.
Diese Geschichte wurde von den Drachental-Besuchern
zur besten Fantasy-Story 2004 im Drachental gewählt!

Nächtliche Besucher von Ryanthusar

Die Nacht senkte sich langsam über Avebury, einem malerischen Örtchen im Süden Großbritanniens. Der Ort an sich war ziemlich unbekannt, jedoch lag er in unmittelbarer Nähe von einer der bekanntesten und magischsten Stätten dieser Welt – Stonehenge.

Steven Galloway schaute nach oben, wo der heutige Vollmond noch von einer dicken Wolkenschicht verdeckt wurde. Er befand sich gerade auf dem Weg nach Stonehenge, wie er es in letzter Zeit häufiger machte. Mit dem Fahrrad war es nur ein kurzer Trip.

Der 19-jährige Steven liebte es, besonders nachts nach Stonehenge zu fahren. Zwar war diese Touristenattraktion zu dieser Zeit geschlossen, aber dafür gab es keine Besucher, die ihn in seiner Konzentration störten. Und die Umzäunung war für ihn kein Hindernis. Meist kletterte er einfach über den Maschendrahtzaun und betrat den Steinkreis, obwohl dies nicht erlaubt war. Aber im Inneren von Stonehenge fühlte er sich einfach besser, denn dort konnte er die Energie dieses Ortes noch intensiver spüren. Dort konnte er meditieren, seinen Gedanken nachhängen oder auch einfach nur die Seele baumeln lassen.

Diese Stätte zog ihn magisch an. Das Gefühl war unterschiedlich stark. Heute zum Beispiel hatte er den ganzen Tag schon den Drang verspürt, nach Stonehenge zu fahren. Die Anziehungskraft war einfach überwältigend gewesen. Als er den Hügel oberhalb des Steinkreises erreichte, riss plötzlich die Wolkendecke auf und der Vollmond tauchte die mächtigen Monolithen in einen märchenhaften Schein.

Verzaubert von diesem Anblick hielt Steven auf der Hügelkuppe an. Er lehnte das Fahrrad an einen Zaun, setzte sich ins Gras und ließ dieses Bild auf sich wirken. Allein für diesen Anblick hatte sich die Fahrt hierher schon gelohnt.

Noch während er gedankenversunken auf Stonehenge hinunterblickte, geschah etwas Seltsames. Innerhalb des Kreises erschien aus dem Nichts eine Kugel aus Licht. Anfangs war sie kaum zu erkennen, so dass Steven zunächst an eine optische Täuschung glaubte. Aber langsam wuchs die Lichtkugel, bis sie schließlich den gesamten Steinkreis ausfüllte. Die Lautlosigkeit, mit der dieser Vorgang ablief, wirkte irgendwie irreal auf Steven.

Er starrte gebannt auf Stonehenge hinunter, wo das Innere der Stätte nun völlig von der Lichtkugel ausgefüllt wurde. Plötzlich bildeten sich im Inneren der Kugel Konturen und ein gewaltiges Wesen trat aus der Lichterscheinung heraus. Es trat beiseite und verließ den Steinkreis. Es folgten ein zweites und schließlich noch ein drittes Wesen. Steven traute seinen Augen nicht. Bei den Wesen handelte es sich um drei riesige Drachen.

Sie standen jetzt außerhalb des Steinkreises und schauten sich nach allen Seiten um. Die Drachen hatten eine unterschiedliche Färbung. Der eine war feuerrot, der zweite war grün und der dritte fast schwarz. Wie auf ein Zeichen erhoben die drei majestätischen Wesen sich in die Luft und flogen in unterschiedliche Richtungen davon. Gleichzeitig wurden sie fast durchsichtig und waren kaum noch zu erkennen. Nur ein immer leiser werdendes Flügelschlagen gab einen Hinweis auf ihre Existenz. Die Lichtkugel im Inneren von Stonehenge schrumpfte und verschwand.

An Meditation war nun nicht mehr zu denken. Steven beschloss, oben auf dem Hügel zu bleiben und das Geschehen weiter heimlich zu beobachten. Eine innere Stimme sagte ihm, dass er gerade eine große Sache entdeckt hatte. Wenn es sich soeben nicht um eine Halluzination gehandelt hatte, dann war er gerade Zeuge dafür geworden, dass Drachen tatsächlich existierten. Diese drei, die er vorhin gesehen hatte, waren in seinen Augen wunderschön. Obwohl er sie nicht lange hatte betrachten können, sah er sie noch klar und deutlich vor seinem inneren Auge - den feuerroten, den grünen und den schwarzen Drachen. Ihre Schuppen hatten im Mondlicht gefunkelt und geglänzt, kurz bevor sie losgeflogen waren. Und erstaunlicherweise hatten sie trotz ihrer Größe überhaupt nicht bedrohlich auf Steven gewirkt. Diese Wesen vermittelten ihm einen völlig anderen Eindruck als die Ungeheuer, wie die Drachen in Filmen und Büchern häufig dargestellt wurden.

Während Steven über die Drachen nachdachte, verstrichen die Stunden. Als er auf seine Uhr schaute, stellte er überrascht fest, dass es schon nach Drei war. Er hatte gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen war. Von den Drachen war noch immer nichts zu sehen. Er überlegte zum wiederholten Male, ob er hinuntergehen sollte, aber er konnte sich nicht dazu durchringen. Trotz allem hatte er ein wenig Angst, denn er wusste nicht, was passieren würde, sollten die Drachen ihn entdecken.

Plötzlich hörte er ein Geräusch, welches er schnell als Flügelschlagen identifizierte. Gebannt starrte Steven wieder auf die Monolithen. Am Himmel wurden die Drachen wieder sichtbar und landeten außerhalb von Stonehenge. Wieder schauten sie sich aufmerksam um. Der Feuerrote schaute besonders lange in Richtung des Hügels, auf dem Steven das Geschehen beobachtete, so dass er schon befürchtete, entdeckt worden zu sein. Schließlich aber drehten sich alle drei zum Steinkreis um, in dessen Inneren wieder die Lichtkugel erschien und so lange wuchs, bis der gesamte Kreis wieder von ihr ausgefüllt wurde.

Nacheinander traten die Drachen in das Licht und verschwanden. Die Lichtkugel schrumpfte wieder und entmaterialisierte in völliger Lautlosigkeit. Steven blieb noch einen Augenblick wie erstarrt im Gras liegen. Dann allerdings gab es kein Halten mehr. In Rekordzeit war er unten, über den Zaun und im Inneren von Stonehenge. Nichts deute darauf hin, dass hier soeben drei riesige Drachen hineingelaufen und verschwunden waren. Auch auf dem Grasboden waren keinerlei Abdrücke zu finden, obwohl diese riesigen Wesen doch welche hätten hinterlassen müssen. Da Steven auch nach längerer Suche keine Spuren finden konnte, machte er sich wieder auf den Weg nach Hause. Während der Heimfahrt fasste er den Entschluss, mehr über diese rätselhafte Geschichte herauszufinden. Zu Hause angekommen schlief er mit den Gedanken an die Drachen, die er gesehen hatte, ein.

