"Wer ist da? !" rief er unsicher in das Dunkel
hinein.
Er erhielt keine Antwort.
Statt dessen klapperte plötzlich irgend
etwas am (vermuteten) Ende der Finsternis. Das Geräusch erinnerte
an einen Metallstab, der auf steinernem Boden aufschlug und anschließend
noch ein Stück weit wegrollte.
Puk nahm all seinen Mut zusammen und ging
in die Richtung, aus der er das Geräusch vernommen hatte.
Der Keller, in dem er lief, gehörte zu
dem unterirdischen Areal der Burg.
Puk konnte sich wahrhaftig etwas schöneres
vorstellen, als in diesem riesigen, dunklen und unheimlichen Gewölbe
herumzuspazieren, aber er hatte ja gewusst, was auf in zukam.
Er hatte ja wieder den Mund gegenüber
seinen Freunden zu voll nehmen müssen. Jedes Kind wusste, dass es
in den Tunneln und Kellern von Burg Armrem spukte.
Hatte ihn das gekümmert, als er der Mutprobe
zustimmte?
Nein natürlich nicht!
Puk musste ja wieder mal den starken Kerl
raushängenlassen, und was hatte er nun davon?
Oh, er hatte sich alles selbst zuzuschreiben,
wenn er doch nur einmal in seinem Leben seinen Verstand einschalten könnte,
anstatt rumzuprahlen.
Diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf als
er dem Geräusch folgte.
Die Festung war auf einem alten Höhlensystem
der Zwerge erbaut worden. Die einstigen Bauherren der Zwergenmine waren
schon Jahrhunderte tot, aber ihre Tunnel und Höhlen existierten weiter.
Niemand konnte genau sagen, wie groß diese unterirdische Welt eigentlich
war, und wenn die Bewohner von Burg Armrem ehrlich waren, wollten sie es
gar nicht wissen.
Es hielt sich seit langer Zeit das hartnäckige
Gerücht, die Zwerge hätten durch ihre Graberei nach verborgenen
Schätzen das Böse geweckt. Diese Gerüchte und Sagen schienen
sich durch eine tragische Geschichte aus der Zeit Namariel des Zweiten
zu bestätigen.
Namariel war zu Lebzeiten ein starker und
grausamer Herrscher. Seine Ländereien regierte er mit harter Hand
und sein Ruf, unerschrockener als der Teufel zu sein, eilte ihm voraus.
Tatsächlich war Namariel wirklich ein
verwegener und unerschrockener Krieger. Seine ungezügelte Kampfeslust
hatte er schon in unzähligen Schlachten und Turnieren unter Beweis
gestellt.
So kam es, dass Namariel alle seine Gegner
und Feinde besiegt hatte, seine Schatzkammer war zum Bersten voller Schätze.
Doch der Herrscher besaß etwas, was
ihn noch mächtiger machte.
Einen Stab.
Er besaß ein Eigenleben, eine eigene
dunkle Seele. Er hatte ihn in einer Höhle des unterirdischen Reichs
gefunden. Der Stab war tatsächlich mit Zauberkräften ausgestattet,
er hatte die Fähigkeit, jede Art von Dämonen herbeizurufen, die
es nur gab, und sie zu beherrschen.
Doch der Stab hatte noch eine Eigenschaft.
Er nährte sich von den schlechten Eigenschaften
des Benutzers.
Bei Namariel fühlte der Stab sich äußerst
wohl, denn er besaß ein Übermaß an schlechten Tugenden.
Er wurde immer stärker und mächtiger und er flüsterte Namariel
Worte ein, die bei ihm wie eine böse Saat auf fruchtbaren Boden fiel.
Namariel erschuf sich eine Armee aus Monstern
und anderen unaussprechlichen Geschöpfen und überzog das Land
mit Krieg und Terror.
Namariel selbst wurde seinen Dienern immer
ähnlicher. Der Stab machte ihn zu einem Dämonen.
Es gelang schließlich den mächtigsten
Magiern aus den Rassen der Menschen, Zwerge und Elben, Namariel zu töten
und seine verdorbene Seele in das Reich der Unterwelt zu verbannen.
Sein Stab wurde in das unterirdische Reich
der Burg gebracht. Niemand außer den Magiern wusste wo.
Die Jahre zogen ins Land und die Menschen
von Burg Armrem fanden ihren Frieden.
Die Geschichte von Namariel wurde zu einer
Geschichte, die die Alten ihren staunend zuhörenden Enkeln und Urenkeln
an einem gemütlich prasselten Feuer erzählten.
"Das kann einfach
nicht gut gehen", dachte Puk schaudernd, als
er sich an die Geschichte erinnerte.
Puk war nicht besonders schlau,
sonst wäre er schon geflohen, als er das Geräusch hörte.
Endlich war er dort angekommen, von wo er
das Geräusch vernommen hatte.
Er stand in einer kleinen Höhle in der
die Luft abgestanden roch und in der die Wände von glitschigem Moos
überzogen waren. Inmitten
der kleinen Höhle (die eher an eine verfallene Gruft erinnerte) saß
auf einem Stuhl
ein alter, weißhaariger Mann. Sein Gesicht schien nur aus Falten
zu bestehen.
"Seine Haut sieht aus wie eine Landkarte oder
wie ein zerklüftetes Gebirge", dachte Puk, während er den Alten
betrachtete.
Seine Augen waren tiefblau und blickten Puk
gütig an.
Vor dem Mann lag ein silberner Stab.
In seiner kindlichen Naivität sprach
Puk zu dem Mann: "Was tut ihr hier unten, Alterchen? Das ist kein Ort,
an dem ein alter Mann leben kann."
