"Was machst du hier?" fragt Lara ruhig, aber
deutlich angespannt.
Erschrocken dreht sich Farin um und blickt
schuldbewusst auf Lara. Er kann kaum dem Zorn in Laras smaragdgrünen
Augen begegnen, so dass er bald den Blick von ihnen abwenden muss. Etwas
stockend beginnt er sich zu erklären: "Tut mir leid! Ich habe dich
gesucht und dachte du wärst hier..."
"Aber ich war nicht hier! Und das hast du
gesehen! Und trotzdem gehst du ohne Erlaubnis in meine Räume?" fragt
Lara mit kaum versteckter Wut.
"Ich...! Ich... habe den Schild und das Schwert
gesehen ... ich habe mich gewundert, was sie in deinen Räumen suchen
und bin deshalb eingetreten..."
"Warum? Kann eine Frau denn keine Waffen haben?"
"Sicher! Aber das sind ausgezeichnete Waffen
und ... und ...."
"Was ist hier los?" mischt sich eine neue
Stimme in das Gespräch. Sie gehört Dary, der Prinzessin von Makor.
Sie steht hinter ihrer Freundin und schaut neugierig an ihr vorbei auf
Farin.
"Er hat meine Räume durchsucht!" sagt
Lara ganz offen und ruhig, bevor Farin zu einer Antwort ansetzen kann,
doch dieser protestiert sofort: "Ich habe sie nicht durchsucht! Ich habe
bloß kurz reingesehen und dann habe ich diese Waffen gesehen. Sie
hätten mich auch nicht weiter interessiert, wenn mir das Wappen nicht
bekannt vorgekommen wäre."
"Das Wappen? Was ist an ihm so besonders?"
fragt Dary neugierig, auch wenn ein Unterton von Abscheu in ihren Worten
mitschwingt.
Leicht verletzt antwortet er ihr: "Zuerst
wusste ich nicht wo ich es schon einmal gesehen habe, doch dann fiel es
mir wieder ein. Es ist auf einem großen Banner in der Halle deines
Vaters zu sehen ... und wenn ich mich richtig erinnere, dann hat Erwin,
der Geschichtenerzähler, gesagt, dass es Meister Leran gehört
hat."
"Na und?" fragt Lara herausfordernd.
"Wenn es wirklich dasselbe Wappen ist, dann
ist es gegen das Gesetz, dass es auf geführten Waffen zu sehen ist.
Es gehört nun einmal einem großen Meister und nur er und seine
Nachfahren wären berechtigt, es zu tragen. Nun ist Meister Leran jedoch
tot und Nachfahren hatte er nie ..." erklärt Farin.
"Und da seid ihr euch so sicher?" fragt Lara
mit einem seltsamen Unterton, der nicht zu identifizieren ist.
"Todsicher! Schließlich kannten mein
Vater und Erwin Meister Leran persönlich. Sie waren gute Freunde und
alle bedauern es heute noch, dass Meister Leran ohne Erben starb... Aber
es tut mir leid Lara! Ich muss die Waffen zu meinem Vater bringen lassen
und es ihm mitteilen." Meint Dary nun ruhig, aber entschlossen.
Lara schaut ihre kleine Freundin gelassen
an, bevor sie leise sagt: "Gut! Ich werde MEINE Waffen selbst zum König
bringen und sie ihm zeigen. ... Aber ich dachte, du wärst meine Freundin."
Damit dreht sie sich wieder um, geht an Farin
vorbei und hebt das große Schwert mit einer erstaunlichen Leichtigkeit
auf und schiebt es in ihren Gürtel, bevor sie den ebenso großen
Schild fest in die rechte Hand nimmt.
Stumm winkt sie den anderen, vor ihr das Zimmer
zu verlassen.
"Eure Majestät! Ich werde beschuldigt,
zu Unrecht dieses Wappen zu tragen, das, wie eure Tochter richtig erkannt
und ihr sicherlich bestätigen könnt, das Wappen von Meister Leran
ist." Sagt Lara mit fester Stimme und hoch aufgerichtetem Körper.
