Östlich von Reirir von Kelhwen

Der Schneesturm hatte sich gelichtet und der Abhang lag nun vor ihnen. Mit dem rechten Zeigefinger zeigte Irmir auf das Loch, das sich ein paar Meter über ihnen in die Erde bohrte.
Wild gestikulierend rief er Angard, seinem  Begleiter, zu "Schnell, weg von hier. Ich wette um mein Leben, dass das wieder so eine verdammte Bargasthöhle ist!"
"Bargasthöhle?!", höhnte Angard laut und spuckte dabei verächtlich auf den vereisten Boden. "Das ist keine Bargasthöhle sondern ein Dachsbau, du blinder Narr! Noch ein Wort darüber und ich lass dich hier draußen allein zurück!", knurrte er, nicht ohne grinsend hinzuzufügen: "Nunja, ganz allein bist du dann ja auch nicht, du großer Krieger... schließlich sind ja noch deine geliebten Wölfchen im Wald, die dir Gesellschaft leisten können", während er den jungen Mann aus Reirir mit Seitenblicken spöttisch musterte.
Irmir hatte seinen Mund bereits geöffnet und wollte sich verteidigen, doch der Blick, den ihm Angard zuwarf, ließ ihn abrupt verstummen. Es wäre besser Angard nicht weiter zu reizen, sei es auch nur mit Worten, schoss es ihm durch den Kopf.
Seit drei Tagen zogen sie durch die schier endlose Wildnis, die sich östlich der Stadt Reirir ausbreitete. Beide hatten bald festgestellt, dass das Einzige, worin sie sich einig waren, ihre gegenseitige Abneigung war.
Angard, der stämmige Nordmann, Krieger vom stolzen Stamm der Skraler, konnte herzlich wenig mit der beredten und bisweilen vorlauten Art der Südländer anfangen und seinen Weggefährten, Irmir, hielt er für einen eben solchen.
Irmir waren die Sticheleien und das abfällige Gerde über ihn, das Angard hin und wieder zum besten gab, herzlich egal. Er hatte schlimmere Begleiter erlebt, Männer, die ihren Worten auch mit den Fäusten Nachdruck verliehen. Schon oft hatte er eine blutige Nase davongetragen, verpasst von einem seiner ehemaligen Weggefährten. Insofern musste er sich mit seinem jetzigen Begleiter glücklich schätzen, der es bei Worten beließ.
Ohnehin war es nur noch ein Tagesmarsch, bis sie die Erzmine am Fuße der Blauen Berge erreicht hätten, an der sich ihre Wege trennen würden.
Angard wollte irgendeinen Wachposten übernehmen, er selbst einen Posten als Schreiber, gehörte er doch zu der verschwindend geringen Menge von Schreibkundigen jenseits des Tores.
Angard hatte er in einer herabgekommenen Taverne in der Unterstadt von Reirir getroffen und mit reichlich Met dazu überreden können ihn zu begleiten. Die Idee alleine die Wildnis gen Osten, Richtung Mine zu durchqueren war ihm von Anfang an nicht sonderlich geheuer vorgekommen. So etwas überließ man lieber Waldläufern und Kriegern - wie Angard einer war.
Angard bereute diese Entscheidung sichtlich. Nicht dass Irmir so viel redete, sondern über was er redete, hatte ihn zuerst nur amüsiert, nun nervte es ihn jedoch nur noch und seine Meinung über Südländer, insbesondere Reirirer, sah er mal wieder als bestätigt an.
Selbst vor dem kleinsten Fuchsbau, den er bemerkte, zwang er Angard einen großen Bogen zu gehen, mit der wahnwitzigen Begründung, dass es sich hierbei ja um das Nest eines Bargastwolfs handeln könne. Überhaupt waren Bargastwölfe das einzige Gesprächsthema mit dem man sich mit Irmir unterhalten konnte, denn er sah sie überall.
Angard vermutete bereits eine schlimme Kindheitserfahrung mit einem Hunde hinter dieser panischen Angst vor Bargastwölfen, denn jeder vernünftige Mensch wusste doch, dass Bargastwölfe, oder auch Bargaste genannt, nichts weiter als Stoff von Ammenmärchen waren.
Angard wusste, dass es in der Wildnis östlich der Hafenstadt, außer gewöhnlichen Wölfen und vereinzelten Braunbären, nichts wahrhaft gefährliches gab, außer der allgegenwärtigen Kälte. Allzu oft fanden Holzfäller in der Wildnis erfrorene Männer, die mit einem Lächeln auf den Lippen unter Tannen lagen.