"Ich lebe hier, solange ich denken kann, junger
Herr. Ich weiß nicht, wo ich sonst leben sollte. Doch ich bin alt
und meine Knochen sind schwach geworden durch die Feuchtigkeit. Es trifft
sich gut, dass ihr in meine kleine Höhle gekommen seid, junger Herr,
ich habe meinen Stock verloren. Würdet ihr die Güte besitzen
und ihn mir bringen? Meine Kraft reicht nicht aus, um mich ohne ihn zu
erheben." Diese Worte sprach er so beruhigend und in so einer sanften Stimme,
dass Puk alle Vorsicht und Bedenken vergaß und zu dem Stab ging.
Er betrachtete den Stab und dachte bei sich:
"ein wirklich schönes Stück."
Der Stab besaß die gleiche Farbe wie
die satten blauen Augen des Greises. Er war mit elbischen Runen verziert
die Puk, ein einfacher Knappe der Burg, nicht entziffern konnte.
"Wie kommt es, Alter, dass ihr hier unten
haust wie eine Maus, aber so einen wunderschönen und sicherlich wertvollen
Stab besitzt?" fragte Puk.
"Gebt mir den Stab edler Herr und dann werde
ich euch eine wundersame Geschichte von dem Stab und mir erzählen",
sagte der Alte.
Geschmeichelt durch die schönen Worte
des Mannes ging Puk auf ihn zu. Er streckte die Hand aus, um ihm den Stab
zu überreichen, als der Alte plötzlich aufsprang und Puks Hand
mit einer Kraft umklammerte, die Puk ihm gar nicht zugetraut hätte.
Als er nun sprach, war an seiner Stimme nichts
mehr Sanftes, sie hörte sich nun böse und grausam an: "Was haben
wir denn hier? Einen Narr, der sich in mein Reich verirrt hat. Wisst ihr,
mein junger leichtsinniger Freund, ich habe nicht oft Besuch hier unten,
durch eine unglückliche Begebenheit muss ich hier seit Jahren ausharren.
Umso mehr freut es mich, jetzt wieder Gesellschaft zu haben. Ich kann mich
bloß nicht entscheiden, ob ich euch gleich töten soll oder ob
ich euch noch ein wenig Schmerzen zufügen soll."
Mit einem Ruck verdrehte er seinen Arm, der
den armen Puk mit einem Schmerzensschrei auf die Knie sinken ließ.
"Ja, schrei nur, Tölpel, aber das war
gar nichts! Ich werde dich für alles bestrafen, was die da oben mir
angetan haben." Als er diese Worte sprach, erschien ein gieriger Glanz
in seinen Augen und er schien sich zu verwandeln.
Er wurde jünger.
Seine ganze Gestalt wuchs bis er an die zwei
Meter hoch reichte.
Auch sein Gesicht hatte sich verändert.
Es besaß nun eine grausame Art von Schönheit.
Und nun erkannte ihn Puk.
Er hatte das Gesicht in der Ahnengalerie in
der Burg schon mal gesehen.
"Namariel", entfuhr es Puk mit einem Stöhnen.
"Ganz Recht, mein Lieber. Der bin ich. Und
sicher kennt ihr auch meine Geschichte. Ihr wisst also auch, dass ich es
liebe, zu foltern und zu verstümmeln." Namariel blickte herablassend
auf den wimmernden Puk hinab.
Puk nahm seinen ganzen Mut zusammen und trat
Namariel mit aller Kraft gegen die Beine.
Das völlig überraschte Ungeheuer
fiel mit einem erstaunten Keuchen auf die Knie.
Diese Ablenkung genügte Puk, er rannte,
seinen verletzten Arm haltend, aus der Höhle hinaus zum Ausgang des
Gewölbes.
Hinter ihm hörte er einen enttäuschten
Schrei, der nun gar nichts mehr menschliches an sich hatte.
Er vernahm wie Namariel zur Verfolgung ansetzte,
war aber nicht fähig, sich umzudrehen. Endlich hatte er die Tür
erreicht und wollte gerade hinaus stürzen, als sich etwas um seinen
Fuß schloss, so dass er der Länge nach hinfiel.
Es war eine Klaue.
Namariel hatte sich nun vollständig zum
Dämon verwandelt.
Sein Gesicht schien einzig aus Zähnen
zu bestehen und seine Haut war schwarz geworden und mit eiternden Beulen
überzogen. Anstatt von Händen und Füßen besaß
er nun Klauen.
Seine Kiefer schnappten nach Puks Kopf, doch
es gelang ihm, ihn mit einer schnellen Bewegung wegzudrehen, so dass das
Ungeheuer in den Felsen biss und sich dabei vermutlich etliche Zähne
ausschlug.
Durch den Schmerz lockerte es für einen
Moment seinen Griff.
Puk entriss sich dem Ungeheuer und sprang
durch die Tür.
Was er nun sah, ließ ihn erschauern
und erleichtert aufseufzen zugleich.
Namariel versuchte vergeblich, durch die Tür
zugelangen, doch es war ihm unmöglich. Eine unsichtbare Wand schien
in immer wieder zurückprallen zu lassen.
Der Lärm war nicht verborgen geblieben
und so war das ganze Schloss auf den Beinen und betrachtete gebannt das
grausige Schauspiel, das sich ihnen bot.
Der erleichterte Puk setzte sich völlig
erschöpft auf den Boden und sah zu dem Mond
empor.
Sämtliche Türen, die in das Gewölbe
führten, wurden am nächsten Tage zerstört, so dass nie wieder
ein Unglücklicher in die Fänge von Namariel gelangen konnte.
Doch unten saß das Böse und wusste,
dass es noch nicht vorbei war.
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