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Diese Geschichte wurde von den Drachental-Besuchern
zur besten Projekt-Story 2004 im Drachental gewählt!

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Ihr liebster Alptraum von Elfenfeuer

Sie schritt noch schneller aus als zuvor. Das zerrissene Kleid um die Beine wehend versuchte die Kriegerin verzweifelt, ihr zerzaustes Haar zu bändigen.
"Dieser verdammte Mistkerl! Was fällt ihm eigentlich ein? Das wird er noch bereuen! Wo ist mein Dolch?!" rief Seldana fluchend, während sie einen weiteren Kreis durch ihr geräumiges Schlafgemach lief. Manchmal half ihr das beim Nachdenken. Ein letztes Mal durchwühlte sie die schwere Holztruhe und verteilte weitere Kleidungsstücke auf dem Boden. Aber die Schatulle mit der Halskette ihrer Mutter war verschwunden.
Dafür fand sie endlich ihren Dolch.
"Ha! Jetzt geht es dir an den Kragen!" Triumphierend begab sie sich zu der schweren Eichentür, die bislang ihren Bemühungen getrotzt hatte. Ihre pochende Schulter gab ein schmerzhaftes Zeugnis ihrer fehlgeschlagenen Versuche ab, die verschlossene Tür zu öffnen oder einzubrechen. Geschwind ließ sie sich vor der Tür nieder sinken, strich sich einige störrische Strähnen ihres dunklen Haares aus dem Gesicht und begann das einfache, aber stabile Türschloss mit der Spitze ihres schlanken Dolches zu bearbeiten. Es wäre doch gelacht, wenn sie ihre eigene Schlafzimmertür nicht auch ohne Schlüssel aufbekommen würde. Leider kam sie nicht weit.
"Whaaaaah!" schrie sie enttäuscht. "Den Schurken bringe ich um! Diese niederträchtige Kreatur hat den Schlüssel von außen stecken lassen." Vor Wut und Enttäuschung schnaubend stand sie wieder auf. Unglaublich. Sie, eine Kriegerin des Drachenordens, war nicht nur beraubt, sondern auch in ihrem eigenen Schlafgemach eingesperrt worden. Welch eine Schmach. Zornig trat sie gegen die Eichentür, die wiederum nur trotzig knarrte. Also doch das Fenster.
Seldana drehte sich um und schritt zu der Öffnung, durch die sich das sanfte Morgenlicht in das Zimmer stahl. Sich in ihr Schicksal fügend blickte sie hinaus. Direkt unter ihr erstreckte sich die schimmernde Fläche des Bernsteinsees, denn der Turm, den sie als ihre Zuflucht und ihr Zuhause ausgewählt hatte, ragte, wie ein Säule, von einer Landspitze aus über den kristallenen See. Sie seufzte. Sie würde schwimmen müssen, um hier raus zu kommen.
Mit vor Wut bebender Hand entriegelte sie das Fenster und schaute hinab. Die glatte Oberfläche des Sees befand sich knapp acht Schritt unter dem Fenstersims. Verborgene Felsen gab es keine an dieser Stelle und der Uferrand glitt extrem steil in den See hinab, so dass sie nicht befürchten musste, auf dem Boden aufzuprallen, wenn sie aus dieser Höhe sprang. Sie musste sich nur weit genug abstoßen, um nicht zu dicht am Turm und dem Ufer zu sein. Also, wozu noch warten? Sie hatte bereits genug Zeit verloren.
