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Diese Geschichte wurde von den Drachental-Besuchern
zur zweitbesten Fantasy-Story 2003 im Drachental gewählt!

Der Drachentöter von Greif

Sie waren jetzt bereits vier Stunden lang durch diese trostlose, öde Gegend gewandert. Langsam schien Kelhims Vermutung, dass er und seine Tochter die falsche Richtung eingeschlagen hatten, sich zu bewahrheiten. Kelhim wurde vom König Priwin auserwählt, den Drachen, der das Königreich seit längerem regelmäßig attackierte, zu töten. Rebecca kam mit, denn sie war Halbwaise und erst elf Jahre alt. 
Und nun waren beide hier, weit entfernt von jeglicher Zivilisation. "Ich hab' keine Lust mehr weiter zu laufen", rief Rebecca  ihrem Vater plötzlich zu. Sie war stehen geblieben. Kelhim hatte so etwas befürchtet. Er holte tief Luft und sagte schließlich: "Na gut. Schlagen wir eben hier unser Lager auf." Die beiden holten ihre Decken aus den Rucksäcken und breiteten diese aus. Kaum hatte Rebecca sich hingelegt, schlief sie auch schon ein. Ihr Vater trank noch einen Schluck Wasser vom nahe gelegenen Bach, bevor auch er sich ausruhte. 
Am nächsten Morgen wurden beide schon früh wach, denn ein beißender Geruch lag in der Luft. "Rauch", rief Rebecca. "Sieh doch, dort drüben brennt der Wald." Ihr Vater richtete sich verschlafen auf. "Der Drache war hier", sagte er. "Wir hatten großes Glück, dass es uns nicht erwischt hat." Nach einem kurzen und eher dürftigem Frühstück mit Brot und Wasser gingen Rebecca und ihr Vater zu dem brennenden Waldstück. Was aus der Ferne wie ein kleines Feuer aussah, entpuppte sich von Nahem als eine rauchende Schneise, die etwa 400 Meter lang war.
Als die beiden der Spur der Verwüstung folgten, fanden sie inmitten der verkohlten Baumstümpfe die für einen Drachen offenbar ungenießbaren Reste eines Waldarbeiters. Kelhim inspizierte die Leiche kurz und meinte schließlich " Der ist höchstens eine halbe Stunde lang tot. Der Drache muss noch in der Nähe sein." Sie waren vielleicht zwei Minuten weiter der Schneise gefolgt, als sie den Drachen auf einmal sahen. Er lag schlafend auf einer Lichtung, die er selbst in den Wald gebrannt hatte. "Was für ein majestätisches Wesen", staunte Rebecca. Leider tat sie dies so laut, dass der Drache aufwachte. Er blickte sich um und entdeckte Kelhim und seine Tochter. Eine Zeit lang starrte er Kelhim nur an, doch als er dessen Schwert sah, bäumte er sich auf und wollte sich auf ihn stürzen. Doch dieser war etwas schneller, zog sein Schwert hervor und versuchte es dem Drachen in den Leib zu stoßen. Dieser wich aber geschickt aus und so wurde aus einer tiefen Stichwunde nur ein kleiner 'Kratzer', den der Drache nicht einmal zu spüren schien. Doch er war offenbar vorsichtiger geworden, denn er begann, mit seinen mächtigen Flügeln zu schlagen und hob schließlich ab. "Wir werden uns wiedersehen, Mensch", grollte er, bevor er in Richtung Westen davonflog. Die Art, wie er das sagte, ließ keine Zweifel offen, dass das vielleicht früher sein würde, als ihm lieb ist. Kelhim wollte nach Westen aufbrechen, um dem Drachen zu folgen, doch Rebecca hielt ihn noch einmal zurück. Sie sah ihn eine Weile fragend an, dann sagte sie: "Bitte töte ihn nicht; er ist nicht so, wie du denkst." - "Was soll das heißen?" - "Nun, er hat dich nur angegriffen, nachdem er deine Waffe gesehen hatte. Er hat nur Angst vor Waffen!" Daraufhin schwieg ihr Vater eine Weile und die beiden brachen nach Westen auf.