Nichtsdestotrotz bestand Irmir wie die meisten Reirirer darauf, dass es welche gäbe, er die Ungetüme sogar schon selbst gesehen habe.
Was für ein Unsinn, dachte sich Angard, wie schon so oft zuvor. Jedes Kind wusste doch, dass Bargaste, blauäugige, zu groß geratene, pechschwarze Wölfe waren, die bevorzugt auf Friedhöfen zu finden waren. Und nun sollten sie plötzlich in den unwirtlichen Wäldern des Nordens hausen?
Als Angard in diesen Gedanken versunken war, wurde ihm allmählich bewusst, wie sehr ihn Irmir schon mit seinem Verfolgungswahn angesteckt hatte, so sehr, dass es Angard manchmal selbst mulmig wurde, besonders des Nachts.
Es staute sich in ihm eine innere Wut an, die er nur schwer zu bändigen wusste, wie die meisten Nordmänner. Er, ein tapferer Krieger des Skralerstammes, lässt sich von dem Geschwätz eines Südländers Furcht einjagen?!
Als er so aus seinen Gedanken erwachte, bemerkte er ein paar Spuren vor ihm im Schnee. Nichts Ungewöhnliches in den Wäldern östlich von Reirir und doch war etwas an ihnen seltsam. Auf den ersten Blick hielt der erfahrene Fährtenleser die Abdrücke im Schnee für gewöhnliche Pfotenabdrücke von Wölfen, wie sie in dieser Gegend oft zu finden waren, doch diese hier waren anders. Nicht unbedingt die Größe der Spuren verwirrten ihn, es war die Form. Die Abdrücke waren schmäler und länglicher, ähnlich  Klauen.
Der absurde Gedanke, dass es sich hierbei um Bargastspuren handeln könne, schoss ihm für einen Moment durch den Kopf. Dann musste er plötzlich lachen. Wahrscheinlich waren es schlichtweg die Spuren einer verkrüppelten Missgeburt von Wolf oder der Schnee spielte wie so oft in diesen Gegenden wieder mal Streiche. Zwar verschwanden die Spuren schon nach wenigen Metern an einem Abhang, aber eine wunderbare Gelegenheit Irmir zu erschrecken, boten sie allemal. Verstohlen drehte Angard sich um, Richtung Irmir, den er hinter sich glaubte. Er war im Begriff seinen Mund zu öffnen, als er mit Erstaunen feststelle, dass sich hinter ihm niemand befand.
Schon seit Beginn des Marsches war Irmir hinter ihm hergetrottet, kaum in der Lage dem schnellen Schritt Angards durch den kniehohen Schnee zu folgen, doch nun war der Reirirer einfach nicht mehr da.
Angard rief Irmirs Namen und ein schwaches, desinteressiert klingendes "Ja?", erscholl aus dem  verschneiten Unterholz vor ihm. Er musste ihn überholt haben, als er die Spuren begutachtete.
Auf dem Boden kniend, vor einer hohen Tanne, fand ihn Angard vor.
Hinter der Tanne senkte sich das Land abrupt und Angard konnte eine weiße Ebene mit vereinzelten grünen Tupfern erkennen, die sich bis zu den ersten Ausläufern der Blauen Berge erstreckte. Sprachlos stand Angard da. Irmir hatte seine Hände in die Kuhlen, die die Pfoten des Wolfes in den Schnee gedrückt hatten, gelegt, als ob er das Tier fühlen wolle.
Als Angard näher trat blickte der Reirirer verschmitzt auf, als ob er die Überraschung Angards fühlen könne. Der Südländer wusste zu überraschen, das musste Angard sich eingestehen. Vor wenigen Augenblicken fürchtete sich Irmir noch an dem kleinsten Erdloch vorbeizugehen und nun entfernte er sich auf eigene Faust von ihm und folgte frischen Wolfsfährten.
"Ich weiß, was du sagen willst, aber es kann nicht sein", sagte er, nachdem er sich wieder einigermaßen gefasst hatte, nicht ohne hinzuzufügen: "selbst wenn es so wäre, was geht es uns an?"
Doch Irmir antwortete nicht, stattdessen starrte er weiter wie gebannt auf die Spuren. Angard wurde dessen bald zuviel.
"Wenn du hier noch länger stehst, holt dich noch die Kälte."
Doch Irmir regte sich nicht. Seltsam für Südländer dachte sich Angard.
"Wie du willst, dann gehe ich eben ohne dich", murrte er und stapfte los.
"An deiner Stelle würde ich das lieber nicht tun", erscholl es hinter ihm.