Schnell streifte Seldana die Überbleibsel ihres Kleides ab, damit es sie nicht bei ihrem Vorhaben behinderte. Der zerrissene Stoff erinnerte sie daran, welch eine Närrin sie gewesen war. "Dreimal verfluchter Mistkerl! Auf dich falle ich nie mehr herein." Dann zog sie schnell eine oberhalb der Knie abgeschnittene Lederhose an, bedeckte ihren bloßen Oberkörper mit einem leichten, enganliegenden Hemd und steckte sich ihren Dolch unter den Hosenbund. Grimmig schwor sie: "Niemand hält eine Kriegerin des Drachenordens ungestraft zum Narren." Dann wandte sie sich wieder dem Fenster zu, stieg auf den steinernen Sims und blickte aufseufzend auf die klare Oberfläche des ruhig schlummernden Gewässers tief unter ihr. Wie ein warnender Zeigefinger zeichnete sich die Spiegelung ihres Turms auf dem kristallenen Tablett des Sees ab. "Nun denn", dachte sie zornig, "ich habe schon weitaus dümmere Sachen gemacht."
Da hörte sie einen schwachen Pfiff.
Irritiert hielt sie ein und blickte empor. Noch ein Pfiff. Er musste von der anderen Seite des Sees kommen. Geschwind suchte sie das knapp vierhundert Schritt entfernte, gegenüberliegende Ufer ab. Da! Ein bläuliches Winken. Sie kniff ihre Augen zusammen um besser sehen zu können.
Er war es! Das war sein veilchenblauer Umhang. Der Schuft, der ihr gestern Nacht noch betörende Worte zugeflüstert hatte. Sie umgarnt hatte, um sie dann hinterhältig zu berauben.
"Na, warte, du Bandit." Grimmig schnaubte die Kriegerin und stieß sich kraftvoll mit ihren durchtrainierten Beinen ab.
Ihr Sprung war perfekt. Wie ein Pfeil stieß sie auf das Wasser herab, streckte ihren geschmeidigen Körper und tauchte geschickt kopfüber in das kalte Nass. Einem Fisch gleich schwamm sie eine Rolle unter Wasser und kam mehrere Schritt vom Ufer entfernt wieder an die Oberfläche. Tief Luft holend füllte sie ihre Lungen wieder mit Lebensenergie und versuchte sich zu orientieren. Trotz ihres niedrigen Standorts konnte sie die ferne Gestalt am anderen Ufer noch immer ausmachen. "Aiiih!" schrie sie ihre Herausforderung hinaus. Dann begann sie mit wuchtigen Stößen in Richtung ihres Ziels zu schwimmen.
Seldana war eine ausgezeichnete Schwimmerin. Unzählige Male hatte sie die erfrischende Kühle des Bernsteinsees genossen. Unzählige Male war sie vom Fuße ihres Turms zum anderen Ufer geschwommen. Mit und ohne Bekleidung, denn eine Kriegerin sollte auch in ihrer Kampfmontur den Naturgewalten trotzen können. Doch nie war sie so schnell durch das Wasser gepflügt wie heute. Der Mistkerl hatte einen Fehler gemacht. Nein, zwei! Er hätte sie nicht bestehlen dürfen. Und... er hätte längst über alle Berge sein sollen.
Mit kräftigen Zügen durchmaß sie die letzten Schritt des Sees. Ihr Atem ging heftig und sie verspürte Schwäche in ihren Armen und Beinen, denn sie war alles andere als sparsam mit ihren Kräften umgegangen. Doch der Anblick der Gestalt in hellen, seidigen Gewändern mit dem blauen Umhang in den Händen, die nach wie vor winkend oberhalb der Uferböschung stand, spornte sie an. War das ein weiteres Spiel, das er mit ihr trieb? Vielleicht hatte er sein Pferd hinter einem Gestrüpp versteckt und wollte sie nur noch ein letztes Mal verhöhnen?
Schniefend bekam sie wieder Boden unter den Füßen. Nur noch wenige Schritte. Und dann die Böschung hinauf. Und dann...
"Seldana", hörte sie ihn plötzlich rufen. Irrte sie sich oder klang seine Stimme etwa vergnügt? "Ist so ein Bad nicht herrlich?"
"Scher dich zum Teufel!" presste sie atemlos zwischen den Zähnen hervor. "Wenn ich dich in die Finger kriege..." Ihr Hemd und ihre Lederhose hatten sich mit Wasser vollgesogen und klebten an ihrem schlanken Körper. Umso entschlossener watete sie durch das immer flacher werdende Gewässer. Auch dafür würde dieser Mistkerl büßen.
