Der Leuchtende Pfad von Holly
3: Kampf der Hochverräter

Yukari flog auf leisen Winden dem Mädchen hinterher, hielt gleichzeitig die Umgebung im Auge. Der Wind war kühl, zu kühl, fast eisig. Seltsam gegen das Klima, das sich am Tage preisgegeben hatte. Auch Holly spürte es. Das Unwohlsein breitete sich immer weiter in ihrem Körper aus. Es war fast wie Gift, das jede Faser ihres Körpers durchströmte und vergiftete, zusammenkrampfen ließ.
"Lass uns umkehren Holly..." sagte Yukari leise.
Doch Holly blickte immer wieder in die Dunkelheit hinein. "Nein, nein... Ich weiß es."
"Quatsch, Holly, das war sicherlich nur ein Hirngespinst oder sowas, also lass uns heimkehr..., Holly!!"
Wie ein Pfeil raste Holly durch die Wälder hindurch. Yukari quiekste kurz auf und flog Holly so schnell wie möglich hinter her.
"Holly, lass uns umkehren!" rief sie ängstlich.
"Nein, niemals, ich habe es gesehen und ich werde es dir beweisen!" meinte Holly siegessicher und raste weiter.
Ein Aufwiehern, laut, wie ein Schrei in absoluter Unerreichbarkeit. Das Pferd stieg kurz und warf nervös seinen Kopf hin und her, so als ob es durch die Finsternis kein Licht mehr erkennen konnte. Nur noch ein unkontrolliertes Umherwandeln in der Dunkelheit ohne Hoffnung und Licht.
Yukari war wie ein Schatten Holly entgegen geflogen, um sie aufzuhalten.
"Holly, bleib endlich stehen! Was soll das überhaupt? Du willst was gesehen haben, was womöglich überhaupt nicht existiert, und drehst völlig durch!" Yukari schien den Tränen nahe. "Jetzt lass uns gehen..."
Schweren Herzens stampften die Hufe auf die Erde und bewegten sich langsam in die Heimat. Der traurige, unwissentliche Blick Hollys war ungebahnt auf die Pferdeohren gerichtet. Stumm saß sie im Sattel und dachte über Yukaris Worte nach. Hatte ihre Vertraute Recht? Ja, so musste es wohl sein. Oder... Nein! Tikwa wieherte laut als Holly die Zügel umriss und auf und davon jagte. Yukari kreischte laut und hielt sich an Hollys Mantel fest. Holly schlugen  die Äste der Bäume ins Gesicht. Sie kniff die Augen zusammen und galoppierte unkontrolliert durch den Wald. Der Mond wurde von den finsteren Wolken verdeckt. Die Reiterin entfernte sich immer weiter von der schützenden Stätte der Engel, ritt immer weiter in eine Welt, ihr so unbekannt wie noch nie zuvor.
Nach einiger Zeit verfiel Tikwa in einen äußerst langsamen Trab und schnaubte müde. Und. Da war es! Holly wirbelte herum, sah sich um. Ihr Blick fiel auf einen von Nebel umgebenen Hügel.
"Holly..." Yukaris Worte waren nichts mehr als ein Flehen. Gebannt starrte Holly auf den Hügel, auf das, was sich vor ihr zeigte.
"Nanunana, wen haben wir denn da?" Ein großer schwarzer Reiter standt auf dem Hügel. Der Rappe wieherte wütend und der Reiter, riesig und mächtig, zog sein Schwert. Holly brachte kein Ton heraus.
"Ich hätte nicht gedacht, ein Mädchen mit Pferd und Vogel zu sehen, aber was soll’s... jagen macht doch sonst keinen Sinn!" Er  lachte. Es klang schauderhaft, bösartig, wie nicht von dieser Welt.
