Das Elbendorf war nicht sehr groß. Es lag an einer Lichtung
am Dunkelwald. Und ein jeder, der es suchte, hatte seine liebe Not es zu
finden, so gut war es in den Wipfeln der riesigen Rilta-Bäume versteckt.
Mitten durch den Wald zog sich ein kleiner Fluß vorbei an der Hochsiedlung,
tiefer in den Dunkelwald hinein, in dem ein versunkenes Volk eine Ruinenstadt
hinterließ, von denen niemand weiß, wer sie waren und was ihnen
zustieß, daß sie diese große Stadt aufgaben.
Eben in diesem Wald und in dieser Siedlung lebte Itrani, ein äusserst
geschickter Kletterer, eigentlich Voraussetzung, um in diesem Dorf
leben zu können, und ein schneller Läufer. Er verstand es gut
mit Kindern umzugehen, konnte spannende Geschichten erzählen und ihnen
viele wichtige Sachen beibringen, die sie für ihr späteres Leben
gut gebrauchen konnten. Und eigentlich war Itrani zuverlässig.
Aber seit dem Morgengrauen war er verschwunden. Niemand sah ihn,
sprach mit ihm. Keiner konnte sagen, wohin er gehen wollte, noch, was er
tun wollte. Und nun?
Schließlich stellten sie eilends einen Suchtrupp zusammen.
Es war bereits später Nachmittag. Bald würde die Nacht hereinbrechen.
Einige unter ihnen sahen auch in der Finsternis sehr gut. Doch in der Dunkelheit
trieben sich nicht nur Füchse und Fledermäuse durch den Wald.
Es gab im Dunkelwald auch Wesen, denen man des Nachts lieber nicht
begegnen sollte. Eines davon war der Renntraub. Ein sehr unangenehmer Zeitgenosse,
der mit seinen unzähligen kleinen Klauen sehr schmerzhafte Wunde zusetzen
konnte, und rennen konnte er wohl auch ganz gut. Früher suchte er
stets die Nähe von Elben, Menschen oder anderen Stämmen im Wald,
da es dort öfters Hühner und anderes Kleingetier zu holen
gab, auch Speisekammern ließ er nicht aus. Irgendwann wurde
ihm das allerdings zum Verhängnis. Und die Elben gingen nicht gerade
zimperlich mit ihm um. Seitdem ließ er sich nicht mehr allzu oft
blicken. Von dieser Niederlage musste er sich viele Monate erholen, bevor
er sich wieder in die Nähe eines Dorfes wagte.
Sie begannen die Suche an ausgewählten Orten, von denen
sie wußten, dass sich Itrani dort oft und gerne aufhielt. Seltsamerweise
waren sich jedoch alle sicher, ihn dort nicht zu finden. Wie eine
Art der Vorahnung. Überall im Wald rief man seinen Namen, ohne Antwort.
Sie suchten in weiteren Hochverstecken, in Erdhöhlen, in alten
Baumstämmen. Noch bevor die Nacht vollends hereinbrach, gaben sie
die Suche vorerst auf um einen Rat abzuhalten. Entweder man hatte ihn entführt,
was aber höchst unwahrscheinlich erschien, oder aber er ging von sich
aus. Das Eigenartige war, daß er niemandem etwas sagte, sich nicht
verabschiedete.
Itrani scherzte nicht auf diese Weise mit seinen Freunden, denn
er legte viel Wert auf Freundschaft. Demnach handelte es sich um eine sehr
ernste Angelegenheit. Nach Einbruch der Dunkelheit kehrte er stets zum
Dorf zurück.
Am nächsten Tag herrschte im Dorf Ratlosigkeit. Eine
ungewohnte Ruhe trat ein. Die Kinder saßen herum und hatten keine
rechte Lust zum Spielen, warfen mißmutig Steine in den Fluß.
Das laute Platschen und das herumspritzende Wasser schien sie überhaupt
nicht zu ermuntern.
Viele setzten die Suche vom Vortag fort. Ohne Erfolg.
Allerdings gab es noch eine Möglichkeit, die alte Ptaul. Sie
war die älteste Elbin überhaupt, wurde zumindest erzählt.
Und sie verfügte über seltsame magische Fähigkeiten. Niemand
traute sich zu ihr, da sie als einfältig und zuweilen als exzentrisch
beschrieben wurde. Was davon der Wahrheit entsprach, konnte allerdings
niemand sagen, denn in den letzten Jahrzehnten hat sie kein Elb gesehen.
Im Moment schien sie aber der einzige Ausweg zu sein.
