Stöhnend griff sich Merak an die rechte
Schläfe. In seinem Kopf hämmerte ein unvorstellbarer Schmerz.
Was war passiert? Er setzte sich vorsichtig
auf und versuchte seine Erinnerungen zu ordnen.
Am Morgen hatten er und sein Vater sich auf
den Weg gemacht um zu jagen, aber was war dann passiert...? Er wusste es
nicht mehr.
Beim Gedanken an seinen Vater fing Merak an
seine Umgebung näher zu untersuchen.
Er sah sich um und stellte fest, dass er sich
in einem unterirdischen Verlies befinden musste, da die Wände aus
einer Mischung fester Erde und Gesteinsbrocken bestanden. Eine große
Tür war in der Mitte der Zellenwand eingelassen.
Außer ihm war niemand hier und auch
der Gang vor seiner Zelle war verlassen, wie er durch ein kleines Gitterfenster
in der Tür sehen konnte.
Er rüttelte an dem Griff, aber nichts
passierte.
Panik stieg in ihm auf, er merkte wie seine
Finger zitterten und seine Knie nachgaben, so ließ er sich neben
der Tür zu Boden sinken und vergrub das Gesicht in den Händen.
Vor etwa drei Zyklen*
war er zusammen mit seinen Eltern Tonil und Amila und seiner kleinen Schwester
Fina in das Welnoktal gezogen. Eigentlich wohnten dort nur Zwerge, aber
die schlechte Arbeitssituation in den großen Menschenstädten
ließ Tonil keine Wahl.
Wenn er weiterhin seine Familie versorgen
wollte, dann musste er jede Arbeit annehmen, die er bekam. Und so nahm
er das Angebot eines Zwerges an in dessen Silbermine zu arbeiten.
Es war eine harte Arbeit in den engen Stollen,
aber er arbeitete gut. Die Zwerge waren zufrieden und legten ein wenig
ihres Misstrauens ab.
Und dann kam dieser Tag, als Merak und sein
Vater zur Jagd aufbrachen.
Sie packten ihre Bögen und Köcher
mit Pfeilen in den Wagen und fuhren los. Merak war in diesem Jahr 16 geworden
und durfte seinen Vater endlich auf der Jagd begleiten, während Fina,
die erst acht Jahre alt war, mit der Mutter daheim alles vorbereitete um
die erlegten Tiere zu verarbeiten.
Sie fuhren eine Weile durch den Wald, als
sich vor ihnen eine Lichtung öffnete, auf der Tonil anhielt.
Er horchte und blickte sich nervös um.
Dann hörte auch Merak etwas, ein Geräusch wie splitternde Äste.
Der Boden erzitterte merklich und noch bevor
Tonil den Wagen wenden konnte, zerbarsten die Bäume auf der linken
Seite und etwas Riesiges bahnte sich seinen Weg auf die Lichtung.
Er griff nach seinem Bogen und zerrte einen
Pfeil aus dem Köcher, doch bevor er diesen abschießen konnte,
traf ihn eine große Faust und schleuderte ihn vom Wagen.
Merak saß da wie gelähmt und blickte
in das Furchterregende Gesicht eines... Trolls!
Mit einem Schrei sprang Merak auf... er erinnerte
sich nun an alles... sein Vater, lebte er noch?
War er hier? Tausend Fragen explodierten in
seinem schmerzenden Schädel, während er sich mit den Handflächen
die Stirn hielt.
Ein großer hässlicher Waldtroll
hatte ihn hierher verschleppt, warum, das war ihm nicht ganz klar, aber
wahrscheinlich war der Troll auch auf der Jagd gewesen und er war ihm zur
Beute geworden.
Während Merak noch nachdachte, was er
nun tun sollte, merkte er nicht, wie sich etwas im anderen dunklen Teil
der Zelle bewegte. Etwas schlich sich, dicht an die Wand gepresst, an ihn
heran. Nur etwa ein halber Meter trennten die beiden noch voneinander,
als plötzlich donnernde Schritte auf dem Gang zu hören waren.
Merak schnellte herum und starrte in das schmutzige
Gesicht eines Elfen, der ihn misstrauisch ansah.
