Hope von Jini und Rebell
2. Kapitel: Licht in der Nacht - Teil 2

Er hatte sich bereits so weit geschlossen, dass ein Mensch wohl kaum noch hindurch gepasst hätte, da legte eines der Wesen seine Hände auf die Ränder des sich weiter schließenden Lichtkreises und drückte ihn unter leichter Anstrengung wieder auseinander, sodass es und seine Gefolgsleute bequem heraus springen konnten.
Hope, die sich vor Schreck nicht hatte bewegen können, erlangte nun ihren vernünftigen Menschenverstand zurück und versteckte sich schnell hinter einem nahen Baum.
Mit rasendem Herzen betrachtete sie die Wesen im Schein des sich nun endgültig schließenden Lichtkreises genauer.
Sie waren etwa menschengroß, einige kleiner, einige größer, und wirkten ziemlich missgestaltet. Die Kreaturen hatten eine Haut, die aussah, als wäre sie aus Moder, Schlamm und Dreck geschaffen. Außerdem trugen sie nichts, das auch nur ein wenig Kleidung ähnelte, doch das schienen sie auch nicht zu brauchen. An ihren Körpern gab es nichts zu verhüllen.
Das Wesen, das ihr am nächsten stand, hatte einen Arm, der fast doppelt so dick war wie sein Gegenstück, dafür aber auch zirka fünfzehn Zentimeter kürzer. Seine Augen waren dreckig weiß und hatten pechschwarze Pupillen. Eine Nase oder ein Mund waren kaum zu erkennen. Nur wenn es ein lautes Brüllen ausstieß, das Hope das Blut in den Adern gefrieren ließ, war eine etwa faustgroße Öffnung zu sehen.
Nur noch einen kurzen Augenblick, in dem Hope die Gestalten genau musterte, hing der Lichtkreis noch in der Luft, bis er sich zu einer kleinen Lichtkugel schloss, noch einmal kurz flackerte und sich schließlich in Nichts auflöste.
Nun lag alles im Dunkeln und man konnte einen Moment lang vollkommener Stille lauschen. Obwohl das Licht schon erloschen war, meinte Hope es dennoch ein paar Sekunden vor sich zu sehen. Etwas anderes konnte sie in der beinahe undurchdringlichen Finsternis nicht erkennen.
Plötzlich hörte sie das Getrampel der Wesen und dann, ganz deutlich, das Surren eines fliegenden Pfeils. Dieses Geräusch würde sie wohl immer erkennen.
Dem Surren folgten ein dumpfer Aufschlag und schmerzerfüllte Schreie, die wahrscheinlich von einer der Kreaturen stammten. Anscheinend hatte der Pfeil getroffen und nur wenig später begannen des Wesens Artgenossen vor Wut laut zu brüllen und wild auf jedes Geräusch zu zu laufen.
Langsam gewöhnten sich Hopes Augen an die dichte Dunkelheit und das Bild klärte sich wieder auf.
Was sie sah, ließ sie erschrecken. Eines der Wesen lag bewegungslos auf dem Boden, in seinem Kopf steckte ein Pfeil, und es versank langsam aber stetig im Boden, wie im Treibsand. Der Mann stand mit gezogenem Schwert vor den übrigen Kreaturen. Auf dem Boden neben ihm lagen Pfeil und Bogen, mit dem er zweifellos die erste getötet hatte. Eine weitere hatte nun auch ihr Sehvermögen wiedererlangt und stürzte auf ihn zu. Doch noch bevor sie ihn erreicht hatte, erhob der Mann sein Schwert und durchtrennte ihr mit einem gezielten Schlag den Hals, begleitet von einem Geräusch, das klang, als würde man in Schlamm treten.
Nach kurzem Schwanken fiel der kopflose Körper mit einem weiteren dumpfen Aufprall zu Boden, während der Kopf durch den heftigen Schlag erst zirka einen Meter weiter aufschlug. Hopes Magen drehte sich um, während der Kopf noch ein paar wenige Zentimeter über das Gras rollte und dann, wie auch der Körper, im Boden versank, genau wie das erste Wesen.
Nun stürzten sich alle restlichen Wesen auf den Mann. Er stolperte ein paar Schritte rückwärts, hob dann sein Schwert ein zweites Mal und schlug nach ihnen.
Hope reagierte nun blitzartig. Der Mann brauchte Hilfe, er war eindeutig in der Unterzahl. Lang würde er den Kampf gegen die Kreaturen nicht durchhalten und so stürzte sie, so schnell sie es konnte, ohne entdeckt zu werden, zum Haus und schloss hektisch auf. Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss. "ALEC!", rief sie durch das Gebäude. Ihr Bruder ließ nicht lange auf sich warten. Immer noch in seiner Alltagskleidung stürzte er die Treppe hinunter und sah Hope besorgt an.