Das Dorf wählte drei Sprecher, die am nächsten Tag zu
ihrem Haus aufbrechen sollten. Sie wählten eine gute Freundin
von Itrani, Kadis. Manchmal hielt man die beiden für Zwillinge, da
sie viel zusammen unternahmen, dabei war Itrani zwei Jahre älter,
und sie sich in ihren Gesichtszügen überhaupt nicht ähnelten.
Jedoch hatten sie dasselbe blonde, lange Haar und die stechend
hellgrünen Augen. Die Beiden verband eine sehr besondere Freundschaft.
Zwei Jäger begleiteten Kadis, und sollten sie während
der Reise beschützten. Gleichzeitig nahmen sie die Aufgabe der anderen
beiden Sprecher wahr.
Ptauls Haus war etwa zwei Tagesreisen vom Dorf im Dunkelwald entfernt,
in der Nähe eines Bergmassives, das sich weit hinten majestätisch
über die großen Wälder des Elbenlandes erhob.
Die Frauen sorgten dafür, dass die Reisenden genügend
Proviant mitnahmen.
Am folgenden Morgen brachen sie schon in der ersten Dämmerung
auf. Während des langen Fussmarsches machten sich Kadis allerlei Gedanken
um die seltsame Elbin. Das Alter war niemandem bekannt, so auch ihr Aussehen,
denn alle die es hätten wissen können, waren schon lange tot.
Deshalb spekulierten die Meisten. In gewisser Weise war sie ein Mysterium.
Ihre Reise verlief ohne große Zwischenfälle. Als Ptauls
Haus in Sichtweite kam, wurde ihnen allerdings schon etwas mulmig im Bauch.
Es schien ein wirklich altes Haus zu sein, nach der Bauweise der alten
Meister, von denen die Blöcke so behauen wurden, daß die Steine
ineinandergreifen konnten und dem Haus auf diese Weise Halt verliehen.
Der Nachteil aber bei dem Material war die Verwitterung. Das Gestein konnte
durch Wind und Regen sehr schnell abgetragen werden und hielt daher nicht
sehr lange. Festeres Material konnten die Elfen nicht erhalten, da in der
Nähe keine anderen Rohstoffe vorhanden waren. Deshalb wunderten sich
die drei Reisenden, daß dieses Haus noch so gut erhalten war, es
machte nach der scheinbar langen Zeit einen sehr stabilen Eindruck.
Kadis wußte, daß sie keine andere Wahl hatte, wenn sie
wissen wollte, was Itrani zugestossen war. Sie nahm ihren ganzen
Mut zusammen und ging mit festem Schritt voraus. Ihre beiden Beschützer
folgten ihr.
Gemeinsam erreichten sie gegen Mittag das Steinhaus. Ein wenig verwundert
betrachtete sie den kleinen, gut gepflegten Steingarten vor dem Haus der
Alten, der in voller Blüte stand. Zu mehr war der Boden anscheinend
nicht geschaffen. Immerhin sahen sie in dem Garten einige Exemplare, die
im Dunkelwald scheinbar nicht heimisch waren, und schienen sie auch nicht
unbedingt nur als Zierpflanzen zu wachsen, an einigen Stellen standen vereinzelt
abgeschnittene, ausgetrocknete Stümpfe.
Die Elben ließen in einiger Entfernung ihr Reisegepäck
unter einem Nußstrauch fallen. Müde von den durchgewanderten
Nächten setzten sie sich auf den kühlen Waldboden.
"Ich denke, von jetzt an muß ich es alleine durchstehen",
wandte sich Kadis an ihre Begleiter.
"Es wird nicht sehr lange dauern. Ruht euch in der Zeit aus." Mit
diesen Worten stand sie auf und lief los.
Vorsichtig betrat Kadis durch einen steinernen Torbogen den kleinen
Garten, durch den ein schmaler Weg zum Eingang des Hauses führte.
Aufmerksam beobachtete sie die Fenster, die Vorhänge, die Tür
und die kleinen Nischen in der gesetzten Mauer. Irgendwie ging eine seltsame
Ausstrahlung von diesen Steinen aus.
Gerade als sie ihre Hand anhob, um an die schwere, ebenholzfarbene
Tür zu klopfen öffnete sich diese wie von allein. Erschrocken
wich sie zwei Schritte zurück. Ihre innere Stimme sagte ihr, daß
sie hineingehen sollte. So richtig wollte sie dieser Stimme auch nicht
trauen. Das hier war eine Situation, der sie mit ihrem Zauber aller Wahrscheinlichkeit
nach nicht entgegentreten konnte. Ihr Gefühl sagte es ihr, und bisher
konnte sie sich auf ihr Gefühl immer verlassen.
