Wie ein Gnom mit
Hilfe von Pink Floyd die Welt vor einer Horde blutgieriger Zwerge rettete
(ein Drache kommt auch drin vor)
von Gloimann |
Mostrich, der Wirt der einzigen Gastronomie in Senf, saß auf einem Hocker hinter seinen Tresen und langweilte sich. Es war ein normaler Dienstagvormittag, ein Zeitraum in dem sich kaum einer im Senftopf, wie die Gaststätte hieß, blicken ließ. Die Zeit verstrich zäh wie Blütenhonig aus den naheliegenden Imkereien und Mostrich gähnte mehr als einmal herzhaft, sah auf die Uhr über der Tür und wischte mit einem Lappen über den Tresen. Endlich, exakt in dem Moment, in dem die Turmuhr der Kapelle zwölf Uhr ankündigte, betraten Jim und Joe - zwei Arbeiter aus dem nahen Kohlebergwerk - und die Hausfrau Mary die Örtlichkeit, setzten sich auf die Barhocker und bestellten je ein Bier. Die Pints wurden in einem Zug geleert und es wurde erneut bestellt. "Wie war euer Tag, Leute?", fragte Mostrich und polierte ein paar Gläser. "Also, zuerst bin ich aufgestanden, hab mich angezogen und bin zur Arbeit gegangen...", begann Jim, wurde jedoch sofort von Mary unterbrochen. "Du hast dich nicht gewaschen?" "Nein, wozu? Ich werde doch sowieso wieder dreckig." Joe nickte beifällig und nahm einen großen Schluck Bier. "Diese Einstellung gefällt mir." "Also, ich gehe also zur Arbeit, nehm mir meine Schaufel und meine Spitzhacke und geh in den Stollen. Dann stoße ich den Spaten in die Erde, überprüfe sie und schaufel sie hinter mich auf einen Berg, immer schön gleichmäßig damit nix verrutscht. Schließlich bin ich ein ehrenhafter Arbeiter. Dann stoße ich den Spaten noch mal in die Erde und überprüfe sie..." "Um sie dann anschließend hinter dich zu werfen?", mutmaßte Mostrich. "Genau, aber vorsichtig, damit nix verrutscht." Es kehrte wieder unangenehmes Schweigen ein und Mostrich sah es als seine Pflicht jenes zu vertreiben. Er räusperte sich geräuschvoll. "Und was habt ihr heute noch vor?", fragte er dann laut. "Hier sitzen", sagten alle drei einstimmig. Mostrich freute sich schon auf einen spannenden Nachmittag, als die Eingangstür aufschwang und eine äußerst merkwürdige Gestalt hineinwankte. Es war ein kleines Männlein ganz in einen roten Overall gehüllt, der Kopf von einer Zipfelmütze bedeckt. Ganz offensichtlich war es ein Gnom. Ein äußerst angetrunkener Gnom. Dies schloss Mostrich nicht nur aus dem torkelnden Gang des Winzlings, sondern auch aus dessen himmelblauer Hautfarbe, denn bei Gnomen wechselt jene tatsächlich nach dem Alkoholrausch. Der Gnom stand nun etwas unsicher auf den hageren Beinen in der Tür und starrte angestrengt in Richtung Tresen. Dann rülpste er gemächlich und bewegte sich auf sehr tapsige Weise auf die drei Gäste zu. "Ein Bier, der Herr?", fragte Mostrich möglichst freundlich, eben so freundlich, wie man zu einem besoffenen Gnom ist, der in ein höchstinteressantes Gespräch geplatzt ist. Das Kerlchen setzte sich auf einen Barhocker und übergab sich erstmal formschön über Marys Schoß, bevor er antwortete. "’tschuldigung, Lady... ja, gerne, sehr gerne...", sagte er und unterstrich das letzte "gerne" mit einem erneuten Rülpsen. Jim reichte Mary drei Erfrischungstücher mit denen sie sich von dem Erbrochenen befreite. "Wie