Drei Hobbits brechen auf
Am nächsten Morgen hatte sich vor dem
"Grünen Drachen" eine stattliche Zahl Hobbits versammelt. Selbst dieses
recht bescheidene Abenteuer, das Meriadoc Brandybock und Peregrin Tuk beginnen
wollten, war ungewöhnlich genug, halb Hobbingen zu so früher
Stunde aus den warmen Betten zu treiben.
Die Leute diskutierten aufgeregt, was die
Reisegefährten erwarten würde. Man klopfte Merry und Pippin auf
die Schultern, probierte das Gewicht der Rucksäcke und stritt, ob
ein Eschen- oder ein Buchenstab der bessere Reisebegleiter sei. Ein paar
Hobbits schüttelten aber auch den Kopf über eine derart ungewöhnliche
Abenteuerlust. Selbst nach den unruhigen Zeiten gehörte sich das für
einen ehrbaren Hobbit nicht, meinten viele. Aber auch diese Nachbarn waren
anständig genug, Merry und Pippin eine glückliche Heimkehr zu
wünschen.
Die Sonne stand schon fast ganz über dem
Horizont, als Borko Stolzfuß im Laufschritt zur Dorfschenke kam.
Die Hobbits jubelten auch ihm zu und er grüßte lautstark zurück.
"Einen schönen guten Morgen wünsche
ich den Herren."
Er hatte erst nach einem großen Becher
Gebrannten beschlossen, das Beste aus der Sache zu machen, und war mit
dem scharfen Getränk im Bauch guter Stimmung. Merry und Pippin rochen
an seinem Atem deutlich, dass er sich Mut angetrunken hatte. Sie hatten
gar nicht mehr mit ihm gerechnet und waren doch erstaunt. Aber dann erwiderten
sie höflich seinen Gruß und die drei Reisegefährten klopften
einander auf die Schultern.
"Ich habe nicht geglaubt, dass Du den Mut
aufbringst, Borko. Selbst mit einem tüchtigen Schluck Gebrannten im
Bauch", fügte Merry dem Gruß hinzu.
"Den Gebrannten habe ich wegen der Kälte
eingenommen. Ich muss mir keinen Mut antrinken, mein Herr", sagte Borko
und machte ein beleidigtes Gesicht.
Pippin wollte nicht in schlechter Stimmung
losmarschieren und vergaß seine Bedenken.
"Ach natürlich, alter Stolzfuß",
rief er. "Wer gegen die Ostlinge und Haradrim gekämpft hat, den hindert
auch nichts daran, nach Bree zu reisen, was, alter Junge?"
Borko Stolzfuß war zwar froh, von den
beiden als Kamerad behandelt zu werden, blieb aber dennoch ein Stolzfuß.
"Was habt ihr denn gedacht, die Herren? Ein
Stolzfuß lässt sich nicht so leicht ins Bockenburger Horn jagen.
Schon lange nicht von zwei jungen Aufschneidern, wie ihr es seid." Dabei
war Borko auch nur wenige Jahre älter als Pippin.
Die beiden Freunde wollten sich die fröhliche
Aufbruchstimmung nicht verderben lassen und machten daher gute Miene zu
Borkos Worten. Nach weiteren zahlreichen guten Wünschen und vielen
Schulterklopfern brachen sie endlich auf. Sie kehrten dem Bühl den
Rücken zu und wandten sich nach Süden.
Auch Borko hatte einen Rucksack auf dem Rücken,
prallvoll mit Proviant und zwei Flaschen Gebranntem. Eine große Pfanne
war mit einem Lederriemen daran befestigt und klapperte im Takt der Schritte.
In seiner Rechten hielt er einen kräftigen Eschenstab, dessen Spitze
mit Eisen beschlagen war, an seiner linken Hüfte hatte er einen großen
Dolch befestigt, den er vor Jahren von durchreisenden Zwergen getauscht
hatte. Für einen Hobbit war der Dolch als Kurzschwert gut geeignet.