"Also dann", ermutigte sie sich und trat nun doch in den dunklen
Eingang hinein.
"Schließe die Tür hinter Dir", herrschte sie eine tonlose
Stimme aus der anderen Seite des Zimmers an, kaum daß die Tür
sich geöffnet hatte und einen kleinen Lichstrahl in den Raum fallen
ließ.
Schnell warf Kadis die Tür hinter sich ins Schloss. Unsicher
blieb sie an dem Eingang stehen und versuchte, in die Dunkelheit dieser
Kammer zu blicken. ('Infravision ist schon 'ne tolle Sache'.)
Sie stand in einem großen Raum, der in einem Schummerlicht
lag, das ganz bestimmt nicht vom Tageslicht erzeugt wurde. Doch sie fand
keine Quelle. Vor den Fenstern hingen schwere weinrote Vorhänge, die
dem ohnehin schon dunklen Zimmer einen noch dunkleren, drückenden
Eindruck verlieh.
Zu ihrer linken Seite befand sich ein Kamin, in dem aber kein Feuer
brannte und zwei große Sessel, überall Bücherregale, bis
obenhin mit Büchern besetzt. Sie zogen sich durch das gesamte Zimmer.
Zu ihrer rechten Seite erstreckte sich eine Art kleines Laboratorium, jedoch
nicht so wie man es von einem Alchimisten erwartet, eben ein wirklich kleines
Labor, in dem eine Frau in einem dunkelblauen Kleid stand und irgendwelche
Geräte bediente. Dieser Raum hatte schon eine eigenartige Wirkung
auf Fremde. Je mehr sie von alledem sah, desto skeptischer wurde sie.
'Was tue ich hier eigentlich?' Im nächsten Augenblick bereute
sie es schon wieder, so was gedacht zu haben.
"Denke bloß nicht, ich wüßte nicht, was gerade
in Dir vorgeht."
Ptaul wandte sich von ihren Büchern und anderen rätselhaften
Apparaten ab und ging langsam auf ihren 'Gast' zu. Die schwere blaue
Robe erzeugte bei jeder Bewegung ein sanftes Rauschen. Und das Gesicht
der Frau kam ihr in keinster Weise vertraut vor. Sie gehörte nicht
einmal zum Volk der Elben. Wie alt sie war, konnte Kadis auch nicht sagen,
wahrscheinlich hatte sie viele Generationen ihres Volkes überdauert.
"Ich weiss, Du bist verwundert, dass ich nicht Deinem Volk angehöre.
Das hat seinen Grund.
Es ist aber nicht an der Zeit, daß dieses Geheimnis gelüftet
werden sollte. Du bist aus einem ganz anderen Anlass zu mir gekommen",
bestimmte sie. Ihre Stimme hatte nun einen tiefen, warmen und angenehmen
Ton, der ein wenig die Strenge ihres Gesichtes wieder ausglich. Die weißen
Haare hatte sie zu einem Knoten hochgesteckt.
War sie ein Mensch?
Die junge Elbin machte den Mund auf und wieder zu, ohne dass auch
nur ein Laut über ihre Lippen drang. Zu groß war die Verwunderung
über all das was sie in Ptauls Haus sah.
Diese Geräte, die überall im Zimmer herumstanden,
übten eine ungeahnte Faszination auf sie aus. An manchen Stellen leuchteten
sie in allerlei Farben. Niemals zuvor hatten ihre Augen so etwas gesehen.
Dabei vergaß sie beinahe, warum sie gekommen war.
"Du bist wegen Itrani hier. Du willst mich fragen, wo er ist. Stimmt
das?" fragte sie Kadis.
Sie nickte heftig, immer noch unfähig auch nur ein Wort zu
sprechen.
"Nun, es ist besser, Du setzt Dich hierher." Sie deutete auf einen
dieser schönen, alten Sessel, die mit rotem Samt überzogen waren.
Langsam näherte Kadis sich dem angebotenen Sessel, ohne die
seltsame Frau mit ihren Apparaten aus den Augen zu lassen. Ptaul nahm in
einer ähnlichen Sitzgelegenheit gegenüber Platz. Kein Lächeln
war auf dem Gesicht der alten Frau zu sehen. Sie wartete noch einen Augenblick,
schien sich auf das was sie sagen wollte, zu konzentrieren.
"Im Dunkelwald gibt es eine Ruinenstadt. Hast Du davon schon gehört,
Kadis?" fragte Ptaul.
Sie hatte sich langsam von der anfänglichen geistigen Überwältigung
erholt.
"J-j-ja", antwortete sie zögerlich. Ihr Urgroßvater hatte
sie mal zu den uralten Ruinen mitgenommen und ihr irgendwas von einem vergangenen
Volk erzählt, alles seltsames Zeug.
