Himmelstänzer von Morgenblume
Ein elfischer Fortsetzungs-Roman
1

Chrystal packte ihre Freundin am Arm und zeigte aufgeregt nach Norden. "Glimmer, sieh nur. Dort hinten ist eine Rauchsäule zu sehen." Die riesige, schwarze Säule in der Ferne schien beinahe in den Himmel hinein zu ragen. "Was ist dort?" Chrystal starrte gebannt zu der Rauchsäule. "Ich weiß es nicht." Komm mit, wir erzählen es den anderen. Vielleicht haben die eine Erklärung dafür." Aufgeregt rannten die beiden Elfenkinder den Hügel hinunter, auf welchem sie bis eben noch gespielt hatten, hinein in den dichten Wald.
"He, he. Was hat euch denn gestochen? Oder ist wieder einmal ein Wespenschwarm hinter euch her? Wundern würde es mich nicht." Ilan, der weißhaarige Pflanzenformer und Stammesälteste sah die beiden Elfen spöttisch an. Beinahe wären Glimmer und Chrystal mit ihm zusammengestoßen. Glimmer packte seine Hand und stammelte: "Da hinten... Komm mit... Wir haben etwas entdeckt, und wissen nicht, was es..." Chrystal mischte sich in das Gestammel ihrer Freundin ein: "Ich habe es als erstes gesehen. Es bedeckt fast den ganzen Himmel. Du musst mitkommen und..." "SCHLUSS JETZT!!! Ich verstehe kein Wort von dem, was ihr sagt. Redet nicht alle beide gleichzeitig und so wild durcheinander. Das einzige, was ich bis jetzt mitbekommen habe, dass ihr irgendetwas entdeckt habt und es mir zeigen wollt. Okay, und was wäre das? Nein, warte Glimmer. Chrystal hat es als erstes gesehen. Also soll sie auch anfangen." Chrystal holte tief Luft, ehe sie zum Erzählen ansetzte: "Also, wir beide haben oben am Hügel gespielt, und da hab ich dann plötzlich am Horizont Rauch gesehen. Es scheint ein ganz großes Feuer dort hinten zu sein." Ilans kniff seinen Mund zusammen. Seine Miene war ernst geworden. Er wandte sich an Glimmer: "Hol die anderen. Ich werde inzwischen versuchen herauszubekommen, was der Rauch zu bedeuten hat. Vielleicht ist es ja auch nur ein kleiner Waldbrand."
Während die Kinder in Richtung des Elfendorfes verschwanden, hoffte Ilan insgeheim, dass es wirklich nur ein harmloses kleines Feuer sei. Langsam ließ er sich zu Boden nieder, und legte seine Fingerspitzen auf die Rinde einer kleinen Fichte. Er berührte die harte, raue Oberfläche, und spürte zugleich aber auch, wie die Lebenskraft des Baumes unter dieser pulsierte. Langsam schloss er seine Augen und ließ seine Magie in den Lebensstrom des Baumes fließen. Seine Atmung wurde langsamer. Er wurde für einen Augenblick eins mit dem Baum. Dadurch konnte er Sprache der Bäume verstehen und erfuhr dadurch auch, was im Wald vor sich ging. Aber was er diesmal entdeckte, gefiel ihm ganz und gar nicht. Für einen winzigen Moment verlor er die Fassung, und seine Magie geriet aus dem Gleichgewicht. Sein Geist wurde mit der Intensität des Baume konfrontiert. Er geriet in Gefahr, sich in dem Baum zu verlieren. Mit Gewalt brachte Ilan seine Kräfte wieder unter Kontrolle, und ließ den Stamm der Fichte los. Kraftlos fiel er zu Boden. Die Verschmelzung hatte ihn doch mehr an Kraft geraubt, als er geglaubt hatte. Mühsam stemmte er sich hoch. Er benutzte die Fichte als Stütze, ohne allerdings seine Magie einzusetzen. Er hob seinen Kopf und blickte durch die Zweige der Bäume hinauf in den Himmel. Tief holte er Luft. Dann drehte sich der Pflanzenformer um. Glimmer und Chrystal waren mit den anderen Elfen aus den Dorf zurückgekehrt. Sie alle hatten schweigsam den Treiben von Ilan beigewohnt. Siri, Ilans Schwester, trat zu ihrem Bruder und wollte ihn stützen. Er allerdings schob sie zur Seite und ging einige Schritte auf die anderen zu. Jeden von ihnen musterte er. Er wusste, dass sie keine Chance gegen das haben würden, was da auf sie zukam. Sie waren zu wenige, und viele waren im Kampf