In den darauffolgenden Tagen fuhr Steven jeden Abend nach Stonehenge und verbrachte dort fast die ganze Nacht, immer in der Hoffnung, noch einmal die Drachen zu sehen. Doch ein ums andere Mal war sein Besuch umsonst. Steven fragte sich schon, ob der ganze Vorfall nur in seiner Einbildung existierte, als in der Neumondnacht erneut die Lichtkugel im Inneren von Stonehenge erschien. Er beobachtete wieder aus der sicheren Deckung des Hügels heraus, wie die drei Drachen nacheinander erschienen, aus der Lichtkugel heraustraten und diese verschwand, bevor die Drachen wieder davonflogen. Wie beim letzten Mal kehrten sie zum Ende der Nacht zurück und verschwanden wieder im Inneren der Lichtkugel. Nachdem diese wieder im Nichts verschwunden war, untersuchte Steven noch einmal das Innere des Steinkreises. Doch so sehr er sich auch bemühte, es waren keinerlei Spuren zu finden, die als Beweis für das Erscheinen der Drachen verwendbar gewesen wären.

Nachdenklich fuhr Steven wieder nach Hause. Unablässig kreisten seine Gedanken um die Drachen und was er jetzt machen sollte. Die Drachen waren nun zwei Mal erschienen, an Vollmond und an Neumond. Ob das irgendetwas zu bedeuten hatte? In den folgenden Tagen besorgte sich Steven so viel Literatur wie möglich über Stonehenge. Er arbeitete sich durch wissenschaftliche ebenso wie durch triviale Literatur, er las Aufsätze, Artikel in Zeitungen und Zeitschriften, aber auch Science Fiktion Romane, die sich mit Stonehenge beschäftigten.

Ihm brummte der Schädel von all den Informationen, doch aufgrund von Übereinstimmungen kristallisierten sich langsam einige Fakten heraus, Stonehenge war ein Ort, der schon in grauer Vorzeit als sehr magisch gegolten hatte. Auch heute noch war viel von dieser Magie zu spüren, was wohl ein Grund dafür sein mochte, dass er immer noch von vielen Menschen aufgesucht wurde. Dies erschien ihm als der wahrscheinlichste Grund, insbesondere wenn er daran dachte, welche Anziehungskraft Stonehenge auf ihn selbst hatte. Ein weiterer Fakt war, dass magische Rituale früher meist in Vollmond- oder Neumondnächten gewirkt wurden, da an diesen Tagen die magische Energie dieser Stätte am größten war. Das Erscheinen der Drachen in genau diesen Nächten schien diese These zu bestätigen.

So vergingen 10 Tage. Ein Blick auf seinen Kalender offenbarte Steven, dass die nächste Vollmondnacht nicht mehr fern war. Es galt, eine Entscheidung zu treffen. Die Drachen faszinierten Steven, er wollte unbedingt herausfinden, was diese Besuche zu bedeuten hatten. Ein vager Plan nahm langsam Gestalt in seinem Kopf an.

Heute war es soweit - es war Vollmond. Den ganzen Tag war Steven unruhig und ziemlich aufgeregt gewesen. Den Anbruch der Nacht hatte er kaum erwarten können. Als es endlich soweit war, hatte er sich auf sein Fahrrad geschwungen und hatte die Strecke zum Hügel oberhalb Stonehenges in Rekordzeit zurückgelegt. Dort versteckte er sich wieder im hohen Gras. Gespannt wartete er darauf, ob die Drachen erneut erscheinen und so die Richtigkeit seiner Vermutungen bestätigen würden.

Die Zeit verging für Steven unendlich langsam, jede Sekunde fühlte sich wie eine Minute an. Doch dann endlich tat sich etwas im Steinkreis. Wie bei den beiden anderen Malen materialisierte sich im Inneren von Stonehenge eine Lichtkugel und dehnte sich aus, bis sie den gesamten Steinkreis ausfüllte. In ihrem Inneren materialisierten nacheinander jeweils drei Drachen und traten aus dem Kreis heraus, um Platz für den nächsten zu machen. Die Lichtkugel schrumpfte und verschwand anschließend, während die Drachen sich in die Luft erhoben, fast unsichtbar wurden und in verschiedenen Richtungen davonflogen.

Das war das Signal für Steven. Nachdem er einige Minuten gewartet hatte, um sicherzugehen, dass die Drachen nicht vorzeitig zurückkehrten, erhob er sich und lief zu Fuß den Hügel hinunter. Er überkletterte den Zaun, der Stonehenge umgab, und begab sich ins Innere des Steinkreises. Dort schaute er sich um, und ging auf einen umgestürzten Monolithen zu. Er umrundete ihn und fand, was er suchte. Auf der einen Seite gab es zwischen Monolith und Erdboden einen breiten Spalt, groß genug, dass ein Mensch unter den gigantischen Stein kriechen und sich dort verstecken konnte.

Steven kroch in den Spalt und ging in Gedanken noch einmal seinen Plan durch. Er hatte vor, auf das Erscheinen der Lichtkugel im Inneren von Stonehenge zu warten. Er hoffte so, indem er sich im Inneren des Kreises befand, wenn die Lichtkugel materialisierte, an den Ort zu gelangen, von dem die Drachen kamen. Diesen Plan hatte er nach reiflicher Überlegung gefasst und war ihn immer wieder durchgegangen. Die Wirklichkeit, hier jetzt versteckt unter dem Monolithen zu liegen, auf die Rückkehr der Drachen und das Erscheinen der Lichtkugel zu warten, waren aber eine andere Sache als seine theoretischen Überlegungen.

Immer wieder kamen Steven Zweifel an der Richtigkeit seines Plans. Mehrmals stand er kurz davor, sein Vorhaben abzubrechen und sein Versteck zu verlassen. Doch jedes Mal siegte seine große Neugier. Getrieben von der Faszination für diese majestätischen Wesen war er bereit, das Risiko auf sich zu nehmen, um dem Rätsel über die Herkunft der Drachen und den Grund ihrer Besuche auf die Spur zu kommen.

Lautes Flügelschlagen ließ Steven hochschrecken. Sein Herz schlug bis zum Hals, so jedenfalls fühlte es sich für ihn an. Er war wohl eingenickt, während er auf die Rückkehr der Drachen gewartet hatte. Stevens Sinne waren bis aufs Äußerste gespannt, jetzt würde sich entscheiden, ob sein Plan zum Erfolg führte.
Im Spalt liegend wartete er aufgeregt auf die weiteren Ereignisse. Er konnte erkennen, wie es im Steinkreis von Stonehenge plötzlich immer heller wurde. Die Helligkeit hielt einige Zeit lang an, dann verblasste sie und verschwand.

Steven hatte nichts gespürt, während er das Licht gesehen hatte, aber irgendein Gefühl sagte ihm, dass sich etwas Wesentliches verändert hatte. Er hörte wieder Flügelschlagen, welches sich immer weiter entfernte. Erleichtert atmete er auf. Zumindest dieser Teil seines Planes war erfolgreich gewesen, denn die Drachen hatten ihn nicht entdeckt. Nun musste er nur noch herausfinden, was sich verändert hatte, wenn er seinem Gefühl trauen durfte.

Aber zunächst ließ er aus Sicherheitsgründen noch einige Zeit verstreichen, ehe er sich aus seinem Versteck traute. Als er sich aus dem Spalt zwängte und umschaute, stockte ihm der Atem. Der Anblick eines völlig intakten Steinkreises, mit einem inneren und äußeren Kreis von unbeschädigten, aufrecht stehenden Monolithen, mit Decksteinen oben drauf, machte ihn sprachlos. So musste Stonehenge einmal ausgesehen haben, so hatte er es auf verschiedenen Bildern gesehen, als er alle möglichen Publikationen nach Informationen über Stonehenge durchforstet hatte. Bei dem Stein, unter dem er hervorgekrochen war, handelte es sich nicht um einen umgestürzten Monolithen, sondern um einen großen liegenden Felsbrocken, der nicht eben auf dem Erdboden auflag.

