Zwei berühmte Hobbits
Peregrin Tuk, dieser berühmte Hobbit des
Auenlandes, war auf dem Weg zu seiner Höhle. In seiner Berühmtheit
stand er nur Sam Gamdschie, Frodo Beutlin und vielleicht dessen Onkel Bilbo
nach. Es gab nur noch einen weiteren Hobbit, der ebenso berühmt war
wie er. Das war ein gewisser Gemüsedieb namens Meriadoc Brandybock.
Mit diesem Hobbit, genannt Merry, teilte er sich seit ihrer Rückkehr
von den Abenteuern mit Elben, Königen und Zwergen eine verwaiste Höhle
in Hobbingen.
Pippin und Merry hatten an den langen Abenden
im "Grünen Drachen" immer wieder erzählt, sie hätten nicht
nur zahlreiche Abenteuer erlebt, was schon bedenklich genug war. Sie wollten
sogar Anteil am Krieg der Großen, der Menschen und Elben, gegen den
bösen Herrscher Sauron gehabt haben. Verbürgt war allerdings
nur, dass sie schon vor ihrer langen Reise eifrige Gemüsediebe waren.
Aber wie es so war im Auenland, grüßte
man auch diese beiden Sonderlinge höflich. Man unterhielt sich freundlich
über die vergangene Ernte und den letzten Jahrgang des Pfeifenkrauts,
machte seine Geschäfte mit ihnen und trank gerne auf ihre Gesundheit,
wenn sie im "Grünen Drachen" einen Krug spendierten. Wenn Merry und
Pippin nicht anwesend waren, konnte man sich immer noch den Kopf über
die beiden heiß reden.
Merry hörte Schritte vor der kreisrunden
Höhlentür. Ein Gehstock klapperte fröhlich auf den Bruchsteinplatten.
Daran erkannte er seine alten Freund Pippin, der soeben die Tür öffnete.
Soso, dachte Merry, es ist schon wieder Teezeit. Ihm lief das Wasser im
Mund zusammen, als er an die Kuchen und Rosinenbrote dachte, die er gleich
mit seinem alten Freund vertilgen wollte.
"Hallo Pippin, alter Orktöter!", begrüßte
er seinen Freund.
Peregrin Tuk setzte sein breitestes Grinsen
auf.
"Euer Diener, verehrter Herr", antwortete
er nach Zwergenart und verbeugte sich. Sein Bauch war in den Jahren seit
der Rückkehr von den Abenteuern um einiges dicker geworden. So kam
er mit rotem Kopf und einem Ächzen wieder hoch.
Die beiden Hobbits fielen sich in die Arme
und klopften einander beherzt auf die Rücken. "Komm herein, Pippin!
Ich wollte gerade den Tisch decken. Es ist Zeit für die Teestunde
mit reichlich Gebäck."
Pippin nickte und wischte seine bepelzten
Füße sorgfältig an der dichtgewachsenen Grasmatte ab.
Der Esstisch war ein großes, rundes Stück
prächtiger Handwerksarbeit. Die gemütlichen Stühle darum
wären bei weniger wohlhabenden Hobbits auch als Sessel durchgegangen.
Mit einem weiteren Ächzen ließ sich Pippin in einen davon fallen.
Sein Freund Merry trug derweil zahlreiche Platten und Teller auf. Butterkuchen
gehörte zu einer richtigen Teezeit ebenso dazu wie große Laibe
Rosinenbrot. Zum Schluss stellte Pippin einen dampfenden Krug Kahweaufguss
auf den Tisch.
Nachdem im Auenland Ruhe und Frieden zurückgekehrt
war, waren wieder Händler gekommen. Die meisten waren Zwerge, seltener
Elben, manchmal vorgebliche Zauberer. So war eine Art Nuss zu den Hobbits
gekommen, die geröstet und fein gemahlen einen anregenden Aufguss
ergab. Gerade nach einem üppigen Essen, was ja bei Hobbits die Regel
ist, schaffte der Wohlbehagen in den gespannten Bäuchen.
Pippin setzte sich, band sich ein enormes
Taschentuch als Serviette um, und die beiden Halblinge langten tüchtig
zu. Nachdem zwei Rosinenbrote und der größte Teil des Butterkuchens
vertilgt waren, aßen die Freunde langsamer und bedächtiger.
