Die Mondburg von Salyan Silberklinge

"Wer ist da?!" rief er unsicher ins Dunkel hinein.
Er erhielt keine Antwort.
Stattdessen klapperte plötzlich irgendetwas am (vermuteten) Ende der Finsternis. Das Geräusch erinnerte an einen Metallstab, der auf steinernem Boden aufschlug und anschließend noch ein Stück weit weg rollte. Der Kopf tat ihm weh.
Faryj wäre gerne aufgestanden und hätte nachgesehen. Das dumme war nur, er konnte in dieser Dunkelheit nichts sehen und war an einen Stuhl gefesselt. Immer wieder rüttelte er daran, doch die Fesseln waren zu gut verknotet und leider noch nicht so alt, dass sie gleich rissen. An den Händen, am Bauch und an den Füßen tat sich nichts.
"Wer ist da?!" rief er noch mal. Und nun geschah etwas. Am (vermuteten) Ende tat sich eine Tür auf und Licht fiel in den Raum. Endlich sah Faryj den Raum: kaum Platz für ihn und einen Stuhl. Er erinnerte entfernt an eine ausgeräumte Besenkammer.
Im Licht des Flures, auf der anderen Seite der Tür, zeichnete sich ein Schatten ab. Und kurz darauf stand ein Mann mit einem lagen, schwarzen Mantel vor ihm und man sah nur seinen Kopf. Der Mann schien sehr  jung zu sein, doch er hatte Züge eines schrecklich alten Mannes.
"Tut mir leid, wenn dich der Türriegel etwas erschreckt hat." sagte der Mann in einer tiefen Stimme. Irgendwie hatte sie etwas Freundliches.
"Ich bin Antikor, Herr der Mondburg, in der du dich soeben befindest."
"Mondburg? Davon habe ich noch nie etwas gehört. Wo genau sind wir hier eigentlich?" fragte Faryj. Nirgendwo hatte er etwas von der Mondburg gehört oder gelesen.
"Nun, wir sind inmitten der Eisernen Höhen. Davon hast du doch gehört, oder?" antwortete Antikor. Faryj nickte. Die Eisernen Höhen waren eine Hügelkette über mindestens 100 Meilen, aber noch nie hatte er eine Burg auf ihnen gesehen.
"Auf den Eisernen Höhen habe ich noch nie eine Burg stehen sehen." sagte er.
"Und das ist es." sagte Antikor. "Wer diese Burg sieht darf sie nicht mehr verlassen."
"Warum denn das?" fragte Faryj.
Antikor sprach weiter: "Vor eintausend Jahren wurde die Mondburg belagert, doch der Feind konnte ihre Mauern nicht überwinden und deswegen sprachen Zauberer einen Fluch aus, dass wir nur noch alle fünfhundert Jahre bei Vollmond einen einzigen Tag sichtbar und real sind. Doch wenn die Nacht hereinbricht und der Mond am höchsten steht, gehen wir wieder aus dieser Welt für weitere fünfhundert Jahre. Und alle, die die Burg sehen, werden gefangengenommen und müssen in der Mondburg bleiben."
Antikors Stimme war nun tonlos und auch sein Gesicht hatte sich verändert. Es schien jetzt uralt mit vielen Falten. Jetzt erinnerte er sich: Heute Morgen hatte er im nahen Wald gejagt und hatte einen seltsamen Umriss auf den Höhen gesehen und ... das war im Prinzip alles.
Er hatte sich noch immer nicht von den Fesseln befreien können und wollte gerade aufgeben als ihm ein Trick eines Freundes einfiel. Und er könnte klappen. Antikor war derweil gegangen und hatte die Türe nicht wieder verschlossen.
Faryj ließ alles locker und atmete nur noch langsam. Er wartete und wartete und PLUMPS die Armfesseln fielen herunter. Der Knoten ist vielleicht gut, aber die Fesseln sind zu locker, dachte er. Er befreite sich von den anderen Fesseln und ging mit den Händen nach vorne zur Tür. Als er sie fühlte suchte er den Griff und auch ihn fand er. Er war aus Eisen und sehr schwer herunter zu drücken.
Die Tür war auf und er schlüpfte hindurch. Der Flur war sehr lang und auf dem Boden war nur Stein. Der einzige Weg ging nach rechts, denn links war nur eine Mauer.
Faryj rannte den Flur hinunter und lief diesmal links entlang, denn die Mauer war rechts.
Seine Schritte hallten auf dem Boden wider und beinahe wäre er gestolpert, denn vor ihm war eine Treppe. Auch sie war nur aus nacktem Stein und führte geradewegs auf ein großes Eisentor. Faryj rannte noch schneller und er wusste, der Ausgang war nicht mehr fern.
Er stieß das Tor mit einem lauten Knirschen der Scharniere auf und schaute hinaus. Vor ihm lag ein großer Platz mit vielen Leuten und am anderen Ende das Tor.
"PACKT IHN!!!" schallte es hinter ihm und am anderen Ende der Treppe stand der Burgherr.
Faryj rannte noch schneller los als sein Herz klopfen konnte und schaute verzweifelt auf das Haupttor. Von allen Seiten kamen Wachen, doch sie waren nicht schnell genug, um ihn zu fassen. Er war kurz vorm Tor als ihm zwei Wachen mit gekreuzten Lanzen den Weg versperrten. Und dazu kam vom Torbogen ein Eisengitter herunter. Er schaute hinter sich.
"Du bist so schlau, dass du es geschafft hast meine Fesseln abzuwerfen, aber so dumm, dass du versuchst zu entkommen. Sieh hinauf!" rief Antikor, der nun auch den Platz betreten hatte.
Er deutete zum Himmel und Faryj schaute hinauf. Der Mond hatte beinahe den höchsten Punkt erreicht. Er musste seit heute Morgen sehr lange bewusstlos gewesen sein, bevor Antikor auftauchte.
Er war nun noch verzweifelter und da fiel ihm noch ein Trick ein. Das kann einfach nicht gut gehen, aber was besseres fällt mir nicht ein, dacht er.
"Eine Wolke! Da seht!" rief er aus. Es war unglaublich, aber alle schauten zum Himmel auf.
Faryj hätte es vor Verblüffung fast versäumt zu fliehen, doch dann sprang er schnell unter den Wachen hindurch und hinter den Torbogen.
In dem Moment, in dem das Gitter den Boden erreichte, verschwand die Burg. Vor ihm lag die öde Landschaft der Eisernen Höhen. Es war kalt und er rappelte sich schnell auf.
So alt und fallen darauf noch rein, sagte er zu sich selbst und machte sich auf den Heimweg.
 
© Salyan Silberklinge
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
.
www.drachental.de