"Oh, du kannst ja doch sprechen, noch nicht erstarrt?", höhnte er.
"Wir werden beobachtet, Angard. Schon seit geraumer Zeit hab ich das Gefühl."
"Gefühl?" antwortete der etwas überraschte Nordmann.
"Bist du einer der drei blinden Hellseher von Untiar oder woher kommt dein "Gefühl"? Ich glaube eher, dass du nun vollkommen verrückt geworden bist, obwohl ich eine Steigerung kaum für Möglich hielt."
Irmir zeigte sich unbeeindruckt. "Ich spüre auf jeden Fall etwas ... nenn es meinetwegen eine Art von Aufmerksamkeit, die uns zuteil wird, die ich spüre, auf jeden Fall etwas, das ich vorher noch nicht gespürt habe und das einhergeht mit dieser... Kälte, einer unnatürlichen Kälte."
"Kälte?", meinte Angard und hob die rechte Augenbraue. "Stell dir vor, Irmir, je länger ich hier stehe, desto kälter wirds mir auch am Arsch!"
Angard hatte nun endgültig genug von Irmirs Spinnereien, er packte ihn am Arm und riss ihn hoch.
Auch wenn er kein Wort dessen glaubte, was Irmir von sich gab, musste er dennoch zugeben, dass es kälter geworden war in den letzten Stunden, spürbar kälter.
Von der Anhöhe aus hatte man einen guten Überblick über die vereisten Weiten und die vereinzelten Wäldchen, die die Senke bedeckten, ganz am Ende der Senke, am Fuße der Blauen Berge, musste die Mine liegen, so hatte man es ihnen zumindest erzählt. Es waren keine 10 Meilen mehr bis zu ihr und eigentlich hätte man den aufsteigenden Rauch, der von den Erzschmelzöfen ausging, sehen müssen, doch außer Nebelschwaden, die die Hänge der Berge bedeckten, war nichts zu erkennen, was auch nur an den Anschein einer menschlichen Siedlung erinnert hätte.
Beunruhigt suchte Angard noch einmal die Gegend mit seinen Augen ab, doch weiterhin war nichts zu sehen. Es war bereits später Abend und die Dunkelheit legte sich allmählich wie ein dunkles Tuch über das Land. Womöglich verdeckt die anbrechende Dunkelheit den Rauch der Mine und sog ihn auf, schoss es ihm durch den Kopf.
Wenn dem so war, war die einzige Hoffnung, die sich ihnen noch bot, auf das Entzünden der großen Feuer der Nachtwachen der Mine zu warten, die weithin sichtbar sein sollten.
Um sich einen besseren Überblick zu verschaffen, bestieg Angard die Tanne, unter der er Irmir gefunden hatte. Er hatte das schwere Gepäck, darunter auch seinen lederbeschlagenen Schild und sein altes Langschwert, an der Tanne abgelegt und musste nun die unzähligen kleineren Äste, die ihm den Weg nach oben versperrten, mühselig mit seiner Hand abknicken, doch der imposante Anblick, der sich ihm oben anbot, entschädigte ihn für seine Mühen.
Schier endlose Weiten, einzig von dichten, verschneiten Tannenwäldern bedeckt, umschlossen sie. Das einzige, was eine gewisse Abwechslung für das Auge bot, war die weiße Ebene, die vor ihnen lag und sich ein paar Meilen bis zu den Füßen der Berge erstreckte. Angard fröstelte allein bei dem Gedanken sie zu durchqueren, denn dort unten, ohne den Schutz von Bäumen, musste der heulende Wind die Kälte bis ins Mark schneiden, so dachte er.
Doch auch von hier oben war nichts zu erkennen, was an ein Feuer erinnert hätte, keine kleinen roten Pünktchen am Horizont, nichts außer dem schier endlosen Weiß.
Derweil wartete Irmir unterhalb der Tanne, an ihr lehnend.
Das Gute an der Kälte ist, dass man sie weniger spürt wenn man geht. Im stehen frisst sie einen förmlich auf, so dachte er, angefangen mit den Zehen über die Finger bis zu den Ohren. Irmir schlang das weiche Biberfell, das er trug, fester um sich und versuchte in Bewegung zu bleiben, indem er auf der Stelle tappte. Doch allzu lange hielt er es damit nicht aus. Die Kälte zog zu schwer an seinen Füßen und nach einiger Zeit war das einzige, was sich noch bewegte, sein regelmäßiger Atem, der in der Luft zu bizarren Formen gefror.