Peregrin war der erste, der sich zurücklehnte
und die Hände vor dem Bauch faltete. Der oberste Knopf seiner
Hose spannte, denn er war wirklich fett geworden. Pippin holte tief Luft
und wollte gerade etwas sagen, als ein deutliches "Plopp" zu hören
war. Der Hosenknopf sprang förmlich von der Hose und landete mit einem
etwas leiseren "Plitsch" im Kahwekrug.
"Das ist das dritte Mal in dieser Woche",
stellte Merry fest. "Aber nimm noch, alter Freund, oder glaubst Du, den
Kuchen trage ich wieder in die Speisekammer? Soll ich frischen Kahwe aufgießen?"
Pippin schüttelte den Kopf und sah sich
langsam in der Höhle um. Den Knopf würde er aus der Kanne schütteln,
wenn sie leer war.
"Sehr gemütlich haben wir es hier", sagte
er.
Merry sah ihn an.
"So ist es. Allerdings sieht die Höhle
aus wie gestern, wie vorgestern, wie letztes Jahr und im Jahr davor. Und
an beinahe jedem dieser Tage haben wir hier unsere Mahlzeiten eingenommen."
Er schüttelte den Kopf, verwundert über
Pippins Bemerkung.
"Seit der Ring vernichtet, seit Sauron tot
ist, ist es sehr friedlich geworden", sagte Peregrin.
"Und seit Frodo nach Westernis gegangen ist,
waren wir nicht weiter von Hobbingen fort als bis zur Brandyweinbrücke,
wirst du gleich sagen", antwortete Merry.
"Weißt Du noch, wie wir vor vielen Jahren
mit der Bockenburger Fähre den Brandywein überquerten? Ja, wir
haben seltsame Abenteuer erlebt. Gut, dass es damit ein für alle mal
vorbei ist", fuhr Pippin fort.
"Höre ich da etwa Wehmut in Deiner Stimme?",
fragte Merry seinen Freund. Pippin starrte durch die flackernden Kaminflammen
in weite Fernen.
"Nun ja ...", sagte er gedehnt und legte die
Hände auf sein prächtiges Bäuchlein.
"Fünf Mahlzeiten an einem Tag und eine
warme und trockene Höhle sind natürlich nicht zu verachten."
Mittlerweile war die Teestunde in das Abendbrot
übergegangen. Merry stand auf, um die passenden Speisen herbeizuschaffen.
"Nun, Herr Tuk, wenn ich Euch in Euren Gedanken
stören darf: Was darf ich zum Abendbrot auftischen? Etwas Brot mit
kaltem Braten? Meerrettich mit frischen Kräutern? Es ist auch noch
etwas von dem Schinken da, den letzte Woche der Händler aus Bree verkauft
hat."
Pippin erwachte für eine Moment aus seiner
Versunkenheit.
"Oh ja, Herr Brandybock, das hört sich
sehr nahrhaft an. Vielleicht einen oder zwei Krüge Gerstenbier dazu,
wenn ich bitten darf?"
Merry stand auf und verließ den Raum
mit dem gemütlichen Kamin, dem großen Esstisch und der geblümten
Tischdecke darauf. Zwei Türen weiter befand sich die Speisekammer,
ein Raum ohne Fenster, dafür schön kühl, weil er tief im
Hang lag. Den Raum nur Kammer zu nennen, wäre natürlich untertrieben.
Wie es sich für eine Hobbithöhle gehörte, war der Raum mit
nicht weniger als vier großen Schritten zu durchmessen. Die Regale
an den Wänden reichten bis an die Decke und waren voll mit den verschiedensten
Köstlichkeiten. Eine Wand war freigehalten für diverse Fässer
mit Gerstenbier und Rebenzucker, wie der süße Wein aus dem fernen
Süden hieß, der jetzt gehandelt wurde.
Merry packte sich die Arme voll und balancierte
die vielen guten Sachen ins Esszimmer. Pippin stierte weiter ins Feuer
und schien seinen alten Freund gar nicht zu bemerken.
"Es wäre wirklich nett, wenn Du mir ein
wenig behilflich sein könntest, mein lieber Herr Peregrin Tuk."
Der Tadel brachte Pippin wieder in die Wirklichkeit
zurück. Schuldbewusst sprang er auf, nahm Merry aber nur den Krug
mit Bier und die beiden tönernen Becher ab. Mit den drei Etagen Tellern
und Tabletts auf seinem anderen Arm musste Merry selbst fertig werden.
Er verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf.
Während Pippin die Becher mit dem kühlen,
schäumenden Gerstensaft füllte, ordnete Merry die Tafel. Die
Reste der Teezeit räumt er nicht weg. Wer wusste schon, ob man nach
dem Abendbrot nicht noch ein paar süße Häppchen vertragen
konnte.
