Feuersturm von Jasmin Geiseler

Langsam glitt er über die zerklüfteten, teilweise noch immer schneebedeckten Berge, überflog gemächlich den ausgedehnten, dichtbewachsenen Wald und ließ schließlich den im Licht der untergehenden Sonne golden glitzernden See hinter sich.
Nach einigen Minuten schob sich sein Ziel allmählich in sein Blickfeld, rückte bald rasch näher. Ob ich diesmal Erfolg haben werde? dachte er und hatte sein Ziel fest im Visier und steuerte ein kleines Wäldchen an, das von einigen grasbewachsenen Hügel umgeben und von einem blauen Fluss durchzogen war. Die Kronen der Tannen wankten als seine federbesetzen Schwingen diese streiften. Mit leichtem Schritt landete er und trabte noch einige Meter weiter bevor er zum stehen kam. Alles war ruhig und nur der Wind pfiff an ihm vorüber. Verdutzt stand er einige Momente auf der selben Stelle und ließ seinen scharfen Blick umher schweifen.
Als er plötzlich eine schnelle Bewegung neben ihn bemerkte, schoss sein Schädel herum. Etwas kam auf ihn zugeflogen und er machte schnell einen Satz beiseite. Ein brennender, vom Feuer umschlossener Ast lag im grünen Gras und versengte das vegetarische Grün.
Er blickte verärgert in die Richtung, aus der das Geschoss gekommen war, und in dem Moment tauchte zwischen dem Geäst, das wie eine Höhle geformt war, ein schwarzer, alter Wolf auf. Sein Gesicht war schon etwas eingefallen und das Fell matt. Einer der langen Reißzähne fehlte ab der Mitte und so verlieh es ihm ein schwächliches Aussehen.
"Haben wir dir nicht gesagt, du sollst uns in Ruhe lassen, Greif, oder sollen wir dir das nächste mal einen Pfeil durch die Brust jagen?" fragte der Wolf mit rauer Stimme.
"Ich werde so lange wieder kommen, bis ihr diesen Ort hier verlasst", antwortete er. Der Wolf knurrte wütend und hinter ihm im Wald huschten viele Schatten hin und her.
"Dann kannst du solange kommen, bis du so alt geworden bist wie ich. Wir Wölfe werden uns nicht aus diesem Wald vertreiben lassen, du ignoranter Vogel!" fauchte der Wolf und fletschte die Zähne. Doch diese Drohgebärde wirkte auf den Greif kein bisschen angsteinflößend.
"Wie oft soll ich es dir noch sagen, du dummer Wolf... Ich will euch nicht vertreiben sondern euch vor eurem Tode bewahren!" fauchte der Greif zurück und schüttelte wütend seine braunen Federn.
"Wir Wölfe brauchten nie Hilfe und werden sie auch nie benötigen, merke dir dies endlich. Keine Gefahr kann uns hier etwas antun. Wir sind an diesem Ort sicher", widersprach der alte Wolf und der Greif plusterte sich zornig auf.
"Ihr habt ja keine Ahnung. Bald wird es zu spät sein um noch zu fliehen! Diese mörderischen Drachen sind schon beinahe bis hier her vorgedrungen und sie ziehen hinter sich eine Spur der Verwüstung her!" sagte er.
Der Wolf wandte sich nur ab. Er wollte es einfach nicht verstehen. Er glaubte, in diesem Wald in Sicherheit zu sein und dass die Drachen nie bis hier her kommen würden.
"Dann sterbt doch meinetwegen alle! Langsam ist es mir auch egal. Ich mache, dass ich hier verschwinde! Schaufelt doch euer Grab, ihr einfältigen Tiere!" schnaubte der Greif.
"Dein fluchen wird uns auch nicht von hier weg bewegen!" brüllte der Wolf dem Greif noch hinter her als dieser zum Absprung ansetzte und sich mit wenigen Flügelschlägen vom Erdboden entfernte. Er ließ den Wald hinter sich und preschte in den Himmel hinein. Sein Ärger über die Ignoranz der Wölfe saß noch tief. Er konnte sie doch nicht ihrem Schicksal überlassen. Diese mörderischen Drachen würden sie allesamt zu Asche verbrennen. Ebenso ihr kleines, grünes Waldparadies.
Wie er so immer höher gen Sonne segelte, fielen ihm plötzlich mehrere schwarze Flecken am Horizont auf. Er drehte sich in die entsprechende Richtung und schwebte im Aufwinde auf der Stelle.
Mit Entsetzen erkannte er die Umrisse mehrerer Drachen, die schnell näher kamen.
