Der Kampf mit dem Drachen von Shenazal Arghomor

Langsam wanderte der Mond am Himmel und tauchte die Landschaft in ein fahles, silbriges Licht. Der Wald war düster und die Bäume bildeten groteske Gebilde, die es so aussehen ließen, als hätten die Bäume Gesichter. Wölfe streiften umher und suchten nach Beute und hier und da blinzelte eine Eule verschlafen aus ihrem Loch. Leise vernahm man das Wispern eines Baches, der den Wald durchzog. Leichter Nebel stieg vom Boden empor und ließ den Wald geisterhaft erscheinen. In solchen Nächten traute sich kein Mensch in den Wald, da man sehr abergläubisch war und sich vor Geistern fürchtete. Doch in dieser Nacht war es anders. Zwei Gestalten, gehüllt in schwarze wehende Umhänge, durchquerten den Wald, offensichtlich auf der Suche nach einem Lager für die Nacht. Es waren zwei Menschen gewesen, die vor einer schrecklichen Krankheit aus ihrem Dorfe geflohen waren, um eine neue Siedlung zu suchen. Doch überall wo sie auftauchten, war die Kunde über die Seuche, die die Bevölkerung dahinraffte, schon vernommen worden und sie wurden davongejagt wie tollwütiges Wild. So waren sie schon lange unterwegs gewesen, ohne ein Dach über dem Kopf und ohne Geld. Sie mussten stehlen, um nicht zu verhungern, da man für sie nur Fußtritte übrig hatte. Doch sie waren nicht infiziert, da sie rechtzeitig das Dorf verließen und eigentlich mit niemandem Kontakt hatten außer sich selbst.

"Lass uns hier bleiben", sprach die eine Gestalt und nahm ihre Kapuze vom Kopf. Es war eine Frau mit Namen Ruena. Ihr Kamerad hieß Nagrat. Sie waren beide sehr stark und selbstbewusst, denn sie waren schon als Kinder zu Kriegern ausgebildet worden, da in ihrer Region ständig Schlachten gegen die Nachbardörfer stattfanden. Von daher fürchteten sie sich auch nicht, des Nachts alleine im Walde zu wandern. Nagrat, der sich vor Erschöpfung auf eine Wurzel niederließ, sah sie an und nickte, da er froh war, nicht mehr weitergehen zu müssen. "Na gut. Dann bereite ich schon mal unser Schlaflager und du kümmerst dich um das Essen." Nagrat stand auf und suchte Holz für das Feuer. Als er es entfacht hatte, stellte er den Kessel, den sie im letzten Dorf gestohlen hatten, auf die Feuerstelle und kochte das Abendessen, welches aus ein wenig Gemüse bestand, da sie nicht mehr hatten.

Als sie gerade ihr Essen verzehrten, knackte es plötzlich im Gebüsch. Nagrat stellte sein Essen beiseite und zog sein Schwert. Er wollte nachsehen, was sich da im Gebüsch versteckt hatte, und als er darauf zuging, kam eine kleine Maus aus dem Busch und lief davon. Ruena musste herzhaft über Nagrat lachen, da dieser bei jedem kleinsten Geräusch sein Schwert zog. "Lach du nur, ich habe das dumme Gefühl, dass uns ständig jemand verfolgt." Verärgert über Ruenas Spott setzte er sich wieder an das Feuer und aß weiter. " Sei mir nicht böse, Nagrat, es sah nur sehr komisch aus. Aber auch ich habe dieses Gefühl. Schon seit Wochen. Ich habe nur niemanden gesehen." Nagrat blickte sie an und zuckte mit den Schultern: " Denkst du, dass er oder es sich zeigen wird? Früher oder später vielleicht, wenn es seine Absichten zeigt." Da beide aber sehr müde waren, beendeten sie ihr Gespräch und legten sich schlafen.

