Zu große Schönheit von Itkovian

Der Vollmond stand hoch am Himmel und sein Licht ließ die gesamte Lichtung in einem dämmrigen, aber weißen Licht erstrahlen. Das kniehohe Gras und die genauso hohen Blumen mit den fast schmerzhaft weißen Blüten wiegten leicht in der warmen Brise, die über den Boden strich.
Quer über die Lichtung zog sich ein schmales Bächlein, dessen Wasser beim Fließen über die, durch das Mondlicht zum Glänzen gebrachten, rund geschliffenen Steine, ein leises, beruhigendes, plätscherndes Geräusch verursachte. Über den tausenden von Blumen flatterten mindestens genauso viele weiße Falter, deren Flügelschläge die Luft zum Vibrieren brachte und ein leises Brummen erklingen ließ. Zusammen mit der durch die Gräser fahrenden Brise, welche diesen ein sanftes Flüstern entlockte, passten die Geräusche so perfekt zu dieser warmen Sommernacht und der weiten Lichtung, dass man sie nicht wahrnahm, es sei denn man schloss die Augen und konzentrierte sich ganz auf die Laute, die die Ohren vernahmen. Sie gehörten einfach so sehr hierher, dass man die als selbstverständlich und als Teil des Ganzen betrachtete und nicht als getrennte Geräusche hörte. Aus diesem Grund schien die Lichtung in absolute Stille getaucht, nur aus dem Wald drang gelegentlich das Röhren eines Hirsches oder das Heulen eines nicht allzu weit entfernten Wolfsrudels. Doch auch diese Laute störten die Stille nicht, sondern machten durch ihr gelegentliches Auftreten erst recht auf diese aufmerksam.
In dem kleinen Bach spiegelte sich das Mondlicht, welches durch das bewegte Wasser fortlaufend auf eine andere Art gebrochen wurde, wodurch ein ständiges, scheinbar zufälliges Spiel aus hellen, glänzenden und dunklen, matten Stellen im Flussbett entstand. Auch wenn, oder gerade weil, in diesem Lichtspiel kein System erkennbar war, wusste man, dass eine kleine Änderung des - nicht vorhandenen - Systems das ganze Bild zerstören würde. Denn das Bild, das sich hier bot, war mit der vollendeten Perfektion jener geschaffen worden, welche auch einst diese Welt erschufen und der geringste Eingriff eines Sterblichen würde diese Harmonie dem Untergang weihen.
Die Zeit schien still zu stehen, jeder Sterbliche, der an jenem Abend diese Lichtung mit eigenen Augen gesehen hätte, wäre über deren Schönheit und den darauf folgenden Gedanken an die Nichtigkeit jedes Lebewesens und dessen Wunsch etwas besonderes für die Zukunft und seine Nachkommen zu hinterlassen, in Tränen ausgebrochen, ja es hätte sogar sein können, dass er sich wünschte, den Ort nie zu verlassen und hätte man versucht ihn zum Gehen zu zwingen, so hätte er eher den Wunsch verspürt, sich das Leben zu nehmen als mit dem Wissen, nie wieder etwas derart Schönes erblicken zu können, seine nichtige Existenz weiterzuführen.
Doch nun passierte etwas, das jedem Sterblichen den Wunsch zu leben genommen hätte. Über dem Wald, nahe der Lichtung stieg plötzlich ein Schwarm schwarzer Vögel, wahrscheinlich Raben, auf. Etwas näherte sich lautlos. Auch wenn man die Vögel nicht gesehen hätte, wüsste man das instinktiv. Die Macht, welche von dem sich nähernden Wesen ausging, war immens, wenn das Wesen ihr freien Lauf gewährt hätte, so hätte diese die Lichtung innerhalb eines Wimpernschlags in eine kalte, abstoßende Wüste verwandelt. Doch das Wesen selbst kontrollierte seine Macht mit eiserner Hand und beherrschte seine Kräfte seit es vor einer unvorstellbar langen Zeit geboren wurde.
Am Rand der Lichtung erschien nun ein Reiter, er brach in Galopp aus dem dicht bewachsenen Wald und es schien als würden die Bäume und Gräser eine Gasse für ihn bilden. Anders konnte man sich die Geschwindigkeit mit der er sich fortbewegte nicht erklären. Als er den Halbschatten in der Nähe der Bäume verließ konnte man Ross und Reiter genauer erkennen. Das Pferd war recht klein gewachsen und so weiß, dass es fast zu strahlen schien, ein Flimmern aus hellem Licht schien es zu umgeben. Es flog über den Boden und schien durch die Halme hindurch zu reiten, denn das Gras und die Blumen wiegten sanft im Wind, auch an jenen Stellen über die der Reiter gerade geritten war, als wäre nichts geschehen. 
