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Diese Geschichte wurde von den Drachental-Besuchern
zur zweitbesten Projekt-Story 2004 im Drachental gewählt!

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Drachenliebe von Christine Krenz

Langsam glitt er über die zerklüfteten, teilweise noch immer schneebedeckten Berge, überflog gemächlich den ausgedehnten, dichtbewachsenen Wald und ließ schließlich den im Licht der untergehenden Sonne golden glitzernden See hinter sich. Nach einigen Minuten schob sich sein Ziel allmählich in sein Blickfeld, rückte bald rasch näher. 'Ob ich diesmal Erfolg haben werde?' dachte er.

Sein Herz schlug schneller bei dem Gedanken, sie bald wieder zu sehen. Wieder einmal erinnerte er sich daran, wie er ihr das erste Mal begegnet war. Er war auf einem seiner langen Erkundungsflüge gewesen, die ihn meist in weit vom Drachental entfernte Gegenden führten. Seine Neugier auf unbekannte Gebiete hatte ihm den Ruf eines rastlosen Wanderers eingebracht. Dieses Mal hatte es ihn in den hohen Norden verschlagen, wo die Berge fast das ganze Jahr von Schnee und Eis bedeckt waren. Inmitten der weißen Landschaft hätte er sie beinahe übersehen. Als er jedoch erschöpft vom langen Flug in ihrer unmittelbaren Nähe zur Landung ansetzte, machte er sehr schnell Bekanntschaft mit ihrem stürmischen Temperament. Was für eine Drachin! Sie war das schönste Geschöpf, das er je zuvor gesehen hatte! Makelos weiß, schimmerten ihre Schuppen selbst wie Schnee und Eis. Sie bewegte sich mit selbstsicherer Eleganz und ihre ausgebreiteten Schwingen blendeten ihn im Licht der Sonne. Er konnte gar nicht anders als sich sofort unsterblich in sie zu verlieben.

Leider erinnerte er sich auch nur zu gut an ihre Reaktion auf seine unbeholfene Werbung um ihre Gunst - sie hatte ihn eiskalt abblitzen lassen. Und als er nicht sofort ihre Nähe verließ, hatte sie seiner Motivation mit einigen wirkungsvollen Eiskälte-Treffern nachgeholfen.

Er hatte sie trotzdem nicht aus seinem Herzen verbannen können. Und nun wollte er sein Glück noch einmal versuchen. Immer näher kam er dem hohen Gebirge, wo der Winter nie ganz aufhörte. Dort, inmitten eines kleinen Fleckes ewigen Eises hatte sie ihre Höhle.

Plötzlich witterte er Rauch. 'Ein Feuer? Hier in dieser Einöde?' wunderte er sich. Er flog etwas langsamer und musterte die Landschaft unter ihm genau. Inzwischen war die Sonne hinter dem Horizont verschwunden und eine sternenklare Nacht war angebrochen. Die Dunkelheit war für seine Augen jedoch kein Problem. Er entdeckte ein Rudel Wölfe, das sich an mehreren Stellen über noch frische Kadaver hermachte. Scharf zog er die Luft durch seine Nüstern. Pferde! Pferde und Menschen lagen dort unten und dienten den Wölfen als Abendmahlzeit! Alarmiert beschleunigte er seinen Flug. Mit Menschen hatte er bisher keine guten Erfahrungen gemacht. Die Landschaft unter ihm war inzwischen wieder sehr felsig und karg geworden. Die Höhle war nicht mehr weit. Immer deutlicher wurde, dass hier ein erbitterter Kampf stattgefunden hatte. Mit wachsender Sorge entdeckte er weitere tote Menschen, zerfetzt von scharfen Klauen und Zähnen oder von Eiseskälte getroffen und erstarrt, aber auch einzelne glitzernde Schuppen und - ihm stockte das Herz - war das etwa Drachenblut?! Auch der Geruch des Feuers war immer stärker geworden.

