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Diese Geschichte wurde von den Drachental-Besuchern zur
zweitbesten Fantasy-Story 2006 im Drachental gewählt!

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Fips von Joe Estrada

Haben Sie ein Haustier? Na schön, was werden Sie schon haben?
Einen Hund? Haben wir auch. Jede dritte Familie hat einen. Gibt bald mehr Haushalte mit Hund als mit Kindern.
One-dog-family.
So nennt es meine Frau immer. Der Spruch ist aber nicht von ihr, glaube ich. Denke, sie hat ihn in einem ihrer psychologischen Bücher aufgestöbert. Steht viel kluges Zeug da drin. Nur wenn du mal echt in der Scheiße gelandet bist, dann helfen dir all die dicken Schinken nicht. Sie können es mir ruhig glauben, meine Frau hat eine Menge davon.
Ein Hund ist nichts Besonderes, damit können Sie bei mir nicht punkten.
Was, eine Katze?
Dass ich nicht lache. Mir sind im Leben mehr Katzen zugelaufen, als -
Lassen wir das. Mit einer Katze sind Sie ganz schön weit unten auf der Liste.
Hund UND Katze?
Das bringt zwei Plätze nach oben, mehr nicht. Kommt noch hinter Hängebauchschweinen, Zwergeseln oder Killermeerschweinchen.
Ein Papagei!
Na, darauf hab ich grad gewartet. Meine Nachbarn hatten mal einen. Mussten ihn aber weggeben, weil er das ganze Viertel verrückt gemacht hat mit seinem Geschrei. Sie sind also stolzer Besitzer eines Papageis.
Wie schade für Sie!
Eine Schlange!
Hab ich da Schlange gehört? Was für eine? So ne Strumpfbandnatter, die nicht mal in einem Gurkenglas groß ausschaut - oder einen Python. 
Python reticulatus, der Netzpython.
Ja, ja, ich kenne mich aus mit den Haustieren. Aber wenn Sie nichts besseres vorzuweisen haben, dann tun Sie mir leid.
Nun, eigentlich tun Sie mir nicht leid.
ICH tu mir leid. SIE beneide ich. Würde nur zu gerne mit Ihnen tauschen.
Hab nämlich auch ein Haustier.
Eines extra. Und was für eines. Das Vieh bringt mich noch um den Verstand. Gut, dass ich eine Frau zuhause hab, die Psychologin ist. Sie könnte mich normalerweise ganz gut kurieren.
Normalerweise. Leider ist sie noch schlimmer dran als ich. Sie ist - um es präzise auf den Punkt zu bringen, auf den medizinischen - kurz davor, komplett auszurasten.
Den Kindern gefällt es. Mama und Papa sind meschugge, keiner kontrolliert sie und dann haben sie noch Fips.
Fips ist ein - 
ein Dings, ein -
Ich weiß es wirklich nicht, was Fips ist. Jedenfalls genießt er in unserem Heim den Status eines Haustieres. So wie Ben, der Retriever, oder Cleopatra, unsere Katze.
Ach ja, wie schön war das noch, als wir nur die beiden hatten. Du liebe Güte. Was haben wir uns aufgeregt, wenn der nette Ben einen Schuh davongetragen hat. Oder die gute Cleopatra es wieder mal nicht halten konnte und auf den Teppich machte.
Damals wollten wir es nicht akzeptieren, jeden zweiten Monat Schuhe kaufen zu gehen. Und wir dachten glatt, dass wir uns an die neue Farbe des Wohnzimmerteppichs nie gewöhnen könnten. Der wurde nämlich langsam schön gelb, trotz Waschmaschine und so.
Der liebe Ben und die süße Cleopatra. Ich könnte sie heute küssen, für ihre Verbrechen von damals. 
Fips würde ich im Leben nie küssen. Nicht nur wegen seines Aussehens. Ich hab schon Schlimmeres gesehen. In den harten Horrorfilmen sieht man Schlimmeres.
In den wirklich harten.
Ich mag Fips gar nicht beschreiben. Am Ende werden sie neidisch und wollen ihn mir unbedingt abkaufen.
War bloß ein kleiner Scherz.
SCHENKEN würde ich ihnen das Vieh. Und noch was dazulegen, ehrlich.
Ich könnte Fips irgendwo abgeben. Aber wo?
Beim Tierschutzverein. Sie werden lachen, das hab ich sogar mal versucht. Hab denen gesagt, das wäre ein armes Tier, welches unter meinen Rasenmäher geraten sei. Sie wollten Fips nicht. Ein Tier, das so aussah, KONNTE nicht mehr leben. Hatten direkt ein wenig Angst und ich bin sicher, sie waren froh, als ich wieder abzog. Mit Fips.
