Der König der Drachen von V.Geist
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Kalter Stahl in warmes Fleisch

Die Horden rannten los. Beide Seiten stürmten aufeinander zu, die Waffen hoch erhoben. Schreiend liefen sie über das Feld und als die vordersten Linien aufeinander prallten, ertönten die Klänge der Schwerter, die gegeneinander geschlagen wurden. Die Elfen waren zahlenmäßig überlegen, doch die Murahn waren die besseren Kämpfer. Melda stürmte auf eine Gruppe Feinde zu. Seine Klinge wehrte blitzschnell die Attacken der anderen ab und er führte sie durch die Leiber seiner Feinde, die leblos zu Boden fielen. Ein Axtträger griff ihn von hinten an. Cecil war da und hieb dem Elf den Kopf ab. Sofort strich das Schwert weiter und erschlug das Reittier eines Elfenkriegers. Der Dunkelelf stürzte und fiel direkt in Cecils Klinge. Mit einer lockeren Bewegung ließ er den Toten abgleiten, drehte sich, und wehrte einen Schlag ab, der auf seinen Kopf gezielt war. Auch dieser Elf fand seinen Tod. Die Schlacht tobte, Pfeile schossen durch die Gegend. Die Dunkelelfen wurden zurück gedrängt, doch sie kämpften weiter. Nicht einer von ihnen dachte ans Aufgeben.

Marlin stand Rücken an Rücken mit Dilahn auf dem Hügel, auf dem sie auch von dem ersten Elf angegriffen wurden. Diesen hatte Marlin schon von seinem Ross geholt und erschlagen. Plötzlich senkte sich ein Schatten über sie. Marlin blickte auf. Er stieß Dilahn weg und rettete sich selbst mit einem Sprung in die andere Richtung. Gerade rechtzeitig, denn die Krallen eines Drachen schlugen auf den Boden, auf dem sie zuvor standen. Die Erde riss auf. Steine kamen an den Seiten hoch und wurden durch die Luft geschleudert. Sofort machte sich der Drache über Dilahn her. Der alte Mann würde nicht sehr lange aushalten. Marlin wusste das und ohne lange nachzudenken rannte er los. Neben den Drachen, das Schwert in den Händen. Ein Tritt. Der Drache hatte ihn schon bemerkt. Der Hinterlauf traf Marlin in den Magen und er wurde von der Wucht des Trittes zurück den Hügel runtergeschleudert. Nur langsam konnte er wieder aufstehen. Es zog in der Brust und im Bauch. Ein Elf griff ihn von rechts an. Marlin schrie auf. Er wirbelte herum, schlug mit dem Schwert die Klinge des Elfen in zwei Teile und schlitzte ihm mit demselben Schlag die Brust auf. Marlin rannte wieder den Berg hoch. Er sprang auf den Rücken des Tieres, entdeckte den Reiter und schlug ihn beiseite. Das Schwert war positioniert und Marlin schlug es mit Wucht senkrecht in den Schädel des Drachen. Das Tier brüllte auf und schleuderte seinen Kopf wild hin und her. Marlin konnte sich nur schwer oben halten. Doch dann donnerte der mächtige Schädel auf den Boden. Marlin zog seine Waffe wieder raus und rannte rüber zu Dilahn, der reglos auf dem Boden lag.
"Was ist mit euch?"
Dilahn sah ihn an. In seiner Brust klaffte eine große Wunde, doch er lebte noch. Er war sehr schwach.
"Kümmere dich nicht um mich. Kämpfe."
Es waren die letzten Worte des Meisters. Er starb in Marlins Armen. Den Tränen nah richtete Marlin sich auf. In der Rechten sein Schwert, in die Linke nahm er Dilahns. Jetzt sollten alle sterben.