heißt Ihr, Genosse?", fragte sie, nicht aus Höflichkeit, sondern lediglich aus rechtlichen Gründen. Wenn sie den Namen wusste, konnte sie ihn wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses anzeigen. Doch der Gnom war in einem Zustand, in dem er Höflichkeit nicht von rechtlichen Gründen unterscheiden konnte. "Mein Name ist Expander. Expander Emil." Mary kritzelte schnell etwas auf eine Serviette und steckte sie in ihren Ausschnitt. Expander nahm das Bier entgegen und ließ es sich in den Mund laufen. "Und was führt Euch zu uns? Wir sehen nur selten Geschöpfe eurer Gattung in diesem Bezirk", fragte Mostrich, ebenfalls nicht aus Höflichkeit. Der Gnom brauchte anscheinend einen Moment bis er merkte, dass er gemeint war, denn er sah zuerst die anderen Gäste aufmunternd an, bis er die verständnisslosen Blicke dieser richtig deutete. "Von weit her", sagte er knapp und nahm einen weiteren Schluck aus seinem Glas. Diese umfangreiche Information schrie geradezu nach einer Nachfrage. "Und von wo genau?" "Ingwer." Ingwer. Das war tatsächlich weit entfernt. Eine kleine Stadt am Rande der Pfefferwüste. Mostrich pfiff anerkennend. "Es heißt, aus Ingwer kommen die intelligentesten Leute?", erkundigte er sich. "Humbug!", rief Expander. Kein besonders schlauer Schachzug, aber was will man von einem Gnom aus Ingwer schon Großartiges erwarten? "Wir in Ingwer sind bodenständig. Bei uns ists nicht so Finger-im-Po-Mexiko wie hier! Nahein!" Expander versuchte sich Bier in den Rachen zu kippen, war aber so zu, dass er das Glas über seiner Nase ausschüttete. Das gab natürlich ein paar unangenehme Schnäuzgeräusche, bei denen Mary abermals etwas auf ihre Anzeige-Serviette schrieb. Nach einer Weile sah der Gnom abrupt auf. "Musik! Wie wäre es denn mit Musik?" "Musik?", fragte Mary angeekelt. "Jene Kunstform, die den Geist vernebelt, und das Hirn verkrüppeln lässt?" "Ganz genau! Es war ein harter Tag da draußen. Ich brauche ein wenig Ablenkung." "Dann soll er halt Drogen nehmen! Bitte Mostrich, quäl mein Zwerchfell nicht mit diesen Satanstönen!" Mostrich übersah großzügig Marys unbefriedigende Kenntnisse der menschlichen Anatomie. Musik wäre wirklich nicht schlecht. Wie lang mochte es her sein, als er das letzte Mal Musik gehört hatte? Richtige Musik. Nicht das amelodische Klopfen der Löffel Betrunkener auf leere Bierkrüge. Drei Jahre? Vier Jahre? Dabei hatte er noch ein Grammophon in der Abstellkammer stehen. "Nun gut, Herr Emil. Ich will Euch euren Wunsch gewähren." Das Grammophon wurde aus der Kammer geholt, in die Stube gestellt und erst in diesem Moment fiel Mostrich ein, dass man für Musik auch Schallplatten brauchte. "Keine Sorge. Ich hab eine dabei", sagte Expander und reichte dem Wirt eine verstaubte Scheibe. Pink Floyd. Ob das gute Kneipenmusik ist, darüber lässt sich streiten, aber es war eine wohltuende Abwechslung, ja, das war es auf jeden Fall. Eine Zeit lang hörte man nur das surreale Plätschern der Musik und das gelegentliche Rülpsen des Gnoms, bis dieser plötzich empört auf den Tisch schlug. "Das soll Pink Floyd sein?" "Tja, würde ich schon sagen. Das ist Another Brick In The Wall." Mostrich war ziemlich stolz, dass er das wusste. Zu seinem Leidwesen