So ungefähr sieht Fips aus.
Meinen Kindern gefällt er. Zum Glück greift er sich besser an als er aussieht. Hat sogar einen kurzen Pelz. Jedenfalls sieht´s aus wie ein Pelz. Meine Frau meint, es wäre eher ein schwefelgelber Überzug, Wie Schimmel.
Aber Fips ist warm. Richtig warm. Als mir das zum ersten Mal auffiel, war ich direkt erleichtert. Glaubte nämlich, er habe hohes Fieber.
Und würde bald eingehen.
Aber Fips tut nie das, was man von ihm erwartet.
Bis auf Fressen und Saufen.
Das ist seine Lieblingsbeschäftigung. Neben Fernsehen mit den Kindern. Die bleiben jetzt immer auf, solange sie wollen. Wie gesagt, Mama und Papa haben ein wenig die Kontrolle über die Familie verloren.
Die liegt jetzt in den Händen von Fips.
Was hab ich soeben gesagt?
Fips hat gar keine Hände. Hat kurze, krumme Klauen mit kleinen, schwarzen Krallen. Damit kann er ganz schön kratzen. Tut es aber nur bei mir, und auch nicht jeden Tag.
Vom Charakter her ist Fips ein -
ein -
Genauso schwer zu beschreiben wie sein Aussehen. Er ist einfach eine Bestie.
"Fips will doch nur lieb sein!", ruft mein Sohn, dreizehn Jahre, wenn Fips auf meine Schulter springt und mir einen hauchdünnen Kratzer über die rechte Wange zieht.
Aber auch hauchdünne Kratzer bluten und tun weh!
"Fips will nur spielen, Papa!", höre ich immer von meiner Tochter, elf und fernsehsüchtig. 
"Spielen nennst du das? Schau her, er hat die Druckerpatrone rausgerissen und leergesoffen!"
Ja, ja, Fips und sein Appetit.
Nicht dass er keine Tischmanieren hat. Oh nein. Seit wir vom Dachboden dieses komische Gestell runtergeholt haben, geht es. Sie kennen sowas ja. So ein Ding, wo man kleine Kinder reinsetzt, wenn sie selber essen wollen. Das war schon bei unseren Kindern ganz praktisch. Die Kleinen sind darin fast so eingepfercht, dass sie nicht viel anstellen können. Fips hat der Kinderstuhl sofort gefallen. Eine Zeitlang hat er sich sogar freiwillig reingesetzt. Jetzt muss ich immer ein wenig nachhelfen. Auch darin anbinden muss ich ihn, ohne das ginge es nicht. Langsam kriege ich Übung und längst schafft Fips es nicht mehr, mich jedesmal in den Finger zu beißen.
Mit der Zeit haut das hin beim Essen. Julian und Nora, meine Kinder, sind auf unserer Seite. Aber nur am Tisch, sonst nie. Zu viert geht es, wenn alle aufpassen. Meist schafft Fips es nicht, mehr als einen Teller oder ein Glas zu fressen. Besteck mag er nicht, das verbiegt er nur und macht Knoten hinein. Hab mal einen Karton davon an diesen Uri Geller geschickt, ohne Antwort. Aber wie gesagt, zu viert geht es. Meine Frau hat grad heute gesagt, dass Fips schon seit fast drei Wochen kein Tischtuch mehr gefressen hat.
Na immerhin!
Bei anderen Sachen schaut es nicht so gut aus. Wie sollte man alles rund um die Uhr bewachen. Und die Kinder halten nur bei Tisch zu mir und meiner Frau. Sonst nicht. Das könnte sich höchstens ändern, wenn Fips den Fernseher auffressen würde. Aber das tut er natürlich nicht. Nein, das, was Herrchen von ihm will, das tut der gute Fips nicht. Den Fernseher haben wir noch immer. Ist auch gut. Da können wir manchmal ein wenig Musik hören, meine Frau und ich. Oder nachschauen, wie spät es ist.
Fips hat alle CDs gefressen. Auch die Computerspiele, samt Schachteln. Und meine Sammlung alter Langspielplatten.
Und die Uhr. Die an der Wand im Esszimmer.
Die in der Küche und den Radiowecker in unserem Schlafzimmer. In dem Schlafzimmer wollten wir Fips nicht haben. Ich hab ein Vorhängeschloss anbringen lassen. Das hat ihm gut geschmeckt.
Der Tag ist nicht mehr fern, da hat Fips alles aufgefuttert außer den Kindern und dem Fernseher.
Habe ich schon erwähnt, dass uns die Hausratsversicherung mit sofortiger Kündigung gedroht hat?