Cecil, Seth und Tala hatten sich an Nirgar und seine Leute gehängt. Zusammen bildeten sie eine Linie, die sich durch das Feld bewegte. Nebeneinander rannten sie einen Hügel hoch, schlugen alle Feinde zu Boden, die ihnen entgegen kamen, und erreichten die Spitze. Ein Schlag und alle fielen zurück. Auf dem Hügel stand Netanor. Der Paladin blickte auf die Krieger herab. Zwei von Nirgars Leuten waren gestorben. Tala war dem Schlag ausgewichen und griff nun an. Der Paladin war schneller. Mit der bloßen Hand wehrte er den Schlag ab und warf das Mädchen zu Boden. Er hob seine Klinge. 
"NEIN!!!"
Cecil rannte los. Dicht gefolgt von Seth. Er holte aus und schlug zu. Die Klinge des Paladin prallte gegen Cecils und er stürzte wieder zurück den Hügel runter. Im selben Moment griff auch Seth ihn von unten an. Netanor wich dem Schlag aus und schlug Seth in der selben Bewegung auf den Rücken, so dass dieser an ihm vorbeirauschte, fiel und auf der anderen Seite des Hügels zu Boden rollte. Beide Kämpfer waren schnell wieder aufgerichtet. Sie blickten auf und sahen Netanors klauenartige Hände um Talas Hals. Er hielt sie hoch, sodass ihre Beine in der Luft baumelten. Sie bewegte sich nicht mehr. 
"DU SCHWEIN!!!!!"
Seth stürmte los. Es war für den Paladin nicht schwer, ihn ein weiteres Mal zurückzuschlagen, doch war er jetzt zu unaufmerksam. Cecil war von der anderen Seite auf ihn zu gerannt. Ein Hieb, und Tala war befreit. Sie fiel auf das Gras des Hügels. Die Hand des Paladins war immer noch an ihrem Hals. Schwarzes Blut quoll aus dem Stumpf an Netanors Arm.
Er schrie auf. Der Schrei zog sich durch das ganze Tal. Er war schrill und grausam und versetzte die Kämpfer beider Parteien in Angst und Schrecken. Der Paladin fiel auf die Knie. Das Schwert rutschte ihm aus der Hand und er hielt mit ihr den Stumpf zu. Ein zweiter, noch lauterer Schrei war zu vernehmen. Einige der umstehenden Soldaten hielten sich die Ohren zu, um es ertragen zu können. Netanor erhob seinen Kopf wieder und richtete ihn zu Cecil. Hinter dem Visier des Helmes war nichts weiter zu sehen als Finsternis. Dann schlug Netanor die Augen auf und sie strahlten Cecil an, der vor Angst einen Satz zurück machte. 
Man sagte sich, dass man an den Augen eines Paladin erkennen konnte, wie stark er war. Um so besser, desto goldener färbten sich die Pupillen. Bei extrem starken griff die Verfärbung auch auf die Iris über.
Dieser hier hatte Augen aus Gold. Keine Farbe war mehr zu erkennen. Nicht mal das Weiß konnte Cecil noch sehen.
Langsam richtete sich der mächtige Leib wieder auf. Blut tropfte zu Boden und färbte das Gras schwarz. Die Schlacht war schon wieder in vollem Gange. Netanor griff nach seinem Schwert und es schwebte in seine linke Hand. Cecil stand noch immer wie angewurzelt da.
Er war sich sicher, dass er nun sterben würde.

Marlin war wie im Blutrausch. Mit beiden Klingen bewaffnet stürzte er sich auf die Gegner.
Ein Elf kam ihm vor die Klinge. Er enthauptete ihn und schlug mit der zweiten Klinge sofort auf den nächsten ein. Als dieser auch zu Boden ging, hatte er beide Schwerter wieder frei und machte mit der rechten einen Angriff auf einen Feind. Dieser wehrte den Schlag mit der Axt ab, doch Marlins zweite Klinge durchbohrte seine Brust. Schwer atmend stand Marlin da. Er sah rüber auf den nächsten Hügel. Dort war der Paladin, der Anführer der Dunkelelfen. Nirgar und ein Menschenkrieger kämpften Seite an Seite gegen dieses Ungetüm, doch schienen sie beide kaum eine Chance zu haben. Zwei Gestalten standen plötzlich neben Marlin. Er blickte sich um und erkannte zwei Murahn. Sie nickten einander kurz zu und stürmten auf den Hügel.