Bereits früh am nächsten Morgen waren sie wieder unterwegs und kamen zu einer großen Stadt. In den Straßen herrschte viel Leben, denn die Menschen waren dabei, die Häuser mit Blumengirlanden zu schmücken. Ruena ging auf einen Mann zu, der am Brunnen Wasser heraufzog. "Mein Herr, wir sind schon lang auf Reisen und suchen eine Bleibe." Der Mann drehte sich zu ihr um und lächelte: "Guten Tag, junge Dame. Ihr müsst Euch bei unserem Bürgermeister melden, er wird Euch dann ein Haus zuweisen, in dem Ihr wohnen könnt. Dort hinten am Ende der Straße ist sein Haus." Sie dankte dem Mann und ging mit Nagrat auf das Häuschen zu. "Ob er wohl über uns weiß, wie die anderen?" fragte Nagrat. Ruena seufzte: "Ich hoffe nicht, denn ich weiß sonst nicht mehr, wohin wir noch gehen sollen." Als sie an die Tür klopfte, drang eine freundliche Stimme nach draußen: "Herein bitte." Als sie in die Stube traten, saß ein kleiner Mann mit einer Glatze hinter einem riesigen Schreibtisch und lächelte. "Was kann ich für Euch tun?" Ruena schilderte Ihre Lage, erwähnte aber nichts von der Seuche. "Nun, dann seid willkommen in Hondimar. Folgt mir, ich zeige Euch Euer Häuschen. Es ist nicht sehr groß, aber für zwei reicht es allemal." Ruena zwinkerte Nagrat zu, der ganz blass im Gesicht war. Doch auch er lächelte und war sichtlich erleichtert. Das Häuschen bestand aus drei kleinen Zimmern und war sehr hübsch eingerichtet. Ein großer Kamin war in die Wand eingelassen und der Bürgermeister hatte ihn entzündet, um das Haus ein wenig aufzuheizen. "Ich wünsche Euch eine schöne Zeit und herzlich willkommen." Dann verließ er die beiden und ging wieder in sein Büro.

Sie lebten nun schon ein ganze Weile in der Stadt. Nagrat arbeitete beim Schmied und Ruena hatte eine Stellung bei einen Apotheker, da sie sehr geschickt in den Künsten der Heilkunde war. Da kam eines Tages eine Gestalt in einem langen, grauen Mantel in die Stadt und ging direkt zum Bürgermeister. Ruena und Nagrat saßen vor dem Kamin und unterhielten sich, als die Tür mit einem kräftigen Tritt geöffnet wurde. Die Wachen des Bürgermeisters nahmen sie fest und warfen sie in den Kerker. Der Bürgermeister trat in die Zelle: "Ihr Aussätzigen! Wie konntet Ihr mich nur so hintergehen. Ein Späher Eures Dorfes, Lenard, kam heute zu mir und teilte mir das Grauen mit, was sich dort ereignete. Ich weiß auch, dass Ihr nicht diese furchtbare Krankheit in Euch tragt, doch ich dulde es nicht, dass man mich belügt und deshalb werdet Ihr dafür büßen. Ich bin jedoch bereit, Euch einen Vorschlag zu machen. Entweder, Ihr kämpft morgen in der Arena gegen meinen stärksten Kämpfer, wenn Ihr siegt, seid Ihr frei und dürft hier bleiben, wenn Ihr verliert, dann seid Ihr tot. Geht Ihr nicht auf diesen Vorschlag ein, so werdet Ihr am dritten des nächsten Monats hingerichtet und schmachtet solange in diesem Loch." Bevor Nagrat jedoch etwas sagen konnte, ergriff Ruena das Wort: "Wir kämpfen und werden siegen." Der Bürgermeister lachte laut über die Siegessicherheit der Frau und sprach: "Nun, wenn Ihr meint." Er schloss die Zelle ab und verließ den Kerker. Nagrat stand auf und ging in der Zelle auf und ab: "Dieser Mistkerl. Ich wusste doch, dass Lenard dahinter steckt und uns gefolgt war. Wie konntest du nur auf diesen Vorschlag eingehen? Ja, wir sind Kämpfer, aber glaubst du, dass wir eine Chance haben?"  Wütend stand sie auf und blitze ihn böse an: "Was hätte ich deiner Meinung nach denn tun sollen? Du hast ihn gehört, wir wären sowieso hingerichtet worden. Dann lieber ehrenhaft sterben und nicht wie ein Feigling." Nagrat beruhigte sich wieder und nahm wieder Platz auf der Holzbank: "Lass uns nicht streiten, wir haben es so gewollt. Wir werden kämpfen."