Dennoch wurde es allmählich kälter und  kälter und die  Kälte schien nun immer tiefer und tiefer in die Glieder zu schneiden, bis irgendwann selbst das Atmen zur Qual wurde.
Irmir hatte sie schon seid Stunden gespürt, die zunehmende Kälte, doch nun war sie auf einmal anders. Die Kälte erdrückte ihn beinahe, sie stahl den Atem, sog ihn ein. Er hatte das Gefühl zu ersticken. Er lehnte sich zurück an die Tanne, zu schwach zum Stehen.
Dennoch versuchte er aufzustehen, sich aufzurappeln, doch es gelang ihm nicht. Unbemerkt hatte die Kälte ihm wie ein Dieb auch noch des letzten bisschen, was er an Kraft besaß, geraubt. Er sah zum Wipfel der Tanne hoch, seine Augen suchten Angard, doch fanden sie nichts außer Schneeflocken, die vom Himmel fielen.
Plötzlich waren sie vor ihm. Er wollte schreien, doch der Schrei erstarb in ihm. Er konnte sie nun sehen. Grausame Gestalten, weißer als Schnee je sein könnte und dennoch finsterer als ein lichtloser Schlot. Klauen wie Schnee, doch härter als Gletschereis griffen nach ihm. Unerbittlich rissen sie an ihm, doch die Kälte erwies ihm Gnade, denn sie lähmte das letzte bisschen Empfinden, das ihm geblieben war. Es wurde ihm rot vor Augen, es wurde warm.
Angard wagte nicht zu atmen. Er sah es, selbst durch die dichten Zweige und das Schneetreiben hindurch. Er hätte schreien müssen, ihn warnen, helfen.
Es wäre sein Tod gewesen. Und doch konnte er nicht einmal genau erkennen was es war, denn die mit Tannennadeln bewährten Zweige versperrten ihm die Sicht über das ganze Geschehen. Er sah nur Bewegungen, schnell und erbarmungslos. Es war, als würde sich der Schnee bewegen, leben. Die Haut der Wesen war so grell, dass sie blendete, die Umrisse der Wesen kaum vom Schnee zu unterscheiden. Nur die Klauen waren deutlich erkennbar, denn sie waren mit Blut durchtränkt, Klauen ohne Nägel, doch spitz wie Messer.
Angard  verharrte Stunden auf der Tanne, sein Gesicht abgewandt, nur dem schnellen Pochen seines Herzens lauschend, ängstlich, dass es ihn verraten könnte. Es war tiefste Nacht, als er wieder herunter stieg. Das Schwert und den Schild, die er beim Emporklettern bei Irmir zurückgelassen hatte, lagen nun neben dem bäuchlings am Boden liegenden Reirirer. Ohne das Licht des Vollmondes hätte er ihn wohl übersehen und wäre womöglich gar auf ihn getreten. Trotz des schwachen Lichtes konnte er die übel zugerichteten Wunden erkennen.
An vielen Stellen war der feine Biberfellumhang gerissen und nacktes Fleisch kam darunter hervor. Er konnte etwas hautähnliches neben der Leiche erkennen, er wollte nicht wissen, was es war.
Angard hatte schon viele Leichen gefleddert, sich an ihnen bereichert, doch bei dem Gedanken es hier genauso zu tun, empfand er nichts außer Abscheu.
Keinen, den er jemals seiner Totenruhe beraubt hatte, hatte er so lang gekannt wie diesen Reirirer. Er hatte ihn während der letzten drei Tage als Störenfried und vor allem als Beschwerde empfunden, das ständige Gerede, diese Angst vor Bargastwölfen hatten in manchmal an den Rand des Wahnsinns getrieben, doch  wie er nun entblößt vor ihm lag, sah er ihn in einem neuen Licht.
Sicher, auch er hatte Angst gehabt, vor Bären, der Kälte, womöglich sogar so viel wie Irmir, doch hätte er sich niemals etwas davon anmerken lassen, niemals seinem Begleiter anvertraut. Vielleicht war er es, der wirklich feige war, schoss es ihm durch den Kopf.
Viele Begleiter hatte Angard kommen und gehen sehen, doch empfand er aufrichtige Trauer um den Reirirer.
Angard sprach ein Gebet an Tingirvar, dem Schutzgott der Reisenden und Weggefährten, und bat darum, dass Irmir wohl behalten in den Hallen der Krieger und Getöteten aufgenommen würde. Mehr konnte er für ihn nicht tun, er musste ihn hier zurücklassen.