Nirgar und Cecil wurden von der Wucht der Schläge des Paladin immer wieder weggestoßen. Diesmal reichte ein Hieb und beide fielen rückwärts ins Gras. Netanor ahnte den nächsten Zug schon im Voraus. So drehte er sich um und sah rechtzeitig beide Klingen, die von oben gleichzeitig auf ihn zukamen. Er machte einen Sprung nach hinten und die Schwerter schnitten in den Boden. Doch Melda war schon da. Er rannte an Marlin vorbei und schlug zu. Ein Schlag des Paladin in seine Richtung brachte ihn aus dem Gleichgewicht und er stürzte zu Boden. Sofort kam Seth von rechts und seine Klinge verfehlte nur um ein Haar Netanors Kopf. Der Paladin schlug nach, doch auch er traf nicht. Die Sekunde der Abwesenheit hätte er fast bereut, denn Marlin war schon wieder auf den Beinen und seine Schläge konnten nur in letzter Sekunde abgewehrt werden. Er drehte sich aus dem letzten Schlag heraus und machte aus der Drehung raus sofort den nächsten Angriff mit der zweiten Klinge. Sie schlug ins Leere und ehe Marlin etwas anderes versuchen konnte, rammte ihm der Paladin das Knie in den Magen und er wurde wieder zurückgeschleudert. Melda und Seth griffen nun gemeinsam an. Einer rechts, einer links. Netanor drehte sich und zog das Schwert hinter sich her. Seth fiel. Melda wurde von der Klinge am Arm verletzt. Blut spritzte hervor und die Schmerzen ließen ihn aufschreien. Der Paladin richtete seine Klinge auf, um die am Boden liegenden zu richten. In diesem Moment sprang Nirgar vor. Er schmiss sich gegen den mächtigen Oberkörper und Netanor stürzte. Cecil sprang über ihn und ließ sein Schwert nach unten schnellen, doch wieder trafen sich die Klingen und Cecil wurde weggeschleudert. Alle richteten sich wieder auf. Cecil, Marlin, Nirgar, Seth und Melda. Sie standen einem übermächtigen Gegner gegenüber.

Die Schlacht um sie herum war ruhiger geworden. Die einst so starken Heere waren auf wenige 100 Mann geschrumpft, die immer noch bis auf den Tod gegeneinander kämpften. Doch schnell waren die letzten Elfen besiegt. Die überlebenden Murahn näherten sich nun dem Hügel, auf dem der Paladin sich immer noch gegen die fünf Kämpfer zur Wehr setzte. Die ersten Murahn rannten hoch, um ihren Gefährten zu helfen. Zwei waren mit dem ersten Schlag tot. Der Rest blieb zurück. Netanor sah sich um. Der Hügel war umstellt, unten lauerten die Murahn und noch ein paar Mann aus der Garde der Menschen. Direkt bei ihm waren die anderen. Marlin hatte die Schwerter im Anschlag und war zum Kampf bereit. Auf der anderen Seite hatten sich Nirgar und Seth schützend vor Melda gestellt, der auf dem Boden kauerte. Er hatte schon viel Blut verloren und war sehr schwach. Cecil kümmerte sich um ihn. 
Netanor wandte sich wieder Marlin zu. Er sah ihn an und lachte. Es war ein grausames Lachen, das alle Umstehenden in Schrecken versetzte. Vom Rande des Tals schlichen sich Bogenschützen der Murahn an, die während der Schlacht dort versteckt gewesen waren. Nirgar gab ihnen hinter Netanors Rücken Signal, sich nicht weiter zu nähern, sondern aus der Deckung heraus zu schießen. Die Bögen waren schon gespannt. Die Schützen warteten nur noch auf ein Zeichen. Cecil war mit der Versorgung Meldas fertig. Er hatte die Blutung mit einem Verband gestoppt. Nun nutzte er die Gelegenheit, um unbemerkt zu Tala zu gelangen, die immer noch bewusstlos am Boden lag. Als er sie erreicht hatte, berührte er vorsichtig ihre Wange. Ein Glück. Sie öffnete die Augen und sah Cecil an. Seth stellte sich vorsichtig vor die beiden. Netanor hatte sich noch immer nicht umgedreht und starrte Marlin an.