Holly zitterte, sie presste die Zügel in ihre Hände und erfror fast in der Kälte des schwarzen Ritters, die er ausströmte. Doch dann bäumte sich der schwarze Rappe auf, schlug ausladend mit den Hufen in der Luft und raste direkt auf Holly los. Der Ritter stieß einen ohrenbetäubenden Schrei des Triumphes aus und hielt das Schwert bereit zum Schlag. Die helle Panik ergriff Holly. Sie schrie, riss an den Kandaren Tikwas. Doch die Stute bockte und wieherte panisch auf. Er kam immer näher... Die rollenden Augen des Hengstes... Er schrie, schlug nach Holly, doch die wich dem Schlag aus und setzte zur Flucht an. Wie zwei verschwommne Schemen rasten die Reiter durch die Ebenen Alterikas. Doch Tikwa wurde immer langsamer. Sie schnaubte wieherte erschöpft, das einst schöne Mähnenhaar klebte an dem verschwitzten Fell und Holly hatte Mühe, das Pferd weiter anzutreiben. Sie zerrte an den Zügeln, flehte, dass die Stute ihre letzten Kräfte einen würde. Ein stählernes Aufblitzen fuhr über Holly hinweg. Ein lautes, schrilles Kreischen war zu vernehmen. Das Reitpferd hetzte weiter den Berg hoch... Der Reiter holte weiter aus und erneut sauste die Klinge auf Holly nieder. Ein erstickter Schrei hallte durch die Täler. Einige kupferrote Haare fielen zu Boden. Yukari kreischte, schlug mit den Flügeln, um so den Reiter abzulenken. Hollys Herz raste, sie hatte das Gefühl, als würde es ihr jederzeit im Leibe zerspringen. Tikwa rauschte durch den Wald, Holly nahm keine Rücksicht mehr auf die Müdigkeit des Pferdes. Denn beim nächsten Mal würde sie nicht so ein verdammtes Glück haben. Dann würde das stählerne Aufblitzen das Letzte sein was sie sah, bevor ihr das Leben unter der Klinge ausgehaucht wurde. Der schwarze Ritter galoppierte fast auf selbiger Höhe wie Holly und schwang bedrohlich das Schwert. Holly presste sich auf dem Rücken des Pferdes und schrie laut nach Yukari. Erde wirbelte hoch und nahm dem Höllenritter die Sicht.
"Verteufeltes Drecksvieh, verschwinde!"
Yukari hackte immer öfters nach dem bewaffneten Reiter, gab so Holly Zeit zu fliehen. Holly ritt immer weiter. Sie holte auf, dichter Nebel umhüllte sie. Tikwa drosselte das Tempo und schnaubte entkräftet auf.
"Nein, weiter!" Je mehr Holly versuchte, die Stute zum galoppieren zu bewegen, desto schwerer nahm sie ihre Umgebung war. Die Stute lief fast im Kreis, drehte nervös den Kopf weg und stampfte laut mit den Hufen auf. "Na, los! Tikwa, bitte!"
Doch das Flehen war vergebens. Es war nur eine Frage der Zeit, ehe der Ritter sich von Yukari abwenden würde, um Holly den Garaus zu machen. Doch die Stute reagierte nicht auf Hollys Befehle, sie stieg kurz und blieb einfach stehen. Vor erschrecknen Auge sah sie wie rabenschwarze Kriegspferde sich aus den Nebelschwaden erhoben und ihre Köpfe bewegten. Holly trat mit dem rechten Knie unsanft in Tikwas Bauch, erst da stob die Stute auf und davon.
Tikwa war eindeutig überanstrengt, warmes Blut floss ihr aus der  Nase und der Blick war fest und leblos. Dennoch rannte die Stute tapfer in hoher Geschwindigkeit weiter. Holly ritt in die Wälder, dorthin würden ihr die Reiter sicher nicht folgen. Sie sah sie schon, die Baumspitzen, die in der Nacht gespenstisch in die Höhe ragten. Es war nicht mehr weit. Sie war gleich da. Sie konnte schon einzelne Büsche sehen, die wie Ranken in den Hainen wuchsen. Da ist er! Der Wald! Ihre Rettung! Ein scharfer Schmerz durchstieß den linken Arm. Sie schnaufte, warmes Blut lief ihr über die Hand. Yukari flatterte angsterfüllt in die Arme von Holly. Der linke, exakt der linke Flügel blutete an der gleichen Stelle. Sie kesselten Holly ein. Das war ihr Ende.
Yukari fiepte und hielt sich an Holly fest. Der Ritter kam näher, schien es nicht eilig zu haben. Sie suchte völlig hoffnungslos nach einem Ausweg, doch sobald sie eine Lücke in der Formation entdeckte, trieben sie die ängstliche Holly immer wieder in den Kern zurück. Sie lachten. Die vermummten Gestalten schienen ihren Spaß daran zu haben, Holly zu jagen. Der Reiter trat an Holly heran.
Einer der dunklen Panzerreiter näherte sich ihm. "Meister, sollen wir sie..."
"Schweig!" Er trabte zu Holly.
Von Angst gelähmt rührte sie sich nicht. Wie versteinert saß sie im Sattel und drückte Yukari fest an sich. Dies war es eindeutig, ihr Ende. Holly meinte bereits, die eiskalte, blutverschmierte Klinge an ihrem Hals zu spüren.
"Ich habe schon lange keine Engel mehr getötet... aber nun ist endlich die Zeit gekommen..." hauchte er.