Als Steven nach oben in den Himmel blickte, traf ihn der nächste Schock. Am Himmel leuchteten zwei Monde, beide in voller Pracht zu sehen. Ein Doppelvollmond? Das musste ein seltener Anblick sein. Steven wurde auf einen Schlag klar, dass er sich nicht mehr an einem ihm bekannten Ort auf der Erde befinden konnte. Sein Plan war geglückt, er war jetzt an einem anderen Ort - an dem Ort, woher die Drachen erschienen waren. Jetzt galt es, mehr herauszufinden und das Rätsel ganz zu lösen.

Sich vorsichtig umblickend trat Steven aus dem vollkommenen Steinkreis heraus und versuchte, sich zu orientieren. Dieses "Stonehenge" lag in einer Senke und war von Anhöhen umgeben, so dass er nicht erkennen konnte, was dahinter lag. Kurz entschlossen marschierte Steven in Richtung des höchsten Hügels, um sich dort einen Überblick zu verschaffen.

Kurz bevor er die Hügelkuppe erreichte, legte er sich ins Gras und kroch das letzte Stück bis oben. Vorsichtig schob er sich nach vorne, bis er etwas erkennen konnte. Was er dann sah, verschlug ihm vollends die Sprache. Direkt hinter der Hügelkuppe war ein steiler Abhang. Steven blickte in einen Felsenkessel hinunter, der wirklich enorme Ausmaße hatte. Auf verschiedenen Ebenen befanden sich in ringförmiger Anordnung Höhleneingänge unterschiedlichster Größe. Vor den Höhleneingängen ragten Felsplattformen nach vorne. Auf jeder Ebene waren die Höhleneingänge durch in den Fels gehauene breite Terrassenwege miteinander verbunden. Die verschiedenen Ebenen waren durch in die Felswände geschlagene Treppenstufen erreichbar.

Am Grund des Felsenkessels brannte ein großes Feuer, um welches sich Menschen und Drachen geschart hatten. Auf den Wegen und Treppenstufen herrschte ein reges Treiben. Steven sah Menschen in unterschiedlichen Altersstufen auf dem Weg nach oben, unten oder in verschiedene Höhlen. Besonders fasziniert war er von den Drachen, die aus diversen Höhleneingängen auftauchten, nach vorne auf die Plattform traten und sich in die Lüfte schwangen. Im Gegensatz zu dem, was er in Stonehenge gesehen hatte, verblasste ihre Gestalt nicht, so dass er sich am majestätischen Anblick der fliegenden Drachen erfreuen konnte.

Steven war vom regen Treiben im Felsenkessel und insbesondere von den fliegenden Drachen völlig fasziniert und so gefesselt, dass er die neben ihm stehende Person erst bemerkte, als diese ihn mit dem Fuß anstupste. Steven drehte sich auf den Rücken und starrte erschrocken den Mann an, der neben ihm stand. Der dunkelhaarige Mann trug eine Art schuppigen Panzer. Über seiner linken Schulter war ein Schwertgriff zu erkennen. Ruhig schaute er auf Steven hinunter und musterte ihn eindringlich. Noch während dieser Musterung begann der Fremde zu lächeln, reichte Steven die Hand und half ihm vom Boden auf.

"Ich bin Tarok von Cerd’amalan. Wer bist du?"

"Äähmm. Ich bin Steven – Steven Galloway."

"Steven Gal’loway? Was machst du hier? Du bist keiner von uns."

"Ja - hmmm - das - äähhhhh - ist eine lange Geschichte ..."

"Du wirst sie unseren Oberen erzählen. Folge mir!"

Mit diesen Worten drehte er sich um und ging in Richtung der nächstliegenden Treppe, die in den Felsenkessel führte. Erstaunlicherweise schaute er sich nicht um, ob Steven ihm folgte. Dieser überlegte kurz, doch nachdem er entdeckt worden war, sah er keinen Sinn darin, jetzt noch wegzulaufen. Steven machte sich daran, Tarok zu folgen, gespannt darauf, wohin dieser ihn wohl führen würde.

Sie erreichten die Treppe und stiegen hinunter. Die Leute, denen sie unterwegs begegneten, grüßten Tarok freundlich und musterten Steven, ohne dabei aber unfreundlich zu wirken. Der eine oder andere schenkte ihm sogar einen Gruß oder ein Lächeln. Tarok führte Steven mehrere Ebenen nach unten, bis etwa zur Mitte des Kessels. Dann wandte er sich nach rechts und folgte dem Weg, der auf dieser Ebene die Höhleneingänge miteinander verband. Vor dem größten Eingang blieb er stehen und wartete, bis Steven, der nicht wusste, wohin er zuerst schauen sollte, zu ihm aufgeschlossen hatte. Zusammen gingen sie hinein.

Der Eingang führte tief in den Fels hinein. In regelmäßigen Abständen befanden sich leuchtende Steine an den Wänden, die ausreichend Licht spendeten. Der Gang endete schließlich in einer großen Kaverne. Von der Ebene, auf der Tarok und Steven in die Kaverne getreten waren, hatten sie einen ausgezeichneten Überblick auf das, was sich über und unter ihnen befand. Die felsige Decke war hoch über dem Boden, es ragten einige Felsnadeln nach unten, ohne aber dem Boden überhaupt nahe zu kommen.

Steven schaute nach unten und sah, dass der Höhlenboden ganz mit Sand bedeckt war. Dort erblickte er mehrere Drachen, die im Kreis saßen oder lagen. Ganz besonders fiel ihm ein großer goldfarbener Drache auf, der in ihre Richtung schaute. Er schien sie zu erwarten.

Tarok ging mit Steven die nächste Treppe nach unten und führte ihn bis vor den goldenen Drachen. Dort verneigte er sich vor ihm und trat einen Schritt zurück. Wortlos musterte der goldene Drache Steven lange und eindringlich, bis diesem sichtlich unwohl wurde. Er hatte das Gefühl, der Drache würde bis in die tiefsten Tiefen seiner Seele blicken. Die Dauer der Musterung kam Steven endlos vor.

Unvermittelt vernahm Steven eine Stimme in seinem Kopf.
"Ich grüße dich Steven Gal’loway. Hab keine Angst, dir droht hier keine Gefahr und es wird dir nichts geschehen."

Steven räusperte sich. "Ähm, wer spricht da? Bist du das?"

Er schaute gebannt den goldenen Drachen an. In seinem Kopf vernahm er das Äquivalent eines Lachens. Obwohl er noch nie einen Drachen getroffen, geschweige denn mit einem geredet oder ihn gar lachen gehört hatte, war er ganz sicher, dass der Goldene gelacht hatte.

"Ja, mein junger Freund. Es ist meine Stimme, die du hörst. Ich spreche mit dir. Man nennt mich Caerdwyyd." Der goldene Drache deutete eine Verneigung an, indem er den mächtigen Schädel etwas absenkte.

"Es war sehr mutig von dir, unsere Kundschafter zu verfolgen. Bestimmt hast du 1000 Fragen, die du mir stellen möchtest, nicht wahr?"