"Schnell", zischte der Elf, "komm mit." Mit
diesen Worten rannte er zurück in den dunklen Teil der Zelle und deutete
Merak an ihm zu folgen.
Draußen auf dem Gang waren die Schritte
nun verstummt und das Klirren von Schlüsseln drang in die Zelle.
Merak schaute zur Tür und wieder zum
Elfen.
Dann rannte er los, der Elf fuchtelte erregt
mit den Händen, die Tür öffnete sich langsam, Merak hatte
den Elfen fast erreicht, nur noch wenige Schritte und dann - stolperte
er und fiel der Länge nach hin...
Zwei Trolle betraten den Raum...
Sie unterhielten sich und bemerkten Merak
nicht sofort. Das nutzte der Elf aus; er packte ihn am Arm und zog ihn
zu sich. Die Trolle hörten das schleifende Geräusch, als Merak
über den Boden gezogen wurde und schauten herüber, aber im gleichen
Augenblick warf der Elf seinen Mantel über sich und Merak und sie
pressten sich an die Wand.
Merak hatte schon von den Fähigkeiten
der Elfen gehört, von ihrer Eleganz und ihrer Überlegenheit,
aber er war noch nie einem begegnet. Es hieß, die Elfen würden
in den Bergwäldern leben und wenn sie es nicht wollten, dann könne
sie niemand entdecken. Auch dieser Mantel musste solch eine Funktion haben,
denn die Trolle liefen ganz aufgeregt vor ihnen herum und brüllten.
Scheinbar konnten die Biester sie nicht sehen, waren sie unsichtbar?
Oder passte der Mantel sich nur an die Umgebung
an?
Und doch mussten sie aufpassen, dass die Trolle
sie nicht in ihrer Aufregung niedertrampelten. Die Trolle begannen die
Wände abzutasten um eventuelle Fluchttunnel zu entdecken.
Sie kamen immer näher, von rechts und
von links. Dabei gaben sie in der Mitte einen geeigneten Fluchtweg frei,
der direkt zur halbgeöffneten Tür führte.
Aber würden sie schnell genug sein, bevor
die Trolle ihren Schreck überwunden hätten, und würden
die Kreaturen sich überhaupt erschrecken?
Ihnen blieb nicht mehr viel Zeit, die tastenden
Pranken kamen immer näher.
Merak sah zu dem Elfen, dieser musterte durch
einen Schlitz im Stoff die beiden Trolle. Er bemerkte, wie sich die zarte
Hand des Elfen um einen kleinen Stein schloss. Was hatte er vor?
Merak hielt die Luft an, bestimmt wollte er
die Trolle in eine andere Richtung locken. Der Elf schob die Hand unter
dem Umhang hindurch und mit einer schnellen Bewegung schleuderte er den
Stein ... an den Kopf des rechten Trolls. Merak riss die Augen vor Schreck
weit auf und sah den Elfen an, der weiterhin die Trolle im Auge behielt.
Der getroffene Troll brüllte und wirbelte
mit einer Geschwindigkeit herum, die Merak ihm nie und nimmer zugetraut
hätte. Er sah sich um und als er niemanden entdecken konnte, außer
seinen Kameraden, verfinsterte sich seine Miene und er hieb dem anderen
Troll mit der Faust auf den Hinterkopf. Dieser taumelte nach vorne und
prallte gegen die Wand. Erdbrocken fielen von der Decke hinab. Die beiden
Trolle begannen miteinander zu ringen und das war die große Chance
zu entkommen, die einzige Chance.
Merak und der Elf sprangen auf und flitzten
durch die kämpfenden Giganten hindurch, die keinerlei Notiz von ihnen
nahmen.
Merak folgte dem Elfen durch die Tür,
dann bogen sie in den nächsten Gang rechts ab, scheinbar ohne zu wissen,
welcher Weg der richtige war. Aber der Elf lief, als kenne er den Weg.
"Bleib stehen", rief Merak, "wo laufen wir
denn hin?"
Der Elf blieb kurz stehen und sah Merak verständnislos
an.
"Folge mir, ich finde den Ausgang, ich rieche
den Wald...!" Mit diesen Worten sprang er wieder los und Merak versuchte
ihm zu folgen, aber der Abstand zwischen den beiden vergrößerte
sich zunehmend.