Er nahm seinen Schild, band es auf den Rücken und las das Schwert auf, das fast vollkommen von Schnee verdeckt  war. Nun wollte er nur noch so schnell wie möglich weg von diesem Ort und die sicheren Minen erreichen. Zwar hielt er es für unwahrscheinlich, dass das Wesen, das Irmir tötete, noch in der Gegend verweilte, ein Risiko eingehen wollte er jedoch  nicht.
Doch schon nach wenigen hundert Metern hielt er an.
Ein Wolf heulte, nichts ungewöhnliches in dieser Wildnis, doch das Heulen schien direkt aus dem Dickicht zu seiner linken Seite zu kommen. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, dennoch konnte man das leise Knirschen grauer Gräser unter seinen Stiefeln deutlich hören.
Mit einem mal verstummte das Heulen, nur damit kurze Zeit später erneutes Wolfsgeheul, diesmal zu seiner Rechten, ertönte. Erst war es ein Wolf, dann ein anderer, schließlich stimmte ein ganzes Rudel mit ein, dann verstummten wieder alle.
Angard konnte in der Dunkelheit nur wenig erkennen. Er stand auf einer schneebedeckten Lichtung, wenige Meter von ihm entfernt bildete dichtes Unterholz eine undurchdringliche Barriere, lediglich der Vollmond tauchte die Lichtung in ein fahles Licht, das der Schnee reflektierte. Nur hier und da sah er für kurze Zeit das Leuchten von Wolfsaugen, doch mit einem mal bemerkte er, wie sich  große, dunkle Umrisse auf dem Schnee abzeichneten, die sich ihm langsam, aber stetig näherten. Plötzlich sah er sie vor sich, Augen blauer als sie es von Menschen je sein könnten, einem Blau tiefer und dunkler als die tiefsten Bergseen es besitzen.
Ein kaltes Lächeln umspielte Angards Lippen. "Was für eine Ironie", so dachte er, "jetzt werde ich ausgerechnet von den Viechern gefressen, vor denen sich Irmir so fürchtete."
Doch ein Krieger des stolzen Stammes der Skraler würde sich nicht einfach dem Schicksal überlassen, nein, ein, zwei Bargastwölfe würde er mit sich nehmen, das schwor Angard sich, vielleicht auch mehr, wenn sie sich nicht alle auf einmal auf ihn stürzen würden.
Fünf Bargaste hatten sich zu einem Halbkreis um ihn zusammengerottet. Er konnte sie nun besser erkennen, es waren so prächtige, wie furchterregende Tiere. Das Fell schwärzer als die Nacht, beinahe doppelt so groß wie gewöhnliche Wölfe, boten sie einen imposanten Anblick.
Angard wich ein paar Meter zurück, bis er mit dem Rücken an eine alte, knorrige Eiche stieß. So musste er wenigstens von hinten keinen Angreifer befürchten. Langsam zog der Krieger das Bastardschwert aus der Schwertscheide, die er über dem Rücken hängen hatte. Das Reiben des schartigen Schwertes an der rostigen Schwertscheide ergab ein Geräusch als würde es auf harten Granit geschliffen. Das Geräusch hallte wie ein Echo im Wald wider.
Mit dem Schwert schlug er dreimal auf den lederbeschlagenen Schild und stieß einen Schrei aus, den Kampfschrei der Skraler, bereit, seinem Tod entgegenzutreten.
Doch zu seiner Verblüffung bewegten sich die Bargaste nicht. Stattdessen wichen sie langsam zurück. "Na, einen Skraler habt ihr hier unten wohl nicht erwartet, was!", höhnte er, während er das Schwert in der Luft schwang. Er trat ein paar Schritte an die Wölfe heran und in der Tat zogen sie sich bis an den Rand der Lichtung zurück. Angards Herzschlag wurde mit einem mal ruhiger, die hitzige Anspannung wich.
Doch nun spürte er eine sonderbare, markdurchdringende Kälte, die sich beinahe sanft um ihn gelegt hatte.
Er kannte sie, er war ihr schon einmal begegnet, vor wenigen Stunden auf der Tanne.
Plötzlich schnitt und brannte die Kälte in ihm wie er es noch nie zuvor gespürt hatte, grausame Kälte. Er stöhnte auf, sah an sich hinab. Wie erstarrt betrachtete er die eisigen Klauen die aus seinem Bauch ragten, ihn durchbohrt hatten. Doch er spürte nichts, außer der Kälte, lähmende Kälte. Mit letzter Kraft drehte er sich um.
Er blickte in Irmirs dunkle Augen, oder vielmehr dorthin, wo sie einst waren, denn blutverschmierte Augenhöhlen starrten ihn stattdessen an.
 
© Kelhwen
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