Am nächsten Morgen wurden sie sehr unsanft von den Wachen geweckt und aus der Zelle geführt. Sie waren noch sehr müde, da sie nicht einschlafen konnten und sich bis tief in die Nacht noch unterhalten hatten. Die Wachen führten sie vorbei an den Bürgen und diese bewarfen sie mit Steinen und allem möglichen. "Ihr Abtrünnigen, Ihr Aussätzigen!" riefen die Menschen und es tat ihnen im Herzen weh, da sie geglaubt hatten, sie wären beliebt in der Stadt. Sie wurden durch einen langen Tunnel geführt, der sehr finster war und als sie wieder ans Licht kamen, standen sie mitten in einer Kampfarena. Die ganze Stadt und die umliegenden Dörfer waren hier versammelt, um dem Spektakel zuzusehen. Der Bürgermeister saß in einer Loge, zusammen mit Lenard, der ihnen gemein und ekelhaft ins Antlitz grinste. Die ganze Arena war erfüllt von Rufen der Zuschauer und wieder wurden Steine auf sie eingeworfen. Der Bürgermeister erhob sich und machte eine Handbewegung, woraufhin die Menge verstummte. "Liebe Bürger und Dorfbewohner, heute haben wir uns hier versammelt, um uns ein wenig Unterhaltung zu gönnen. Ich habe die Ehre, Euch Ruena und Nagrat, zwei Abtrünnige vorzustellen, die heute gegen Ascor kämpfen werden." Ein Raunen ging durch die Menge und alle blickten auf die beiden. "Nun, dann möge der Kampf beginnen."