"Aber, aber. Warum diese Aufregung?"
Sie beschloss ihn zu ignorieren. Statt dessen nahm sie all ihre verbleibende Kraft zusammen um mit einem schnellen Spurt die Uferböschung zu erklimmen.
"Du bist doch nicht etwa wütend?" fragte der Mann neckend.
"Dir wird das Lachen noch vergehen", knurrte Seldana leise. Dann stieß sie sich plötzlich ab um mit ein, zwei raschen Sätzen die Böschung zu erklimmen. Vielleicht konnte sie ihn ja überraschen, wenn sie schnell genug war, und...
"Mist!" Verdutzt stellte Seldana fest, dass der Untergrund der Böschung an dieser Stelle bemoost war. Und ziemlich glatt und rutschig. Im letzten Moment versuchte sie sich noch abzustützen, aber..."platsch"... schon lag sie mit dem Gesicht vorneweg im Dreck und rutschte zurück ins Wasser.
"Das war wohl nichts", lachte ihr Peiniger fröhlich.
"Phrmmwwll, dwo lwaasssigrr Dwwweeeb." Seldana spuckte einige Moosklümpchen aus und schmeckte Blut zwischen ihren Zähnen. Bei den Göttern, sie hatte sich zu allem Übel auch noch auf die Zunge gebissen.
"Bitte?"
"Fymiel, du lausiger Dieb", schrie die Kriegerin aus vollem Halse als sie endlich ihren Mund wieder frei hatte. "Ich werde dir alle Gliedmaßen brechen, wenn ich dich zwischen meine Finger bekomme."
Fymiel verzog schelmisch seinen Mund. "Ohhhhhh", flötete er Empörung vortäuschend. "Wer wird denn gleich so gewalttätig werden?" Dazu rollte er mit seinen vergnüglich leuchtenden, blauen Augen. "Was ist der Anlass für solchen Zorn?"
"Was ist der Anlass?" rief Seldana empört. "Bei den Göttern, du hast Nerven..."
Fymiel zuckte mit den Schultern und hob abwehrend seine Hände. Seldana kochte vor Wut. Wenn sie doch nur eine nahegelegene Stelle finden würde, an der sie schnell und ohne abzurutschen die Böschung erklimmen könnte. Doch dieser Satan, der wie ein Unschuldsengel mit seinen hinreißend blauen Augen auf sie herabblickte, hatte diesen Ort gut gewählt. Moment! Hinreißende Augen? Nein, dieses Mal würde sie nicht auf ihn hereinfallen und stattdessen ihm den Hals umdrehen, wenn sie in seine Reichweite kam. Doch zuerst musste sie aus diesem kalten Wasser heraus. Verärgert schüttelte sie ihren Kopf, so dass von ihrem nassen, langen Haar Kaskaden von Wassertröpfchen auf die Wasseroberfläche herabregneten. Sie musste Zeit gewinnen und etwas Kraft sammeln, dann würde sie die Böschung schon erklimmen können. Moos hin oder her.
"Also", rief sie etwas ruhiger, "fassen wir noch einmal zusammen..."
Fymiel neigte seinen Kopf. "Ich höre."
"Wer hat sich gestern Nachmittag auf schamloseste Art und Weise bei mir eingeschmeichelt?"
Fymiel holte tief Luft und setzte zu einer Entgegnung an: "Ich..."
"Wer hat mich halbtrunken gemacht und sich – ach, so hilfsbereit – erboten mich nach hause zu begleiten?" unterbrach sie ihn scharf.
"Das war wirklich..."
Seldana ließ Fymiel wiederum nicht zu Wort kommen. "Und wer ist dann wie ein liebestoller Kater über mich hergefallen, kaum dass wir in meinem Turm waren?"
Jetzt reichte es Fymiel. "Halt!" warf er ein. "Ich hatte eher den Eindruck, dass du nicht warten konntest mich in dein Schlafgemach zu zerren."