"Na ja, so seltsam war das sicherlich nicht", wandte die alte Frau
ein. Kadis hatte schon wieder vergessen, daß Ptaul in irgendeiner
Weise ihre Gedanken lesen konnte.
"Dieses Vergangene Volk hatte eine bemerkenswerte Eigenschaft -
sie beherrschten die Sprache der Drachen."
Mit einem Ruck setzte sich Kadis auf.
"Drachen?!!" wiederholte sie ungläubig.
"Ja, Drachen. Es ist schon so lange her, daß es hier in diesem
Gebiet einen Drachen gab, ich weiß es selber nicht mehr." In ihrer
Stimme schwang ein trauriger Unterton mit.
"Was ist mit den Drachen? Und was hat das mit Itrani zu tun?" Ungeduldig
rutschte Kadis auf dem Sessel hin und her. Sie wollte mehr darüber
wissen. Und vor allem wollte sie mal eine richtige Antwort.
"Immer mit der Ruhe, wir haben genügend Zeit. Itrani ist nichts
zugestoßen, wenn es Dich beruhigt."
Ptaul stand auf und ging langsam zu einem der großen Bücherregale,
in denen viele alte, dicke Bücher lagen, mit scheinbar uralten Schriften,
die kein 'normaler' Elb lesen konnte. Hier und da ragten ausgegilbte
Schriftrollen zwischen den Unmassen an Büchern hervor. Aber sie konnte
nirgendwo Staub auf den Büchern sehen.
"Wer oder was bist Du eigentlich?" fragte Kadis, die immer mehr
ihre Scheu überwand.
Eine Hand griff gezielt nach einem der dicken Bücher, der Einband
war kunstvoll verziert mit Silberbeschlägen und kleinen Edelsteinen.
"Nach den Überlieferungen des Vergangenen Volkes bin ich die
Wächterin des alten Wissens. Sie haben bestimmt, daß es immer
jemanden geben sollte, der dieses Wissen bewahrt.
Besonders die Drachen sollten damit geschützt werden", antwortete
Ptaul wahrheitsgemäß.
Kadis machte ein langes Gesicht.
"Aber die Drachen - es gibt keine mehr."
"Meinst Du wirklich?" Das erste Mal sah die Elbin ein Lächeln
von ihr, ein geheimnisvolles Glänzen stand in ihren Augen.
"Es hat also etwas mit Itrani und den Drachen zu tun", schlußfolgerte
sie.
"Ganz richtig, Du sagst es. In diesem Buch wirst Du alle Arten von
Drachen finden, mit Ergänzungen, die den Tag nennen, an dem der Letzte
seiner Art ausgelöscht wurde.
Du wirst auch einige Eintragungen finden, bei denen keine Ergänzungen
stehen."
Sie reichte Kadis das schwere Buch. Es war schön mit Zeichnungen
illustriert. Viele Namen waren in den Spalten eingetragen. Aber sie konnte
diese niemandem zuordnen, wen oder was sie nun bezeichneten. Eine Zeitlang
waren die Spalten in jener Schrift, die sie auch auf manchen Büchern
in dem Regal gesehen hatte, und nicht deuten konnte.
Dann fand sie eine Seite, auf der ein sehr großes Wesen abgebildet
war. Wie gebannt starrte sie die Seite an. Er war scheinbar riesig groß,
sein Körper bestand aus irgendwas, was sie nicht einordnen konnte.
Es war weder Glas noch ein ihr bekannter Stoff, der einen so sonderbaren
Glanz aussenden konnte.
Die Wächterin bemerkte ihren Gesichtsausdruck.
"Das, was Du da siehst, ist ein Kristalldrache. Eigentlich gibt
es keine lebenden Exemplare mehr."
"Aber - ", fuhr Kadis fort und forderte Ptaul auf weiterzusprechen,
ohne von der Seite aufzusehen.
"Aber es gab ein Versteck. Eine Wächter spürte es auf
und fand darin etwas ganz Besonderes.
Du mußt wissen, daß Kristalldrachen die intelligentesten
unter allen sind, und die größten ihrer Art. Viele Menschen
deuten in ihrer Angst vor den Drachen die Zeichen falsch.
Natürlich gibt es auch bösartige unter ihnen. Und wenn
sie einmal ein Drache angegriffen hat, so sind gleich alle schlecht. Dabei
sind sie so verschieden.
Auf den Kristallenen hat man es besonders abgesehen, wegen seiner
Krone. Er wurde durch alle Länder gejagt, bis es ihn nicht mehr gab."
