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Diese Geschichte wurde von den Drachental-Besuchern zur
zweitbesten Fantasy-Story 2004 im Drachental gewählt!

Traum eines Drachen von Anna Hohenberger

Seltsam. Wo war er hier? Der Drache schlug mit den Flügeln. Besser gesagt, er versuchte es. Aber es ging nicht. Warum nicht? Er wusste es nicht. Doch es machte ihn wütend. Plötzlich erinnerte er sich wieder: Er hatte gekämpft, gegen einen Magier. Der Magier hatte seine Seele eingesperrt!
Noch wütender als zuvor brüllte der Drache, versuchte die Wände seines Gefängnisses einzureißen.
Im gleichen Moment schrie das Kind.

Sie gaben ihm den Namen Garduin, was in der einzigen Sprache, die sie beherrschten ‚der den Wind liebt’ bedeutete. Sie wussten nicht, wie Recht sie doch hatten, wenn sie sagten, dass er anders sei, als die anderen Kinder. Ja, er war anders, aber auf eine schwer zu beschreibende Art und Weise. Außerdem war er blind. Garduins blaue Augen waren trüb, wie von einem dünnen, milchigen Schleier bedeckt, den er aus eigener Kraft nicht fortwischen konnte. Seine Welt blieb dunkel und sie war auch schon dunkel gewesen, solange er denken konnte.
Er lebte mit einem alten Mann zusammen in einer windschiefen Karte eines Dorfes, das so klein und so von Bergen umgeben war, dass es nicht einmal auf den Karten der Wanderpriester erschien. Niemand verirrte sich hierher und seit Garduins Geburt war kein Fremder mehr in das Dorf gekommen. Seit seiner Geburt...
Der alte Mann erzählte ihm einmal, dass kurz, bevor er geboren wurde ein Mann in das Dorf kam, den Mantel in Fetzen, auf einen mannshohen Stock gestützt. Die Familie seiner Mutter hatte dem Mann Unterschlupf gewährt, obwohl alle Leute meinten, er müsse wohl ein Magier sein.
Jedenfalls wurde in dieser Nacht Garduin geboren, und seine Mutter starb dabei. Sein Vater erhängte sich aus Schmerz über ihren Tod, kaum dass der Magier von dannen gezogen war. Seine Familie wollte nichts mehr mit dem Säugling zu tun haben und so nahm ihn der alte Mann zu sich, der sowieso schon als wunderlich galt.

Heute war schönes Wetter, das spürte Garduin. Er konnte die Wärme der Sonne fühlen. Lachend lief er zur Kate des alten Mannes. Unter seinen Füßen raschelte das Gras. Es war sein fünfzehnter Geburtstag, das hatte der alte Mann bestimmt nicht vergessen.
Vorsichtig tastete er nach dem Türrahmen und trat dann in die Kate. Sein Fuß stieß gegen irgend etwas, etwas Weiches, lebloses...
Garduin ließ sich auf die Knie nieder und tastete nach dem Ding, das da vor ihm lag. Als er die Falten im Gesicht des alten Mannes spürte, begriff er plötzlich, was hier geschehen war: Die Dorfbewohner hatten den Alten einfach umgebracht! Doch warum hatten sie fünfzehn Jahre lang damit gewartet?
Er spürte ihre Anwesenheit. Die vertrauten Geräusche von Männern, die atmeten, aber auch eine Aura von Feindseligkeit, die er nicht begründen konnte. Dann traf es ihn wie ein Schlag: Der Magier war wieder hier!
Mit dieser Erkenntnis zerbrach etwas in dem blinden Jungen. Plötzlich wurde ihm so einiges klar. Dieser Mann war dafür verantwortlich, das er blind war!
Der fremde Magier murmelte einen halblauten Fluch, und dann merkte Garduin, dass er sehen konnte.

Der Drache hatte lange gewartet, hatte einen fast schon absurden Traum geträumt, der davon handelte, ein blinder Knabe zu sein. Der Traum hatte fünfzehn Jahre angehalten. Aber dann hatte er vom Tod seines Ziehvaters geträumt, den Schmerz gefühlt, doch auch die Anwesenheit des Magiers, seinem Feind! Und da hatte der Drache erkannt, dass es gar kein Traum gewesen war, sondern dass er all dies zusammen mit der Seele eines blinden Jungen namens Garduin erlebt hatte. Garduin - sein eigener Name!
Er wusste nun, was der Magier mit ihm getan hatte: Dieser Teufel hatte seine Seele in die eines kleinen Kindes gepflanzt. Dennoch war er ein Drache. Auch, wenn er zur Hälfte ein Mensch war, denn die beiden Seelen hatten sich scheinbar für immer miteinander verbunden.
In dem Moment, als Garduin sehen konnte, erkannte der Magier, dass er bei seinem Plan, den Drachen eines sterblichen Todes zuzuführen einen Fehler gemacht hatte. Selbst eine menschliche Seele hat genug Kraft, sich so einem Zauber zu widersetzen, gepaart mit der Energie eines Drachen...! Der Zauberkundige hatte gehofft, dass der Junge niemals den Weg aus seiner Blindheit finden würde, doch mit dem Tod des alten Mannes, der ihm ein Vater gewesen war, hatte Garduins Gefängnis einen Riss bekommen. Und nun würde der Drache diese Chance nutzen.