Seldana schnaubte und stemmte ihre Hände in ihre Hüften. Der Kerl war wirklich dreist. "Das ist doch die Höhe! Wer hat mir denn meine Kleider förmlich vom Leib gezerrt und mein Kleid und meinen Unterrock in aller Hast zerrissen?"
"Und?" entgegnete Fymiel und fasste sich an sein rüschenbesetztes Hemd. "Sieh her", rief er und zerrte sein knopfloses Hemd auseinander. "Siehst du das?" Seldana betrachtete irritiert Fymiels muskelbewehrte Brust. "Wer, bitte schön, hat denn mir das Hemd vom Leib und alle Knöpfe abgerissen?"
Seldana kniff ihre Augen zusammen. "Ich meine mich zu entsinnen, dass du es selber warst, bevor du dich auf mich gestürzt hast..."
Fymiel kaute auf seiner Lippe. "Tatsächlich? Oh, das muss mir entgangen sein."
Seldana spürte wie die Wut wieder in ihr aufbrodelte. "Das ist doch mal wieder typisch Männer." Heimlich sammelte sie ihre langsam zurückkehrende Kraft und suchte nach einem geeigneten Aufstieg, um Fymiel endlich für seine Schurkerei büßen zu lassen. "Doch damit war es ja wohl noch nicht getan, oder?"
Fymiel spielte weiterhin den Unschuldsengel. "Wie?" säuselte er nonchalant und beugte sich elegant vor. Wie ein Chevalier, der sich am Hofe präsentiert. "Hat es der Dame etwa nicht gefallen?"
Seldana verschlug es die Sprache. "Das... ist... doch..."
Zugegeben, eigentlich hatte es ihr sogar SEHR GUT gefallen. Fymiel hatte sich letzte Nacht in der Tat als äußerst geschickter Liebhaber erwiesen und bei dem bloßen Gedanken, was sie alles angestellt hatten, spürte sie, wie sich ihr Unterleib vor Wohlbehagen zusammen zog und ein vertrautes Kribbeln in die Spitzen ihrer Brüste schoss. "Verdammt!" schalt sie sich innerlich. "Ich darf mich nicht von meinem Ziel abbringen lassen." Die Kriegerin konzentrierte ihren Blick wieder auf die moosbewachsene Böschung vor ihr und suchte nach geeigneten Steinen, die sie als Trittbrett für ihren Aufstieg nutzen könnte. Über ihm stand noch immer Fymiel und schien auf eine Antwort zu warten. Wenn sie doch nur einen trittfesten Weg finden würde.
"Das tut nichts zu Sache", rief sie ihm trotzig entgegen. "Aber was war das heute morgen? Wie ein Dieb * der du ja wohl auch bist * hast du dich davongestohlen. Und mich dabei zu allem Überfluss auch noch beraubt!?"
Fymiel lächelte verschmitzt. "Wer behauptet denn so etwas?"
Seldana ignorierte seine Frage und konzentrierte sich weiter auf die Böschung vor ihr. Da! War da nicht ein Felsstück, welches tief genug in dem weichen Boden verschwand und genug Halt geben sollte? Deswegen antwortete sie eher geistesabwesend: "Ich weiß sehr genau, was sich normalerweise in meinen Truhen befindet und was nicht."
Fymiel rollte erneut mit seinen Augen. "Das sind doch Kleinigkeiten."
"Kleinigkeiten", schnaubte Seldana entrüstet. Doch sie riss sich zusammen. Noch ein oder zwei Augenblicke. Dann hatte sie ihren vermeintlichen Aufstiegspfad erkundet. "Diese Kette ist seit Generationen im Besitz meiner Familie."
"Oh, dann ist es doch mehr als billiger Tand?" Fymiel begann in seiner Hosentasche herumzukramen. Jetzt war die Gelegenheit auf die sie solange gewartet hatte. Der Mistkerl war abgelenkt.
"Ja, mehr als nur Tand!" schrie sie herausfordernd. Es klang wie ein Kampfschrei. Es sollte wohl auch einer sein. Dann preschte Seldana los.