wusste dies aber keiner ausreichend zu honorieren. Lediglich Mary nickte zustimmend. "Another Brick In The Wall ist von Pink Floyd?" "Jep. Genauso wie Yesterday von den Beatles ist und, äh, Smells Like Teen Spirit von Nirvana." Der Stolz ließ Mostrichs Brust anschwellen. Kannte er sich aber gut aus in der Musikkultur. Der Gnom lauschte wieder ein wenig der Musik. "Das ist doch nicht Pink Floyd! Das kenne ich irgendwo anders her, verstehen sie? Ich hab so ne Art Däschawü..." Sein Kopf knallte auf die Tischplatte, doch seine Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger ragte, wie eine knochige, alte Birke, in die Höhe. "Safran!", rief Expander, als hätte er des Rätsels Lösung endlich gefunden. Die vier Anderen wichen entsetzt zurück. Safran. Das war ein verhasster Name in diesen Landen. Safran, das war der Name der Gebirge hinter den südlichen Einöden. Dort, hieß es, lebten die Schwarzzwerge. Scheußliche Kreaturen, auf ewig dazu verbannt in den finsteren Höhlen Eroberungspläne zu schmieden, um irgendwann den Süden mit ihren blitzenden Äxten zu unterjochen. "S...safran?", fragte Mostrich unsicher. "Ja." Expanders Stimme war nicht viel mehr als ein Lufthauch. "Ich war da, wisst ihr? Sie hatten mich gefangen, aber nicht mit mir, ich bin entkommen! Aber während ich in den dunklen Stollen Diamanten aus den Wänden schlug, lag die ganze Zeit dieses Lied in der Luft, die dort unten so dick wie die Kloßbrühe meiner Mutter ist, und die ist die dickste Kloßbrühe der Welt, das könnt ihr mir glauben!" "Die Schwarzzwerge hören Pink Floyd?", fragte Mostrich abermals. "Nein!", brüllte der Gnom und hob seinen Kopf wieder vom Tisch. "Das ist nicht Pink Floyd. Das ist der Schlachtgesang der Zwerge! Und es dauert nicht mehr lange, dann kommen sie und erobern den Süden!" Die Platte leierte zu Ende und gepenstische Stille kehrte ein. Mostrich räusperte sich. "Ich finde, wir sollten erstmal alle ein wenig schlafen. Herr Emil, darf ich euch ein Zimmer anbieten?" "Warum nicht?", quiekte der Gnom. "Warum eigentlich nicht?" Die drei anderen Gäste verabschiedeten sich und machten sich auf den Weg ins traute Heim, während die ungewisse Dunkelheit Senf verschluckte, wie ein Pacman einen weißen, viereckigen Punkt. Mostrich schloß die Türe, zog seine Schlafmaske auf und legte sich in sein Bett. Der Gnom war ihm unheimlich gewesen. Er wurde das Gefühl nicht los, dass dieses arme Wesen Wahrheit sprach, aber wie konnte das die Möglichkeit sein? Pink Floyd als Kriegsgeheul der Schwarzzwerge? Das war banal! Nein, er musste sich nun wirklich überhaupt keine Sorgen machen. Und schon bald ließ ihn der Schlaf seine Ängste vergessen. Daddy's flown across the ocean
Beim zweiten another brick erwachte
er. Was war das? Auf jeden Fall nicht das Original. Vielleicht eine der
unzähligen Coverversionen? Dann fiel ihm ein, dass wohl kaum jemand
eine Coverversion von Another Brick In The Wall hört. Gerade
nicht in Senf. Hier hörte man vielleicht die Weather Girls oder ABBA,
aber doch nicht Pink Floyd. Zudem klang diese Version nun wirklich
sehr schlecht und, Mostrich wusste es nicht anders zu beschreiben, live.
Ende
© Gloimann
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen! |