Was wird das? Marlin war verwirrt. Hatte der etwa was vor? Plötzlich hörte er Flügel schlagen. Er sah nach oben und bemerkte gerade noch den Drachen, der auf ihn herab stürzte. Er sprang nach hinten den Hügel hinunter. Der Drache landete vor ihm, und stieß ihn mit einem Flügel weg. Netanor sprang auf das schwarze Ungetüm auf und es stieg mit kräftigen Flügelschlägen wieder in die Höhe. Die anderen waren auch vom Hügel geflohen. Nur Cecil und Seth waren dort stehen geblieben, um im Notfall Tala zu schützen, die nicht rechtzeitig wieder aufstehen konnte. Der Paladin war weg. Die Schlacht war gewonnen. 
Marlin sah sich um, überall Leichen, Gardesoldaten der Menschen, Krieger der Murahn und Soldaten des Heeres der Dunkelelfen. Sie alle waren jetzt auf einer Seite vereint, denn sie alle hatten heute hier ihren Tod gefunden. So wenige waren nur übrig geblieben. Und Dilahn…
Marlin senkte den Kopf. Er war einfach zu alt gewesen.

Der Angriff riss ihn aus seinen Gedanken. Sie kamen von oben. Die Drachen trieben die Überlebenden auseinander. Die Bogenschützen schossen sofort. Und ein paar Viecher erwischten sie auch, doch die Zeit des Nachladens wurde ihnen zum Verhängnis. Die, die es noch schafften, flüchteten zu den Enden des Tals und versteckten sich hinter Felsen. Cecil nahm Tala und trug sie in Sicherheit. Dann drehte er sich um und sah Seth auf die Felsspalte zu rennen, in die Tala und er geflüchtet waren. Ein Ruf. Seth schmiss sich auf den Boden und der Drache fegte über ihn hinweg. Dann drehte sich Seth um und sah Melda, der um Hilfe schrie. Nirgar war bei ihm, doch der war in einen Kampf verwickelt. Seth rannte zu ihm rüber und half ihm auf. Als er sich umsah waren sie umstellt von Drachen. Alles schien vorbei, doch mit einem Mal erklang ein Ruf, der sich wie der eines Hornes anhörte. Die Drachen brüllten und erhoben sich wieder. Ein paar Minuten später waren sie nicht mehr in Sicht. Die Soldaten kamen wieder aus ihren Verstecken. Tala konnte auch wieder laufen, zwar taumelte sie noch etwas, aber es ging. Sie stolperte und fiel, doch wurde sie aufgefangen. Sie sah auf und nahm ihren Freund in den Arm. 
"Darlo."
Tränen stiegen ihr in die Augen.
"Ich bin so froh, dich am Leben zu sehen"
Nirgar stand bei den Beiden. Und auch die anderen kamen jetzt zu ihnen. Doch Nirgar konnte Marlin nicht sehen. Er guckte sich um. Wo war er nur?
 

