Ich ging einen vorsichtigen Schritt weiter,
dann noch einen... und nochmals einen. Schließlich war meine Hand
nur noch wenige Zoll von ihm entfernt.
Ich zögerte.
War er das Risiko überhaupt wert? Sollte
ich mich seinetwegen in Gefahr bringen?
Aber ich musste irgendwas tun!
Ich konnte den armen Drachen
doch nicht in dieser Falle lassen!
Andererseits, wenn jemand kommt, während
ich ihn befreie, was dann?
Wenn ich mich jetzt nicht schnell entscheide,
stirbt er vielleicht.
Ohne noch länger nachzudenken, beschwöre
ich eine Zauberformel, mit deren Hilfe man magische Fallen aufhebt. Der
Drache, es war noch ein ganz junger, seufzte erleichtert auf und mit einer
tiefen wohlklingenden Stimme sagte er: "Ich danke dir, dass du mein
Leben gerettet hast. Ich stehe in deiner Schuld und werde mich noch erkenntlich
zeigen. Zuvor allerdings muss ich zurück, die anderen werden sich
wahrscheinlich schon Sorgen um mich machen." Mit diesen Worten fing er
an, sich in die Luft zu erheben. Seine Flügel erzeugten einen kleinen
Sturmwind, der mich zu Boden warf.
Als der Drache weg war, hörte ich plötzlich
den Donner mehrere Hufe. Die Ritter des Königs! fuhr es mir durch
den Kopf, wenn die mich hier neben der leeren Falle finden, bin ich tot!
Ich brauchte dringend ein Versteck. Weil mir nichts besseres einfiel, versteckte
ich mich im Dickicht und wartete die Ankunft der Reiter ab. Ich hatte Glück,
es waren nur drei, aber sie alle waren bis an die Zähne bewaffnet,
so wie alle Ritter des Königs. Nun musste ich nur noch warten bis
sie abgestiegen sind, dann konnte ich mir eines ihrer Pferde
schnappen und damit fliehen. Sie stiegen ab... jetzt leise anschleichen...
geschafft! Ich habe mir das nächststehende Pferd geschnappt und galoppiere
los. Zu spät fällt mir ein, dass die Treue der Pferde ihren Herren
gegenüber genauso groß ist, wie die der Ritter dem König.
Wie auf Befehl warf mich das Pferd von seinem Rücken und blieb auf
seinen Herren wartend stehen. Unsanft landete ich ihm Gras; mir tat alles
mögliche weh. Als ich versuchte aufzustehen, tauchte vor meiner Nase
ein Schwert auf. Erschöpft und auf den Tod wartend ergab ich mich
meinem Schicksal. Aber statt mich gleich umzubringen, und mir somit noch
schlimmeres zu ersparen, fesseln die Ritter mich und schleppen mich vor
ihren König.
"Majestät! Wir haben hier einen Zauberer
gefunden, der den Drachen, der euch in die Falle ging, entkommen ließ.
Wie lautet euer Urteil?" fragt einer der Ritter. Mit einem zornigen Blick
antwort der König in meine Richtung: "Du weißt ganz genau, dass
es bei Strafe verboten ist, meine gejagte Beute anzurühren, geschweige
denn zu befreien! Dafür kann es nur eine Strafe geben: Übergebt
ihm den Kerkermeister!" Nun wurde ich in einen großen unterirdischen
Raum mit allerlei Folterinstrumenten gebracht. Unsanft werde ich in die
Mitte des Raumes gestoßen und sehe einen kleinen, kräftigen
Mann mit irrem Blick und einem sadistischen Lächeln auf mich zu kommen,
es war der Kerkermeister! Im Dorf wurden viele Geschichten über ihn
und seine Foltermethoden erzählt, aber
ich dachte, das sei alles nur Unsinn, ausgedacht
von den Leuten des Königs, um andere abzuschrecken. Aber nun sollte
ich am eigenen Leibe erfahren, wie war diese Geschichten sind...
Ich weiß nicht, wie lange ich diese Qualen
nun aushalte oder wie lange ich sie noch aushalten werde! Sie treiben mich
in den WAHNSINN! DIESE SCHMERZEN!!! Und immer noch werden die dröhnenden
Folterinstrumente benutzt, immer noch hat sich keiner von beiden erbarmt
meinen Schmerzen ein Ende zu bereiten, weder der Kerkermeister noch der
Tod! Ich wünschte, ich würde endlich an diesen Qualen zugrunde
gehen als sie noch länger ertragen zu müssen! Ich werde noch
wahnsinnig!! Ich kann schon keinen klaren Gedanken mehr fassen, ich sehe
plötzlich die Gasse,
in der ich aufgewachsen bin, klar vor mir. Ich sehe meinen Vater, meine
Mutter, meine Geschwister, aber sie verschwinden, werden von der Dunkelheit
geschluckt. DUNKELHEIT, GNÄDIGE DUNKELHEIT, UMFANGE MICH, NIMM MICH
IN DEIN REICH, MACH MICH ZU EINEM TEIL VON DIR!!! ICH WILL NICHT MEHR LEBEN!!!
Was ist das für eine Stimme die mich ruft?
Sie ist angenehm, tief und wohlklingend, es
ist die Stimme des Drachen, den ich gerettet habe. Wie lange mag das wohl
schon her sein? Einen Tag, zwei Tage, drei Tage, vielleicht auch schon
mehrere Wochen? Ich weiß es nicht.
Ich fange an zu verstehen, was er sagt: "Junger
Zauberer, der mein Leben rettete, dem ich Dank versprach. Weil du mein
Leben rettetest, bist du gestorben. Jetzt rette ich dein Leben und begleiche
meine Schuld. Dein Körper ist allerdings durch die Folter unbrauchbar
geworden, also werde ich dir einen neuen schenken. Du sollst als Drache
in meinem Volk wiedergeboren werden. Bestimmt sehen wir uns also bald wieder!"
Plötzlich verstummte die Stimme und ein
angenehmes Gefühl breitete sich in mir aus.
Ich öffnete vorsichtig die Augen. Das
erste was ich sah, war eine große Schnauze, hinter der ein freundliches
Augenpaar auftauchte. Ich begann zu verstehen: Ich war der erste Mensch,
der als Drache wiedergeboren war, aber noch wusste, dass er einmal ein
Mensch war. Doch ich werde diese Erinnerungen verdrängen und mein
neues Leben als Drache genießen und ich werde dem Drachen, den ich
damals rettete, ewig dankbar sein.
|