Ein Tor wurde aufgezogen und ein Drachen betrat die Arena. Groß und schwarz wie ein Rabe, mit bösen roten Augen. Ruena dreht sich dem Bürgermeister zu und sah, wie dieser lachte: "Ihr hattet von einem Krieger gesprochen, nicht von einem Drachen." "Tja, Ruena, was soll ich sagen, der Drache ist mein stärkster Krieger." Und in dem Moment sah der Drache die beiden Menschen und rannte wild auf sie zu. Ruena sprang gerade noch zur Seite, als der Drache ihr einen Schlag mit dem Flügel verpassen wollte. Nagrat hatte da kein Glück. Ein Hieb mit der Klaue traf ihn mitten auf der Brust und hinterließ eine schreckliche Wunde. Er wurde durch den Schlag nach hinten geworfen und landete unsanft auf dem Boden und rührte sich nicht mehr. Die Menge tobte und freute sich über den ersten Sieg des Drachen.  Ruena wurde wild und zornig, als sie ihren Freund so liegen sah, und zog ihr Schwert, das man ihnen zum Glück nicht abgenommen hatte. Der Drache startete eine erneute Attacke auf sie, doch als er die Klaue hob, schlug sie sie ab. Der Drache brüllte auf vor Schmerz und wurde noch wilder und aggressiver. Ruena zitterte, auch wenn sie es nicht wollte, da ihre Muskeln von dem Hieb schmerzten. Der Drache rannt auf sie zu und schlug ihr mit er Klaue gegen die Schulter. Sie schrie auf, da er ihr die Krallen ins Fleisch bohrte. Er schlug nochmals mit dem Flügel auf sie ein und entriss ihr das Schwert, welches vor ihre Füße fiel. Sie hatte Angst, zum ersten Mal im Leben Angst. Nagrat hob den Kopf und sah, in welcher Lage sich Ruena befand. Er stand so schnell auf, wie er nur konnte und hob Ruenas Schwert auf. Ehe der Drache die Lage überblicken konnte, rammte Nagrat ihm das Schwert tief ins Herz. Die Menge verstummte, als sie sah, wie der Drache sich aufbäumte, Ruena losließ und zu Boden stürzte. Nagrat zog das Schwert heraus und rammte es dem Drachen nochmals in den Leib. Aber er war bereits tot. Ruena lag bewusstlos am Boden und Nagrat eilte so gut er konnte zu ihr. Sie war am Leben. Auf einmal erfüllte ein Schrei die Arena und alle Menschen blickten hinauf in des Bürgermeisters Loge. Lenard wurde von heftigen Krämpfen geschüttelt und sein Körper begann sich zu verformen. Ihm wuchsen Flügel aus den Schultern und gewaltige Hörner aus dem Kopfe. Er hatte sich in einen Drachen verwandelt und er schaute den Bürgermeister mit finsterem Blicke an. Dem Bürgermeister wurde Angst und Bang und er flehte um sein Leben, doch der Drache schlug ihn mit seinem Flügel tot. Der Drache flog auf die beiden zu und Nagrat wollte gerade sein Schwert ziehen, als der Drache sprach: "Ich richte mein Wort an alle Menschen. Ich habe den Bürgermeister nicht zum Spaße getötet, sondern weil er in Wirklichkeit ein grausamer Magier war, der das ganze Land verhext hatte. Auch mich. Die Seuche, die das Dorf dieser beiden tapferen Helden befallen hatte, wurde auch durch ihn ausgelöst. Es gab auf der Welt viele Drachen, die den Menschen freundlich gesinnt waren, doch einer von ihnen war böse. Es war Ascor, der Euch hier zu Füßen liegt. Er hatte sich mit dem Zauberer verbündet und wollte Hass und Verderben über die Menschen und die Welt bringen und Ihr alle hier habt Euch blenden lassen. Auch ich." Nagrat ließ sein Schwert sinken und schaute den Drachen an: "Aber warum bist du uns gefolgt und warst so gemein, Lenard? Wir haben dir nie etwas getan." Doch Lenard schüttelte den Kopf: "Verzeiht mir diese Intrige, doch nur durch Euch sah ich die Chance, die Menschheit zu befreien und Ascor zu vernichten. Ihr seid sehr stark und hütet ein großes Geheimnis." Ruena erwachte wieder und stand langsam unter Schmerzen auf. Nagrat erzählte ihr kurz von den Vorfällen und fragte den Drachen schließlich: "Was für ein Geheimnis?" Der Drache blickte sie traurig an: "Um dies zu erfahren, müsst Ihr Euer menschliches Leben opfern, um Euer eigentliches anzunehmen. Ihr seid in Wirklichkeit Geschöpfe wie ich es bin, doch ich bringe es nicht über mein Herz, Euch aus Eurem jetzigen Leben zu reißen. Ihr seid glücklich und zufrieden, während wir Drachen immer auf der Suche nach den Unseren sind. Es gibt so viele verzauberte Drachen in der Welt, die ich befreien möchte. Nur ob Ihr es wollt, ist nicht gewiss." Ruena blickte Nagrat lange an und sie nickten sich zu. "Lenard, was auch kommen mag, wir werden es gemeinsam durchstehen. Wir werden uns unserem Schicksal fügen und das werden, wozu wir bestimmt sind. "Seid Ihr Euch wirklich sicher?" Sie nickten beide. "So sei es denn." Lenard richtete seinen Kopf in den Himmel und sprach einen Zauberspruch. Blitze durchzuckten den Himmel und die Körper der beiden verwandelten sich in Drachenleiber. Die Menschen kamen zu ihnen und entschuldigten sich für ihren Verdacht und ihre Boshaftigkeit und versprachen den Drachen, die Welt über das Unrecht, was den Drachen widerfahren war, aufzuklären. Die drei Drachen flogen dann davon, um die anderen zu suchen.

Bald danach gab es wieder viele Drachen in der Welt und manchmal sah man drei von Ihnen über den Himmel ziehen.
 

© Shenazal Arghomor
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