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Die Letzten einer Art

Marlin sah sich um. Wo hatte man ihn hier hin gebracht? Der Boden schwanke. Gitter versperrten seinen Weg. Er war in einen Käfig eingesperrt. Unter ihm war es dunkel. Er spuckte runter. Kein Aufschlag. Entweder hatte er ihn überhört, oder es war so hoch, dass er hier oben nichts hören konnte. Er lehnte sich an eine der Stangen und dachte nach. Die Drachen, die das Tal angegriffen hatten, haben ihn hier her gebracht. Wahrscheinlich auf Befehl von Tarohn. Aber das hieße ja.... Tarohn musste auch hier irgendwo sein. Das brachte Marlin aus der Ruhe. Plötzlich hörte er ein Knattern. Der Käfig wurde hochgezogen. Licht fiel auf Marlin herab. Über ihm öffnete man eine große Luke und als der Käfig oben war, fand Marlin sich in einem kreisrunden Raum wieder. Er hatte keine Decke. Die Wände führten weit in die Höhe und von oben schien die Sonne in den Raum. Bewaffnete Dunkelelfen standen um den Käfig. Zwei kamen zu ihm und schlossen die Tür auf. 
"Komm mit."
Marlin hatte keine Waffe. Er überlegte einen Weg, sich eine Waffe von den Wachen zu besorgen. Er bräuchte nur eine von ihnen zu überrumpeln. Mit dem Schwert der Wache währe es dann ein Leichtes, den Rest zu töten.
Er stieg aus der Tür, sah sich um und wartete auf eine Gelegenheit, um an ein Schwert zu kommen. Die Gelegenheit bot sich schnell, doch nun änderte sich Marlins Denken. Sie würden ihn sicher zu Tarohn führen. Vielleicht könnte er dann endlich erfahren, was hier geschieht. In Ordnung. Ohne Probleme zu machen, ließ er seine Arme fesseln und ging mit.
Die Wachen führten ihn durch breite Gänge und hohe Säle. Der Komplex schien riesig zu sein, wirkte an manchen Stellen aber unvollendet. Es sah aus, als hätte man alle Räume und Gänge in einen Berg gehauen. Man erkannte keine Fugen oder Ähnliches, was darauf hinwies, dass hier Stein auf Stein gesetzt worden war. Die graue Farbe der Wände wirkte wie das Grau der Felsen von Garath. Die Hallen waren mit Statuen und Verzierungen geschmückt, die direkt aus den Wänden gemeißelt waren. Hier waren sicher Zwerge am Werk gewesen. 
Der Weg führte aus den ewigen Räumen ins Freie. Marlin sah schon von weitem das helle Licht, das in den Gang schien. Bis jetzt war das Sonnenlicht immer nur von oben durch kleine Öffnungen eingefallen. Marlin und die Wachen traten ins Freie. Ein komischer Gestank lag hier in der Luft und als Marlin sich umsah, wusste er auch warum. Der Weg führte nun über eine Brücke, darunter waren Leichen aufgeschichtet. An den Seiten waren sie zu Haufen aufgeschichtet, die die Höhe der Brücke noch übertrafen. In keiner der Leichen war Blut. Es waren nur leere Körper, die tot dalagen. In Massen. Marlin sah auf den Boden. Er konnte das Leid nicht mit ansehen. Den Wachen ging es scheinbar genau so. Wer waren diese Toten? Vielleicht die Leute, die in Garath verschwunden waren. Marlin blickte auf. Es waren auf jeden Fall Zivilisten. Keiner trug eine Uniform. In einer Schlacht gefallen waren sie also nicht. Ein großer Dunkelelf kam auf sie zu.
"Was macht ihr mit dem Gefangenen?"
"Wir haben Befehl erhalten, ihn zu Kommandant Lester zu bringen."
"Lester ist gar nicht hier."
Die Stimme des Elfen wurde wütender.
"Außerdem hat der hier gar keine Befehlsgewalt. Bringt gefälligst diesen Kerl zurück in die Zelle. Er bleibt da bis Meister Tarohn wieder da ist."
Der Elf drehte sich um und ging ein Paar Schritte. Dann schrie er auf und fiel in die Knie. Wenn Tarohn nicht da war, dann hatte es auch gar keinen Sinn, sich von den Wachen durch die Gegend führen zu lassen. Marlin hatte unbemerkt die Fesseln gelöst und in einem günstigen Augenblick einer Wache das Schwert weggenommen. Mit diesem hatte er dann beide Soldaten und schließlich den großen Dunkelelf erschlagen. Hinter ihm  kamen plötzlich noch mehr Wachen über die Brücke gerannt. Er wollte sich erst dem Kampf stellen, doch dann sah er die Bogenschützen am anderen Ende. Er stürmte weiter über die Brücke und durch ein großes offen stehendes Tor. Mit etwas Mühe konnte er es gerade noch rechtzeitig schließen. Er lehnte sich dagegen und lauschte mit den Schlägen, die gegen das massive Holz prallten. Sie würden da nie durchkommen, aber wie sollte es weiter gehen?
"Allein wirst du sie nicht besiegen."
Marlin erschrak und drehte sich schnell um.
"Lass mich frei und ich kann dir helfen."
Erstaunt fiel Marlin gegen die Tür und vor Angst streckte er das Schwert zu der im Halbdunkel des Raumes verdeckten Gestalt aus. War das möglich?