Das Wasser spritze neben ihr hoch, als sie einige Schritt seitwärts spurtete, und ihre Haare flogen wirbelnd um ihren Kopf. Mit einem gewaltigen Satz sprang sie auf den Felsen, den sie als erste Stufe erkoren hatte. In diesem Moment blickte Fymiel auf. "Oha!" war alles, was er hervorbrachte. Ein weiterer Sprung und sie war in Reichweite eines dicken Astes, der über die Uferböschung hinausragte. Mit sicherem Griff fasste sie nach dem Ast und zog sich geschickt über den Böschungsrand. Aus den Augenwinkeln erkannte sie, wie Fymiels Kopf hinter einem Busch verschwand. "Du entkommst mir nicht!" rief sie ihm hinterher. Sollte er nur laufen. Sie würde diese Stadtratte spielend einholen.
Endlich stand sie auf der Böschungskrone und blickte sich um. Vor sich hörte sie das Krachen von Gehölz. Das musste dieser Schurke sein! Geschickt duckte sie sich unter herabhängenden Ästen und folgte Fymiel in das Dickicht.
Sein blauer Umhang verriet ihn. Immer wieder blitzte das farbige Gewand zwischen den Bäumen hervor. Mit schnellen Sätzen holte sie geschwind auf und einige Augenblicke später war der Abstand zwischen Jägerin und Fliehendem fast geschmolzen. Nur noch wenige Schritte, dann hatte sie ihn erreicht. Selbst wenn er sein Pferd irgendwo versteckt hatte, würde er jetzt nicht mehr entkommen. Sie hatte schon viele Reiter von ihren Pferden gehebelt und dieser Straßendieb würde keine Ausnahme machen.
Plötzlich schlug Fymiel einen Haken nach links und duckte sich zwischen zwei dicken Baumstämmen hindurch. "Das hilft alles nichts mehr!" schallte ihre Stimme triumphierend durch den Wald. Dann brach sie ebenfalls durch den Einschnitt hindurch und suchte nach ihrer Beute.
Was war das?
Irritiert lief sie ein paar Schritte weiter und stand inmitten einer traumhaften Lichtung. Hohe Bäume umkränzten die lichte Wiese und die wenigen Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg durch die hohen Wipfel bahnten, tanzten munter auf den wippenden Grashalmen. Der betörende Duft sich öffnender Blüten drang in ihre Nase und dazwischen mischte sich der verführerische Geruch frisch gebackenen Brotes. Mitten auf der Wiese, dort wo sich mehrere Sonnenstrahlen kreuzten, lag weit ausgebreitet eine bunt gescheckte Decke. Verblüfft erkannte sie, dass es eine der Decken aus ihrer eigenen Küche war. Doch damit nicht genug. Auf der Decke stand ein Korb aus dem zwei Laib kerniges Graubrot ragten und auf einem Teller lagen Wurst und Käse. Und in der Mitte der Decke stand eine einfache Tonvase aus der bunte Blumen neckisch ihre Köpfe in die Sonnenstrahlen streckten. Bei allen Göttern, was sollte das bedeuten?
Plötzlich hörte Seldana leise Schritte hinter ihr. Sie hob an sich umzudrehen und erkannte entsetzt wie nahe die Schritte waren. Sie spürte feinen Atem an ihrer Wange und dann die kalte Berührung blanken Metalls an ihrer Kehle.
"Keine Bewegung, Kriegerin, wenn dir dein Leben lieb ist."
Seldana erkannte die Stimme sofort und erstarrte. "Du mieser Betrüger...", keuchte sie leise.
Fymiel kicherte. "Die gefangene Jägerin."
"Was hast du vor?" fragte sie mit erstickter Stimme.
"Das wirst du gleich erleben", antwortete ihr Häscher, ohne den Druck von ihrem Hals zu nehmen. Seldanas Körper wappnete sich und ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Das muntere Zwitschern der Vögel klang wie Gelächter in ihren Ohren, während ihr Widersacher sich etwas hinter ihr bewegte. Dann spürte sie, wie etwas um ihren Hals gelegt wurde.
