Nachtwache von Elfenfeuer

"Wer ist da?!" rief er unsicher in das Dunkel hinein. Er erhielt keine Antwort. Statt dessen klapperte plötzlich irgendetwas am (vermuteten) Ende der Finsternis. Das Geräusch erinnerte an einen Metallstab, der auf steinernem Boden aufschlug und anschließend noch ein Stück weit wegrollte.
Gernot verfluchte sein Los, dass er ausgerechnet heute die Nachtwache mit seinem Freund Hartwig getauscht hatte. Und dass er genau zu diesem Zeitpunkt seine Runde durch die Burg begonnen hatte. Jetzt stand er hier, inmitten des riesigen Rittersaals, in beinahe völliger Dunkelheit, und sah sich einem unbekannten Herumstreuner - oder war es vielleicht ein gefährlicher Eindringling? - gegenüber. Er griff seine Hellebarde fester und ärgerte sich, dass er nicht schon auf der letzten Streife die Kerzen in den beiden Kerzenständern, die neben den beiden Ausgängen des Rittersaals standen, ausgetauscht hatte. Er war sich so schlau vorgekommen! Noch diese Runde und er wäre mit zwei Satz Kerzen ausgekommen. Nun musste er sich einen Weg zu der anderen Seite bahnen, wo die Ersatzkerzen liegen mussten. Und all das durch das halbdunkle Gewölbe - lediglich begleitet von den schwachen, silbrigen Strahlen, die der bleiche Mond durch die riesigen Flügelfenster warf. Und auf der anderen Seite wartete Gott-wer-weiß-schon auf ihn.
"Das kann einfach nicht gut gehen," dachte Gernot müde. Doch Pflicht war Pflicht und Gernot wollte lieber der Gefahr ins Auge sehen - sofern das bei diesem Zwielicht möglich war – anstatt morgen früh dem Wachhabenden erklären zu müssen, wieso während seiner Wache dieses oder jenes gestohlen worden war.
Trotzig schlang Gernot seine Hände um den rauen Griff seiner Hellebarde. Seit dem metallischen Scheppern vor wenigen Augenblicken hatte er keinen Mucks mehr gehört. Also los!
Vorsichtig schlich Gernot durch den Rittersaal. Tische und Stühle vom letzten Festmahl standen noch ungeordnet herum, doch Gernot wich allen Hindernissen geschickt aus. Schnell hatte er den vom Mondschein beleuchteten Bereich verlassen und befand sich selber im Schatten der Seitenwand. "Pfew," dachte er. "Zumindest bin ich jetzt keine so deutliche Zielscheibe mehr." Dann lauschte er in die Dunkelheit vor ihm hinein. Er war nur noch drei bis vier Schritt von dem hinteren Durchgang entfernt. Da! War da nicht ein schwaches Schnauben zu hören? Jetzt galt’s!
Mit einem gewaltigen Satz sprang Gernot aus seinem Versteck.
"Halt, im Namen des Grafen!" brüllte er entschlossen in Richtung des Durchganges. Eine Bewegung. Ein Schatten löste sich von der Wand hinter dem Durchgang und floh vor ihm. "Halt, stehen bleiben!"
Gernot setzte nach, seine Hellebarde wie einen Spieß vor sich führend.
"Rumms!!!"
Plötzlich lag Gernot der Länge nach auf dem Boden. "Autsch, verdammt!" Verzweifelt versuchte Gernot sich herumzudrehen und seine Hellebarde zur Abwehr zu erheben. "Zu Hilfe!" schrie er aus Leibeskräften.
Doch der tödliche Schlag aus dem Schatten des Durchgangs blieb aus.
Schnaufend richtete Gernot sich wieder auf und besah sich die Situation. Sein Knie schmerzte und der Grund war offensichtlich: Ein einsamer Stuhl stand, nein, lag rechts neben ihm. Mitten in dem verfluchten Durchgang. Gernot fuhr sich an den Kopf. "Ich Volltrottel, ich deppischer," stöhnte er. "Diesen bescheuerten Stuhl habe ich doch selber hierher gestellt, als ich vorhin eine kleine Pause gemacht habe." Dann fiel sein Blick auf einen vielarmigen Schatten links neben ihm. Sofort erkannte er den massigen, metallischen Kerzenständer, der umgestürzt auf dem Boden lag. Die mageren Reste der abgebrannten Wachskerze waren im Durchgang verteilt. Doch wie war der Kerzenständer umgekippt?
Da hörte er einen Laut hinter sich. "Miaaaaaaaaaauuuu," maunzte es jenseits des Durchgangs und mit ein, zwei raschen Sätzen huschte der große Hauskater des Grafen über Gernots Beine und verschwand schattengleich in den Tiefen des Rittersaals.
 
© Elfenfeuer
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