Die
legendären Krieger von Rohan |
Der Tag neigte sich dem Abend zu, die Sonne ließ ihre Strahlen über die Bergkämme, die rau und schroff waren, die Grenze von Ländern bildeten, tasten, versuchte für einen gleißenden Augenblick die Schatten aus den Ecken zu verbannen, doch es gelang ihr nicht, das helle Licht sichte schwächer werdend durch die hellen Baumwipfel, erlosch in einem Teppich aus purpurnen Farben, die sich über grasige Hügel und den Horizont legten. Viele Schatten versuchten länger zu werden, rafften sich auf, die Gelegenheit zu nutzen und traten dann nur unter dem silbernen Licht von Mond und Sterne zum Vorschein. Mit einem leisen Säuseln strichen die Winde durch die herzförmigen Blätter der großen Bäume, Büsche und Farne und nur wenige Lichtungen gab es, welche die Sicht zum Himmel freigaben. Hier über diesem endlos erscheinenden Meer aus Bäumen hingen Schleier von Nebel und blasse Dunstfahnen, die sich ewig dort aufzuhalten schienen und nur die Stellen von kleinen Waldwiesen waren wolkenlos, verborgen, tief zwischen Kraut und Heide, zogen sie sich in kleinen Gruppen durch den Dschungel, bis zu den ansteigenden Hügeln, die sich später zu den großen, felsigen Ausläufen des Seebaldkamms entwickelten. Dieser Kamm war die Grenze, das Gebirge der Trennung des Landes, das Waldland erebbte hier zu einer Wüste aus Steppegras und zerklüfteten Felsen; das Hochland formte sich hier aus den größten Teilen des tiefen Waldlandes. Kurz vor den großen Felsen, am Saume des Rokronpasses glitzerten und funkelten die Silberseen in einer Pracht, wie sie es noch nie getan hatten, denn es war die erste Nacht, in der die zwei Monde von Rohan zur gleichen Zeit voll waren, ihre Krater deutlich auf dem grauweißen Mondsand abzeichneten. In dieser Nacht stiegen Rauchfahnen vom ganzen Hochland auf, woben ihren Weg auf seidenen Bahnen in das Morgengrauen des anbrechenden Tages, der Tag am Ende einer mörderischen Woche. Der Schlachtzug der Dämonen aus dem Westen war blutig und unausweichlich gewesen, die lechzenden Kämpfer hatten das Große Tor der Hochländer zerbrochen, niedergefegt wie eine Streichholzschachtel, hatten sich durch unzählige Blockaden weiter vorgerungen, bis sie schließlich vor der Hauptstadt des Landes standen, vor Trishol. Bengor war gestorben, zu Tode getrampelt. In einem letzten, verzweifelten Aufflammen von Wut hatte er sein mit Gold und Silber verziertes Breitschwert gegen die Dämonen geschwungen und Hunderte von ihnen getötet, bis er schließlich - gespickt mit schwarzen Pfeilen und zerfetztem Fleisch - stark blutend zusammensackte. In seinem letzte Atemzug lag ein Gebet. Eine Bitte, die an Argon gerichtet war, dem Gott des Westens. Sein letzter Wunsch war, das wenigstens seine anderen Brüder überlebten. Und der hinterhältige Meridian hatte sich ins Fäustchen gelacht, während er geflüchtet war. Tage später hatten die Feinde auch die Barrikaden an den Ufer des Eisflusses überwunden und hier war auch Riagor gefallen. Seine Leiche wurde mitsamt allen Gefallenen und dem Blut der Dämonen fortgespült. In seiner Seite steckte ein Dolch, ein Messer, auf dem das Zeichen des Königs prangte. Dennoch war es nicht Rune gewesen, der ihn tötete. Er war lediglich erleichtert zurückgesunken und hatte sich auf seinem Gaul etwas vom Kampfplatz entfernt, um zu sehen, wie die Schlacht verlief. Auch die Dämonen hatten große Verluste erlitten. Es waren ihrer noch an die zweihundert und auf der Seite der Hochländer waren es etwa nur noch sechs Dutzend, eine geringe Zahl angesichts der Gegner. Der Kampf war schleppender und träger geworden. In allen herrschte große Müdigkeit und einige sackten einfach in das blutverklebte Gras, völlig entkräftet. Überall lagen Waffen herum und Leiber häuften sich. Und plötzlich, als der zukünftige König wieder den Kampf von einem erhöhten Schlachtpunkt betrachtete, zerfiel in ihm etwas. Was war, wenn das Hochland tatsächlich fallen