Wieder war da dieses Drachenlachen in Stevens Kopf. So verrückt die ganze Sache auch war, langsam fand er Gefallen an seiner Situation und an dem Gespräch mit dem großen goldenen Drachen. Sein Unwohlsein war der Neugier, die ihn auch hierher geführt hatte, gewichen. Noch während Steven überlegte, mit welcher Frage er beginnen sollte, sprach Caerdwyyd weiter.

"Wie du vermutlich schon festgestellt hast, bist du nicht mehr auf der Erde."

Steven nickte und der Drache fuhr fort.

"Vermutlich fragst du dich, wo du bist und wie du hierher gekommen bist. Diese Welt hier ist sehr weit von deiner entfernt. Wir haben sie Thalia genannt. Du bist über das Sternentor hierher gelangt."

"Das Sternentor?" unterbrach Steven den Drachen.

"Ja, das Sternentor. Der Steinkreis, in dem du dich versteckt hast, ist ein Sternentor und ermöglicht es dem Reisenden, andere Welten zu besuchen. Aber das Tor auf eurer Welt ist beschädigt und nicht mehr voll funktionsfähig. Die ahnungslosen Menschen haben es durch die Zerstörung geschändet und sich so den Weg zu anderen Welten verbaut."

"Aber ihr habt das Tor doch benutzt", erwiderte Steven. "Wie ist das möglich, wenn es nicht mehr funktioniert?"

"Ich sagte nicht, dass es nicht funktioniert. Ich sagte lediglich, dass das Tor in eurer Welt nicht mehr voll funktionsfähig ist. Es kann immer noch passiv als Empfangsstation benutzt werden. Wir steuern es über das Sternentor hier auf Thalia an."

Man konnte sehen, wie sich die Gedanken in Stevens Kopf förmlich überschlugen, als er versuchte, das Erlebte und Gesehene mit den gerade erhaltenen Informationen in Einklang zu bringen.

"Ruhig, junger Freund." Wieder dieses Lachen in seinem Kopf. "Du wirst gleich verstehen. Die Sternentore sind Orte großer Macht. Einst war auch das Tor auf eurer Welt ein Ort voller Magie und Macht. Es wurde von den Eingeweihten für Reisen verwendet, aber auch, um andere Arten von Magie zu wirken. Da die Magie gewissen Gesetzmäßigkeiten unterliegt, die jetzt zu erklären zu weit führen würde, gibt es Zeiten, wo das Magieniveau groß genug ist, dass man das Tor aktivieren und so reisen kann. Diese Gesetzmäßigkeiten haben jetzt, wo die Magie in eurer Welt fast verschwunden ist, mehr denn je Gültigkeit."

"Deshalb erschienen eure Kundschafter bei Vollmond oder bei Neumond?"

Caerdwyyd nickte mit seinem mächtigen Schädel. "Ganz genau. Bei Vollmond und auch bei Neumond ist das magische Niveau am größten, so dass es uns einfacher fällt, solch große Magie zu wirken, wie es erforderlich ist, um die Sternentore zu benutzen."

"Aus welchem Grund kommt ihr auf unsere Welt?"

"Diese Frage, mein junger Freund, werde ich ein anderes mal beantworten. Für heute hast du genug Informationen erhalten. Ich möchte dich nicht überfordern. Sei unser Gast, entspanne dich und schau dir hier alles an. Tarok wird dir deine Unterkunft zeigen und dir als Helfer zur Verfügung stehen. Du kannst dich jederzeit an ihn wenden."

Caerdwyyd neigte sein mächtiges Haupt und zeigte so an, dass das Gespräch beendet war. Tarok trat wieder vor, verneigte sich und bedeutete Steven, ihm zu folgen. Steven verneigte sich ebenfalls vor dem Drachen und folgte Tarok auf dem Weg nach draußen. Sie verließen die Kaverne durch einen der vielen Gänge und gelangten so wieder auf einen der Rundwege im Zentrum des Felsenkessels.

Sie wechselten die Ebenen, betraten einen anderen Höhleneingang und gelangten in einen Wohnbereich, denn am Ende des Ganges fanden sie sich in einer anderen Kaverne wieder, deren Wände mit vielen kleineren Höhleneingängen übersät waren.
Tarok ging mit Steven zielstrebig auf eine der Höhlen zu und trat mit ihm ein.

"Willkommen in meiner Heimstatt, Steven. Du bist mein Gast, solange du hier bei uns bist. Ruh dich erst mal aus, morgen zeige ich dir dann mehr. Hast du Hunger?"

Steven nickte, denn plötzlich wurde ihm bewusst, dass er schon seit Stunden nichts mehr gegessen hatte. Tarok lächelte, verließ kurz die Höhle und kehrte nach einiger Zeit mit einer großen abgedeckten Schüssel und einem Beutel zurück. Schnell war der Tisch gedeckt, dann nahm Tarok den Deckel der Schüssel ab. Steven schnupperte. Der köstliche Duft, der ihm entgegenwehte, stammte von einer Art Eintopf. Aus dem Beutel holte Tarok Brot und Käse, die ebenfalls wunderbar dufteten. Beide machten sich ausgehungert über das Essen her.

Nachdem die beiden alles aufgegessen hatten, lehnte sich Steven gesättigt zurück und lächelte. Er ließ den Tag noch einmal vor seinem inneren Auge Revue passieren, dachte über die erstaunlichen Dinge nach, die ihm bisher widerfahren waren. Mit einem Lächeln auf den Lippen siegte irgendwann die Müdigkeit und er schlief ein. Tarok schmunzelte, machte es Steven auf der Lagerstatt bequem, deckte ihn zu und überließ ihn seinen Träumen.

Steven wurde durch ein köstliches Aroma geweckt, welches ihm in die Nase wehte. Er schlug die Augen auf, streckte sich und fühlte sich frisch und ausgeruht. Tarok reichte ihm einen Becher mit Tee, von dem dieser tolle Duft ausging. Der erste Schluck entlockte ihm Laute des Entzückens. Er hatte noch nie einen so schmackhaften Tee getrunken – und das wollte für jemanden, für den Tee zum Kulturkreis gehörte, schon etwas heißen.

"Was ist das für ein Getränk, Tarok?"

"Es wird aus den Blüten der Kree-Pflanze hergestellt. Wir nennen es nach der Pflanze – Kree."

"Ein wunderbares Getränk, schmackhaft und belebend zugleich."

Sie nahmen gemeinsam das Frühstück, welches aus frischem Brot, Käse und Früchten bestand, zu sich. Anschließend zeigte ihm Tarok die sanitären Anlagen, wo Steven sich frisch machte. Als er fertig war, lag ein Bündel frische Kleidung auf seiner Lagerstatt. Steven schlüpfte aus seinen verschwitzten Klamotten und kleidete sich in die Sachen, die dort bereitlagen - eine weiche Wildlederhose und ein Hemd aus dem gleichen Material sowie robuste, aber dennoch wunderbar weiche Stiefel. Die Kleidung passte Steven wie angegossen und war sehr bequem.

"Du siehst gut aus, Steven." Tarok lächelte. Steven konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. "Passt alles wie angegossen, als ob es für mich gemacht wäre."

"Wir haben in etwa die gleiche Größe, Steven. Ich dachte mir, dass es nicht schaden könnte, dir was zum Wechseln zu geben. Und jetzt komm, ich zeige dir heute unseren Drachenberg."