Was? Wie war das möglich? Wie konnte er Hollys verborgene Engelsflügel orten? Wie war es ihm möglich, sie als Engel zu enttarnen? Sie schwieg.
"Endlich ist die Zeit gekommen, zu der die Verbannten auf feuriger Macht auferstehen werden..." Seine Stimme war geisterhaft, doch seine Hand war nicht an dem Schaft. Noch hatte er nicht vor, sie zu töten.
"V...V...Verbannten?" stotterte sie.
"Ja, die Urmacht alles... Die Urmacht, die die Uralten auslöschen wird..." Er sprach in Rätseln. Tat er das mit Absicht? "Erneut wird Chaos auf Ordnung treffen und das Gleichgewicht neu erstehen lassen."
"Welches Gleichgewicht?" fragte Holly leise.
Er lachte. Und sah sie an. " Das Gleichgewicht! Das einst für die Vernichtung der Wahren gesorgt hat!"
Uralten? Die Wahren? Das Gleichgewicht? Sie zitterte immer noch mächtig.
"Aber nun...", seine Hand langte nach dem Schwert, "dürstet es ihn nach dem Blut der Verräter!" Ein lautes Wehgeschrei heulte auf.
Die Augen geschlossen, festgeklammert an dem Hals ihrer Stute, schrie Holly, was ihre Lunge hergab.
Lautes Triumphgeheul schallte durch das Tal. Eine Hand zog sie hoch. Sylvanas. Yukari kreischte freudig auf.
"Los! Schnell!"
Der blasse Hengst und die Stute eilten aus dem Nebelschleier und hetzten über das Land. Die finsteren Reiter wurden immer kleiner und ein ohrenbetäubendes Fluchen schallte ihnen hinter her. Sylvanas ritt hinter Holly und trieb so Tikwa zwangsläufig an. Plötzlich blieb Zira stehen. Sie hob eine Hand in den Himmel und  ein Wirbel öffnete sich am Firmament. Doch ehe sich der Sturm wie ein tosender Orkan entfaltete, stoben Funken und der Wirbel fiel in sich zusammen.
Sylvanas klappte die Kinnlade hinunter. "Was zum...?" Doch sie kam nicht zum Ende, sofort näherten sich weitere Reiter, ein ganzes Heer von ihnen.
Sylvanas Pferd wieherte und schnaubte. Yukari klapperte mit dem bronzenen Schnabel und ließ ein klägliches Fiepen ertönen. Das Heer blieb stehen, kam nicht näher. Sylvanas lenkte ihr Pferd zum traben und mit bedrohlicher Stimme nahm sie alle dunklen Reiter in ihren Bann.
"Verschwindet, Schlächter! Sonst werde ich all meine geballte Macht gegen euch einsetzen! Also verschwindet! Todesritter!" schrie sie.
Tatsächlich. Die wogenden Wellen stießen zurück. Die schwarzen Pferde trabten rücklings. Holly lachte. Sie war gerettet! Auch Sylvanas schien erleichtert. Sie sahen, wie das Heer von Todesrittern immer weiter in der Dunkelheit verschwand.
Doch da war es wieder. Ein Aufschrei. Hufgetrappel von Massen. Schneller werdend. Die Luft unheilsschwanger, war dicht erfüllt von einer seltsamen Aura. Ein Gefühl, das Holly die Angst nahm, jedoch sie auch fluchtbereit machte. Was war das? Sie kannte es nicht, aber es wirkte so, als wäre es schon immer da gewesen. Sylvanas blickte über die Hügel. Auch Holly ließ ihren Blick über die Höhen schweifen.
"Sylvanas? Lass uns heimkehren..."
Die Wächterin wirbelte herum. "Was hast du getan?"
Holly schaut auf. "Ich...ich..."
"Was hast du getan?" fragte Sylvanas erneut.
"Sylvanas, ich..."
Doch schon ritt die Wächterin auf und davon. Mit der Hand wies sie Holly an, ihr zu folgen.
"Halt!"
Warum? Hollys Puls raste. Da war es wieder! "Ich habe es deutlich gespürt!"
"Was? Was hast du gespürt?"
Die Schwäche machte sich in Hollys Körper breit. Der Herzschlag schlug wie ein Hammer auf einen Amboss. "Ich weiß es nicht! Aber es ist hier!"
"Du irrst, Holly" Yukari schlug mit den Flügeln in die Dunkelheit.
"Ich irre nicht! ES!"...
"Es ist tatsächlich zurückgekehrt..." Der dunkle Ritter stand plötzlich wieder vor ihnen.