würde? Es waren nur noch sehr wenige Krieger und die Tiefländer so viele! Er würde nichts mehr zum regieren haben, wenn alle tot waren. An so etwas hatte er nicht gedacht. An so etwas hatte keiner in der letzten Woche gedacht, in welcher der Schnee bereits fast ganz geschmolzen war, und es wieder wärmer wurde. Schließlich raffte Rune sich auf, und begann zum ersten Mal bewusst für etwas sein Leben aufs Spiel zu setzten. Das spornte seine Leute an, und zusammen sammelten sie sich hinter den Stadttoren. Städter warfen ihnen verwunderte und entsetzte Blicke zu. Hier gab es keinen einzigen Soldaten mehr. Alle waren in die Schlacht gezogen, Tausende waren es gewesen, und vierzig waren geblieben. Sie kämpften lange und erbittert an den Toren, eine Nacht und einen Tag durch, und in der Zeit begannen sich auch die Bauern und Handwerker mit Spießen und Knüppeln zu wappnen. Es sah aus, als würde das Hochland letztendlich doch untergehen. Und schließlich wurde auch das Stadttor durchbrochen und die Armee von Dämonen fegte über die Höfe und Häuser der Stadt weg, während auf wundersame Weise Nachschub erschienen war. Die Zahl der nächtlichen Angreifer hatte sich verdoppelt. Tagsüber waren sie verschwunden, hielten sich im Schatten versteckt, und nachts griffen sie mit verheerender Stärke an. Doch die Hochländer gaben nicht auf und zogen sich in das Schloss der Meridians zurück, fünf verzweifelte Kämpfer. Schon seit zwei Tagen dauerte die Belagerung an und die Streitmächte aus Trishol waren alle bis auf eine Handvoll mutiger Krieger niedergemacht worden. Allesamt hatten sie sich in die Burg* und in die Ruinen darum verschanzt, der glänzende Teil des großen Ortes war eingenommen und von den Mauern der Feste aus konnte man die großen, kräftigen steingrauen Wesen aus den Wäldern erkennen, wie sie sich an jeder Ecke eingefunden hatten und zerstörten oder plünderten. Viele Feuer brannten, die den Rauch aufsteigen lassen konnten, viele Feuer, die von gegenwärtigem Leiden zeugten, Feuer, die, solange der Krieg dauern würde, nicht erlöschen, ewig die kalten Hände der gottlosen Wesen wärmen würden. Der Glaube der Männer an die Freiheit war in den blutigen Schleiern des Krieges versunken, jeder blieb hier in den grauen Gemächern sich selbst überlassen, vorbereitet mit schweren Rüstungen und Schilden, scharfen Schwertern und schützenden Helmen. Die grüne Fahne mit dem grauen Berg in der Mitte, mit dem Wappen des Hochlandes waberte nur noch vor einem Balkon im Wind, von dem Balkon des letzten Kriegers, der noch an weite Wiesen und saftig grüne Heiden dachte, von dem Balkon Rune Meridians. Er war es, der ruhmreich an den Toren des Hochlandes gekämpft hatte, stämmige Gegner im Grenzland in die Knie gezwungen hatte, die Stadttore von Trishol die meiste Zeit hielt und seinen Gefährten das Gefühl von Freundschaft und innerer Stärke verlieh, die Kraft sich gegen die Ungerechtigkeit aufzubäumen und sie mit jeden zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen, um dann endlich an einem fernen Tage den Windhauch des Sieges im Gesicht zu spüren. Rune dachte nach, den Blick in die Wolkenschleier vor den offenen hölzernen Balkontüren gerichtet. Der Balkon war prächtig verziert, viele Bildhauer mussten an ihm gearbeitet haben und eine dunkelgrüne Efeuwand zog sich von den Füßen des stattlichen Gemäuers bis zu diesem Aussichtspunkt hin, überwucherte das breite Geländer und kroch an den Außenwänden rechts und links noch höher, bis es schließlich die Kraft verloren hatte und kurz vor der Turmspitze in immer kleiner werdenden Ranken endete. Es kann so nicht weitergehen, machte er sich Mut, wobei er sich auf das große Bett in der Mitte des Raumes fallen ließ, es muss uns doch noch irgendeine Möglichkeit einfallen, uns hier klammheimlich zu verdrücken oder die Grauen einfach zu vernichten! Und selbst wenn er fliehen müsste, würde er irgendwann wiederkommen und das Land