Tarok verbrachte den Tag damit, Steven herumzuführen und ihm den Felsenkessel zu zeigen. Steven war vom Drachenberg, wie er von seinen Bewohnern genannt wurde, fasziniert. Der Kessel war in seinen Ausmaßen gewaltig. Dutzende verschiedene Ebenen, übereinander liegend mit diversen Eingängen, die in den Fels führten, Kavernen, in denen sich die Drachen aufhielten und schliefen, Brutkammern für die Dracheneier – diese hatten es Steven besonders angetan – Wohnbereiche, Schlafsäle, Lehrbereiche, in denen Menschen und Drachen unterrichtet wurden, Trainingsräume und vieles mehr bekam Steven zu sehen.

Aber Steven bekam nicht nur den Drachenberg zu sehen, sondern er erfuhr von Tarok auch viel Interessantes über Thalia und seine Bewohner. Auf dieser Welt gab es, wie Steven schon festgestellt hatte, nicht nur Menschen, sondern auch Drachen. Wie Menschen und Drachen nach Thalia gelangten, konnte niemand mit Bestimmtheit sagen. Fakt war, dass inzwischen beide auf Thalia heimisch waren. Und auch wenn nicht alle Menschen so eng mit den Drachen zusammenlebten, wie es die Bewohner des Drachenbergs taten, so herrschte doch eine friedliche Koexistenz zwischen Drachen und Menschen auf Thalia.

Drachen und Menschen lebten miteinander und profitierten von dieser Verbindung. Da es auf Thalia eine Menge fleischfressender Raubtiere gab, hatten sich die Menschen zu größeren Gemeinschaften zusammengefunden, um sich vereint besser wehren zu können. Einige der Raubtiere auf Thalia waren so gefährlich und aggressiv, dass sie sogar Drachen angriffen. So war es beim Kampf gegen diese Tiere vor Urzeiten zum Kontakt zwischen Drachen und Menschen gekommen. Dabei stellten die Menschen fest, dass die Drachen telepathisch mit ihnen kommunizieren konnten. Aus diesem ersten Kontakt entwickelte sich die heutige Lebensweise. Gemeinsam war es den Drachen und Menschen gelungen, sich der Raubtiere zu erwehren und zu überleben.

Taroks Schilderung fesselte Steven und erklärte einiges, ließ aber auch viele Fragen offen. Sie bestätigte Steven in seiner Vermutung, dass weder die Menschen, noch die Drachen ursprünglich auf Thalia heimisch gewesen waren. Zwangsläufig stellte sich ihm die Frage, woher sie stammten und wie sie nach Thalia gelangt waren. Da Tarok nicht darauf einging, übte Steven sich in Geduld und hoffte, dass sich diese Frage, wie auch viele andere, mit der Zeit klären würde.

Am Abend war Steven von der Führung, den vielen Eindrücken und erhaltenen Informationen völlig erschossen, so dass er nach dem Abendessen genauso schnell wie am vorhergehenden Abend einschlief.

Die nächsten Tage bekam Steven die Möglichkeit, das Leben auf Thalia hautnah und aus erster Hand kennen zu lernen. Tarok nahm ihn mit auf die Jagd, arbeitete mit ihm auf den Feldern, besuchte mit ihm Lehrsäle und Unterrichtsveranstaltungen und ließ ihn auch sonst an seinem Tagesablauf teilhaben. Steven fühlte sich so lebendig, wie schon lange nicht mehr. Dieses einfache Leben auf Thalia hatte ihn in seinen Bann gezogen. Hier gab es nicht den Zank und Hader wie auf der Erde, Ärger über Politiker, Steuern, Umweltverschmutzung etc. Er war auf einer ursprünglichen Welt gelandet, die ihn in ihrer Einfachheit und Schönheit faszinierte. Hier gab es Drachen, die es ihm schon seit seiner Kindheit angetan hatten. Und hier auf Thalia schien sich ein Wunschtraum zu erfüllen, denn Drachen und Menschen lebten friedlich zusammen, sozusagen Tür an Tür.

Er fühlte sich hier sehr wohl und zu seinem Erstaunen heimischer, als dies jemals auf der Erde der Fall gewesen war. Steven begann, sich immer besser einzuleben und so traf ihn die Frage, die Tarok ihm eines Abends stellte, völlig unvorbereitet.

"Was gedenkst du zu tun, Steven?"

"In welcher Hinsicht, Tarok? Was meinst du?"

"Du bist jetzt einige Zeit hier und konntest dir einen Eindruck von dem Leben hier verschaffen. Caerdwyyd hatte dir gesagt, dass er zu einem späteren Zeitpunkt wieder mit dir sprechen wird. Morgen ist es so weit, dann erwartet er dich wieder zu einem Gespräch. Und er wird dir bestimmt die Frage stellen, die er jedem Neuankömmling beim zweiten Gespräch stellt."

Steven bekam auf einmal einen trockenen Mund. "Welche?"

"Die Frage, wo du dein weiteres Leben verbringen willst", antwortete Tarok.

"Heißt das, ich habe eine Wahl?" wollte Steven wissen.

"Natürlich hast du die – so wie jeder hier."

"Darüber muss ich nachdenken. Ich habe ehrlich gesagt nicht erwartet, dass ich eine Wahlmöglichkeit bekomme und den Gedanken an eine Rückkehr nach Hause vollkommen verdrängt."

"Dann wird es Zeit, dass du darüber nachdenkst, denn morgen solltest du schon wissen, was du möchtest, Steven." Tarok drückte ihn freundschaftlich an der Schulter, dann ließ er ihn mit seinen Gedanken allein.

An Schlaf war nicht mehr zu denken. Die ganze Nacht kreisten Stevens Gedanken um das bevorstehende Gespräch mit dem großen goldenen Drachen und insbesondere um die Frage, wie er sich entscheiden sollte. Auf der einen Seite fühlte er sich hier auf Thalia so wohl, wie noch nie in seinem Leben. Auf der anderen Seite waren da zu Hause seine Eltern, seine Freunde und sein bisheriges Leben. Insbesondere seine Eltern würden sich sicherlich Sorgen machen, nachdem er so spurlos verschwunden war. Doch wie sehr seine Gedanken auch um diese Frage kreisten, er kam zu keinem vernünftigen Ergebnis.

Am Morgen fühlte er sich wie gerädert. Der anstrengende Tag und die darauffolgende schlaflose Nacht hatten Spuren bei Steven hinterlassen. Er hatte Ringe unter den Augen und wirkte einfach übernächtigt, was den Tatsachen entsprach.

"Steven, mein Freund", begrüßte ihn Tarok am nächsten Morgen. "Du siehst aus, als hättest du nicht sehr viel Schlaf bekommen. War es so schlimm?"

"Schlimm ist gar kein Ausdruck, Tarok. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Ständig drehten sich meine Gedanken um das bevorstehende Gespräch mit Caerdwyyd und natürlich um die Frage, die er mir stellen wird."

"Das kommt mir so bekannt vor, auch wenn es bei mir schon einige Zeit her ist."

"Wie, du bist auch nicht von hier? Warum hast du mir nichts davon erzählt?"

"Nun ja, es hat sich einfach nicht ergeben. Ich wollte, dass du das Leben hier unbefangen kennen lernst und ohne Beeinflussung von meiner Seite zu einer Entscheidung kommst. Sei mir nicht böse, aber meine Geschichte werde ich dir ein anderes Mal erzählen, Steven."