Sylvanas war völlig bestürzt, als sie die bebende Stimme vernahm. Sie stieg vom Pferd und trat an den Reiter heran. Sie schüttelte energisch den Kopf und begann leise zu weinen "Nein, das hast du nicht getan..." brachte sie nach Atem ringend heraus. "Das kannst du nicht getan haben!" 
"Doch, Sylvanas. Das habe ich. Sie hat gänzlich versagt! Nun ist es an der Zeit, die neue Ordnung in diese Welt zu bringen! Schließ dich uns an!"
"Nein! Niemals! Nie werde ich ihm dienen!"
"Wie konntest du nur so tief fallen, Sylvanas? Den Menschen helfen..."

"Es schmerzt mich, dich auch nur anzusehen, Gades.
"Ich mache gerne deinem Leiden ein Ende, du bist es nicht länger wert zu leben."
Er nahm seine Waffe und rammte sie Sylvanas ins Herz. Sie schrie auf. Das letzte Aufbäumen der Lebenskräfte bevor sie ihren geschundenen Körper verließen...
Leblos fiel der Körper zu Boden. Das Blut spritzte. Alles zog sich in Holly zusammen. Ein Wesen, Äonen von Jahren alt, ausgelöscht durch die schändliche Klinge eines Verräters. Sie spürte, wie Wut und Trauer in ihr aufstiegen und sich in eine innere Allmacht vermischten. Wie zwei Stürme, die tosend in sich brachen und das Land zerrissen. Die Tränen leuchteten in der Dunkelheit auf und Yukari, die Augen geweitet vor Angst, saß erstarrt auf Hollys Schulter. Der Ritter behielt seine eisige Miene, so als ob er kein Wässerchen trüben könnte. Er drehte sich um.
"Und nun zu dir, Unheilsbringerin..."
Mit einer gewaltigen Welle purer Boshaftigkeit, stürmte er auf sie zu. Er kam näher. Holly rührte sich nicht. Im Bruchteil einer Sekunde wurde ihr bewusst, was geschehen war, was geschehen wird. Sie öffnete die Augen. Sah die Klinge vor ihr. Wie sie nieder schlug. Lebe, um zu retten!
Ein Blitz zuckte. Ein Schatten raste durch den Wald. Der Verfolger, hartnäckig verfolgte sein Opfer, das sich wie eine Ratte aus den Fängen des Falken zu befreien versuchte. Doch wie ein mitleidloser Aggressor zerquetschte der Vogel das armselige Nagetier. Und so würde es Holly ergehen. Tikwa rauschte durch die Haine. Hinaus in die unwirkliche Freiheit. Wie durch einen Schleier meinte Holly das zu sehen was ihr das Leben retten würde. Doch hob man den Schleier nur einem Handbreit auf, so sah sie die Wirklichkeit. Es gibt kein Entrinnen! Trotzdem ritt sie weiter. Es gibt immer einen Ausweg! Was war das? Wie eine geisterhafte Erscheinung schwebte sie weit voran, merkte nicht ihren Untergang. Dies ist nicht deine Zeit! Die Hufe zerstampften die Äste auf dem Boden. Diese Stimmen! Wem gehörten sie? Alles wird gut! Holly raste durch den Wald. Mit einer Brutalität rannte der schwarze Hengst durch den Wald, zerquetschte alles unter seinen riesigen Hufen. Du musst ganz tapfer sein! Die schwarze Pferdeschnauze berührte die Flanken Tikwas. Du bist das Opfer! Nicht Sylvanas! Holly spürte den starken Luftstrom, der über ihr hinweg fegte, als der Reiter sie mit einem Schlag vom Pferd hauen wollte. Du musst überleben! Der Boden wurde steinig und Tikwa, die sich kaum noch auf ihren Hufen halten konnte ließ ein markerschütterndes Wiehern erklingen. Sie strauchelte, die Hufe fanden im Morast keinen Halt, ein widerliches Zersplittern von Knochen drang an Hollys Ohr. Tikwa rutschte ab, riss Holly und Yukari unweigerlich mit. Der Abgrund, so tief, breitete sich unter ihnen wie ein alles verschlingender Schlund auf. Holly spürte den Sog, sie schrie. Die Luft war so scharf wie Messerspitzen und schnellte über sie hinweg. Der Fall war unabwendbar ihr Ende. Plötzlich schlangen sich blaugrüne Kaskaden um sie und Tikwa. Sie schloss die Augen. Der Sog zerriss sie fast. Die Farbwirbel wandelten um das Mädchen. Sie schrie, weinte, kreischte, schlug hart auf...
 

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Und bald geht's hier weiter zum 4. Kapitel...

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