Endlich erreichte er die Höhle. Ihm bot sich ein Bild des Grauens. Offenbar hatte sich eine ganze Bande von Menschen zusammengefunden, die der Eisdrachin ihren legendären Goldschatz stehlen wollten. Die Männer, die schon am Fuß der Berge den Tod gefunden hatten, sollten wohl zur Ablenkung dienen, denn er konnte erkennen, dass einige Stücke des Schatzes von den Menschen bereits aus der Höhle geschafft worden waren. Aber sie hatten die Stärke der Drachin wohl unterschätzt: Nachdem sie die ersten Angreifer erledigt hatte, muss sie zur Höhle zurückgekehrt und auf die Schatzräuber getroffen sein. Dort kam es zum offenen Kampf. Obwohl die Menschen herbe Verluste einstecken mussten, waren es doch noch zu viele für einen Drachen allein. Sie hatten die Eisdrachin mit mehreren Feuern, die sie blendeten, eingekesselt. Eine ihrer Schwingen hing zerfetzt, blutend und somit nutzlos an ihrer Seite herab. Die Menschen hatten einen großen Vorrat an mit Widerhaken versehenen Speeren mitgebracht, mit denen sie die Drachin unaufhörlich attackierten. Sie hatten anscheinend beschlossen, nun, da die Eisdrachin ihnen in den Weg gekommen war, sie erst zu töten, bevor sie sich über die Beute hermachen würden. Sie griffen von allen Seiten gleichzeitig an, so dass das Drachenfeuer und die Eiseskälte, die die Drachin auf ihre Angreifer blies, stets nur einen Teil der Männer in Bedrängnis brachten. Diese sprangen fluchend bei Seite und setzten ihre Attacke fort, sobald sich die Drachin einer anderen Gruppe von Angreifern zuwandte.

Der Anblick seiner Geliebten in dieser bedenklichen, wenn nicht gar hoffnungslosen Lage, ließ eine nie gekannte Wut in ihm aufsteigen. Seinen Schmerz laut herausbrüllend stürzte er sich auf die Angreifer, die sein Nahen vor dem dunklen Nachthimmel gar nicht bemerkt hatten. Umso größer war nun ihr Entsetzen, als er wie ein Teufel zwischen sie fuhr und sie mit seinem Feuer versenkte. Er machte auch nicht den Fehler, sich immer anderen Angreifern zuzuwenden, sondern sorgte dafür, dass seine Opfer nicht mehr aufstanden. Gnadenlos jagte er einen nach dem anderen in den Tod. Durch sein Erscheinen ermutigt und nun nicht mehr von allen Seiten gleichzeitig bedrängt, verstärkte auch die Eisdrachin ihre Verteidigung und konnte endlich einige der Angreifer erledigen. Der Kampf dauerte noch einige Minuten, doch letztlich waren die beiden Drachen gemeinsam siegreich.

Erschöpft vom Kampf und besorgt um seine Geliebte ließ er sich neben der Eisdrachin nieder. Die Speere der Menschen hatten mehrere offenen Wunden in ihr funkelndes Schuppenkleid gerissen, am schwersten hatte es jedoch ihre eine Schwinge getroffen. So humpelte sie zu Fuß, die verletzte Schwinge hinter sich herschleifend, zu ihrer Höhle. Als er an ihre Seite eilte, um sie zu stützen, funkelte sie ihn aus ihren tiefblauen Augen jedoch nur wütend an. Sie erreichte den Höhleneingang aus eigener Kraft und zwängte sich vorsichtig, darauf bedacht nirgendwo anzustoßen, hinein.

Traurig blieb er hinter ihr zurück. Schweren Herzens starrte er in die dunkle Höhlenöffnung. Doch dann - gerade als er sich schon zum Absprung bereit machte, um sich einen anderen Schlafplatz zu suchen - hörte er ein dumpfes Grollen aus dem Inneren der Höhle: 'Willst du ewig da draußen rumstehen? Komm endlich rein!'
 

© Christine Krenz
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