zurückerobern. Wie war ihm egal. Sein langes, blasses Haar fiel auf die Seide des Bettes und breitete sich aus. Meridian starrte die farblose Decke an, durch die sich zahlreiche Risse und Unebenheiten zogen. Diese verdammten Dämonen können wohl nie aufhören zu zerstören?! Schon das ganze Land leidet unter ihrer Knute und ist zum Teil auch schon vernichtet worden! Hart biss er die Zähne zusammen und tiefer Hass loderte in seinen Augen auf. Man müsste da rausgehen und sie alle zerhacken, wie beim Tristanmassaker! Es blieb ihm keine Zeit mehr, über die finsteren Wesen zu fluchen, da er Schritte vom Inneren der Burg hörte, ein Hallen, das von den Treppen zu kommen schien, die sich um die Innenseite des großen Turms schlängelten. Wer konnte es sein? Aufmerksam blickte er auf, erhob sich halb von seinem Platz, legte aber instinktiv die Hand auf den Schwertknauf, um bereit zu sein, wenn es darauf ankam. Der Ausdruck in seinem Gesicht war erstaunt und schon überlegte er sich, was er dem Kommenden sagen würde, wenn er bei ihm wäre. Er hatte weiche Züge, das Haar blond, doch es war grau an vielen Stellen, eine Krankheit, die sich das erste Mal äußerlich an seinen Haaren bemerkbar gemacht hatte, das wusste er, da er erst ein paar Jahre über zwanzig war und sonst noch jeder Muskel in seinem Körper perfekt und reibungslos funktionierte. Der Brustpanzer, den er trug, war eingedellt, zeigte aber immer noch das Hochlandwappen, den Berg auf grasgrünem Grund, sein Umhang hatte ebenfalls die Farbe von Moos und auch der Schmuckstein an dem Heft seines Schwertes war grün, es waren eben die Farben des Hochlandes, das trockene Grün der vielen Steppen und Hügel, das weißgrau der hohen, zerklüfteten Felsnasen. Es war Rykorn, einer seiner Mitstreiter. Er hatte dunkles, strähniges Haar, das ihm in mehreren kleinen Zöpfen vom Haupt hing. Ein kleiner Spitzbart umrahmte seinen schmalen Mund und seine Augen leuchteten in einem hellen Blau, das jeden magisch anziehen zu schien. Er hatte den dritthöchsten Rang in ihrer jetzigen kleinen Truppe, bestehend aus fünfen, Rune den höchsten, jedenfalls war er es, der sie antrieb zu handeln. "Rykorn!", begrüßte ihn Meridian lachend, umarmte ihn und klopfte ihm auf die Schulter. "Was gibt es neues Erfreuliches, was du mir zu dieser Stunde zu erzählen weißt?" "Herr", begann Rykorn etwas verlegen und trat dann eilig ein paar Schritte zurück, um nicht zu lange der bedrückenden Freude Meridians ausgesetzt zu sein, "es ist Schlimmes geschehen. Es geht um." Er räusperte sich und wollte sichtlich nicht so gerne darüber reden. Sofort erlosch das Lachen in Runes Gesicht und ein Hauch von Entsetzen begann darauf zu ruhen. "Trajan... Er..." Der Sprecher verstummte und Meridian führte ihn zu dem Bett und ließ in sich setzen. "Was ist geschehen? Es ist wichtig, dass wir alle die schlechte Kunde erfahren. Unser Leben hängt davon ab." Die Ehre zu wahren bedeutete für ihn mehr als das Leben, dennoch war das Eine ohne das Andere nutzlos und so würde er lieber einen Rückzug antreten, um dann später mit doppelter Kraft zurückzuschlagen. "Trajan. Es hat ihn erwischt. Er war dabei, Vorräte aus der Stadt zu holen, doch er ist zum vereinbarten Zeitpunkt nicht wieder aufgetaucht." "Ich bin sicher, er ist da draußen irgendwo! So einer wie Trajan geht uns nicht so schnell verloren, dafür ist er viel zu gut!" Zwar sagte er es mit fester Stimme, doch so überzeugt wie es schien war selbst er es nicht. Trajan war zwar ein guter Kämpfer, doch gegen diese Art von Dämonen konnte er nicht gewinnen, sie wären einfach in der Überzahl gewesen. Schließlich fasste er sich ein Herz und starrte Rykorn fest und mit aller Kraft in die Augen, öffnete die Lippen zu einem Satz, den er glaubte nie sagen zu müssen. "Wir werden ihn da rausholen! Ohne unsere Hilfe scheitert er gewiss. Los, gib Palax bescheid! Wir treffen uns bei den Geheimgängen!" Die Miene Rykorns erhellte sich und er