"Und in diesem besonderen Fund verbirgt sich ein Kristalldrache?"
Ptaul legte das Buch beiseite und nickte andächtig. Es schien
als würde es ein ganz besonderer Moment sein in dem sie verkünden
konnte:
"So ist es. Mittlerweile ist aus dem kleinen Drachen schon ein größerer
geworden. Doch er muß noch eine Menge lernen. Die meisten Wächter
sind schon zu alt, um ihm diese Dinge zu lehren.
Deshalb trat der hohe Rat ein. Wir suchten in alten Büchern,
wer für so etwas geeignet sein könnte."
"Und ihr habt Itrani ausgewählt. Wieso? Wir mögen ihn
genauso gerne, wir brauchen ihn ebenfalls."
"Kadis, in Itranis Vorfahrenliste fanden wir einige Generationen,
die sich mit Drachensprachen auskannten.
Das ist keine Aufgabe, die man einfach so lernen kann. Man bekommt
diese Gabe in die Wiege gelegt, entweder man beherrscht sie oder nicht.
Lernen kann das niemand."
Einen Augenblick hielt Kadis inne, versuchte eine logische Erklärung
zu finden.
"Itrani erzählte niemals etwas über so eine Gabe. Und
er hat mir nie etwas verheimlicht." Ein wenig von ihren Trotz kam durch,
sie wollte Itrani nicht so einfach aufgeben.
"Natürlich hat er nie etwas darüber erzählt, denn
diese Gabe ist nicht offensichtlich. Sie muß erkannt, gefördert
und trainiert werden, aber alles was er über die Sprache und Lebensweise
von Drachen wissen muß, weiß er bereits. Deshalb haben
wir ihn ausgewählt. Wir wollten ihn niemandem wegnehmen. Nur solltest
Du auch wissen, daß es von den Auserwählten nicht unzählig
viele gibt. Und es geht um das Überleben der Drachen. Schätze
dies nicht als unehrenhaft ein. Es ist eine ganz besondere Aufgabe, der
es viel Gefühl bedarf.
Und wir denken, dass Itrani dieser Aufgabe voll und ganz gerecht
werden wird."
Ganz so ohne wollte sie das Schlachtfeld nicht räumen, andererseits,
was sollte sie schon ausrichten können
"Wir werden ihn nie wieder sehen?" Bedrückt schaute sie Ptaul
an.
"Er wird wissen, wenn seine Aufgabe beendet ist. Und wird
dann zurückkehren.
Ich weiß, daß es keinen von euch beiden leicht fällt,
den anderen gehen zu lassen. Von dieser Aufgabe hängt sehr viel ab,
sie ist von immenser Wichtigkeit, in gewisser Weise geht es um Leben und
Tod.
Vergiß nicht, es war trotz allem seine freie Entscheidung,
diese Aufgabe anzunehmen.
So, es ist genug, ich denke, es ist besser, Du machst Dich jetzt
auf den Heimweg. Berichte den Anderen, was mit Itrani geschehen ist. Du
wirst sehen, die Mehrheit wird wissen, daß es so am besten ist."
Damit schien das Gespräch für die Wächterin beendet.
Sie stand auf und wandte sich ihren sonderbaren Garäten zu.
Kadis blieb jedoch ein wenig länger sitzen, dachte nach.
Wenige Minuten später verließ sie wortlos das Haus, um sich
mit ihren Begleitern auf den Heimweg zu machen. Draußen hatten sich
die beiden Jäger ein kleines Feuer angezündet und ein Mittagessen
zubereitet. Sie kam also genau zur richtigen Zeit. Allerdings war Kadis
nicht nach Essen zumute.
Bereits eine Stunde später hatten sie alle Sachen zusammengepackt
und machten sich auf den Heimweg.
'Du wirst sehen, daß es die richtige Entscheidung war', schnellte
es durch ihren Kopf, wie ein Echo. Unweigerlich mußte sie sich noch
einmal zu Ptauls Haus umdrehen, das gerade am Horizont verschwand.
Kadis hatte die Gewißheit, daß es ihm gutging.
Trotzdem breitete sich in ihrem Herzen eine unsagbare Traurigkeit
und Einsmkeit aus. Sie konnte nicht einfach nach Hause gehen und sagen,
dass Itrani in vielleicht 10 oder 20 Jahren wiederkommen wird, sich in
ihr Kämmerchen setzen und das war's dann. Irgend etwas mußte
sie doch tun können, um ihm zu helfen. Bisher hatte immer einer dem
anderen geholfen. So sollte es auch diesmal sein.
Kadis mußte nur noch einen Weg finden, wie sie das anstellen
konnte.
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