Merry und Pippin schritten tüchtig voran.
Ihre gute Laune ließen sie sich auch nicht davon verderben, dass
Borko sie nun doch begleitete.
"Wir werden uns schon zusammenraufen", hatte
Pippin leise zu Merry gesagt.
Sie hatten in etwa den Weg gewählt, den
sie auch vor so vielen Jahren gegangen waren. Abseits der Oststraße
wanderten sie vier Tage durch das Grünbergland und Waldende und verbrachten
die Nächte unter freiem Himmel. Sie brauchten diesmal natürlich
mehr Zeit, da die Rastpausen und Mahlzeiten länger ausfielen, als
bei der Flucht vor den Ringgeistern. Nur mit Schrecken erinnerten sie sich
an diese finsteren Gesellen. Dennoch konnten sie nicht so üppig dem
Essen zusprechen, wie Hobbits es gerne tun, denn sonst würden sie
Wochen bis nach Bree benötigen. Borko war daher bestürzt, als
am ersten Tag der Wanderung zunächst das zweite Frühstück
und dann auch noch der Tee ausblieb.
"Ach ja, das haben wir vergessen zu erzählen.
Wenn man auf Reisen vorwärts kommen möchte, muss die eine oder
andere Mahlzeit ausfallen. Daran wirst Du dich gewöhnen müssen",
erklärte ihm Merry.
Borkos Magen war über diese Eröffnung
so erschrocken, dass er laut knurrte. Dem frisch gebackenen Abenteurer
war auch anzumerken, dass ihm das Schlafen in Feld und Wald nicht sehr
geheuer war. In der ersten Nacht schreckte er bei dem kleinsten Geräusch,
das die Natur um sie herum machte, aus dem Schlummer. Aber bereits in der
dritten Nacht schlief er selig, dafür sorgten die Anstrengungen des
Tages. Er hielt zwar mit Merry und Pippin mit, aber solche Strecken war
er einfach nicht gewohnt. Und wären die beiden alten Gefährten
noch so abgehärtet gewesen, wie am Ende des Ringkrieges, Borko hätte
nach einem Tag aufgegeben.
Am Morgen des vierten Tages saßen sie
bei einem reichlichen Frühstück um ihre Feuerstelle und beratschlagten.
"Wie geht es denn weiter, Herr Tuk? Nehmen
wir die Bockenburger Fähre und gehen durch den Alten Wald oder überqueren
wir auf der Oststraße den Brandywein?", wollte Borko wissen.
"Natürlich nehmen wir die Oststraße.
Du willst doch wohl nicht freiwillig den Alten Wald durchqueren? Da soll
es immer noch spuken!", sagte Pippin.
"Ach was, ich habe keine Angst vor Spuk, im
Gegensatz zu euch beiden, will mir scheinen."
Pippin und Merry zwinkerten sich zu. Borko
schien einfach nicht gewusst zu haben, dass es im Alten Wald spukte. Das
wollte er jetzt mit großen Worten verbergen.
"Wir werden aber gleich eine Abkürzung
nehmen, die uns vielleicht zu unserem ersten
Abenteuer führt", fuhr Pippin fort. Merry grinste, denn er wusste,
dass sein Freund mit dem Abenteuer einen Besuch bei Bauer Maggot meinte.
Mehr ließ Pippin nicht aus sich herauslocken und Merry pfiff vergnügt
ein Liedchen. Borko Stolzfuß grummelte irgend etwas wie: "Pah,
Abenteuer! Was soll schon passieren? Alles nur Geschichten."
Als Merry und Pippin nach einigen Stunden plötzlich
stehen blieben, lief Borko, der tief in Gedanken versunken war, in sie
hinein.
"Pass auf, Borko Stolzfuß, wir werden
uns jetzt unser Abendbrot besorgen. Sei einfach ganz still und bleib dicht
bei uns. Wenn wir loslaufen, nimmst Du besser auch die Beine in die Hand."
Borko war zu verwundert, um zu fragen, wie
sie sich ihr Abendbrot besorgen wollten.
