Die
legendären Krieger von Gordolon |
Sie sah in das Dunkel, was sie in der eisigen Umarmung der toten Feste umgab, Angst und Verzweiflung mischte sich unter ihre Männer; sie spürten den Tod. War es nur eine Vermutung? Doch es war noch nicht völlig Nacht, noch regierten die hellen Sonnenstrahlen das Land und erwärmten die Felsen und die Düfte des Frühlings. Wind strich ihr durch die Haare und sie spürte ihren Körper, der dürr und knochig war, aufgezehrt von einer Krankheit, die selbst ihre eigene Magie nicht zu heilen vermochte. Sie lebte nur noch, da der Zauber gerade ausreichte, um sie nicht völlig entschlafen zu lassen, er half ihr zu atmen und das Blut durch ihre Adern und Venen zu pumpen. Und sie war ihm dankbar. Die Kraft war nicht ihr unterstellt, sie hatte ihren eigenen Willen, der jedoch durch sie verkörpert wurde. Sie war mit ihr verschmolzen, jedoch vermochte sie nicht zu verfügen über den Teil der Hexerei, sondern nur über ihren eigenen Körper. Wenn ihre Magie erlosch, erlosch auch die Flamme ihres Herzens, und dann würde sie sterben, niedersinken und von allen guten Geistern verlassen sein, die Krallen des Eises würden sich weit nach ihr ausstrecken, um sie an sich zu nehmen. Dann jedoch würde sie sich nicht wehren können, das Pochen ihres Herzschlages wäre schwer und es würde in ihren Ohren dröhnen, während sie, die Königin der Elfen, langsam zu Grunde ging. Die Arme würden ihr erschlaffen, Kraft würde versiegen und danach würde sie sterben, fallen in das unendliche, klaffende Loch des Todes, dessen Ränder scharf und steil aufragten, verschmiert und besudelt mit dem Blut der Märtyrer. Plötzlich stand Arkanon Vivren neben ihr, zerkratzt und schelmisch lächelnd, während sich der Stoßtrupp der Elfen und Menschen tiefer in die Gänge der Burg wagten. Sie versuchte zurück zu lächeln, doch die Kraft war auf einmal ganz aus ihrem Körper gewichen, kalter Schweiß stand ihr auf der Stirn und in ihren Gedärmen rumorte es. Schlapp ließ sie sich in die seidigschwarze Mähne ihres Hengstes fallen und roch das Pferd, auf dem sie ritt, den unverkennlichen Stallgeruch und die Anstrengung des Rittes und der Schlacht. Auch das Tier war ohne Energie, tänzelte mehr und war äußerst wacklig auf den Beinen, hatte gar nichts mehr von dem stolzen Schlachtross, das es einst war. Schattenwesen! Das Wort, nein, ein Bild des Betreffenden entstand in ihrem Kopf, groß, dunkel und sehnig, Augen, rotglühende Punkte im Schatten, gierig und bösartig, geschaffen um zu vernichten, und sie erschauderte, Lippen formten die einzelnen Silben des Wortes. Laurus-Vivor*! Doch noch mehr erschreckte sie die Sprache, in der sie es ausgesprochen hatte. Es war die alte Sprache gewesen, die Sprache der alten Elfenkönige, die Sprache des alten Volkes, obwohl sie sich geschworen hatte diese nur in den Tagen des Besonderen zu sprechen. War heute einer dieser Besonderen? Sicher gab es einige Elfenjäger, die zu lange Abseits des Volkes gelebt hatten und so die Veränderung der Sprache nicht mitbekommen hatten, aber sie war doch da gewesen. Sie hatte doch dieses Gebot verkündet. Was erdreistete sie sich dann ihre eigenen Regeln zu brechen? Ihr wurde schwindelig und sie wäre auch sofort zusammengesunken und vom Pferd gestürzt, wenn die starke Hand des Generals nicht herangekommen und sie gestützt hätte. "Nein, Herrin!", sagte er eindringlich und rückte sie wieder gerade in den Sattel. "Ihr dürft jetzt nicht aufgeben! Ich weiß, dass Ihr bestürzt seid wegen meines selbstlosen Aktes letzte Nacht, doch lege ich Euch nahe das nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen! Bitte verzeiht mir!" Seine Augen wurden trüb, das durchdringende Funkeln in den dunkelbraunen Pupillen war wie von einem glasigdünnen Wasserfall überspült, sodass die feinen Äderchen verschwammen. "Ohne Euch wird unser Volk zu Grunde gehen!" Er packte sie an den Schultern und schüttelte sie heftig, doch sie starrte weiterhin anspannungslos in die Leere und drohte zu entschwinden. Nein, ich werde zu Grunde gehen!, dachte sie gefühllos und ihre Augen waren auf den Vorhof von Burg Krakenstein gerichtet, während Elfenjäger Posten auf den Zinnen nahmen und mit gespannten Bögen dem