Trotzdem - ich würde mir zutrauen, das Monster eines Tages zu bändigen, wenn nicht -
"Er wächst!", sagte meine Frau vorige Woche. Hab zuerst nicht geschnallt, was sie meint. 
"Fips! Er ist gewachsen. Schau nur, der Puppenpullover ist ihm zu eng."
Ja, der Kerl wächst.
Langsam, aber doch.
Höchste Zeit, dass ich mir was einfallen lasse. Noch gibts ein paar Dinge in unserem Haus, die er nicht gefressen hat. Möbel mag er nicht.
Glauben Sie mir, das erleichtert.
Das Telefon auch nicht. Komisch, Handys frisst er sehr gern. Meinen PC hat er auch stehen gelassen. Wahrscheinlich wegen des Bildschirms. Kann aber kaum was damit anfangen. Das ganze Drumherum wie CDs, Disketten und Handbücher - alles futsch.
"Fips hat halt immer Hunger!", sagen Nora und Julian und ich könnte sie -
Ach nein, die zwei können nichts dafür. Sie waren es nur, die Fips daherschleppten. Hielten ihn zuerst für einen Hasen, den unser guter Hund gerissen hat. Am Rande unseres Gartens sei er gelegen, ganz arm und hilflos.
Arm und hilflos!
Da treibt´s mir die Galle bis in die Brillengläser.
Arm und hilflos.
Der kleine, hässliche Fips? Der Fips, welcher gestern den ganzen Müll vom Nachbarn gefressen hat. Wohlgemerkt, MIT der Mülltonne.
Wo er das nur hinfrisst?
Bert, mein nächster Nachbar, ist überzeugt, dass Fips ein Außerirdischer ist und in seinem Bauch ein schwarzes Loch hat. Für mich klingt das nicht mal so unlogisch.
Bert - er ist einer der ganz wenigen, die von der Existenz Fipsens wissen - hockt oft mit mir zusammen. Dann schmieden wir gemeine Pläne gegen das Vieh. Weggeben kann ich es wirklich nicht. Sowas würde kein Mensch annehmen. Und dann die Fragen.
"Woher haben Sie diese Kreatur?"
"Benutzt Ihre Frau verbotene Substanzen in ihrem Garten?"
Oder:
"Wie kommen Sie zu diesem Außerirdischen. Sind sie vielleicht selber einer?"
Bert versteht mich. Ich kann Fips nicht weggeben. 
Und die Kinder würden es nie zulassen. Obwohl er fast ihre ganzen Spielsachen gefressen hat. Aber der Fernseher ist ja noch da.

Aber Fips verändert sich. Nicht nur, dass er wächst. Seine Körperform verwandelt sich und irgendwie war das, was wir bisher hatten, nur das Larvenstadium.
Das hat Monika, meine Schwester gesagt. Sie wollte immer ein Haustier. Nur komisch, bei Fips hat selbst sie sich zurückgehalten. Ihr ist es zuerst aufgefallen:
"Schau, Joe, Fips kriegt Schuppen!"
Ja, er kriegt Schuppen. Und einen Schwanz. Und die Schnauze wird länger und am Rücken wachsen -
Flügel.
Seit uns das aufgefallen ist, sind erst drei Monate vergangen. Fips ist nicht besonders groß geworden in der Zeit. Nur einen Meter. Er frisst auch nicht mehr, eher weniger. Zum Glück ist Bert bei der Feuerwehr und hat mir schon zum dritten oder vierten Mal aus der Patsche geholfen. Unter der Hand.
Aber beim letzten Mal sagte er auch, einen Großbrand könne er uns auch nicht mehr unter der Hand löschen.
"Du MUSST endlich was unternehmen, Joe!", hat er gesagt, als er mir half, die Reste des verbrannten Vorhangs beiseite zu schaffen.
Er hat ja recht. So kann es nicht weitergehen. Meine Frau und ich haben beschlossen, es einfach zu versuchen.
Wir haben in verschiedenen Zeitungen - solche, die ganz weit weg von hier gelesen werden - eine Annonce aufgegeben. Vielleicht ist einer blöd genug und denkt, es handelt sich um einen Scherz.
Blöd genug, um uns Fips abzukaufen!
Jetzt warten wir, dass das Telefon klingelt. Wir sitzen bei Bert, denn seine Telefonnummer haben wir angegeben. Julian und Nora dürfen nichts wissen.
Hoffentlich meldet sich jemand auf die Anzeige:
NUR AN LIEBHABER UND EXPERTEN ABZUGEBEN. JUNGER, SÜSSER DRACHE.
 

© Joe Estrada
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