unerfahren. Die Kinder, es waren fünf an der Zahl, waren noch zu jung, um den Ernst der Lage zu verstehen. Und der Rest des Elfendorfes bestand aus zehn Erwachsenen. Ihn dazugezählt waren elf. Aber sie waren Bauern, keine Krieger... Er seufzte. Die anderen sahen ihn erwartungsvoll an. Sie warteten darauf, dass er ihnen endlich erklärte, was los sei. Von Glimmer und Chrystal hatten sie schon etwas erfahren, aber sie konnten sich trotzdem keinen Reim daraus machen. Ilan nahm die Hand von Siri in die seine. Seine Schwester war neben ihn getreten und sah ihn ebenso erwartungsvoll an. "Ich weiß, ihr wartet auf eine Antwort auf das, was geschehen ist. Doch seit versichert, auch ich weiß nicht genau, warum und weshalb. Ich weiß nur, was es ist." Er holte tief Luft. Dann fuhr er fort: "Die Bäume haben mir mitgeteilt, dass es Menschen sind, welche das Feuer gelegt haben, und welche nun in unsere Richtung kommen. Sie befinden sich nur noch einige Tagesmärsche weit weg. Und weitere folgen ihnen. Sie tragen blinkende, schwere Kleidung. Ich glaube, sie nennen sie >Rüstung<." Torin, der einzige Jäger des kleinen Elfenstammes, trat vor und deutete auf die anderen Elfen hinter sich: "Ja und? Deswegen lässt du uns alle hierher rufen? Menschen. Als wäre das etwas besonderes. Vielleicht wollten sie nur ein Lagerfeuer entzünden, und dabei ist es außer Kontrolle geraten. Und was weißt du schon über Rüstungen? Du hast doch, genauso wie wir anderen hier, nur davon gehört. Das einzige, was du und ich jemals zu Gesicht bekommen haben, war vielleicht einmal ein Panzerhemd von den Händlern. Und was wollen so viele Menschen denn überhaupt so tief im Wald?" Obwohl Ilan der Stammesälteste war, und über die Gaben eines Pflanzenformers verfügte, galt er als Außenseiter. Seine Angewohnheit, Zwiesprache mit den Bäumen und Pflanzen zu halten, war den anderen unheimlich. Es verwunderte die wenigsten, dass Torin sich mit den älteren Elfen anlegte. "Torin, bitte, du musst mir glauben. Und auch ihr anderen. Die Bäume haben es mir mitgeteilt. Es herrscht große Verwirrung unter ihnen. Ich habe es selber gespürt und gesehen. Die Menschen, welche auf uns zukommen, bringen Unruhe in den Wald. Sie hinterlassen eine Spur von Zerstörung und Verwüstung. Die Bäume warnten mich davor, noch länger hier an diesen Ort zu verweilen. Wir sind hier nicht länger sicher." Torin sah den Pflanzenformer an, dann legte er seinen Kopf zurück, und lachte schallend. Sein schulterlanges, braunes Haar fiel ihm dabei in den Nacken. "Zuerst einmal glaube ich kein Wort davon, was dir irgendwelche Bäume erzählt haben. Nichts gegen deine Gabe, Pflanzen zu formen. Sie war uns oft schon von großem Nutzen. Aber warum sollte sich irgendein Baum mit dir unterhalten? Und warum, wenn es wahr ist, was du uns da erzählst, sollten uns Menschen angreifen wollen? Wir haben denen doch gar nichts getan. Ich denke nicht im Traum daran, diesen Ort zu verlassen und irgendwohin zu gehen. Und ich nehme an, die anderen sind genauso meiner Meinung." Er drehte sich um, und sah, dass die anderen Elfen nickten. Dann wandte er sich wieder Ilan zu. "Siehst du. Die anderen glauben deinen Worten ebenso wenig wie ich es tue." Ilan stürzte vor und packte Torin am Arm. "Und was glaubst du, haben wohl Glimmer und Chrystal gesehen?" Der Jäger schüttelte die Hand des Pflanzenformers ab. "Die Kinder", das letzte Wort betonte er besonders, "haben lediglich eine Rauchsäule am Himmel gesehen. Mehr auch nicht. Als wir hier herkamen, hofften wir, dass du uns vielleicht mehr darüber erzählen könntest. Stattdessen hören wir wieder einmal eine deiner Fantasiegeschichten. Reicht es denn nicht, dass du uns jedes Mal die Händler vertreibst? Musst du jetzt auch noch unsere Kinder