stürmte sofort los, aus dem Zimmer und auf die Treppe. Noch lange verhallte der Aufschlag seiner Stiefel auf dem unebenen Steinboden, dann erklangen Stimmen, eine tiefe Zwergenstimme und die Stimme des Läufers. Sie unterhielten sich schnell und aufgeregt. Wahrscheinlich wollten sie Trajan genau so gern finden wie er. Rune seufzte kurz und zog sich die ledernen Handschuhe an, streifte sich den Helm über den Kopf und richtete das Kettenhemd. "Nehmt nur leichtes Gepäck!", rief er zu ihnen hinunter. "Diesen Weg ist noch keiner von uns gegangen. Es grenzt an eine Selbstmordaktion, also Vorsicht! Die Grauen wissen nicht, dass wir kommen." Den schweren Tornister und die vielen Dolche ließ er in einer Ecke hinter einem Brocken Stein liegen, um sie später nach Bedarf wieder zu holen und so waren sie sicher und geschützt vor den Mordgeistern, die ihr Spiel schon lange in der Dämonenwelt trieben. Endlich trat er auf die dritte Ebene von Vieren hinaus, rechts von ihm zwischen zwei staubigen, mit Efeu bewachsenen Säulen führte die Treppe in die zweite Ebene hinab, wo Palax und Rykorn schon ungeduldig warteten. Der Zwerg war groß für sein Volk und unter seiner Rüstung trug er ein Hemd, das aus dem dichten Fell eines Bären gemacht war und große Muskeln zierten die nackten Arme und Beine. Ein buschiger, dunkler Bart zog sich über sein von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht, die Augen lagen tief im Schatten ihrer Höhlen verborgen und waren braun wie die Erde. Der mürrische Ausdruck auf seinem Gesicht war schief und er grinste Meridian verächtlich an. "Keiner schickt einen Zwerg in dunkle Gänge, Hochländer! Lass dir das gesagt sein!" mahnte er mit der mächtigen Streitaxt auf dem Rücken. Er verschränkte die Arme über der Brust und kniff die Augen prüfend zusammen, während er auf einen Haufen Schutt und Asche neben einer Statue eines Königs in einem langen Mantel starrte. "Da ist nie im Leben ein Geheimgang! Ich würde so was doch als Zwerg sofort erkennen!" Ohne auf sein Gebrummel zu achten, zog Rune an ihm hocherhobenen Hauptes vorbei, steuerte auf die Statue zu. "Versuch es gar nicht, Hochländer! Da is nichts!" Der Zwerg deutete zuerst mit zwei Fingern auf seine Augen und dann auf die Statue. "Sag du es ihm, Rykorn!", befahl er in herrischem Ton, doch dieser zuckte mit den Achseln. "Wenn Meridian meint, dass da etwas ist, dann wird es wohl oder übel so sein. Vertrau ihm, Palax!" "Pah, vertrauen?! Einem Hochländer wie ihm?", höhnte der Zwerg und stützte lauthals lachend die Hände in die Hüften. "Der Tag muss erst noch kommen!" Inzwischen hatte sich Rune vor die Figur, welche auf einem Sockel thronte, gestellt, sah skeptisch an ihr hinauf und betrachtete jeden Millimeter aufs genauste. Nachdem Kajetan drei seiner besten Leute ausgesandt hatte, waren
diese ohne Schwierigkeiten in das zerstörte Hochland und anschließend
nach Trishol gelangt. Verdutzt hatten sie aufgesehen, als sie die zertrümmerte
Mauer und den zerstörten Wehrgang erblickt hatten. Alles war zunichte
gemacht worden, und das schlimmste war nicht nur, dass die Stadt von Menschen
wie leergefegt war, sondern auch, dass einige Köpfe auf Spießen
aufgesteckt von den Mauerresten herabblickten, blutverschmiert und mit
einem verzerrten Gesichtsausdruck. Hautfetzen wurden von Raben und Krähen
abgeknabbert und Augäpfel zerhackt. Es stank geradezu nach fauligem
Fleisch und Tod und an beinahe jeder Ecke wartete einer der Dämonen
auf sie, den sie blitzschnell - kampferfahren wie sie waren - hinstreckten.
Und während sie sich nachts mit äußerster Vorsicht durch
die vom schmelzenden Schnee dunstigen Straßen und Gassen bewegten,
auf der Suche nach Thronn (den sie hier antreffen sollten), erblickten
sie manchmal in lange, schwarze, zerschlissene Gewänder gehüllte
Wesen, die von einer eisigen Aura umgeben waren und sich auf pechschwarzen
Rössern vornüber gebeugt durch die neblige Dunkelheit bewegten.