Langsam ging Marlin zu ihm rüber. Er brauchte keine Angst zu haben. Die Ketten schienen stark und gut zu sein.
"Wer bist du?"
"Mein Name tut hier jetzt nichts zur Sache. Ich kann dir helfen zu fliehen. Also befrei mich."
Marlin sah ihn ungläubig an. Konnte er ihm trauen? Nein. Er wandte ihm den Rücken zu.
"Ich würde mir von einem wie dir nie helfen lassen. Dafür hasse ich euch zu sehr."
"Das kann ich mir denken, Marlin."
"Was?"
Marlin drehte sich wieder um. 
"Woher kennst du meinen Namen?"
"Das werde ich dir erklären. Aber erst müssen wir hier raus. Glaub mir, Marlin. Ich komme aus einem ehrenvollen Stamm. Entscheide dich!"
Stamm? 
"Wie viele von euch gibt es eigentlich?"
Das Klopfen an die Tür wurde lauter und härter. Draußen hatte man einen Rammbock geholt. Doch Marlin schien es nicht zu interessieren. Er sah den Drachen vor sich an und erwartete eine Antwort.
"Nicht sehr viele."
Der Drache wurde jetzt nervös.
"Mach schon."
"In Ordnung."
Marlin konnte ihm nicht trauen, aber er riskierte es.

"Kommandant. Die Tür ist zu stabil. Wir kommen nicht durch."
Der große Dunkelelf sah sich die Tür an. Es musste einen Alternativweg geben, um in den Raum dahinter zu gelangen. Wenn Netanor oder gar Tarohn rausfinden würden, dass die Gefangenen nicht unter Kontrolle sind, würde er ihn und alle Verantwortlichen hängen. 
"Holt einen Drachenreiter. Der wird das Ding schon knacken."
Zwei liefen los. Plötzlich donnerte es laut hinter ihnen. Das Tor war aufgestoßen. Die ganze Felswand kam runter. Ein großer grauer Drache stand in der Öffnung. Die Soldaten, die für das Öffnen der Tür geholt worden waren, rannten mit hoch erhobenen Waffen auf das Tier zu. Ein Paar Hiebe mit den mächtigen Krallen und sie waren alle aus dem Weg. Der Drache ließ sich mit einem lauten Knall auf die Forderläufe fallen und fing an zu laufen. Er machte einen Sprung und glitt durch das Tal davon. Verdutzt sahen die beiden Soldaten ihm nach. Dann wandten sie sich wieder an den Kommandant. 
"Sollen wir die Reiter immer noch holen, Sir?"
"Verdammt, ja. Sie sollen den Mistkerl wieder zurückholen!"
Doch es war schon zu spät. Das Tier war über alle Berge und Marlin mit ihm.

"Er ist nicht dabei."
Nirgar hatte die Leichen der Gefallenen durchzählen lassen und dabei den Auftrag gegeben, Ausschau nach Marlins Leiche zu halten. Sie war nicht dort. Das hieße, er könnte noch leben. Nur wo? Das beruhigte Nirgar etwas, doch machte ihn der Gedanke nervös, Marlin könnte womöglich dem Feind in die Hände gefallen sein. Na, er würde es schon herausfinden. Früher oder später. Die Leichen waren in Reihen nebeneinander gelegt worden. Angehörige gingen durch die Reihen, um ihre Leute zu finden. Die Leichen der Elfen hatte man einfach auf  Haufen geworfen, die dann abends verbrannt werden sollten. Nirgar sah sich um. In der Ferne standen die anderen an Dilahns Leichnam. Man hatte ihn auf einem Holzhaufen zur Ruhe gelegt. Auch er sollte verbrannt werden, aber nicht hier. 
Nirgar schüttelte den Kopf. Warum das alles. Melda kam zu ihm und sah ihn an. Seine Wunde am Arm war verbunden. Die Priester, die vom Tempel herab gekommen waren, hatten ihr Werk der Heilung verbracht, doch Melda war immer noch etwas schwach.
"Melda. Glaubst du eigentlich."
"An was sollte ich glauben?"
"Ich weiß nicht. Irgendwas. Götter, Vorsätze... an dich selbst?"
Der Murahn blickte über die Haufen von Toten hinweg und senkte dann seinen Blick auf den blutgetränkten Boden.
"Jetzt nicht mehr."