Und ähnlich wie das Plätschern des Bachs, passte der Reiter so ins Bild, dass ein Sterblicher sein Auftreten als selbstverständlich betrachtet hätte, wäre er denn anwesend gewesen. Als er, ohne eine Spur zu hinterlassen, die Mitte und damit die hellste Stelle der Lichtung erreicht hatte, konnte man den Reiter deutlicher erkennen. Man sah nun, dass er weiblich war. Ihr offenes, langes, schwarzes Haar wehte hinter ihr im Wind. Auf der Stirn trug sie einen schmalen silbernen Reif, in den wunderschöne Runen eingraviert waren. Genau wie die Haare wehte ein hauchdünner, halbdurchsichtiger, hellblauer Schleier, welcher mit dunkelblauen Mustern bestickt war, hinter ihr her, als hätte er Mühe mit dem Pferd Schritt zu halten. Der Schleier selbst war mit seinen fünfeinhalb Fuß etwa so lang wie die Reiterin groß war. Er war am Kragen eines weißen, einteiligen Kleides befestigt. Das Kleid selbst war so geschnitten, dass man ganz normal mit ihm reiten konnte, war also zwischen den Beinen aufgetrennt, was zur Folge hatte, dass seine Beinteile ebenfalls im Wind flatterten, wodurch die Unterschenkel der Reiterin, welche in absatzlosen, über kniehohen Stiefeln, die aus weichem, fast seideartigem, dunkelblau eingefärbten Leder gefertigt waren, steckten. Die Ärmel des Kleides waren sehr weit geschnitten, wodurch sie wie Fahnen im Wind flatterten und der Reiterin das Aussehen gaben, als hätte sie weiße Flügel wie die vielen Falter, welche sich von der Reiterin nicht stören ließen, ja die diese überhaupt nicht wahrzunehmen schienen, so als hätten sie ihr Kommen erwartet und als ob sie an diesem Abend als nichts besonderes darstellen würde.
Ihr Gesicht war jedoch am atemberaubendsten. Es ist nicht möglich, ihre Gesichtszüge zu Papier zu bringen, da jeder Versuch in einem Desaster geendet hätte. Während des Schreibens hätte man das Gefühl, dass ihr Aussehen genau getroffen wurde, doch wenn man sich seine Arbeit einen Augenblick später erneut betrachtete, so bemerkte man, dass nicht annähernd jene Schönheit zu Papier gebracht hatte, mit welcher sie gesegnet war. Zu sagen ist nur, dass das wundervollste an diesem unbeschreiblich schönen Gesicht jene mandelförmigen, rehbraunen Augen waren, die in diesem Augenblick zum Mond aufblickten und die wie Steine aus Onyx das Licht sowohl aufzufangen als auch zu reflektieren schienen.
Sie war eine Elfe, eine der letzten, die diese Lande durchsteiften, eines jener Geschöpfe, die die Sterblichen nie verstehen würden und bei deren Anblick ein jeder in Tränen ausbrach, eine der Älteren, eines jener Ebenbilder, die die Göttern von sich selbst geschaffen hatten, bevor sie diese Welt körperlich verlassen hatten.
Wie die Pferde aller Elfen, so trug auch dieses weder Sattel noch Zaumzeug. Der Köcher, in dem ein Dutzend Pfeile mit exotischer Befiederung und Steinspitzen, welche so scharf geschliffen waren, dass sie an den Rändern durchsichtig schienen, steckte, war mit einem einzigen dünnen Gurt an der linken Seite des Pferdes befestigt. An dem Köcher war ein fast acht Fuß langer, dünner Bogen mit ausgehängter Sehne befestigt. In einer Halterung auf der rechten Seite des Pferdes befand sich eine sieben Fuß lange Lanze, die an beiden Enden Klingen aus einem hellbraunen, stahlharten Holz hatte. Der Übergang von der Klinge zu dem helleren Schaft war auf der einen Seite mit schwarzem und auf der anderen Seite mir weißem Seil umwickelt. In eine der Klingen waren weiße, elbische Runen, von der gleichen Art wie jene auf dem Stirnreif, eingraviert. Auf der anderen Klinge stand etwas in schwarzen Runen geschrieben.
Der Inhalt jener Gedichte, die mit den Runen geschrieben waren, ihre Schönheit und die zauberhafte Melodie, welche beim Sprechen der Gedichte in der elbischen Sprache, entstand, können nicht in unsere junge, unreife und harte Sprache übersetzt werden.
Bevor das Auge dies alles festhalten konnte, war die geheimnisvolle Reiterin im Wald verschwunden, um einsam ihrer Wege zu ziehen und ihre unbekannten Ziele zu verfolgen.
Und ein jeder, der sie zu Gesicht bekam, wünschte sich sie nie gesehen zu haben, weil das Leben keinen Sinn mehr ergab, wenn man sie gesehen hatte, aber nicht bei ihr bleiben konnte. Auch wenn man sich wünscht, sie gesehen zu haben, nachdem man diese Geschichte hört, bitte glaube mir, du wirst glücklicher in deinem Leben sein, wenn du das Schönste, das auf dieser Welt existiert, noch nicht erblickt hast und du etwas hast, für das es sich zu leben lohnt.
 
© Itkovian
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