"Warum redet ihr von Abendbrot, wenn wir noch
kein zweites Frühstück, keinen Mittagstisch und keinen Nachmittagstee
hatten?" Ihm war in dieser Hinsicht sehr schmerzlich bewusst geworden,
was es hieß, unterwegs zu sein.
Merry und Pippin sahen sich um, ob die Luft
rein war, und gingen gebückt ein paar Schritte ins Riedgras seitlich
ihrer Fährte. Sie blieben wie angewurzelt stehen und drehten sich
um, weil Borko nörgelnd folgte.
"Schschscht!", machten sie gleichzeitig.
Borko, der keine Ahnung hatte, was die beiden
vorhatten, ging ein paar Meter hinter ihnen her und dachte immer noch über
die ausfallenden Mahlzeiten nach. So wurde ihm nicht bewusst, in welche
Richtung sie schlichen.
Merry und Pippin bewegten sich in nordöstliche
Richtung auf eine Bodenwelle zu, suchten Deckung und spähten vorsichtig
darüber. Borko kam schnaufend hinterher und warf sich neben die beiden.
"Was soll das überhaupt?", fragte er
und sah dann, dass in etwa 200 Meter Entfernung die Gemüsebeete von
Bauer Maggots Hof begannen. Zwischen der Bodenwelle und den Beeten wuchsen
nur ein paar Hollerbüsche, die prächtige Trauben dunkler Früchte
trugen. In der Ferne schimmerte das Band der Oststraße durch Alleen
und kleine Wäldchen.
"Ihr wollt unser Abendbrot doch nicht etwa
von Bauer Maggot stehlen?" Borko war ehrlich entrüstet, schließlich
war er selber Bauer.
"Schschscht!", machten wieder beide Hobbits
und besprachen sich.
"Niemand zu sehen, Merry", flüsterte
Pippin.
"Aufgepaßt, Borko! Auf drei!", stieß
Pippin den Stolzfuß an.
Der bekam weder die Eins noch die Zwei mit.
"Drei!", hörte er Pippin flüstern
und folgte willenlos den beiden erfahrenen Gemüsedieben. In geduckter
Haltung huschten die Hobbits von Hollerbusch zu Hollerbusch und sahen sich
immer wieder in alle Richtungen um.
"Bauer Maggot ist sehr gerissen, weißt
du?", griente Pippin den Stolzfuß an.
Die letzten Schritte rannten sie zum Beet,
rupften einige Möhren und Rettiche heraus und luden sich die Arme
voll. Borko war ihnen langsam gefolgt und stand untätig hinter den
beiden.
"Was..." stammelte er, kam aber nicht weiter.
Eine kräftige Gestalt kam auf sie zugerannt und schimpfte.
"Ich werde es euch ein für allemal zeigen!",
hörten die Hobbits Bauer Maggot rufen. Mit einem hocherhobenen Dreschflegel
kam er auf sie zugelaufen. Merry und Pippin sahen sich an.
"Lauf, Borko!", riefen sie gleichzeitig und
rannten durch das Riedgras nach Norden. Der Stolzfuß erwachte endlich
aus seiner Erstarrung und lief ebenfalls los. Bauer Maggot war inzwischen
so nahe heran gekommen, dass er Borkos Hintern unsanft mit dem Dreschflegel
traf. Der jaulte kurz auf und rannte umso schneller hinter seinen Reisegefährten
her.
Bauer Maggot blieb schließlich stehen.
Die drei Hobbits, die sich in sicherer Entfernung hinter einem dichten
Brombeerstrauch verbargen, hörten ihn noch eine Weile schimpfen. Als
er davonzog, drehte sich Borko Stolzfuß zu seinen Reisefährten
um.
"Das nennen die Herren also Abenteuer: Ein
paar Möhren und Rettiche stehlen und die Beine in die Hand nehmen!
Dabei soll der Herr Tuk zum Thain ernannt werden!"