"Hope, was ist da los?", fragte er, "Ist was mit den Pferden? Geht's dir gut? Was ist das für ein Gebrüll?"
"Nein, nein. Mit den Pferden ist nichts. Mit mir auch nicht... Aber...", antwortete sie, "Aber... ich weiß es klingt verrückt, aber dort draußen ist ein Mann und... auch solche Wesen, die... die aussehen, wie... Orks!"
Alec sah sie ungläubig an. "Erzähl mir hier keinen Mist, Hope!"
"Mache ich nicht, Alec. Glaub mir!", beharrte sie, während sie zu dem Schrank rannte, in dem ihr Bogen und das Zubehör untergebracht waren, "Ich erzähle keinen Mist! Wo ist dein Schwert?"
"Steht neben deinem Schrank, aber warum willst du das wissen?"
Hope öffnete den Schrank, zog Bogen und Köcher heraus und hing sich letzteres um die Schultern. Dann reichte sie ihrem Bruder, der schon seit einiger Zeit Schwertkampf trainierte, sein Schwert und zog ihn ungeduldig zur Tür. "Komm schnell, der Mann ist allein und die Orks machen sich über ihn her. Wir müssen ihm helfen!" Sie öffnete die Tür, schubste ihn schon fast hinaus und schlug die Tür hinter ihnen zu.
Alec fiel der Unterkiefer beinahe zu Boden, als er sah, dass seine Schwester nicht gelogen hatte.
Die Orks hatten den Mann mittlerweile schon in die Knie gezwungen. Sein Schwert lag etwa eineinhalb Armlängen von ihm entfernt im Gras und seine einzige Verteidigung war ein Pfeil.
Wieder reagierte Hope schnell. Sie zog einen ihrer Pfeile aus ihrem Köcher, spannte ihn in den Bogen, zielte auf eines der Wesen und schoss. Er flog, begleitet von dem ihr so vertrauten Surren, doch ehe sie sich versah landete er schon wieder auf dem Boden.
"Das ist unmöglich...", hauchte sich. Denn anstatt sich in das Fleisch des getroffenen Wesens zu bohren, flog er geradewegs hindurch und landete im Gras hinter ihm. Die Kreatur schien es nicht mal gekitzelt zu haben und außer dem Mann schien niemand das Szenario überhaupt bemerkt zu haben. Er blinzelte sie ungläubig an.
"Der Kopf!", brüllte er ihr zu, "Du musst den Kopf treffen!"
Eines der Wesen hob plötzlich die große Pranke, an der genauso plötzlich lange und messerscharfe Nägel erschienen, schrie auf und schlug nach ihm. Gekonnte wich er aus.
Hopes zweiter Pfeil trat genau an der Schläfe, ließ das Wesen fallen und es wie seine Vorgänger dem Erdboden gleich werden. Sie war allerdings nur einen Moment erleichtert, denn nun wandten die Kreaturen ihre Aufmerksamkeit ihr zu und rannten brüllend auf sie zu. Alec stand perplex neben seiner Schwester und beobachtete geschockt das Geschehen. Hope hingegen überfiel blanke Panik. Sie zog einem Pfeil nach dem anderen und schoss, doch ihre Nervosität ließ sie nur einmal treffen. Die Wesen kamen immer näher, doch Alec war immer noch nicht im Stande ihr zu helfen.
"Alec!", rief sie lautstark, "Alec, mach doch was!"
Doch Alec stand weiterhin bewegungslos da und starrte die immer näher kommenden Wesen an. Erst als sich eines ihnen bis auf weniger als einen Meter genähert hatte hob er reflexartig sein Schwert und schlug mit einer kräftigen Bewegung einer der Kreaturen den Kopf entzwei. An der Klinge seines Schwertes klebte nun eine Art Schlamm, der zäh- und dickflüssig zu Boden tropfte. Auch dieses Wesen versank gänzlich in der Erde.
Hope rannte ihrerseits zu dem am Boden knienden Mann und half ihm auf die Beine. "Danke", keuchte er. Hope nickte ihm zu und wandte ihren Blick dann wieder Alec zu, der nun versuchte den restlichen Wesen zu entkommen. Er rannte so schnell ihn seine Beine tragen konnten hinüber zu seiner Schwester und dem Mann und kam atemlos bei ihnen zum Stehen. "Was ist hier los?", fragte er, "Was sind das für Viecher?"
Hope zuckte die Schultern, der Mann wollte antworten, doch sie bekamen wieder Gesellschaft. "Sie sind nur am Kopf und Hals verwundbar!", rief er ihnen noch durch das Gebrüll zu, das die Kreaturen veranstalteten, hob dann sein Schwert und schlug der erstbesten den Hals durch, wie er es gerade schon getan hatte. Auch Hope und Alec verteidigten sich wieder, dennoch mussten sie bald feststellen, dass es einfach zu viele waren. Als der Mann dann auch noch sein Schwert wieder in die Scheide gleiten ließ und sich von ihnen abwandte, wurde es nur noch schwerer.