erschrecken?" Ilan ließ müde seine Schultern hängen. Er hatte nicht erwartet, auf solche Missverständnisse zu stoßen. Noch immer hatte er die schrecklichen Bilder der Zerstörung, welche ihm die Bäume gezeigt hatten, vor Augen. Verzweifelt wandte sich der Pflanzenformer an die anderen: "Was ist mit euch? Ihr müsst mir glauben! Etwas schreckliches wird geschehen. Wir müssen weg von hier. Bitte hört doch auf mich." "Was ist, wenn er nun recht hat? Erinnert ihr euch nicht mehr an die alten Geschichten, welche von der alten Feindschaft zwischen unserem Volk und den Menschen erzählen? Was ist, wenn das sich jetzt wiederholt? Vielleicht hat mein Bruder ja recht." Siri sah Torin mit einem durchdringenden Blick an. Dieser runzelte die Stirn. Er drehte seinen Kopf zu den anderen Elfen herum und befahl: "Schickt die Kinder weg. Sie brauchen nicht alles zu hören." Während die anderen Kinder widerspruchslos zum Dorf zurückkehrten, murrten Chrystal und Glimmer. Sie wollten unbedingt erfahren, was nun geschehen würde. Aber ein strenger Blick von Torin, und ein kurzes Nicken von Ilan ließ beide verstummen. Beleidigt drehten sich die beiden jungen Elfen um, und verschwanden im Wald. Torin wandte sich wieder Siri zu. "Sicher kenne ich die alten Geschichten. Vielleicht sind sind sie wahr. Wer weiß. Aber ich wiederhole es noch einmal: Warum sollten uns die Menschen angreifen? Wir haben ihnen nichts getan. Und..." Ilan unterbrach den Jäger: "Den Grund kenne ich nicht. Aber irgendetwas hat die Menschen aufgewiegelt gegen uns. Ich habe es gespürt. Die Menschen sind nicht allein." "Das wird ja immer besser. Jetzt sind es nicht nur die Menschen, nein, jetzt soll sie auch noch jemand gegen uns aufgewiegelt haben. Wer ist denn der große Unbekannte? Etwa die Trolle? Die sind froh, wenn man sie in Ruhe lässt. Keiner weiß, ob sie überhaupt noch existieren. Ich habe schon lange keinen mehr von denen zu Gesicht bekommen." Ilan hob verzweifelt die Arme. Seine Stimme klang beinahe hysterisch: "Nein, keine Trolle. Etwas anderes." Torin hob seinen Blick gen Himmel und seufzte. "Nun gut. Ich mache dir einen Vorschlag. Wir werden von hier weggehen, wenn du uns einen Beweis für deine Behauptung vorlegst." "Ich soll was???" Die Stimme des Pflanzenformers überschlug sich beinahe. "Aber ich habe es euch doch gesagt, was geschehen ist und was und welche Gefahr uns allen droht." Torin brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. "Ilan, bring mir einen handfesten Beweis, und ich werde dir glauben. Dann werden wir weitersehen. Das ist mein letztes Wort." Torin drehte sich um, und schritt davon. Die restlichen Elfen folgten ihnen. Ilan blieb alleine auf der Lichtung zurück. Müde legte er seine Hand auf einen Baum, um sich zu stützen. "Diese Narren. Welchen Beweis soll ich ihnen denn liefern? Bald wird der lebende Beweis vor unserem Dorf stehen. Alleine schaffe ich es einfach nicht, die anderen zu überzeugen. Es sei denn..." Ilan fuhr hoch und schlug sich eine Hand vor den Kopf. Ihm war gerade eine Idee gekommen, wie er Torin und die anderen doch noch umstimmen könnte. Obwohl die Elfen des Dorfes schon lange den Kontakt zu ihresgleichen abgebrochen hatten, wusste Ilan, wo er eine anderen Elfenstamm finden konnte. Genauso wie er verfügten sie noch über die alten Zauberkräfte ihrer Rasse. Wenn er die "Hüter" davon überzeugen könnte, ihm Glauben zu schenken, und sie um ihre Hilfe bat, war es vielleicht doch noch nicht zu spät...
 
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Bestimmt wird's hier bald zum 2. Kapitel gehen ;-)

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Denkt bitte daran: auch diese Geschichte nimmt am Drachentaler-Wettbewerb teil.
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