Merak blieb keuchend stehen, er versuchte
dem Elf hinterher zu rufen, aber seine Stimme versagte.
Nun war er alleine und es war unheimlich still.
Was sollte er tun? Sollte er alleine nach seinem Vater suchen? Was, wenn
dieser gar nicht mehr am Leben war? Bei dem Gedanken lief ihm ein Schauer
über den Rücken.
Schließlich ging er weiter, den endlosen
Gang entlang.
Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er sich
durch die breiten Tunnel schlich.
Er trat in den nächsten Gang, in dem
sich mehrere Türen befanden.
Er ging näher heran, als er Stimmen hörte.
Es waren keine dröhnenden Trollstimmen, sondern hohe kratzige Stimmen,
die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließen. Eine Tür war
nur angelehnt und Merak konnte einen Blick in einen großen Raum erhaschen.
Einige kleine gebückte Gestalten mit
schuppiger Haut und scharfen Klauen arbeiteten an breiten Tischen, aber
Merak konnte nicht genau erkennen, was sie taten und wer sie waren, da
sie alle am Tisch mit dem Rücken zu ihm standen. Solche Kreaturen
hatte er noch nie gesehen, dann wurde sein Blick durch eine Bewegung und
seltsame Geräusche über ihm abgelenkt.
Er sah hoch und ein Schrei wollte seiner Kehle
entweichen, aber stattdessen gab er nur ein gurgelndes Geräusch von
sich, während sich seine Augen weit öffneten.
An der Decke hingen unzählige Körper,
alle waren in schmutzige Leintücher gewickelt und dann verschnürt.
Einige waren scheinbar tot, aber andere bewegten sich noch und gaben seltsame
dumpfe Töne von sich.
Nun konnte Merak auch erkennen, was die kleinen
Kreaturen an dem Tisch machten.
Sie zerteilten die Körper und trennten
das Fleisch von den Knochen.
Merak war hier in ein widerwärtiges Schlachthaus
geraten und wollte nur noch weg.
Als er sich gerade umdrehen wollte um weiter
nach seinem Vater zu suchen, kam ihm ein schrecklicher Gedanke...!
Was wäre denn, wenn sein Vater ebenfalls
dort im Raum unter der Decke hing oder vielleicht sogar schon...!
Er konnte den Gedanken nicht zu Ende denken,
so sehr erschrak er bei der Vorstellung, sein Vater sei von Trollen verspeist
worden.
Merak hielt sich an der feuchten Wand fest,
er atmete schwer und ein leichter Schwindel umgab ihn, aber auch ein anderes
Gefühl überkam ihn... unbändiger Hass!
Hass auf diese widerwärtigen Kreaturen,
Hass auf ihre kleinen Helfer und Hass auf den Elfen, der ihn hier zurückgelassen
hatte.
Sein Blick verfinsterte sich immer mehr, während
er sich nach einer Waffe umsah.
Er erblickte in einer Nische, wenige Meter
weiter im Gang, einige Tonsplitter, wohl kaputtes Geschirr.
Zwei große Scherben hob Merak auf und
umklammerte sie so fest, dass seine Handflächen zu bluten begannen,
aber er spürte den Schmerz nicht.
Er schlich sich langsam zu der offenen Tür
zurück und blickte hinein. Die Kreaturen begannen gerade damit einen
neuen Körper von der Decke zu lassen, indem sie eins von vielen Seilen,
die an der Wand befestigt waren, lösten und den zappelnden Leintuchsack
nicht unbedingt sanft herunterließen. Sie rissen ein Loch in das
Tuch und zerrten einen Mann heraus, der mit vor Angst hervorquellenden
Augen um sich schlug.
Jetzt konnte Merak erkennen, dass die Opfer
auch alle geknebelt waren und als der Knebel entfernt wurde, wusste er
auch warum.
Der Mann schrie und flehte die Kreaturen an
ihn zu verschonen, aber diese lachten nur höhnisch und stimmten einen
kreischenden Singsang an, während sie ihn auf den Tisch schmissen:
"Egal ob lebend oder tot,
dich gibt’s heut zum Abendbrot!
Dein’ Frau und Kinder werden schmecken,
sie werden gleich morgen nach dir verrecken.