"Was soll das?", fauchte Hope ihn an, doch er schien sie nicht mal zu hören. Er hob seine Hände, legte sie übereinander, als wolle er einen Ball festhalten und kniff konzentriert die Augen zusammen. Nur ein paar Sekunden später kam wieder ein starker Wind auf, wehte umher, zerzauste Hope wieder die Haare und der erste Blitz folgte nicht viel später. Wieder zog dieses komische, regenlose Gewitter los und Hope war es beinahe unmöglich zu zielen. Ihre Pfeile kamen immer vom Kurs ab und trafen Bäume, den Boden und manche gar nicht. Alec war somit fast auf sich allein gestellt, da seine Schwester nur noch mit einem Pfeil nach den Wesen schlagen konnte.
Die Dunkelheit wurde plötzlich von einem gleißend hellen Licht durchbrochen, das so grell war, dass die beiden ihre Augen zukneifen mussten. Auch den Kreaturen schien das Licht nicht gut zu tun, denn sie brüllten noch lauter und wütender als vorher. Als der Wind, die Blitze und der Donner verebbten, öffnete Hope ihre Augen wieder und blinzelte in das nicht mehr ganz so helle Licht, dann erstarrte sie.
Da war er wieder! Der Spiegel! Sie riss die Augen auf und sah den Mann fragend an. "Keine Zeit für Erklärungen! Wir müssen weg hier!", rief er durch das Geschrei, packte Alec und Hope an den Händen und zog sie mit sich auf den Spiegel zu. Hope schlug ihr Herz bis zum Hals und noch höher. Was würde jetzt passieren? Würde sie aufwachen und schweißgebadet in ihrem Bett sitzen? Würden sie durch den Spiegel gehen, so wie der Mann und die Wesen es vorhin auch schon getan hatten? Letzteres wurde immer wahrscheinlicher. Sie waren etwa noch fünfzehn Zentimeter von dem Lichtkreis entfernt, da streckte Hope ihre Hand mit den Bogen aus, um die Spiegeloberfläche zu berühren.
Kaum hatte sie auch nur ihre Fingerspitzen, daran gelegt, da entstand plötzlich ein so starker Sog, dass sie von den Füßen gerissen und in ihn hinein gesaugt wurde. Sie befand sich nun in einer Art Röhre aus gelbem Licht, in der sie, und nur wenige Momente später auch Alec und der Mann, schwerelos zu schweben schienen. Der Sog allerdings ließ nicht nach und sie flogen durch die Röhre, ohne sie auch nur einmal zu berühren. "Egal, was passiert, lasst meine Hand nicht los!", rief der Mann ihnen zu und verstärke seinen Griff um die Hände der beiden Geschwister, "Verstanden? NICHT LOS LASSEN!" Hope nickte und Alec sagte etwas, das sie nicht verstehen konnte. Der Sog wurde stärker. Sie versuchte panisch sich an der Hand des Mannes festzuklammern, doch ihre Handflächen waren verschwitzt und so rutschte sie Zentimeter um Zentimeter ab. Auch er gab sein bestes, doch irgendwann entglitten ihre Finger seiner Hand und Hope fiel zurück.
"HOPE!", schrie Alec. Er versuchte nach seiner Schwester zu greifen, verfehlte ihre Hand aber knapp. Doch plötzlich ging ein Ruck durch ihren Körper. Sie sah zu ihrem Bruder, der gerade noch ihren Bogen zu fassen bekommen hatte. Doch durch den Ruck war Alec seinerseits ein wenig aus dem festen Griff des Mannes gerutscht. Die Geschwindigkeit, in der sie flogen, wurde immer schneller, Hope wurde schon schwindelig und ein Druck baute sich auf. Als der Sog scheinbar seinen Höhepunkt erreicht hatte, verloren auch Alecs Finger den Halt an der Hand des Mannes und so fielen er und seine Schwester ein paar Meter zurück. Der Mann rief ihnen noch etwas zu, doch sie hörten es nicht.
Hope klammerte sich an ihren Bruder. "Alec, ich habe Angst!"
Er verstärkte seinen Griff um sie, drückte sie an sich, mit der freien Hand. "Halt dich einfach an mir fest, Kleine. Wir schaffen das!", redete er ihr gut zu, als der Lichttunnel sich plötzlich verzweigte und sie in eine der Biegungen gesogen wurden.
 
© Jini und Rebell
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Sicher schon bald geht's hier weiter zum 3. Kapitel...

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