Sowohl der König, als auch all die anderen
in der Halle des Königs schauen erstaunt auf ihre ungewöhnlich
große Gestalt.
Vorsichtig antwortet ihr der König: "Dann
streitet ihr nicht ab, dass das Wappen auf eurem Schild einem anderen gehört?"
"Es gehört Meister Leran!"
"Was meint ihr damit?"
"So wie ich es gesagt habe! Es gehört
Meister Leran!"
"Also ist es nicht euer Wappen. Und trotzdem
besitzt ihr die Frechheit es auf eurem Schild zu tragen?"
"Es ist mein Wappen. Es ist mein Wappen, weil
ich es von meiner Familie geerbt habe und es ist mein Wappen, weil ich
Meister Leran bin."
Zuerst herrscht erschrockenes und erstauntes
Schweigen, doch dann brechen der König und die anderen Anwesenden
in belustigtes Lachen aus; verstummen jedoch bald wieder, denn Laras Blick
versprüht förmlich Feuer, als sie sich ihre langen, roten Haare
schwungvoll zurück auf die Schulter wirft.
Um Fassung ringend, erwidert ihr der König:
"Ihr könnt nicht Meister Leran sein. Zum einen war er ein starker
Mann und zum anderen ist er bereits seit zwanzig Jahren tot. Ihr seid eine
Frau und zählt vielleicht mal fünfundzwanzig Sommer."
"Ihr habt ihn gekannt ... kennt ihn noch,
eure Majestät. Ich habe seine Größe und bin genauso schlank
wie er. Er besaß nie viele sichtbare Muskeln, aber er war zäh.
Erinnert euch! Saht ihr ihn jemals mit einer Frau oder einem Mann? Saht
ihr ihn jemals nackt? Wisst ihr welchen Namen er wirklich trug?" antwortet
sie ihm teuflisch gelassen.
Der König überlegt eine ganze Weile,
bevor er Lara schließlich antwortet:
"Ihr habt recht. Ich sah ihn nie mit einer
Frau oder einem Mann. Und ich sah ihn auch nie nackt. Genauso wenig kennt
irgendjemand seinen Vornamen ... und wenn ich mich euch so ansehe, dann
könntet ihr es sein ... so wie er damals ausgesehen hat. Aber vergesst
nicht, dass er viel älter als ihr sein müsste, und vor allem,
dass er tot ist."
"Zwei Dinge, eine Antwort! Meister Leran war
und ist nicht gewöhnlich. Menschliche Waffen können ihn nicht
verletzen, darum konnte er damals auch nicht sterben."
"Aber ich sah seinen Leichnam!"
"Ihr glaubtet ihn zu sehen, aber das menschliche
Auge lässt sich schnell trügen."
"Mal angenommen ihr sagt die Wahrheit ...
warum seid ihr dann damals verschwunden? Warum habt ihr uns euren Tod vorgegaukelt?
Und warum seid ihr zurückgekommen?"
Der König ging auf das scheinbare Spiel
mit einem schmunzelnden Mund ein.
"Als ich euren Vater tot neben mir auf dem
Boden liegen sah hielt mich hier nichts mehr. Doch ich inszenierte meinen
Tod, damit ich euch eines Tages um so mehr treffen könnte; ... auch
wenn sich mittlerweile herausgestellt hat, dass dies eigentlich nicht mehr
von Nöten ist."
"Mit was wolltet ihr mich treffen und warum?"
"Erinnert ihr euch? Ihr seid kein Einzelkind!
Ihr wart einer von zweien ...."
"Hört auf!" donnert der König erschrocken
und mit hochrotem Gesicht, doch Lara fährt unerbittlich fort: "Ihr
hattet einen Bruder! Einen Zwillingsbruder, der an eurer beider siebten
Geburtstag ums Leben kam. Alle denken bis heute, es hätte ihn ein
wildes Tier angefallen, doch ihr wisst es besser ... nicht wahr? Ihr hattet
einen Streit an der großen Schlucht im Wald und habt ihn dabei vor
lauter Wut über den Rand gestoßen."