"Keine Sorge, Tarok. Ich bin dir nicht böse. Das könnte ich auch nie sein. Lass mich heute erst das Gespräch mit Caerdwyyd hinter mich bringen, dann sehen wir weiter."

Tarok lächelte. "Dann lass uns aufbrechen. Caerdwyyd erwartet dich."

Steven seufzte, dann straffte er den Rücken und folgte Tarok. Er würde beim Gespräch mit Caerdwyyd einfach seiner Intuition vertrauen, dann konnte nichts schiefgehen. Seinen Gedanken nachhängend stellte Steven fest, dass Tarok einen anderen Weg eingeschlagen hatte, denn sie befanden sich nicht auf dem Weg zur Kaverne, wo er Caerdwyyd das erste Mal begegnet war.

Tarok führte Steven nach oben auf den Kraterrand und wandte sich dann in Richtung des Steinkreises. Steven sah, dass Caerdwyyd sich dort niedergelassen hatte und anscheinend auf sie wartete. Als sie den Drachen erreicht hatten, verneigten sich beide fast gleichzeitig vor dem großen goldenen Drachen, bevor Tarok sich wieder zurückzog und die beiden allein ließ.

"Ich grüße dich, Steven Gal’loway." Wieder vernahm Steven die Stimme des Drachen in seinem Kopf. "Ich hoffe, du hast dich hier ein wenig eingelebt und konntest dir einen Eindruck vom Leben auf Thalia verschaffen."

Steven nickte. "Ja, Caerdwyyd. Danke für deine Gastfreundschaft. Tarok war mir eine große Hilfe, hat mir vieles gezeigt und eine Menge Fragen beantwortet. Aber es sind auch noch Fragen offen geblieben."

Der Drache neigte leicht seinen Kopf. "Ich weiß, Steven. Aber diese Fragen werden so lange offen bleiben, bis du deine Entscheidung getroffen hast."

Steven fühlte einen Kloß im Hals, seine Kehle war mit einem Mal ganz trocken und wie zugeschnürt. Jetzt wurde es ernst. "Du meinst die Entscheidung, ob ich hier bleiben oder wieder zurück nach Hause möchte?"

Caerdwyyd nickte. "Ja, Steven. Das ist die alles entscheidende Frage. Wenn du dich entscheidest, den Rest deines Lebens hier auf Thalia zu verbringen, dann werden keine Fragen offen bleiben. Wenn du jedoch nach Hause möchtest, was dir natürlich freisteht, dann werden die Erinnerungen an Thalia dir wie ein Traum vorkommen, weil du dich nur noch sehr vage an Thalia wirst erinnern können."

"Wieso das?"

"Nun, Steven, zu unserem eigenen Schutz werden wir dein Gedächtnis ein wenig manipulieren müssen. Keine Sorge, es ist nichts Schlimmes. Aber wir werden deine Erinnerungen an Thalia dahingehend unterdrücken müssen, dass sie dir wie ein Traum vorkommen. Du wirst dich nicht mehr daran erinnern können, dass du tatsächlich hier gewesen bist."

Steven schluckte. Was Caerdwyyd ihm gerade eröffnet hatte, machte ihm seine Entscheidung nicht leichter. "Bis wann muss ich mich entscheiden?"

"Heute ist der Tag der Entscheidung, Steven, denn die Mondkonstellation ist günstig, um das Sternentor zu öffnen und dich mit den Kundschaftern zurückzuschicken, wenn du das möchtest."

"Sie gehen heute Nacht wieder rüber?"

Caerdwyyd nickte. "Ja, Steven. Heute Abend steht ein weiterer Besuch deiner Welt an."

"Wozu dienen eure Besuche auf meiner Welt Caerdwyyd?"

"Nun, Steven - es gibt auf der Erde immer noch Menschen, die an Drachen, Elfen, Kobolde und andere außergewöhnliche Wesen glauben. Und obwohl wir uns von der Erde nach Thalia zurückgezogen haben, kommen wir immer noch gelegentlich auf die Erde, um festzustellen, ob eventuell die Zeit für eine Rückkehr gekommen ist."

"Ihr wollt auf die Erde zurückkehren?"

"Ja, Steven. Wenn es soweit ist, werden die Drachen auf die Erde zurückkehren. Aber die Zeit ist dafür noch nicht reif. Auf der Erde ist die Magie fast verschwunden, die magischen Wesen haben sich zurückgezogen und die Erde größtenteils verlassen. Es gibt nur noch sehr wenige von ihnen und selbst diese wenigen werden von den Menschen nicht geachtet. Aber es besteht noch Hoffnung, so lange es Menschen wie dich gibt."

"Wieso das? Ich bin doch nichts Besonderes."

"Oh doch, Steven. Du bist etwas Besonderes. Du hast das Talent, eine gute Intuition und ein ausgezeichnetes Gefühl für viele Dinge, die nicht auf Anhieb erklärbar sind. So eine Gabe ist auf der Erde inzwischen selten geworden. Du vertraust eher deiner Intuition, als der Ratio – das ist der richtige Weg. Schade, dass dieser Typ Mensch so in der Unterzahl ist ..."

Noch während Steven die Erklärungen des Drachen in seinem Kopf vernahm, wurden seine Gedanken plötzlich ganz klar und die Entscheidung fiel ihm auf einmal ganz leicht. Sein Platz war zu Hause – auf der Erde. Dort gehörte er hin. Wenn das stimmte, was Caerdwyyd gesagt hatte, dann eröffnete sich ihm hier eine Aufgabe, die ihn vermutlich sein Leben lang in Anspruch nehmen würde. Er musste zurückkehren und versuchen, die Voraussetzungen für eine Rückkehr der Drachen zu verbessern.

Er wusste zwar noch nicht, wie ihm das gelingen sollte, doch Steven fühlte, dass dies die Aufgabe war, nach der er immer gesucht hatte. Und da er seiner Intuition immer vertraute, war für ihn sein Weg klar und deutlich. Er trat vor den Drachen, schaute ihn lange an und verneigte sich.

"Danke, dass du mir die Augen geöffnet hast, Caerdwyyd. Deine Erklärungen haben mir geholfen, eine Entscheidung zu fällen. Am liebsten würde ich hier auf Thalia bleiben. Das Leben hier gefällt mir sehr und ich habe das Gefühl, hierher zu gehören. Aber das, was du gesagt hast, hat mir gezeigt, wo ich wirklich hingehöre. Ich werde nach Hause zurückkehren, denn du sagtest, dass es zu wenig Menschen wie mich dort gibt – Menschen, die ihrer Intuition vertrauen.

Und meine Intuition sagt mir, dass ich dort eine Aufgabe habe. Ich möchte meinen Teil dazu beitragen, die Voraussetzungen für eine Rückkehr der Drachen auf die Erde zu verbessern. Aber wenn ihr mir meine Erinnerungen an Thalia nehmt, dann befürchte ich, dass mir auf einmal der Antrieb abhanden kommt."

Caerdwyyd fixierte Steven mit seinen großen Augen. "Wir werden dir nicht die Erinnerungen an Thalia nehmen, nur ein wenig verschleiern. Du wirst dich erinnern können, aber eher so, wie man sich an einen Traum erinnert. Ich bin sicher, dies wird dich eher noch in deiner selbstgewählten Aufgabe bestärken, Steven."

"Dann steht meine Entscheidung fest. Ich werde nach Hause zurückkehren."