"Du bist aber auch nicht schlecht gerannt,
mein lieber Borko!", antwortete Pippin grinsend.
"Vor allem, nachdem der Dreschflegel Deinen
Allerwertesten erwischt hat", setzte Merry noch eins drauf und lachte.
Borko Stolzfuß machte ein beleidigtes
Gesicht. Die beiden legten ihm von links und rechts die Arme über
die Schultern und marschierten weiter auf die alte Oststraße zu.
"Sieh es als Probe an, Borko", empfahl Merry.
"Ja, und wir wissen, wenn es ernst wird, werden
wir nicht auf dich warten müssen", meinte Pippin. "Außerdem
gibt es heute unter freiem Himmel leckeren Gemüseeintopf."
Die Hobbits ahnten nicht, dass es viel schneller
ernst werden würde, als ihnen lieb war.
Am späten Nachmittag erreichten sie die
Straße und wandten sich nach Osten auf Bree zu. Borko machte noch
immer ein beleidigtes Gesicht und schimpfte über "lächerliche
Abenteuer" und "aufschneiderische Herren". Dennoch wanderten die Hobbits
zügig die große Oststraße entlang. Pippin und Merry waren
guter Dinge. Das erste Abenteuer war überstanden und hatte fröhliche
Erinnerungen an unbeschwerte Zeiten geweckt. Die gute Laune ließen
sie sich auch nicht vom finsteren Gesicht Borkos vermiesen.
Sie brauchten nicht mehr lang bis zur Brandyweinbrücke.
Borko war noch nie so weit im Nordosten gewesen, denn seine Felder lagen
in der Nähe von Hobbingen. Und da er sich immer bemüht hatte,
ein angesehener Hobbit zu sein, hatte es keinen Grund gegeben, den Brandywein
zu überqueren.
Um ehrlich zu sein, hatte er Angst. Nicht
so sehr wegen der Entfernung von daheim. Die Tatsache, dass er noch nie
ein so großes Wasser wie den Brandywein überquert hatte, machte
ihm zu schaffen. Er gab sein beleidigtes Schweigen auf und fragte:
"Wird die Brandyweinbrücke auch sicher
sein, Herr Tuk?"
Pippin sah Merry erstaunt an.
"Natürlich. Was sollte nicht in Ordnung
sein?"
"Sie könnte beschädigt sein und
einstürzen, oder ein Stein der Brüstung könnte sich lösen."
Pippin und Merry ahnten, hinter der Fragerei
steckte die Abneigung der Hobbits gegen alles, was mit Seen und Flüssen
zu tun hatte. Sie selbst konnten sich noch erinnern, als sie zum ersten
mal in die schaukeligen Boote steigen mussten, die die Ringgefährten
schließlich durch die gewaltigen Argonath führen sollten.
"Die Brücke ist sicher wie eine Hobbithöhle,
Herr Stolzfuß", antwortete Pippin.
Er wollte Borko trotz aller Großtuerei
nicht bloßstellen. Darum widerstand er der Versuchung, Borko mit
seiner Furcht aufzuziehen. Er wusste, dass auch bravere Hobbits nach Möglichkeit
allen großen Wasserflächen oder gar Booten fernblieben.
Borko Stolzfuß nickte, war aber noch
lange nicht beruhigt. Es dauerte nicht mehr lange, bis sie das Rauschen,
Plätschern und Glucksen des Brandywein hörten. Das fließende
Wasser glitzerte in der Sonne, die Straße führte geradewegs
darauf zu. Borko zog ein großes, rotkariertes Taschentuch hervor
und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht.
Am Ufer angekommen betrachtete Herr Stolzfuß
ehrfürchtig die Wassermassen. Merry und Pippin hatten zwar schon wesentlich
gefährlichere Gewässer überquert, aber auch sie fühlten
sich an Land wesentlich wohler. Pippin überquerte die Brücke
als erster. Aus Stein gebaut, fest und sicher, bereitete sie ihm kein Unbehagen.