Garduin spürte, wie das fremde Bewusstsein langsam erwachte.
'Hallo! Wer bist du?' fragte er es.
'Ich bin der Drache Garduin. Und es wird Zeit, dass wir die Rollen tauschen. Zumindest für eine Weile', antwortete er.
'Gut. Du willst Väterchen rächen, nicht wahr? Das will ich auch!'
Der Jungenkörper begann zu flackern. Seine Umrisse verschwammen und nahmen die Form eines riesigen Drachen an.
"So", grollte Garduin, blickte den Magus drohend an und lächelte dann, wobei er Reihen makelloser weißer Zähne entblößte.
 

Wenig später flog Garduin über zerklüftete Felsklippen. Äußerlich wirkte der Drache ruhig, doch in seinem Inneren tobte ein heftiger Streit.
'Wohin fliegst du? Ich kann den Wind spüren. Nicht umsonst war ich fünfzehn Jahre blind. Und mein Elend war ganz allein deine Schuld!' schrie der Junge.
'Mich trifft keine Schuld! Bedank dich bei diesem verteufelten Magier. Der hat diese ganze Schose eingefädelt! Was kann ich denn dafür, dass du ausgerechnet in dieser Nacht das Licht der Welt sehen wolltest!' schimpfte der Drache übellaunig.
'Du hast meine Frage übergangen! Ich will wissen, wohin du fliegst.'
'Ich unternehme hier was, im Gegensatz zu dir! Wir sind auf dem Weg zu einer Freundin von mir. Sie wird uns helfen. Und außerdem ist sie ein so bezauberndes Geschöpf! Du wirst sie mögen.'
'Vielleicht war sie ja mal ganz hübsch, aber das ist fünfzehn Jahre her! Wenn sie kein Drache ist, wie du, dann wird sie alt und verschrumpelt sein!' giftete der Junge. Der Drache seufzte leise.
'Wirst schon sehen', meinte er mit einem Grinsen.

Mit einem Ächzen landete Garduin auf einem schmalen Felsvorsprung, watschelte in die dahinter liegende Höhle und versuchte die spöttische Stimme in seinem gewaltigen Schädel zu ignorieren.
Eine - nach den Maßstäben des Drachen - kleine Gestalt stand von ihrem Sitzplatz in der riesigen Höhle, die eigentlich ein Tunnel war, auf und trat vor den Drachen. Es war ein sommersprossiges Mädchen mit orange - roten Haaren und tiefblauen Augen, in einem kunterbunten Poncho und einem noch viel bunterem Kleid.
'Sehen so auch meine Augen aus?' fragte der Junge Garduin. Der andere Garduin beachtete ihn nicht.
"Hallo Maugin. So wie’s aussieht, brauche ich deine Hilfe", sagte er stattdessen.
"Ach so! Und ich dachte, du lässt dich nach fünfzehn Jahren einfach mal blicken, um deine alte Freundin zu besuchen", sie kicherte. "Aber von mir aus. Was kann ich für dich tun?"
"Nun, ich habe da ein kleines Problem...", begann er.
"Jetzt gib es schon zu! Er hat gegen einen Magier verloren und der hat ihn in meinen Körper gesperrt! Deswegen hat er sich so lange nicht blicken lassen!
Verstehst du? Das ist mein Problem. Dieser kleine Giftzwerg - wen nennst du hier Giftzwerg? Und überhaupt: Warum müssen wir ein Drache sein? Ich weiß schon gar nicht mehr, wie sich mein Körper überhaupt anfühlt! - ist in mir drin! Ich will ihn da nicht haben! Mach es weg! Mach es weg!"
Maugin hörte ihm  eine Weile interessiert zu, wie er mit sich selbst stritt. Dann holte sie ein Stück Kreide aus ihrem Poncho und begann einen Bannkreis um den Drachen zu ziehen, der immer noch damit beschäftigt war, sich mit Garduin zu streiten. Blöderweise war er das zum Teil selbst. Deshalb hörte es sich sehr seltsam an, als er sich selbst aufforderte, er solle die Klappe halten.
"Sei mal kurz still. Gleich bist du wieder alleine in deinem Körper. Das gilt für euch beide", meinte Maugin und klatschte in die Hände.
Plötzlich spürte Garduin, wie der Junge aus ihm heraus gezerrt wurde. Er wollte ihn zurückhalten, wollte verhindern, dass er in die ewige Dunkelheit geschleudert wurde, wollte ihm sagen, dass er ihn nicht verletzen wollte, er, der alte, kauzige Drache. Doch der Junge lachte ihn nur an:
'Das weiß ich doch! Du bist ich und ich bin du! Keine Sorge, Maugin hat eine Überraschung für dich.' Mit diesen Worten verschwand er.
"Nein! Maugin, was hast du getan? Ich wollte ihn doch nicht auslöschen! Ich habe ihn mit meinem Egoismus umgebracht", schluchzte der Drache. Dicke Tränen tropften seine schuppigen Wangen herunter und verwischten den Bannkreis.
"Hey! Kannst du denn nicht ein bisschen aufpassen?" schimpfte Garduin. Und im nächsten Moment fiel er dem rothaarigen Mädchen um den Hals.
"Oh, ich danke dir, Maugin! Ich kann sehen! Stell dir vor, Garduin, ich kann sehen!" rief er überglücklich.
"Du bist ja gar nicht tot! Und ich rege mich deinetwegen so auf! Wie kannst du mir nur solche Angst einjagen. Ich habe mir Sorgen gemacht!!!" beschwerte sich die riesige Echse.
"Also, ich finde, wir sollten jetzt erstmal Tee trinken", schlug Maugin vor, die ehrlich gesagt etwas verlegen war, weil Garduin immer noch um ihren Hals hing.
"Kann ihn mir mal jemand abnehmen?"
 

© Anna Hohenberger
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