Caerdwyyd nickte. "So sei es. Genieße noch den heutigen Tag hier auf Thalia. Tarok wird dich rechtzeitig hierher zurückbringen, wenn es Zeit für deine Rückkehr ist." Caerdwyyd neigte seinen Kopf und Steven wusste, dass die Unterredung zu Ende war. Er verneigte sich, während Tarok wieder hinzukam und sich ebenfalls vor dem Drachen verneigte.

Schweigend machten sie sich auf den Rückweg zum Talkessel. Tarok ließ Steven Zeit, seine Gedanken zu ordnen. Ein lautes Flügelschlagen veranlasste beide, sich umzudrehen und nach oben zu schauen. Die Geräusche kamen von Caerdwyyd, der sich in die Luft erhoben hatte und jetzt langsam an Höhe gewann. Steven bewunderte die langgestreckte, muskulöse Drachengestalt, die majestätisch über ihn hinwegflog und sich mit kräftigen Flügelschlägen in die Höhe schraubte. Sein Blick folgte dem Drachen, der sich zu den anderen Drachen am Himmel gesellte, wo sie sich in komplizierten Mustern umkreisten. Auch Tarok verfolgte das Spiel der Drachen hoch oben.

"Du kehrst zurück?" platzte Tarok unvermittelt mit seiner Frage heraus.

"Ja, Tarok. Meine Entscheidung steht fest. Das Gespräch mit Caerdwyyd hat mir geholfen, diese Entscheidung zu treffen. Mir sind einige Dinge klar geworden, zum Beispiel, dass ich eine wirkliche Aufgabe zu Hause habe."

"Bist du dir dessen ganz sicher Steven? Ich hatte das Gefühl, dass es dir hier gefällt und du dich bei uns sehr wohlfühlst."

"Das stimmt, Tarok. Und ich verlasse euch wirklich schweren Herzens. Aber ich glaube, dass ich zu Hause dazu beitragen kann, dass sich die Voraussetzungen für eine Rückkehr der Drachen verbessern. Und das ist ein Ziel, für das sich eine Rückkehr nach Hause lohnt."

"Da hast du allerdings Recht, Steven. Das ist wirklich ein lohnenswertes Ziel. Du hast dir viel vorgenommen, wenn du das erreichen willst."

"Die größten Ziele in der Menschheitsgeschichte wurden immer dann Wirklichkeit, wenn jemand einen besonderen Traum hatte. Und ich habe einen ganz besonderen Traum."

Tarok schaute Steven nachdenklich an.
"Welchen Traum?"

"Mein Traum ist es, dass irgendwann einmal wieder Drachen durch die Lüfte meiner Welt fliegen, so wie sie es vor Urzeiten schon einmal getan haben. Und ich werde alles dafür tun, damit dieser Traum Realität wird."

"Steven, da hast du dir aber ein hohes Ziel gesteckt. Ich drücke dir die Daumen und hoffe, dass du bei der Realisierung deines Traumes erfolgreich bist. Schade, dass ich dir dabei nicht helfen kann."

"Danke, Tarok, ich weiß das zu schätzen. Mach dir keine Vorwürfe, dass du mir nicht helfen kannst. Caerdwyyd hat mir mit seinen Worten viel Mut gemacht und mein Gefühl sagt mir, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Und ich konnte mich immer darauf verlassen. Ohne mein Gefühl wäre ich jetzt nicht hier auf Thalia. Dieser Besuch hier hat mir so viel gegeben, du kannst es dir nicht vorstellen."

Tarok nickte wissend. Die nächsten Stunden verbrachten die beiden auf der Wiese, wo sie die fliegenden Drachen beobachten konnten, während sie sich unterhielten. Tarok erzählte Steven, wie er nach Thalia gekommen war. Im Gegenzug erzählte ihm Steven seine Geschichte. Unbemerkt verstrich die Zeit, bis Steven realisierte, dass es dämmerte. Steven erhob sich und machte sich mit Tarok auf den Weg zurück. Er wollte sich vor seiner Heimreise noch von den netten Menschen, die ihn mit offenen Armen hier aufgenommen hatten, verabschieden.

Tarok führte Steven durch einen der zahlreichen Gänge im Talkessel in eine ihm bis dahin unbekannte Höhle. Als sie die Höhle betraten, trieb Steven das, was er dort zu sehen bekam, die Tränen in die Augen. In der Höhle hatten sich all die Leute versammelt, mit denen er während seiner Zeit auf Thalia in Kontakt gekommen war. Darüber hinaus waren noch viele weitere Bewohner des Talkessels anwesend und mindestens ein Dutzend Drachen, darunter auch Caerdwyyd. Steven hatte einen richtigen Kloß im Hals, als er seine Runde machte und jedem der Anwesenden zum Abschied die Hand schüttelte. Mit den meisten wechselte er auch ein paar Worte. Auch von den Drachen verabschiedete er sich, indem er sich vor jedem einzelnen tief verneigte. Dabei spürte er ihre warme und freundliche Präsenz in seinen Gedanken.

Als er sich schließlich von allen verabschiedet hatte, verließen die Menschen die Höhle, so dass nur die Drachen zurückblieben. Caerdwyyd drehte seinen mächtigen Kopf zu Steven.
"Es ist soweit, Steven. Bald werden wir das Sternentor aktivieren und dich nach hause zurückschicken. Aber vorher müssen wir noch deine Erinnerungen ein wenig vernebeln."

Die Drachen stellten sich im Kreis auf. Sofort war es Steven klar, dass der Platz in der Kreismitte für ihn bestimmt war. Er betrat den Kreis und schaute zu Caerdwyyd.
"Mach es Dir bequem, Steven. Am besten, du legst dich einfach hin und versuchst, dich zu entspannen. Wir werden dir nicht weh tun."
Steven legte sich in der Kreismitte in den warmen Sand, schloss die Augen und versuchte, sich durch gleichmäßiges Atmen zu entspannen.

Caerdwyyds Stimme war wieder in seinem Kopf und sprach beruhigend auf ihn ein. Steven merkte, wie die Anspannung langsam von ihm abfiel. Plötzlich fühlte er eine weitere Präsenz in seinen Gedanken. Sie stellte sich als Maedranaugh vor. Steven bemerkte einen weiteren Drachen in seinem Kopf – Caelorion. Nacheinander gesellten sich auch die anderen Drachen hinzu, bis Steven alle zwölf in seinen Gedanken spüren konnte. Caerdwyyd stimmte einen merkwürdigen Gesang an, in den die übrigen Drachen nacheinander einfielen. Steven fühlte, wie ihm langsam die Augen zufielen. Er wurde immer schläfriger, bis er schließlich sanft wegdämmerte und nichts mehr wahrnahm.

Die Drachen fühlten, dass Steven nicht mehr bei Bewusstsein war und setzten ihre Arbeit fort. Sanft griffen sie in seine Gedanken ein und tasteten sich in seinen Erinnerungen vor, bis sie die Erinnerungen an seinen Besuch gefunden hatten. Geführt von Caerdwyyd, machten sie sich an die Aufgabe, Stevens Erinnerungen an Thalia sanft zu umnebeln, so dass ihm das Ganze nach seinem Erwachen auf der Erde wie ein Traum vorkommen würde. Da sie mit äußerster Behutsamkeit vorgingen - immerhin wollten sie keine Schäden in Stevens Geist anrichten – dauerte die Prozedur einige Zeit. Schließlich aber war es vollbracht. Die Drachen kehrten nacheinander aus Stevens Geist zurück und verließen danach die Höhle.