Absolute Ruhe herrscht in der Halle und alle
schauen erschrocken auf den mittlerweile kreidebleichen König. Erschrocken
eilt Dary zu ihrem Vater und fragt Lara wütend: "Bist du von Sinnen?
Was soll diese neue, abenteuerliche Geschichte?"
"Es ist nur die reine Wahrheit! Seit damals
schleppt er diese Tat mit sich herum. Ich weiß, dass es keine Absicht
gewesen ist, aber er hätte es uns sagen sollen, damit wir seinen Bruder
aus der Schlucht hätten hohlen können. Statt dessen kehrte er
zum Palast zurück und erklärte das Dorin von einem wilden Tier
angefallen worden wäre. .... Und das machte mich stutzig, denn es
war nicht Dirin der zurückgekehrt war, sondern Dorin, der seinen eigenen
Tod behauptet hatte."
"Das ist Blödsinn Lara! Was ..." wettert
Dary, doch der König unterbricht sie:
"Woher weißt du das alles, Lara?"
Erschrocken starrt Dary auf ihren Vater, der
sich mittlerweile gefasst und sich wieder in seinem Stuhl aufgerichtet
hat.
"Valyx!" ruft Lara donnernd, dass manche erschrocken
zusammenzucken.
Ein zierlicher, junger Mann betritt die Halle
der Könige. Sein offenes Gesicht umrahmt von tiefschwarzem Haar. Tiefblaue
Augen, die Lara fragend anschauen.
Diese nickt ihm nur ruhig zu.
Der Blick des Mannes wird ruhig, als er eine
komplizierte Handbewegung vollführt. Wenig später scheint die
Luft neben ihm zu vibrieren und eine Gestalt erscheint scheinbar aus dem
Nichts ... mit denselben Zügen wie der König; doch weit weniger
gealtert.
Dem König springen fast die Augen aus
den Kopf, während die gerade erschienene Gestalt nahezu fröhlich
meint: "Mach dir keine Sorgen Dorin! Dass ich auf dich wütend war,
ist schon seit Jahren vorbei. Und wenn du wissen willst, woher Meister
Leran alles gewusst hat ... nun ja! Du musst mich ja nur ansehen! Er fand
mich damals und brachte mich zu seiner Familie. Sie pflegten mich gesund
und zogen mich auf ... und ehrlich gesagt: ich kann dir eigentlich nur
dafür danken. Etwas besseres hätte mir nie passieren können."
Absolute Stille herrscht in der großen
Halle; alle schauen sie weitestgehend erschrocken abwechselnd auf
den König und auf den Mann neben Lara.
Schließlich stammelt Erwin, der bis
dahin still in der Menge neben dem Thron gestanden hatte: "Was ist das
für ein grauenvoller Zauber?"
"Der Zauber ist nicht grauenvoll, sondern
für eure Augen nur nicht gemacht. ... Aber um auf die Frage eurer
Majestät zurückzukommen, warum ich wieder hierher gekommen bin:
ich wollte euch nur die Wahrheit sagen und euer Bruder wollte euch nur
versichern, dass er euch nichts nachträgt. Als er von mir nämlich
erfahren hatte, dass ihr noch immer schwer an eurer Last trägt, bat
er mich ihn zu euch zu bringen, damit auch ihr endlich den Frieden finden
könnt, den er schon längst für sich gefunden hat."
"Aber ... aber wie habt ihr ihn gefunden und
geborgen? Und wie könnt ihr Meister Leran sein...?"
"Ich habe es euch schon einmal gesagt: ich
bin kein gewöhnlicher Mensch ... ich bin eine Drasmen!"
Noch immer starren die vielen Leute erschrocken
auf die Szene, doch schließlich brach der Bann und alle redeten lautstark
durcheinander; meistens nicht einmal an eine bestimmte Person gerichtet.
Schließlich verschaffte sich der König
wieder das Wort: "Eine Drasmen? Ich dachte die Menschen hätten schon
vor Jahrzehnten alle diese ... Geschöpfe getötet."