Selbst Sarumans Schergen hatten die Brücke bei der Flucht aus dem
Auenland nach der großen Schlacht nicht beschädigen können.
Borko blieb stehen. Er holte wieder sein großes
Taschentuch hervor und wischte sich übers Gesicht.
"Als Thain müsstest Du die Brücke
immer wieder überqueren, wenn du ins Bockland gerufen wirst oder wenn
König Elessar das Auenland besucht. Selbst er darf sie nach seinem
eigenen Gesetz als Mensch nicht überqueren", plauderte Merry. "Du
würdest ihm doch nicht die Ehrerbietung verweigern, oder?"
Borko fasste sich ein Herz. Den Blick geradeaus
gerichtet, betrat er vorsichtigen Schrittes die Brücke. Als er merkte,
dass sie weder schwankte noch wackelte, wurde auch er sicherer. Er ging
schneller und hatte bald Pippin am anderen Ende erreicht.
"Was schaust Du mich so an, Herr Tuk?", fragte
ihn Borko. Sehr schnell hatte er seine Unsicherheit vergessen. "Meinst
Du etwa, es macht mir etwas aus, eine Brücke zu überqueren?"
Merry war herangekommen und hatte die letzten
Worte mitbekommen. Er griente hinter Borkos Rücken, Pippin verzog
keine Miene. Schließlich wollte man noch zusammen bis nach Bree marschieren.
Und es lief sich bei guter Stimmung leichter.
Die Straße verlief unter ihren pelzigen
Füßen weiter nach Osten. In der Ferne begann rechter Hand der
Alte Wald, über den so viele schreckliche Geschichten erzählt
wurden. Die Straße hielt immer reichlich Abstand zum Waldrand, wie
sie von einer kleinen Anhöhe aus sahen. Heide oder wilde Wiese trennten
den Gürtel dichten Gebüschs, der jeden Blick in den Wald verhinderte,
vom Straßenrand. Zur Linken der Straße erstreckte sich leicht
gewelltes Land, meist mit Ried oder Heide bewachsen. Hier und da gab es
kleine Wäldchen, die zwar auch ungebetene Gestalten verbergen mochten,
aber einen wesentlich freundlicheren Eindruck als der Alte Wald machte.
Ihre Kronen waren heller, das Laub war grüner, die Sonne warf ihr
Licht hier und da bis auf den Boden.
Der Alte Wald dagegen wirkte selbst aus der
Entfernung bedrohlich. Die Baumkronen waren dicht, das Grün dunkel,
der Blick hinein versperrt. Über ihm kreisten Vögel, Aasfresser,
wie die Hobbits an ihren krächzenden Schreien selbst über die
Entfernung hören konnten.
Tief im Innern stob plötzlich eine große
Schar dieser Vögel auf. Ihre Schreie hörten sich verärgert
an, als seien sie von ihrem Aas verscheucht worden. Ein einzelner Vogel
löste sich und flog auf die kleine Hobbitgruppe zu. Es war keiner
der hässlichen Krummschnäbel, sondern eine großer, schwarzer
Rabe mit aufmerksamen Augen. Er setzte sich auf den stärksten Ast
eines nahen Busches und legte den Kopf schräg. Es war, als lausche
er, um ihre Worte besser verstehen zu können.
Borko Stolzfuß war immer noch etwas
aufgebracht. Um genau zu sein, er ärgerte sich über sich selbst
und dass man ihm die überstandene Angst hatte anmerken können.
Um seinem Ärger Luft zu machen, ging er auf den Vogel zu und stach
mit seinem Gehstock nach ihm.
"Verschwinde, du stinkender Rabe, belästige
andere Reisende!", rief er.
Der Rabe flog auf und zog gemächliche
Kreise weit über ihnen. Merry grinste immer noch, aber Pippin war
nicht wohl zumute.
"Borko! Weißt du nicht, dass Raben Boten
und Späher guter oder böser Wesen sein können? Wir sollten
uns lieber auch einem Raben gegenüber freundlich verhalten", fuhr
er den Stolzfuß an.