Die Sonne versank hinter den Hügeln. Der Drache war gelandet und Marlin setzte sich neben ihn ins Gras. Sie sahen geradeaus in den Sonnenuntergang. Der Drache hatte Marlin getragen und ihm nichts getan. Doch jetzt war es Zeit für Antworten.
"Also. Wie ist dein Name?"
"Ich bin Parta. Einer der letzten sprechenden Drachen."
"Die letzten sprechenden Drachen?"
"Ja. Der Geist eines Drachen ist durchaus dazu in der Lage, aber er läßt sich leicht vernebeln. Noch bis vor sechshundert Jahren gab es Tausende von uns. Aber die Zahl ist stark gesunken."
"Ja. Ich habe schon Legenden davon gehört. Die anderen, was ist mit denen passiert?"
"Die Elfen haben angefangen, Drachen für den Krieg zu züchten. Sie verloren ihre Gabe zu reden und wurden wieder zu Bestien."
"Wieder?"
"Die Drachen waren im Ursprung wilde Tiere. Als sie eine Plage wurden, haben Magier der Menschen ihnen einen Verstand geschenkt, damit sie sehen konnten, was sie mit ihrer Gewalt anrichteten. Ihre neu gewonnene Intelligenz brachte dann die Fähigkeit zu sprechen mit sich. Das ist nun schon mehr als fünftausend Jahre her. Es sind bis heute nur noch wenige von uns da."
Marlin sah weiter der Sonne entgegen. Etwas musste er noch wissen.
"Woher wusstest du, wer ich bin?"
Der Drache sah Marlin an. Dann fing er an zu reden.
"Daran war der mächtigste von uns. Einst war er der Sohn des Königs, doch schon sehr früh bekam Garlin ihn in seine Hände. Von diesem Tag an stand Daran unter der Aufsicht von Tarohn. Er begann ihn als Vaterfigur zu sehen. Die Gabe, sich auszudrücken, hatte er nie empfangen und so wurde er zu einem Werkzeug von Garlins Kriegsführung. Als unser König starb, hatten wir keine würdige Nachfolge. Man zerstreute uns in alle Himmelsrichtungen."
"Und ich habe den einzigen getötet, der würdig war, die Nachfolge anzutreten."
"Ja. Aber das macht nichts."
Marlin sah Parta an.
"Wieso nicht?"
"Er hätte uns nicht führen können."
"Weil er nicht sprach?"
"Das ist nur ein geringes Problem. Drachen, auch wenn sie nicht mit der Gabe der Sprache geboren sind, können sich telepatisch mit anderen Drachen unterhalten. Dafür müssen sie allerdings einen freien Geist besitzen. Daran hatte keinen freien Geist. Und es hätte nichts gebracht, zu versuchen, ihn frei zu kriegen. Sein Tod war gut."
"Und deswegen kennt ihr mich?"
"Ja."
"Warum warst du gefangen?"
"Sie brauchen einen Drachen mit freiem Geist für ihr Ritual. Und dich brauchten sie auch dafür."
Ein Ritual? Aber sicher. Tarohn. Er wollte sein Leben.
"Was ist das für ein Ritual?"
"Besser die Alten erklären dir das."
Parta richtete sich auf. 
"Steig auf. Schon bald wirst du verstehen!"
 

© V.Geist
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Und schon geht's weiter zum 17. bis 19. Kapitel

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