"Wie ich bereits sagte: normale, menschliche
Waffen können uns nicht töten und das menschliche Auge ist schnell
zu täuschen. ... Wir entschieden uns damals, euch die Sicherheit zu
geben, dass wir alle tot wären. Lebten unter und mit euch! Ihr solltet
uns kennen lernen, damit ihr einst keine Angst mehr vor uns habt."
"Dann ... dann kannst du dich in einen Drachen
verwandeln?" fragt Dary mit großen Augen, die bis dahin die Drasmen
nur durch Erwins Geschichten gekannt hatte.
Doch bei dieser Frage lacht der junge Mann
neben Lara und dem Bruder des Königs mit einem glockenhellen Ton auf.
"Ly und in einen Drachen verwandeln? Das ist
die Frage des Jahrhunderts! ... Prinzessin! Ly ist der seltsamste Drache
der mir je untergekommen ist."
"Danke für die Blumen Valyx!" lächelt
Lara ihren Freund verschmitzt zu.
"Er hat aber Recht Lyriel! Du bist von allen
Drasmen der einzige Drache mit so seltsamen Schuppen, dass nicht einmal
die Uralten davon berichten können!" mischt sich nun auch des Königs
Bruder ein.
Lara setzt schon zur Antwort an, als Dary
ihr zuvorkommt: "Können wir es nicht alle sehen, damit wir auch mitreden
können?"
Zweifelnd schaut Lara zu Valyx, doch dieser
zuckt nur mit breitem Grinsen die Schultern.
Schließlich nickt Lara!
Fast alle aus dem Palast drängeln sich
am Rand des großen Feldes hinter der Stadtmauer, während Lara
sich langsam von ihnen entfernt.
"Warum hast du sie Lyriel genannt?" fragt
der König schließlich seinen Bruder angespannt, wobei er Lara
jedoch nicht aus den Augen lässt.
"Das ist ihr richtiger Name. Lyriel Leran!
Lara hat sie nur für die Zeit an deinem Hof angenommen."
"Meinem Hof? Du bist der Ältere von uns
beiden ... du bist der rechtmäßige König."
"Lass nur! Das werde ich dir später noch
erklären! Jetzt konzentrier dich mal lieber auf Lyriel."
Verschwommen, zerfließend!
Lyriels menschliche Gestalt verschwindet und
verwandelt sich zu rosigem Nebel, der sich schnell auf das ganze Feld ausbreitet.
Schließlich verschwindet er langsam
wieder, doch Konturen sind kaum auszumachen.
"Wo ist sie hin?" fragt Dary erschrocken.
"Sie ist noch immer vor euch Prinzessin! Ihr
werdet schon sehen!" antwortet ihr Valyx belustigt.
Valyx Worte bewahrheiten sich, als wenig später
ein wahres Lichterfeuer über die erschrockenen Zuschauer hereinbricht.
Geblendet müssen sie zuerst die Augen
schließen, doch dann schauen sie mit offenen Mündern auf die
eigentlich recht kleine Gestalt.
Sie ist schlank und elegant, ihre Flügel
sorgfältig angelegt, ihre Schnauze klar und glatt mit Reihen sauberer,
blitzender Zähne und die gleichen seltsamen, smaragdgrünen Augen
wie sie Lyriel als Mensch auch hat.
Doch das merkwürdigste an ihr sind ihre
Schuppen.
Sie scheinen keine erkennbare Farbe zu haben,
doch sobald sie ein Sonnenstrahl trifft, blitzen sie in den unterschiedlichsten
Farben auf ... wie ein seltener Kristall.
"Aber warum haben wir sie vorhin nicht auch
schon gesehen?" fragt der König beeindruckt.
"Das ist die andere Seite der Medaille. Sie
ist die einzige Drasmen die völlig unsichtbar sein kann." Antwortet
ihm Valyx
"Erstaunlich!" meint Erwin fasziniert, während
er immer noch wie gebannt auf Lyriel starrt.
Die nächsten Geschichten für den
Winter waren gesichert.
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