Menschen, Elfen, Zwerge, Feen
werden schon gar balde sehn,
wer die wahren Herrscher sind
und dann weiß es jedes Kind,
dass die Trolle und dergleichen
niemals von der Erde weichen,
sondern wieder herrschen werden
unter und auch über Erden!"
Merak wusste nicht, ob dieses grässliche
Gedicht noch mehr Verse hatte, aber am heutigen Tage sollte das auch niemand
mehr erfahren, denn der stolze Redner brach mit einer großen Tonscherbe
im Rücken in sich zusammen.
Die anderen Kreaturen schrieen auf und funkelten
Merak aus ihren kleinen hässlichen Augen böse an.
Merak hielt die zweite Scherbe in die Höhe,
während er sich eines der Fleischermesser vom Tisch griff.
Einer war tot, aber ihm gegenüber standen
nun noch vier andere dieser hässlichen schuppigen Biester, die sich
langsam um ihn verteilten um ihn von mehreren Seiten anzugreifen.
Der erste Angriff kam von rechts, doch Merak
konnte diesen schnell beenden, indem er die zweite Scherbe in die Richtung
des Angreifers schleuderte. Das Biest wurde von der Wucht des Aufpralls
zurückgeschleudert, schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf und rührte
sich nicht mehr.
Die restlichen drei waren nun vorsichtiger
geworden und scheinbar gar nicht mehr so siegessicher.
Plötzlich machte Merak einen Schritt
nach vorne und hieb mit dem langen Fleischermesser zu. Die Biester schrieen
erschrocken auf und sprangen zurück, aber der Menschenjunge schien
niemanden getroffen zu haben.
Doch dann sackte die Kreatur vor Merak mit
aufgerissenen Augen in die Knie und fiel nach vorne.
Der Kopf der Bestie rollte auf seine Artgenossen
zu, die nun, da sie nur noch zu zweit waren, den Mut verloren und wild
kreischend durcheinander liefen.
Merak nutzte die Aufregung und stürzte
sich auf die Kreaturen.
Einige Messerhiebe später lag eins der
Biester blutend am Boden, während der zweite versuchte den Tisch mit
den Messern zu erreichen.
Doch bevor er dort ankam, durchzog ein Surren
den Raum und ein anderes Messer traf ihn und warf ihn zu Boden. Merak sah
sich verdutzt um, denn das Messer, das die Kreatur getötet hatte,
war anders als die klobigen Fleischermesser, es hatte einen weißen
schlanken Griff.
In der Tür stand der Elf.
Er war nicht mehr schmutzig, sondern wunderschön
und sauber. Ein grüner Umhang bedeckte seine weiße Kleidung,
die ein helles Licht ausstrahlte und diesem tristen Raum eine gewisse Wärme
verlieh.
Sie wechselten nicht viele Worte, der Elf
half ihm schnell, die übrigen Körper von der Decke zu lösen.
Hastig zerschnitt Merak einige Leintücher
und legte Menschen, aber auch Elfen frei - alle lebten!
Scheinbar verzehrten die Trolle ihre Nahrung
gerne frisch, daher wuchs die Hoffnung in Merak, dass auch sein Vater noch
am Leben sein könnte.
Er zerschnitt weitere Tücher und - fand
seinen Vater. Er gab kein Lebenszeichen von sich, aber er atmete schwach.
Meraks Herz machte einen Satz vor Freude,
aber gleichzeitig wusste er, dass sie hier erst noch herausfinden mussten.
Er sah zu den Elfen, die sich nun alle um
Meraks Zellengenossen versammelt hatten. Sie winkten den Menschen ihnen
zu folgen und diesmal eilten sie nicht so schnell davon. Zwei kräftige
Elfen hatten eine Trage gefertigt, auf der Sie Meraks Vater trugen.
Sie kamen recht weit, ohne dass ihnen jemand
begegnete, doch dann hörten sie von vorne lautes Gebrüll.
Als sie um die nächste Ecke bogen, konnten
sie einen schwachen Lichtschein wahrnehmen, das musste der Ausgang sein,
aber woher kam dieses Gebrüll?
Doch die Elfen schienen den Grund zu kennen
und erhöhten das Tempo.
Sie eilten weiter und erreichten schließlich
wirklich den Ausgang, wo sich ihnen ein grausames Bild bot.
