss ich dich wohl enttäuschen, mein Schneckenfreund, für wahre Geschichten bin ich noch nicht lange genug auf der Welt, aber ich werde dir von meinen Träumen berichten."
So erzählte ich die ganze Nacht hindurch der Schnecke, was ich so in meinem Leben schon geträumt habe. Teilweise habe ich noch etwas dazu gedichtet. Irgendwann fragte mich die Schnecke, ob wir jetzt Freunde wären und dass sie sich sehr gefreut hat, dass ich ihr die Langeweile genommen habe. Daraufhin war ich überglücklich und habe das erste mal eine andere, schönere Art von Reichtum kennen gelernt.
Danach zündete sich meine Kerze von alleine wieder an und die Schnecke war verschwunden. Die Flamme sagte :"Nun, da du gelernt hast, was wahrer Reichtum ist, werde ich dich nach Hause begleiten."
"Aber was ist, wenn meine Eltern schon wach sind" "Oh, das sind sicher nicht, für sie wirst du nie fort gewesen sein."
Ich schaute tief in die Flamme worauf hin sich alles um mich verdunkelte und ich mich wieder in meinem Bett befand.
Am nächsten Tag erzählte ich diese Geschichte ein paar Kindern, die neu im Dorf waren, und sie freuten sich, genauso wie die kleine Schnecke im verzauberten Wald.
So wurde ich Geschichtenerzähler, denn das war das einzige, was mich wirklich reich machte."

"Die Geschichte war wirklich toll" sagte der kleine Junge.
"Und was ist nun mit Es war einmal eine Prinzensinn?" fragte das kleine Mädchen.
"Über Prinzessinnen weiß ich eine Menge zu berichten, aber nicht mehr heute, ich habe noch etwas zu erledigen".
Der Geschichtenerzähler stand auf und ging zum Markt, wo er Brot kaufte.
Einige der Kinder folgten ihm und sahen, wie er plötzlich in einer Gasse verschwand, die noch niemals da gewesen war.
 

© Gangleri
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
.