unvermeidlichen entgegenblickten. Keine dreißig Schritte vor ihr erhob sich das Herrenhaus von Krakenstein, groß, klotzig, gemacht aus glatten, riesigen sandfarbenen Steinquadern, zerschlissene Fahnen hingen an Stangen über der Eingangstür, zu der eine breite Treppe hinaufführte. Hier musste Kajetan vor einigen Wochen gestanden haben und in das wutverzerrte Gesicht Valbrechts gesehen haben. In einer der langen Nächte in Lesrinith hatte er im Schlaf gesprochen, versunken in einem Fiebertrauma und sie war gekommen, um nach ihm zu sehen. Sein Leib hatte geglänzt, überzogen mit Schweiß und gleißende Perlen, in denen sich das Licht der Laternen spiegelte, waren über seine Wangen gelaufen. Sie wusste noch genau, was sie damals gedacht hatte, als sie ihn ausgezogen hatte, um seine Wunden zu verbinden. Den Drachenpanzer hatte sie zuerst abgelegt und dieser Schutz hatte dem Feldherr vermutlich das Leben gerettet, denn die Klauen der Dunklen waren nicht durch die rostroten Schuppen gekommen. Dann hatte sie seinen nackten Körper gesehen, die bereits ergrauten Haare auf seiner Brust, den von alten Kriegsnarben verunstalteten Körper, der zäh, starkknochig und bestimmt einmal sehr muskulös gewesen sein musste. Jetzt hingen die Kraftpakete nur noch da, einige stärker, einige schwächer, überdeckten den geschundenen Körper und dessen Innerein. Kajetan war wahrscheinlich einmal ein starker Mann gewesen, doch die Blüte seiner Jahre war bereits überschritten. Und in dem Moment, als sie das mit rosigen Furchen gespickte, alte Fleisch gesehen hatte, war es ihr kalt den Rücken hinuntergelaufen, denn ihr war eine Idee gekommen... "Ich glaube, um etwas zu finden, müssen wir erst da rein gehen!", mutmaßte Vivren und zerrte die Königin so aus ihren Gedanken hoch. Sie blinzelte, um ihre Augen zu befeuchten, da sie diese die ganze Zeit unmerklich offen gelassen hatten. Arkanon hatte mit dem Finger auf das Tor des Herrenhauses gedeutet und als er ihre Regung bemerkte, schielte er zu ihr hoch. "Weilt Ihr jetzt wieder unter den Lebenden, Majestät?" Sie achtete nicht auf diese flapsige Bemerkung und begann sich langsam wieder zu fassen, während sie ihre Hände feste um die Zügel legte. "Was schlagt Ihr vor, General?", sagte sie dann hart und ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. "Nun", machte er und holte zu einer längeren mündlichen Überlegung aus, "wie mir scheint, muss jemand die Burg verraten haben, das Tor nachts geöffnet, um..." "Ich will eine Antwort, Vivren!" fuhr sie ihn mit gehobener Stimme an und trieb ihn zu besserem Gehorsam an. "Wir sind nicht hergekommen, um zu plaudern. Erklärt mir in einigen kurzen Sätzen, wie wir hier reinspazieren und dann wieder raus!" Er wollte gerade seine Stimme und den Finger heben, um das mit dem Spatziergang noch einmal zu überdenken, doch sie wies ihn ab. "Ich weiß durchaus, General, dass das hier kein Spaziergang wird!" Und nach einiger Zeit: "Wie gehen wir also vor?" "Die Gefangenen", begann Arkanon zu erklären. "Der Bote aus dem Norden hat mir in den Tagen des Volkes der Elfen von einer Gefangenenkolonie in den Verließen geredet. Er meinte, dass einer der Wandler, Ramhad, einen Gefangenentrakt hält. Unter den Eingesperrten soll auch ein gewisser Hexenmeister sein, der vorher hier auf der Burg seiner Arbeit nachgegangen ist. Wenn wir ihn finden, bevor es Nacht wird, wird uns seine Ortskenntnis bestimmt helfen." Morrogian, der plötzlich ebenfalls neben ihr stand, machte eine abfällige Geste. "Das is’ doch alles Schwachsinn!", brummelte er abweisend. "Bis es dunkel wird habe’ mir noch höchstens zwei Stunde Zeit. Und d’ Burg is’ riesig!" Er zog die Brauen in die Höhe und breitete die Arme wie Schwingen aus. Zusammen mit seinem dunklen Haar und dem pechschwarzen Schnauzbart glich er einem Raben, der seine Flügel ausbreitet, um den anderen Angst einzujagen. "Wie solle’ mir da de Gefangene find’?!" Er starrte für einen Moment in die Gesichter der fünfzig Elfen und Menschen, die ihm abwartend lauschten, schließlich waren sie alle so erpicht auf eine Lösung wie er. "I’ hab’ ne Idee!", fuhr er dann plötzlich mit erhobenem Finger fort und seine Augen verengten sich zu beinahe bedrohlichen