Auf einem Felsvorsprung sah Merak etwa zwei
Dutzend Elfenkrieger, die eine Pfeilsalve nach der anderen auf die heranstürmenden
Trolle niedergehen ließen. Die Kreaturen stürmten auf den Vorsprung
zu, aber die Elfen waren mit ihren Bögen klar im Vorteil und so fielen
die Trolle einer nach dem anderen. Merak und die anderen konnten gefahrlos
entkommen, während die Bogenschützen den letzten Troll niederstreckten.
Sie rannten in den Wald, auf einer Lichtung
trafen sie auf die Schützen und gemeinsam eilten sie weiter, bis sie
aus dem Wald herauskamen.
Ringsherum waren Felder und Wiesen; Merak
atmete zum ersten Mal richtig auf und genoss die wohlriechende Luft.
Dort trennten sich die Menschen von den Elfen
und kehrten in ihre Dörfer zurück.
Nur Merak und Tonil durften die Elfen begleiten,
wegen der scheinbar schweren Verletzung des Vaters.
Die Elfen legten die Handflächen wie
Trichter an die Münder und erzeugten einen hellen Ton, der wie Pfiff
und Ruf gleichermaßen klang. Im selben Augenblick kam eine Herde
weißer Pferde über einen nahen Hügel galoppiert und hielt
auf die Gruppe zu.
Es waren Elfenpferde, für jeden eines
und Merak durfte bei seinem Zellengenossen mit reiten, während sein
Vater in einen kleinen Wagen gelegt wurde, den eines der Pferde zog.
Es schien, als hätten die Elfen schon
gewusst, dass sie heute einen Verletzten transportieren müssten.
Meraks Bewunderung für diese eleganten
Geschöpfe stieg und er fragte sich, welche Macht wohl hinter dem Geheimnis
der Perfektion der Elfen stand.
Sie ritten eine Weile, bevor sie dann vor
einem Wald stoppten. Merak wurden die Augen verbunden, dann ging es weiter.
Die Elfen waren ein starkes und majestätisches
Volk, aber ihr Vertrauen gegenüber anderen Völkern war nicht
sehr groß, daher fühlte Merak sich geehrt, dass sie die Heimstätte
der Elfen sehen durften.
Merak kam es vor wie eine Ewigkeit, als sie
endlich anhielten und abstiegen. Sie lösten die Augenbinden und Merak
stockte der Atem.
Er befand sich in einer Burg aus purem Gold,
jedenfalls kam es ihm im ersten Moment so vor. Hohe Festungsmauern umragten
den Innenhof, in dem sie gehalten hatten, und auf den Zinnen und Türmen
standen ungewöhnlich viele Bogenschützen.
Ein großer kräftiger Elf kam eine
Treppe hinunter und hielt genau auf die Ankömmlinge zu. Er begrüßte
jeden der Gefangenen freudig mit einer Umarmung und stand dann vor Merak.
Lächelnd beugte er sich hinab und sah den Jungen mit seinen strahlendblauen
Augen an. Merak konnte dem Blick nicht standhalten und sah zu Boden, aber
der Elf legte einen Finger unter sein Kinn und hob es wieder an.
"Leg Deine Scheu ab, hier seid ihr willkommen",
sagte der Elf und richtete sich wieder auf.
"Mein Name ist Ethaniel, ich bin der Heerführer
der Elfen des Nordwalds. Wenn du nicht gewesen wärst, hätte ich
meine Brüder vielleicht nie wieder gesehen."
Er deutete auf die Gruppe von Elfen, die Merak
und der andere Elf befreit hatten.
Im Hintergrund konnte Merak sehen, dass sein
Vater in die Burg getragen wurde. Ethaniel hatte seinen Blick bemerkt und
legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter.
"Es wird sich gut um ihn gekümmert, mache
dir keine Sorgen!"
Sie gingen ebenfalls in das Gebäude und
dann in einen großen Saal, wo Merak ein festliches Mahl erwartete.
Er war so ausgehungert, dass er all seine Scheu ablegte und kräftig
zulangte.
Als er sich satt und zufrieden zurücklehnte,
kam Ethaniel zurück und setzte sich ihm gegenüber.
