Drache und Wolf von Draca

Langsam glitt er über die zerklüfteten, teilweise noch immer schneebedeckten Berge, überflog gemächlich den ausgedehnten, dichtgewachsenen Wald und ließ schließlich den im Licht der untergehenden Sonne golden glitzernden See hinter sich.
Nach einigen Minuten schob sich sein Ziel allmählich in sein Blickfeld, rückte bald rasch näher.
Ob ich diesmal Erfolg haben werde? dachte er.
Es war schon das dritte Mal, daß er diesen Weg flog. Als letzter Drache dieses Kontinents hatte er eine ganz besondere Aufgabe: Alle zehn Jahre, im Winter, wenn das ganze Land unter einer weißen Decke schlief, versuchte das Böse einzudringen. In Gestalt eines großen, schwarzen Wolfes, der über unheimliche Kräfte verfügte. Die Aufgabe der Drachen war es, dies zu verhindern.
Er war müde, und nicht sicher ob er den Kampf noch einmal gewinnen würde. Schon beim letzten Mal haben meine Kräfte fast versagt...
Doch jetzt war keine Zeit mehr zum Grübeln: vor ihm lag die Wolfshöhle. Er landete auf der Lichtung davor und brüllte die rituellen Worte: "Du, der das Böse in sich trägt, komm heraus und stelle dich dem Wächter!"

Der Wolf erschien. Lauernd standen sich die beiden gegenüber. Plötzlich schwang sich der Drache in die Luft und stieß einen Feuerstrahl aus. Der Wolf wich aus, machte aber keine Anstalten, selbst anzugreifen.
Statt dessen sprach er den Drachen an.
"Hör auf damit. Ich bin nicht mehr dein Feind!"
"Auf deine Tricks falle ich nicht herein. Du warst schon immer mein Feind!"
"Es gibt einen neuen Feind. Vor ein paar Jahren begann ein Troll plötzlich dunkle Pläne zu schmieden und die grausamen alten Götter anzubeten. Durch Blutsopfer ist er ungeheuer stark geworden. Und so merkwürdig es auch klingt...ich empfinde Mitleid mit euch. Ich möchte euch helfen."
"Du lügst! Die Trolle waren immer ein friedliches Volk. Du dagegen bist böse und blutrünstig!"
"Vor vielen Jahren waren es die Drachen, die mordend und sengend durch die Lande zogen. Heute beschützen sie die Menschen. Was böse war, wird gut, und was gut war, wird böse. So ist der Lauf der Zeit. Verstehst du..."
Weiter kam er nicht. Wenige Meter entfernt materialisierte sich der größte Troll, den der Drache je gesehen hatte. Seine Augen glühten rot, und er schwang eine gewaltige Keule. Der Wolffluchte. "Vertraust du mir?"
Ich werde wohl auf meine alten Tage noch leichtsinnig. "Ja."
Er schwang sich wieder in die Luft, holte tief Atem und hüllte den Troll in eine Flammenwolke. Dann ging er in den Sturzflug.
Dem Troll schien das Feuer nicht viel ausgemacht zu haben. Der Drache hatte alle Mühe, der Keule auszuweichen, schaffte es aber, dem Troll einige heftig blutende Wunden beizubringen. Er kämpfte erbittert, aber seine Kräfte erlahmten. Immer öfter zersplitterten Schuppen. Auf einmal geschah es: er war zu langsam. Nein, ihr Götter, nicht!!! Die Keule traf seinen Flügelknochen mit voller Wucht. Er heulte vor Schmerz laut auf und stürzte wimmernd in den Schnee. Der Schmerz machte ihn fast blind.
Nun griff der Wolf an, der sich bisher außerhalb der schlagenden Drachenflügel gehalten hatte. Die mächtigen Kiefer des Tieres fügten dem Troll weitere schwere Wunden zu. Er wurde inzwischen deutlich schwächer.
Doch er war noch nicht besiegt. Wie in Zeitlupe sah der Drache den Troll die Keule heben und in einem kleinen Moment der Unaufmerksamkeit seitens des Wolfes zuschlagen. Der Wolf wurde quer über die Lichtung geschleudert und landete bewegungslos im Schnee.
Nein!!! Das kann ich nicht zulassen!!! Der Drache sammelte seine letzten Kräfte und zwang sich aufzustehen. Dann machte er einen Satz und spie dem Troll einen Blitzstrahl direkt in die Augen. Sein zweiter Flügel brach.
Im Fallen sah er noch, wie der Wolf dem geblendeten Troll an die Kehle sprang. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Als er wieder zu sich kam, war ihm eiskalt. Neben sich erblickte er den Wolf. Nicht weit entfernt lag die Leiche des Trolls.
"Er ist tot", sagte der Wolf.
"Er wird wieder auferstehen..."
Der Drache stöhnte. Er fühlte, wie die Kälte ihm das Leben aussog. Er würde hier sterben, keine Frage.
"...und wer wird dann kämpfen?"
Er schloß die Augen. Ich bin müde, so schrecklich müde...
"Ich werde das Amt des Wächters übernehmen. Ruh dich aus, mein Freund!" beruhigte ihn der Wolf.
Tiefer Frieden erfüllte den Drachen. Die Schmerzen verschwanden, und sein Herz schlug langsamer.
Dann schlief er ein.

Während der neue Wächter die Totenklage sang, lösten sich die sterblichen Überreste des Drachen in Luft auf. Als er verschwunden war, wandte sich der Wolf ab und machte sich auf den Weg zu den Menschen.