Caerdwyyd, Maedranaugh und Caelorion blieben bei Steven in der Höhle, bis Tarok mit drei weiteren Thalianern zurück in die Höhle kam. Sie luden Steven auf eine Bahre und trugen ihn hinaus. Tarok hatte von Caerdwyyd genaue Anweisungen bekommen, wo er Steven hinzubringen hatte. Sie trugen ihn zum Steinkreis und legten ihn in den Spalt, in dem er sich für die Reise nach Thalia versteckt hatte. Nachdem Steven wieder im Spalt unter dem umgestürzten Felsbrocken lag, machten sich die Thalianer auf den Rückweg. Tarok überzeugte sich noch davon, dass es Steven so bequem hatte, wie es die Umstände zuließen.

Er hob den Kopf und schaute kurz in Richtung Talkessel. Die drei Thalianer hatten den Kessel fast erreicht und schauten nicht zurück. Tarok nutzte die Tatsache, dass er nicht beobachtet wurde, griff in sein Wams und steckte etwas in Stevens Hosentasche. Dann erhob er sich und folgte den anderen.

Auf seinem Rückweg sah er die drei Drachen, die Richtung Steinkreis flogen. Dies waren die drei Kundschafter, die mit Steven durch das Sternentor zurück zur Erde reisen würden. Am Rande des Talkessels blieb Tarok stehen und sah, wie das Sternentor aktiviert wurde. Im Inneren erschien eine Lichtkugel, die immer weiter wuchs, bis sie den gesamten Steinkreis ausfüllte. Nacheinander betraten die Drachen das Sternentor und entmaterialisierten. Als der letzte Drache verschwunden war, schrumpfte die Lichtkugel und verschwand schließlich ganz. Tarok schaute noch einige Zeit auf den leeren Steinkreis, dann drehte er sich um und stieg nachdenklich den Talkessel hinab. Steven war jetzt zurück auf der Erde.

- - - - - - - - - - - - -

Steven erwachte in völliger Orientierungslosigkeit. Es war stockdunkel um ihn herum und er brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass er unter einem großen Stein in einem Spalt lag. Als er nach draußen krabbelte, sah er, dass er sich im Inneren von Stonehenge befand. Verwirrt schaute er sich um und überlegte, warum er sich dort hineingelegt haben mochte. Er fuhr zwar regelmäßig nach Stonehenge und mochte es auch, dort im Inneren zu sitzen und seinen Gedanken nachzuhängen, aber er hatte sich noch nie in diesen Spalt gelegt. Vage Erinnerungen an Drachen, an zwei Monde am Himmel und an einen merkwürdigen, von Gängen und Höhlen durchzogenen Talkessel geisterten durch seinen Kopf.

'Da habe ich wohl sehr intensiv in dem Spalt geträumt', dachte Steven noch. Kopfschüttelnd verließ er den Steinkreis und stieg hinauf zur Anhöhe, wo sein Fahrrad lag. Oben auf der Anhöhe schaute er sich noch einmal um und ließ den Anblick von Stonehenge, wie es sich ihm dort ihm Tal präsentierte, auf sich wirken. Mit einem Seufzer schwang er sich auf sein Fahrrad und fuhr zurück nach Avebury. Während der Rückfahrt hatte er die ganze Zeit das Gefühl, etwas Wichtiges vergessen zu haben, aber er konnte sich einfach nicht erinnern. Immer noch spukten wirre Bilder durch seinen Kopf. Er spürte, dass diese Bilder mit dem Gefühl, etwas Wichtiges vergessen zu haben, im Zusammenhang standen. Aber er konnte das Puzzle in seinem Kopf nicht zusammensetzen.

Schließlich erreichte er sein Elternhaus, stieg von Fahrrad ab, stellte es in den Hausflur und ging in sein Zimmer, wo er sich entkleidete, um noch ein wenig Schlaf zu finden. Als er seine Kleidung über den Stuhl hängte, fiel etwas mit einem Poltern auf den Fußboden. Steven bückte sich und hob den Gegenstand auf. Er schaltete seine Schreibtischlampe an und betrachtete den Gegenstand im Licht. Er hielt ein Medaillon in seinen Händen. Es hatte einen Durchmesser von etwa zehn Zentimetern und bestand ganz aus einer durchsichtigen geschliffenen Kristallscheibe, die in ein ihm unbekanntes Metall eingefasst war. Im Inneren des Kristalls befand sich etwas, aber Steven konnte nicht auf Anhieb erkennen, um was es sich dabei handelte.

Er hielt das Medaillon vor die Lampe und schaute genauer hin. So, wie er das Medaillon gegen das Licht hielt, konnte er eine goldene geflügelte Gestalt sehen, die sich bewegte. Er schaute genauer hin. Steven bekam plötzlich eine gewaltige Gänsehaut, als er erkannte, was diese Gestalt darstellte. Bei der handelte es sich nämlich um einen goldfarbenen Drachen. Caerdwyyd – dieser Name war plötzlich in seinem Kopf. Er bewegte das Medaillon weiter, ließ das Licht in verschiedenen Winkeln hindurchscheinen. Plötzlich verschwand der Drache und etwas anderes war zu sehen. Ein Steinkreis, wie Stonehenge, aber völlig intakt.

Stevens Gedanken überschlugen sich. Die Bilder, die er die ganze Zeit im Kopf hatte, wirbelten durcheinander und plötzlich fielen die Puzzleteile wie von selbst an ihren Platz. Thalia, die Drachen, Tarok, der Talkessel. Steven konnte sich wieder an alles erinnern, was er erlebt hatte. Er erinnerte sich an sein letztes Gespräch mit Caerdwyyd, an den Kreis der Drachen, wie sie alle in seinem Kopf gewesen waren und wie sich die Dunkelheit über seine Gedanken gesenkt hatte. Erstaunlicherweise war während seines Besuchs auf Thalia hier auf der Erde keine Zeit verstrichen, oder hatten ihn die Drachen nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich versetzt zurückgeschickt?

Plötzlich musste er lächeln, als auch das letzte Puzzleteil seinen Platz fand. Tarok! Dies war sein Abschiedsgeschenk an Steven. Er musste ihm das Medaillon irgendwie zugesteckt haben. Aber zu welchem Zweck? Als Erinnerung oder um...? Natürlich – das war es. Mit dem Medaillon hatte Tarok Stevens Gedächtnismanipulation durch die Drachen aufgehoben. Steven konnte sich wieder an alles erinnern, obwohl die Drachen das anders geplant hatten. Ihm fiel das Gespräch ein, welches die beiden an seinem letzten Tag auf Thalia miteinander geführt hatten. So sah also Taroks Hilfe aus. Indem er dafür sorgte, dass Steven sich an alles erinnerte, half er dabei, dass Steven an der Verwirklichung seines Traumes in dem Bewusstsein und dem Wissen, dass es die Drachen tatsächlich gab, arbeiten konnte.

Steven hängte sich das Medaillon um den Hals. Er würde es von jetzt an immer tragen, damit es ihn daran erinnerte, dass irgendwo dort draußen Drachen existierten und darauf warteten, auf die Erde zurückzukehren. Steven würde seinen Beitrag dazu leisten, die Voraussetzungen hierfür zu schaffen. Er hatte ein Ziel, für das es sich zu arbeiten lohnte. Mit diesen Gedanken und einem Lächeln auf den Lippen schlief er ein.
 

© Ryanthusar
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
.
www.drachental.de