Er sah ihn eindringlich an und sagte: "Es
macht mich traurig, dass ihr in einer solch dunklen Zeit unsere Hallen
betretet. All das Musizieren und die Feste wurden untersagt, bis die Bedrohung
zerschlagen ist. Diese Hallen strahlen nicht mehr."
Betrübt ließ er den Blick durch
die Halle schweifen.
Merak wollte ihm gerade widersprechen und
ihm sagen, wie wunderschön er alles hier empfand, als ein Horn ertönte
und im nächsten Augenblick erzitterte die Feste in seinen Grundmauern.
Alle sprangen auf und eilten zum Ausgang, während Ethaniel den erschrockenen
Merak packte und ihn durch einen anderen Gang führte, der sie genau
auf die Zinnen brachte.
Als Merak von dort oben hinabsah, wurde er
bleich und verlor kurzzeitig das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam,
sah er Ethaniel auf den Zinnen stehen und einen Pfeil nach dem anderen
in die Tiefe schicken.
Er stand auf und blickte erneut über
die Zinnen.
Dort unten stand eine riesige Trollarmee mit
Rüstungen und Waffen, außerdem hatten sie noch Katapulte und
Rammböcke dabei.
Einer dieser Rammböcke stieß in
diesem Moment an das Tor und Merak wurde von der Erschütterung zu
Boden gerissen. Die Elfen allerdings standen fest und trotzten den bebenden
Steinen.
In diesem Moment wurden die Katapulte abgefeuert
und riesige Felsbrocken flogen auf die Zinnen zu. Ethaniel wich dem Brocken
geschickt aus, während zwei andere Elfen nicht soviel Glück hatten
und von einem Felsen weggeschleudert wurden.
Einer der Brocken traf das Tor und fügte
diesem einen breiten Riss zu, allerdings immer noch zu klein für einen
Troll.
Da ertönte ein weiteres Horn und plötzlich
zogen sich die Trolle zurück.
Sie verschwanden im angrenzenden Wald und
bald war von ihnen nichts mehr zu hören.
Die Elfen begannen sofort mit den Reparaturen,
keiner schien sich zu wundern über den plötzlichen Rückzug
der Trolle. Merak fragte Ethaniel nach dem Grund und dieser antwortete:
"Wir wissen nicht, warum sie sich zurückzogen,
aber wir wissen, dass sie wiederkommen werden und wir werden sie erwarten."
Mit diesen Worten eilte er die Treppen hinunter
zum Innenhof und erteilte Anweisungen. Plötzlich öffnete sich
ein kleineres Tor auf der Rückseite der Burg und einige Reiter kamen
hinein. Sie wirkten aufgeregt - das sah man bei Elfen wirklich selten.
Merak eilte auch hinab um nachzusehen, als
er Ethaniels finstere Miene sah, wusste er, dass es durchweg schlechte
Neuigkeiten waren.
"Was ist passiert?" fragte Merak und sah den
Heerführer fragend an.
"Die Trolle überrennen das Land", antwortete
dieser, "sie haben schon etliche Menschendörfer im Osten und Westen
zerstört und nun sind sie auf dem Weg nach Norden zu uns. Deshalb
sind die Trolle abgerückt, um sich der Armee anzuschließen."
"Meine Mutter und meine Schwester sind auch
dort draußen im Welnoktal!" Merak fühlte wie ihm schlecht wurde
als er diese Worte sprach. Der Gedanke daran seine Mutter und Fina in den
Fängen der Trolle zu sehen ließ ihn würgen.
Ethaniel legte ihm eine Hand auf die Schulter
und rief dann:
"Sendet Boten aus zu allen Verbündeten
und warnt die Menschen in den Dörfern, besonders im Welnoktal! Wir
werden uns dieser Armee auf den Helldornfeldern entgegenstellen. Bereitet
alles zum Verlassen der Burg vor."
Merak sah erstaunt und erleichtert auf. Alles
würde gut werden.
Am nächsten Morgen waren alle Elfen frühzeitig
abreisefertig und schon bald machte sich eine große Reiterkette auf
den Weg zu den Helldornfeldern.
Sie ritten schon einen halben Tag dahin, als
sich zwei weitere Elfensippen dem Heer anschlossen, und als sie schließlich
die Felder erreichten, war das Heer auf etwa 5000 Elfen angewachsen.