Schlitzen, während das Licht der blakenden Fackeln sich auf seiner schweren Rüstung spiegelte. "Mir gen nenn und mache’ diese’ komische Dämonen da einem nach de andere’ fertig! Könne’ ja nicht mehr viel’ sein, oder?" Und ein weiteres Mal hatte nur die Hälfte der Krieger etwas von dem verstanden, was der alte Graf da so in seinen Bart nuschelte. "Uns bleibt ja sowieso nichts anderes übrig.", seufzte Vivren und machte sich kampfbereit. "Wir haben zwar mindestens zweihundertfünfzig Männer verloren, aber die Zahl der getöteten Gegner ist noch höher." Er lächelte jungenhaft. "Immerhin sind es nicht weniger als runde tausend gewesen, die uns da draußen gegenüber gestanden waren. Und wie mir scheint, sind davon ja nicht mehr viele übrig." Er warf einen verspielt abschätzenden Blick in die Runde und verschränkte darauf die Arme. "Also was spricht dann dagegen, wenn wir einfach da hineinspazieren und uns ein paar dieser Wandler vorknöpfen. Irgendeiner wird ja vermutlich wissen, wie wir zu den Zellen gelangen können. Oder wir metzeln uns einfach durch die ganze Feste und hoffen irgendwann auf die Kerker zu stoßen. Also, wer ist dafür?" Seine Frage wurde von einstimmigen Nicken beantwortet. "Also werden wir da jetzt reingehen und ein bisschen Jagd auf Tieflanddämonen machen!", sagte er selbstbewusst und strich sich über das Kinn. "Es ist entschieden. Wir werden gehen und diesen Viechern mal ordentlich die Hölle heißmachen!" Jubel erhob sich aus der Menge, Klingen und Bögen wurden in die Höhe gehalten, dann legte sich der Schatten der Nacht bedrohlich und geheimnisvoll über sie, viel früher, als sie erwartet hatten... Ihre Schritte hallten dumpf und unheimlich in den Höhlengängen
und Schächten von Krakenstein und der junge Elf Wye hatte alle Hände
voll zu tun sich unter Kontrolle zu halten, um nicht vor Entsetzen loszuschreien.
Die Innenfeste war kein Teil der Burg mehr; sie war ein Grab, Leichen und
abgerissene Körperteile in Blutlachen lagen genau so zahlreich herum
wie Skelette und Knochen. Totenschädel waren nur noch teilweise mit
dünnen Hautschichten überzogen, der Rest der bleichen Knochen
war blank und die Verschiedenen starrten sie aus dunklen Höhlen an.
Vor etwa einer halben Stunde hatten sie sich getrennt, jeder war einen
anderen Weg gegangen, nachdem sie in das Labyrinth der Geheimgänge
der Feste eingedrungen waren, zu deutlich war die Geheimtür hinter
dem Vorhang zu erkennen und auch die große Grotte, in deren wohnlicheren
Gebieten Timotheus einst gelebt haben musste, war nicht sonderlich versteckt
gewesen. Im Großen und Ganzen strahlte die Burg tiefste Leere und
Bedrohlichkeit aus, war umgeben von Angst und Verderben wie von dem Netz
einer riesigen Spinne. Was würde sie hier erwarten? Was würde
noch in den dunklen Gängen auf sie lauern? Wye vermochte nicht sich
noch mehr vorzustellen, als bereits passiert war. Überall lagen zerbrochene
Waffen und verrostete Schwerter herum, Schilde lagen lose herum, Äxte
steckten in abgenagten Schädeln.
Ist es nötig wegen Liebe zu sterben, selbst wenn es dem Geliebten
nichts nützt und dieser auch seine Liebe nicht erwidert? Kann es sein,
dass Menschen Dinge tun, deren Bedeutung sie nicht kennen? Und muss das
Gute immer gut und die Wahrheit wahr sein? Ein Schwert zu führen,
gegen den Feind zu kämpfen, ist edel, doch was ist, wenn man dadurch
selbst zum Feind wird?
Still zog Arkanon Vivren, General der Armeen der Elfen, sein Schwert,
in seiner Miene regte sich nichts, stand nur Entschlossenheit und Erkennen.
Nun wusste er so viel mehr, so viel mehr als zuvor. Was mochte vergangen
sein, als er das Böse das letzte Mal so nahe und deutlich gesehen
hatte? Und jetzt wusste er auch, wem seine Liebe galt, und was er tun musste.
Er spürte die vor Angst eisigkalte Hand Sephorías, die ihn
gepackt hatte und zurückhielt, doch er wollte nicht. Es war notwendig,
dass er ging. Noch hörte er ihre Stimme, die ihm zurief, dass es nicht
sein Kampf war sondern ihrer, doch er scherte sich nicht darum, stieß
sie barsch zurück und stellte sich dann dem Ende gegenüber...
* Laurus-Vivor: Dunkel/Schattenwesen (die Sprache der
Elfen)
© Benedikt
Julian Behnke
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