Unterwegs meinte Kelhim: "Ich glaube, du hast Recht, er braucht unseren Schutz." Jetzt wollte Rebeccas Vater so schnell wie nur möglich zu König Priwin, um ihm Bericht zu erstatten. 
In Gorwyn angekommen schickte er Rebecca, die von der Wanderung schon sehr erschöpft war, nach Hause, während er zum Palast eilte und um eine Audienz bat. Er erhielt diese, doch nachdem er Priwin seine Geschichte erzählt hatte, begann dieser schallend zu lachen: "Ihr werdet doch nicht auf das Geschwätz dieses dummen Görs hereinfallen!" - "Mit Verlaub, Majestät, aber dieses dumme Gör ist meine Tochter, und ich glaube ihr!" Doch König Priwin hatte Kelhim schon nicht mehr zugehört und fuhr ungerührt fort: "Ich dachte mir schon, dass ihr versagen werdet, deshalb habe ich Vorsorge getroffen und bereits vor drei Stunden jemand anderen auf den Drachen angesetzt." - "Wer ist es?!" - "Barnabas", antwortete ihm der König. - "Aber er wird ihn töten", entfuhr es Kelhim.
"Dazu habe ich ihn ja auch beauftragt", meinte Priwin daraufhin. - " Nein! Soweit darf es niemals kommen." rief Kelhim und mit diesen Worten stürzte er aus dem Thronsaal.
Draußen wurde er bereits von seiner Tochter erwartet. Als er des Königs Worte wiederholen wollte, unterbrach ihn seine Tochter: "Ich weiss über alles Bescheid; ich habe euch belauscht." - "Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren, lass uns jetzt noch aufbrechen", wandte sich Kelhim an seine Tochter.
Die Beiden zogen nach Westen, die Richtung, in die der Drache angeblich weiter sei. Rebecca hatte von Kelhim nicht erfahren, wohin es gehen sollte, doch sie vermutete, dass er nach Cavallon wollte, einer Stadt, die eine halbe Tagesreise von ihrer Heimat entfernt war. Unterwegs gab es keine Probleme und so wurden aus dem halben Tag nur knappe acht Stunden. In Cavallon angekommen, fanden sie die Straßen und Gassen völlig menschenleer vor. Als sie sich jedoch dem Marktplatz näherten, kam ihnen ein Junge entgegengelaufen, der ihnen etwas zurief wie: "Wenn euch euer Leben lieb ist, dann rennt um es." Doch Rebecca und Kelhim gingen weiter, wenn auch nicht mehr so schnell wie zuvor.
Als sie vielleicht noch 100 Meter vom Platz entfernt waren, sahen sie auch, was der Grund für das Fernbleiben der Leute war: Der Drache war hier und ihm gegenüber stand niemand anderer als Barnabas! Erst sahen die Beiden fassungslos zu, wie der Kampf begann: Nach einem Siegesschrei von Barnabas, rannte dieser auch schon auf den Drachen zu und zog sein Schwert. Doch auch der Drache setzte sich zur Wehr und versuchte, seinen Angreifer mit einem Feuerstoß unschädlich zu machen. Doch da Barnabas ein Profi in seinen Werk war, schaffte er es, dem Flammentod zu entgehen und stand jetzt praktisch unter dem Drachen, da löste sich Kelhim aus seiner Erstarrung, stürzte auf die Beiden zu und rief noch: "Halt!", doch es war zu spät: Barnabas holte aus und stieß das Schwert dann dem Drachen tief in seinen Leib. 
Dieser bäumte sich nochmals auf und brüllte erneut, dieses mal aber vor Schmerz, bevor er auf den Boden sank und mit den Worten: "Ich sagte ja, dass wir uns wieder sehen werden." aus dem Leben schied.
In diesem Moment brach für Rebecca und ihren Vater eine Welt zusammen; eine Welt, die sie erst seit dem Vorfall auf der Lichtung verstanden hatten.
Ihr Vater kam von der Leiche zurück, legte Rebecca seinen linken Arm um die Schulter und die Zwei machten sich auf den Heimweg. Vorher erwiesen sie dem Drachen aber noch eine Art letzte Ehre: Sie ließen ihm auf der Lichtung, wo Rebecca ihn das Erste mal gesehen hatte, ein Grabmal errichten.
 
© Greif
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