"Nein..." flüsterte sie entsetzt. Wollte dieser Dieb sie zur Sklavin machen? Hatte dieser Alptraum denn gar kein Ende?
Geschickt vollendete der Dieb mit seiner freien Hand sein Werk und schloss die metallene Kette um den schlanken Hals der Kriegerin. Für einen weiteren kurzen Moment verharrten beide in Schweigen. Dann begann sich die freie Hand des Diebes über die nassen Kleider entlang ihres Körpers zu bewegen. Seldana spürte seinen Atem hinter ihrem Ohr und erzitterte.
"Wie schön du bist...", hörte sie ihn sagen. Mit einem Mal loderte all ihre Wut und ihr Zorn auf. Niemals würde sie sich von einem dahergelaufenen Dieb erniedrigen lassen. Dieser elende Schuft hatte sie verführt, sie betrogen, sie beraubt und nun auch noch in seine Falle gelockt. Sie war eine Drachenkriegerin! Sie würde eher sterben, als ihn weiter gewähren zu lassen!
Mit einem verzweifelten Ruck ließ sie sich nach unten sinken. Ihre rechte Hand stieß seine Hand von ihrer Hüfte, während sie ihm mit ihrer Linken einen Ellenbogenstoß gegen die Rippen gab. Überraschend leicht konnte sie sich aus seiner Umklammerung lösen und bevor die gefährliche Klinge ihren Hals durchschnitt, hatte sie ihn abgeschüttelt. Sie wirbelte herum. Ihre Augen trafen sich und Seldana erkannte eine Mischung von Überraschung und – konnte es denn wirklich sein? – Freude in diesen tiefgründigen türkisfarbenen Augen.
Dann schwang sie ihr rechtes Bein und traf Fymiel genau zwischen den.... naja, eben dort wo es am meisten weh tut.
"Mmpf!" war Fymiels einziger Kommentar, bevor er schmerzverzerrt zusammensackte. Im selben Moment glitt ein Gegenstand aus seiner linken Hand. Es war ein kurzer, metallener Stab, der ziemliche Ähnlichkeit mit dem Torschlüssel zu ihrem Turm hatte. Damit hatte er sie bedroht? Instinktiv griff Seldana an ihren Hals. Das war keine schmucklose Sklavenkette. Diese feinen Glieder. Oh weh, das fühlte sich viel mehr an wie...
Erstaunt schaute sie an sich herab und erkannte den vertrauten, funkelnden Rubin, der in einen goldenen Anhänger eingefasst war und zur Kette ihrer verstorbenen Mutter gehörte. Verwirrt blickte sie wieder auf den am Boden liegenden Dieb herab.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht blickte Fymiel sie an. Es ging ihm alles andere als prächtig, doch seine leuchtenden Augen erzählten eine andere Sprache. Unvermittelt fing das Blaugrün dieser Augen Seldanas Blick ein, schnitt durch ihre Wahrnehmung und drang in ihre Sinne ein. Das strahlende Funkeln brannte sich in ihre Gedanken und pflanzte die Saat des Erkennens in ihre Seele. Diese Augen enthielten nicht den Hauch von Hinterhältigkeit oder Missgunst. Diese Augen erzählten von Leidenschaft und flüsterten von Liebe. Die Zuneigung in ihnen war unübersichtlich und mit einem Mal erkannte Seldana, wie ihr Herz sich nach selbiger sehnte. In diesem Augenblick richtete sich ihr Gegenüber ein wenig auf und versuchte seinen Gesichtsmuskeln ein schwaches Lächeln zu entlocken.
"Ouuuh", presste Fymiel zwischen seinen Zähnen hervor. "Guten Morgen, Liebste! Das Frühstück ist fertig. Aber ich fürchte, ich werde dich nicht allzu bald wieder so verwöhnen können wie vergangene Nacht..."
 
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