"Ach du sch....ande!" fluchte der Greif und ließ sich geradewegs wieder nach unten fallen. Er legte die Flügel eng an den Löwenartigen Körper und preschte auf das Wäldchen zu, das unter ihm lag. Knapp über den Wipfeln der Bäume fing er sich wieder und ließ sich auf die freie Grasfläche fallen.
"Sie kommen! Sie kommen!" brüllte er um sich.
Die Wölfe erschienen an der Waldlichtung und allen voran der schwarze Wolf.
"Jetzt reicht es aber langsam! Du gehst uns echt auf die Nerven! Verschwinde oder wir reißen dich in Stücke und das ist ein Versprechen!" knurrte der Wolf zornig und sein Fell sträubte sich.
In dem Moment erschien der erste zerfetzte Leib eines Drachen über dem Tal und die Wölfe schauten entsetzt nach oben als das Ungetüm über die Baumkronen strich und einen weiten Kreis zog.
Auch der schwarze Wolf konnte nicht fassen, dass der Greif Recht hatte mit dem was er gesagt hatte. Zwei weitere Drachen kamen ins Blickfeld und kreisten ebenfalls erst einmal über dem Ort. Ihre schuppige Haut war grau wie die eines Elefanten und die Krallen und Fänge waren weiß wie Elfenbein. Sie hatten einen furchtbar hässlichen Schädel und einen schlanken Körper mit zwei kräftigen Hinterläufen. Das Surren ihrer Flügelschläge hörte sich an wie ein Trommeln, das einem in den Ohren schmerzte.
Panisch ergriffen die Tiere die Flucht. Sie hatten die Gefahr erkannt und retteten sich aus dem Wäldchen. Weitere Drachen kamen hinzu und sie spieen ihr Feuer in den Wald. Wie ein Streichholz fing das Geäst Feuer und breitete sich rasend schnell aus. Die meterhohen Flammen krochen die Stämme hoch und setzten die grünen Blätterdächer in Brand.
Der schwarze, alte Wolf stand als einziger noch da und starrte gebannt in den Himmel.
"Was tust du denn da?! Verschwinde endlich!" brüllte der Greif ihn an und der Wolf machte schleunigst kehrt und folgte rasch dem übrigen Rudel.
Der Greif stieß sich vom Boden ab. Er wollte die Drachen ablenken, damit die Wölfe fliehen konnten. Als die Drachen ihn entdeckten, stürmten sie sofort brüllend los und schleuderten ihren heißen Atem aus ihren Kehlen. Der Greif rollte sich geschickt zur Seite und wich jeder Attacke aus. Er war viel zu klein und zu wendig als dass ihn die riesigen Drachen hätten erwischen können. Trotzdem hielt er immer Abstand. Er wollte von dem Drachenfeuer nicht gegrillt werden. Als der Greif sah, dass auch der letzte Wolf aus dem Wald gekommen war, machte er ebenfalls, dass er weg kam. Er bremste ab und ließ sich hinabstürzen. Sein Körper tauchte in die Fluten des Flusses ein, von dem er sich dann davontreiben ließ. Die Drachen hatten sofort das Interesse verloren und widmeten sich wider dem Wald und seinen idyllischen Hügeln. Ihr Feuer machte aus dem ganzen Gebiet in kürzester Zeit einen ascheversehenen Feuerplatz. Der gewaltige Feuersturm fraß sich durch Gehölze und durch die dicken Tannenstämme. Als kein Grashalm mehr aufrecht stand, flogen die Drachen davon. Ihr lautes Gebrüll war noch meilenweit zu hören.

Der Greif zog sich kraftlos aus dem Wasser. Sein gesamtes Gefieder war durchnässt. Er wusste nicht, wie weit er vom Fluss getragen worden war, doch hier war noch alles grün und wunderschön. Er befand sich in einem dichten Wald. Die Bäume wuchsen Hunderte Meter in den Himmel und Vogelgesang drang von überall her. Zwischen den Steinen am Flussufer liefen kleine Rinnsäle hinunter in den Fluss und nur wenige Meter weiter wuchsen dichte, dunkelgrüne Farne und dazwischen langes, dickes Gras. Helle Lichtstreifen schienen durch das Blätterdach und trafen auf die moosüberzogenen Felsen.
"Diese... verfluchten Drachen..." sagte er leise und hustete das Wasser aus seiner Lunge. "Das sollen sie mir büßen..."
Ihm war eiskalt doch nur der Gedanke, dass die Wölfe in Sicherheit waren, hielt ihn innerlich warm...
 

© Jasmin Geiseler
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