Vom Feind war noch nichts zu sehen, von weiteren
Verbündeten ebenso wenig. Am nächsten Morgen wurde Merak durch
mehrere Hornstöße geweckt. Er sprang auf und rannte aus dem
Zelt. Von vorne kam eine große Armee auf sie zu. Den Anführer
erkannte Merak, es war einer der Männer, den er aus dem Leinensack
geschnitten hatte. Er führte die Menschen des Nordens und bot den
Elfen seine Hilfe an.
Ethaniel freute dieses Angebot sehr und so
wuchs die Armee um 1300 Männer.
Doch diese Armee von 6300 Menschen und Elfen
war der Trollarmee immer noch um ein Vielfaches unterlegen. Den Spähern
zufolge kamen ungefähr 15000 Trolle auf sie zu und würden in
etwa drei Stunden eintreffen.
Schon nach zwei Stunden wurde eine Staubwolke
am Horizont sichtbar. Ethaniel rief alle Kämpfer auf das Schlachtfeld
und begann:
"Bei Erinor! Lasst uns heute in die Schlacht
ziehen! Vielleicht ist dies die letzte Schlacht der Elfen, vielleicht wird
das Dunkle das Land überfluten. Aber wir werden alles Erdenkliche
tun um unser Land, das wir uns mit den Menschen und all den Anderen teilen,
zu schützen! Heute entscheidet sich das Los über die Zukunft
dieses Landes, über Tag oder Nacht über Gut oder Böse. Heute
werden Helden geboren, lasst uns die Kreaturen in die Dunkelheit zurücktreiben,
der sie entstiegen sind!
Kämpft Elfen, Kämpft Menschen. Kämpft!"
Mit diesem Ausruf preschte Ethaniel los, auf
die sehr nah gekommene Armee der Trolle zu. Er zog sein Schwert und verschwand
in den Reihen der Kreaturen. Mit lautem Gebrüll stürzten die
Elfen und Menschen Seite an Seite auf die Übermacht zu, wohl wissend,
dass dies wohl ihre letzte Schlacht sein würde.
Die Armeen prallten aufeinander und ein entsetzliches
Gemetzel begann. Schwerter blitzen auf und riesige Keulen dezimierten die
Reiter.
Ethaniel wich geschickt einer Trollkeule aus
und hieb im Gegenzug dem Angreifer mit seinem Schwert die Hand ab, die
Keule flog im hohen Bogen davon und traf einen anderen Troll, der sofort
zu Boden ging.
Die Bogenschützen ließen wahre
Pfeilhagel in die Menge fliegen, aber sie trafen nur den Feind, eine weitere
Kunst der Elfen.
Plötzlich mitten im Getümmel ertönten
weitere Hörner, von beiden Seiten brandeten kleine Zwergenarmeen in
die Schlacht hinein und fällten die Trolle mit ihren Äxten.
"Denkt ihr wirklich, wir lassen euch allen
Ruhm?" brüllte einer der Zwerge und grinste Ethaniel breit an, bevor
er einem weiteren Troll in die breiten Füße hieb.
Gegen die kleinen Zwerge waren die Trolle
machtlos, da sie zu klein und flink waren und schon bald war das Heer des
Guten in der Überzahl und die Trolle begannen zu fliehen. Ethaniel
und sein Heer setzten ihnen nach und ließen keinen am Leben, das
Land war damit von einer großen Plage befreit. Alle Trollhöhlen
wurden ausgebrannt und auch die letzten verbliebenen Trolle samt ihren
kleinen Gehilfen kamen dabei ums Leben. Das Land blühte auf, alle
Völker setzten sich zusammen und schlossen ein Bündnis, das ein
Leben lang halten sollte.
Meraks Familie lebte nun Seite an Seite mit
den Elfen, Merak und Fina wuchsen heran und lernten von den Elfen. Merak
erlernte das Kämpfen, während seine Schwester sich für die
Heilkunst begeisterte. Doch keiner der beiden ahnte, wie bald Sie ihre
neuen Fähigkeiten
einsetzen mussten, aber das ist eine andere
Geschichte.
* ein Zyklus = 35 Tage
© D.
C. Niele
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse
bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
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