Borko maulte, kam aber zur Besinnung und verhielt
sich ruhiger. Der Rabe schien alles verstanden zu haben und landete wieder
auf dem Ast, auf dem er vorher gesessen hatte. Merry betrachtete den Rand
des Alten Waldes.
"Ich hoffe, wir müssen den Wald nicht
betreten", sagte er.
Auch Pippin, der, ohne dass es vereinbart
war, der Führer der kleinen Gruppe war, hoffte ebenso. Im Innern des
Waldes schien es dunkel wie in Moria zu sein. Und an dieses Erlebnis mit
Gandalf und den anderen Gefährten dachte er nur ungern zurück.
Aber die drei Burschen waren eben Hobbits,
und so schoben sie die düsteren Gedanken und Ahnungen beiseite. Über
Schwierigkeiten mochte man nachdenken, wenn man hineingeraten war. Sie
setzten sich wieder in Marsch und kamen gut voran. Bald war die Brandyweinbrücke
verschwunden, und soweit ihre Augen reichten, war im Süden die dunkle
Linie des Alten Waldes zu erkennen. Die Oststraße hielt genug Abstand
vom Waldrand, so dass sie sich nicht bedroht fühlten. Auch die Heiterkeit
und Helligkeit des Landes zur Linken, das weite Blicke erlaubte, machte
die Hobbits froh.
Borko fiel es schwer, nicht an die längst
überfälligen Mahlzeiten zu denken. Der Magen knurrte ihm, und
die Kräfte ließen langsam nach. Die beiden abenteuergeprüften
Hobbits vermissten natürlich auch eine gedeckte Tafel. Aber sie wussten,
dass dafür das Abendbrot umso besser schmecken würde. Selbst
die einfachste Mahlzeit mundete nach einem durchwanderten und durchhungerten
Tag wie das leckerste Festessen. Außerdem würde es ihren runden
Bäuchen sicherlich gut tun, ein paar Tage zu hungern. Nach dem Marsch
nach Bree und zurück würden diese hoffentlich verschwunden sein.
"Bisher hat uns dieses Abenteuer nur Ärger
und Unannehmlichkeiten eingebracht, die Herren", machte Borko seinem Unmut
Luft. "Wenn wir wieder nach Hause kommen, werden wir uns monatelang von
Bauer Maggot fernhalten müssen. Ich ertrage völlig unnötigerweise
Hunger und lahme Beine, und die Sonne scheint mir schon viel zu lange auf
den Kopf. Kann der Herr Tuk vielleicht sagen, wann wir endlich rasten werden?"
Pippin ließ ihn maulen, und als es allmählich
zu dämmern begann, wurde ihr Reisegefährte immer ruhiger. Ihm
wurde bewusst, dass er nicht nur unter freiem Himmel, sondern auch noch
in der Nähe des Alten Waldes übernachten würde. Ihm war
gar nicht wohl bei diesem Gedanken. Aber das hätte er natürlich
niemals zugeben.
Pippin hielt schon seit einiger Zeit Ausschau
nach einem geeigneten Platz für die Nacht. Schließlich entdeckte
er zu ihrer linken eine kleine Lichtung, nur wenige Schritte von der Straße
entfernt. In der Mitte befand sich ein Kreis geschwärzter Feldsteine,
eine alte Feuerstelle, mit Asche darin. Zu allem Überfluss lag ein
ansehnlicher Haufen Totholz daneben.
"Das ist doch wie für uns gemacht", sagte
Merry.
Auch Borko freute sich darauf, endlich ruhen
zu können und etwas in den zwickenden Magen zu bekommen. Merry wühlte
mit der Hand durch die Asche. Er meinte, einen Rest Wärme zu spüren
und fragte sich, warum jemand soviel Feuerholz sammelte, das er gar nicht
brauchte. Aber schließlich verwarf er seine Bedenken. Auch er dachte
an ein warmes Essen.
© Dietmar
Preuß
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse
bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
|