Pippin nahm einen tiefen Zug aus seinem Becher,
schmatzte, um dem bitteren Geschmack auf der Zunge nachzusinnen und wischte
sich den Mund mit der Hand ab.
"Weißt du, Merry, welches Bier von allen,
die wir gemeinsam getrunken haben, am besten geschmeckt hat?"
"Nein, aber ich habe so eine Ahnung, was jetzt
kommt", antwortete der.
"Das Bier bei Gerstenmann Butterblüm
in Bree", ließ sich Pippin nicht beirren. "Aber ich glaube, das Bier
an sich war gar nicht besser als dieses gute Gebräu aus unserer Speisekammer."
Merry machte ein verständnisloses Gesicht.
"Das Bier im 'Tänzelnden Pony' hat nur
aus einem Grund besser geschmeckt: Wegen der Abenteuer, die wir vorher
erlebt haben."
Jetzt verstand Merry.
"Du meinst, die Angst und die Not, die Anstrengung
und die Gefahr haben dafür gesorgt, dass unser Durst größer,
unsere Erleichterung nie zuvor tiefer war und wir deshalb Butterblüms
Bier so richtig genießen konnten?"
"Genau so ist es!", rief Pippin. "Und nie
wieder wird uns ein Bier oder ein einfaches Mahl so gut schmecken wie nach
einem überstandenen Abenteuer."
"Ich glaube, ich weiß, was Du gleich
sagen willst, närrischer Tuk." Merry gebrauchte die Bezeichnung, die
Gandalf immer benutzt hatte, wenn Pippin wieder einmal etwas Törichtes
eingefallen war.
"Wir könnten nach Bree wandern", schlug
Pippin vor. "Das wäre doch fast ein Abenteuer. Und zur Belohnung trinken
wir einen der großen Krüge Bier im 'Tänzelnden Pony'."
"Vielleicht auch zwei oder drei!", stimmte
Merry zu.
Er ließ sich mitreißen von der
abenteuerlustigen Stimmung seines alten Freundes.
"Ja, und unterwegs tun wir etwas, das wir
schon lange nicht mehr getan haben."
Merry sah seinen alten Freund fragend an.
"Bauer Maggot?"
"Und ob, Herr Brandybock. Es wird Zeit, dass
wir ihm mal wieder ein paar Möhren aus dem Beet rupfen."
"Genau!", juchzte Merry. "Und wenn er uns
erwischt, nehmen wir die Beine in die Hand. Wie in alten Tagen."
Das war das Stichwort, sich an eben diese alten
Zeiten zu erinnern. Bei geschmorten Zwiebeln mit Pilzen auf frischem Brot
und gut abgehangenen Würstchen schwelgten sie in den Abenteuern, die
sie vor so vielen Jahren erlebt hatten.
Schon oft hatten sie darüber gesprochen,
noch einmal ein Abenteuer zu erleben, nach Bree zu gehen oder gar bis nach
Bruchtal, Kämpfe auszufechten mit den letzten Haradrim, die sich noch
in der Nähe der Oststraße herumtrieben. Allerdings war es immer
dabei geblieben, sich an die alten Kämpfe zu erinnern, gut zu essen
und irgendwann in den "Grünen Drachen" zu gehen.
Als sie einige Zeit später keinen Bissen
mehr in ihre kugelrunden Bäuche bekamen, seufzten sie wohlig. Die
Behaglichkeit hatte die Lust auf Abenteuer verdrängt.
"Den Krug Abenteurerbier können wir genauso
gut im 'Grünen Drachen' trinken", schlug Merry vor.
Pippin pflichtete ihm bei.
"Und um bei Bauer Maggot Möhren zu stibitzen,
müssen wir nicht warten, bis wir uns nach Bree aufmachen."
"Richtig! Gehen wir in den 'Grünen Drachen'."
Die Arme einander um die Schultern gelegt,
machten sich die beiden Hobbits auf den kurzen Weg. Ihre großen,
behaarten Füße trugen sie eilig, und wegen der beiden Krüge
Gerstenbier, die sie schon getrunken hatten, nicht mehr ganz so sicher
in die Schenke. Weil sie die bekanntesten Halblinge des Auenlandes waren,
die bisher nicht nach Westernis gegangen waren, und wegen der vielen Geschichten,
die sie zu erzählen hatten, brauchten sie nur selten für ihr
Bier bezahlen.
© Dietmar
Preuß
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