Der Anblick erinnerte sie oft an das, was sie früher selbst getan
hatten, als sie auf der Suche nach Aufständigen gewesen waren. Ihr
Anführer hatte ihnen versprochen, dass dieser Auftrag etwas ganz besonderes
werden würde, und nachdem sie alle das Buch gelesen hatten, war ihnen
allen schlecht geworden. In dem Buch stand die Geschichte der alten Zeit
- wenigstens ein Teil davon - und sie handelte von Tod und Wesen, die man
sich nicht einmal vorzustellen wagte. Orks und Schattenwesen, bestialische
Monster und Feinde aus dem tiefsten Osten würden kommen, wie sie damals
kamen, mit all der Macht der Magie des Bösen. Denn Melwiora war wieder
zum Leben erwacht, ein Gegner, der vor langer Zeit schon einmal bekämpft
worden war, jedoch nicht ganz bezwungen werden konnte. Man hatte geglaubt,
die Eisfrau wäre in der Erde des ausbrechenden Vulkans geschmolzen,
und mit ihr ihre Macht. Doch sie musste wieder auferstanden sein, oder
so etwas, genaueres war jedenfalls noch nicht bekannt. Allen war es kalt
den Rücken hinunter gelaufen. Aber für Rone war damals das wichtigste
gewesen, dass er seinen Großonkel wiedererblickt hatte, und jetzt
sollte er seinen Vetter wiedersehen! Aber er, der junge Elf, sah ihn nicht
als Vetter, oder Timotheus als Onkel. Der Altersunterschied war viel zu
groß, und so nannte er auch Thronn Onkel.
Der Drachenreiter kreiste hoch über den Wolken, die sich wie
dichterwerdende Nebelschleier über das Hochland auszubreiten schienen.
Sein Name war Orkin Twron, der letzte Reiter dieser uralten Geschöpfe
überhaupt. Das Reittier, ein Flugdrache, war etwa zwanzig Meter lang,
besaß einen schlanken, rotgeschuppten Körper und die Augen waren
seinem Reiter gut vertraut. Beide liebten sie den Klang der ledernen Schwingen,
wenn diese schwimmende, ruckartige Bewegungen in der Luft taten. Die eisigen
Frühjahrswinde zischten ihnen um die Ohren und aus den Nasenlöchern
des Drachen stiegen kleine Rauchfahnen auf, die sich aber schnell im Fahrtwind
verloren. Der Drache trug den Namen Kronax, der Name eines ehemaligen Kriegers,
den Orkin schon in seiner Kindheit geehrt hatte. Auch die Drachen waren
seine heimliche Leidenschaft und so hatte er sich überlegt, warum
nicht einfach beides mischen, Krieger und Drache, warum nicht? Er war ein
Bote, geschickt, um zwischen Thronn und Timotheus Nachrichten auszutauschen,
und er ging dieser Arbeit voller Freude nach, da er das Gefühl liebte,
das er hatte, wenn er über sich die unendliche Weite des schwarzen
Alls, und unter sich die Gebäude und Bergketten, klein wie Kinderspielzeuge
mit glänzenden Augen betrachtete.
Gleich nachdem Rone, Dario und Kelt aufgebrochen waren, hatte sich
der Truppführer daran gemacht, Kundschafter des verbleibenden Trupps
in die Wälder loszuschicken, um dort die Anwesenheit der sich erhebenden
Dämonen festzustellen. In dem Buch, das der Hexenmeister ihm überreicht
hatte, hatte viel gestanden. Die Bedrohung durch die Natur war spezifiziert
worden. Es waren nicht - wie ihm eine heimliche Ahnung zugerufen hatte
- die Aufständigen, sondern Tiere, die einem unnatürlichen Trieb
folgten und so beinahe menschlich wirkten! Es war erschreckend. Er hatte
mehrere Tage gewartet, doch seine Männer kamen nicht zurück.
Am Morgen des dritten Tages stand er auf den Zinnen und blickte auf das
in dichten Dunst gehüllte Flachland hinaus. Der Stein war von der
Sonne erwärmt, die sich langsam hinter dem Horizont hocharbeitete.
Seine Stirn war voll von Gram und so langsam bedrängte ihn das Gefühl,
dass er etwas falsch gemacht hatte. In seinem früheren Leben war er
nur von Reue und stiller Teilnahmslosigkeit befallen gewesen, aber jetzt
war es Etwas, das ihn herunterzog. Er glaubte, es hätte keinen Zweck.
© Benedikt
Julian Behnke
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