1565 Gordolon
Sein Pulsschlag raste, sein Herz schlug ihm
bis zum Hals, als er sah, wie die winzigen rot-gelben Punkte in der Ferne
über die Hügel der 'Moorwellen' flogen. Sie wirkten wie kleine
Glühwürmchen, doch leider sah die Realität ganz anders aus.
Schnell, schneller als Schatten, tanzten die
Lichter über dem Moor auf und ab, vollführten große Kreise
und blieben manchmal sogar starr am Fleck stehen. Langsam konnte er, Dragorn,
erkennen, wie viele es waren, nämlich zwölf, unheimlich und beängstigend,
fast wie Geister schwebten sie dahin. Dragorn tat ein paar Schritte vom
Pfad, der durch das Moor führte, der ausgetrampelt und mit dunklem,
schleimigem Gras bewachsen war, zurück, duckte sich beim Laufen leicht,
um sich von der vielleicht nahenden Gefahr zu schützen. Hinter ihm
ragte ein mächtiger Wald empor, dessen Stämme alt und knorrig
und mit dichtem Moos bewachsen waren. Silbenmoorwald nannte man ihn und
er entsprang den tiefen des Moores, was einst ein Stausee war, der schließlich
durch den Wall gebrochen war, sich aber nicht ganz vom Land entfernt hatte.
Mit der Zeit entstanden viele, kleine Teiche, die mit seltsamen Schilfpflanzen
bewachsen und deren Wasser trüb waren. Durch diese Gewässer,
so hieß es, streiften oft die gefährlichen Wächter des
Höllenschlundes, ein schwarzer, wolkenverhangener Berg, der hinter
den Sumpflanden aufragte und in dem eine Höhle geschlagen worden war,
die viele Millionen Kilometer tief sein und in welcher der finstere König
Kauladin seine Gemächer haben sollte.
Natürlich war das alles nur ein Hirngespinst
der Bauern, die ihn hier hergeschickt hatten, um diesen verdammten Ring
zu finden, der in einem der vielen Teiche gefallen war und dem Magie zugesprochen
worden war. Seit Dragorn’ s Herr, der König der Gleishad – Gefildes,
ihn abkommandiert hatte, den Dorfbewohnern beim Bau der Bauernburg zu helfen,
hatte es nur Ärger gegeben, ständig wollten die einfachen Leute
Gold- und Silbermünzen von ihm stehlen, von denen er selber nur wenige
besaß, oder es gab irgend ein Problem, das die Leute nicht alleine
beheben konnten und so musste er sich jedes mal tierisch ins Zeug legen,
um diesen nervenden Gestalten zu helfen, wie zum Beispiel letztens, als
ein Pfeiler der Palisadenwand umkippte und einen der Dörfler im Schlamm
begrub. Keiner konnte den Balken wegräumen und so musste Dragorn ran
und sich in den Matsch werfen, um den armen Kerl freizuschaufeln und den
Stamm wegzudrücken.
Aber das eigentliche Erlebnis, was ihn hierher
brachte, war, als die Tochter des Goldschmiedes von ihrem Vater einen Ring
mit angeblichen Zauberkräften erhalten hatte, die sich nur bei Vollmond
zeigten. Diesen hatte sie bei einem morgendlichen Spaziergang durch den
Sumpf verloren und natürlich war sie auch gleich zu ihm gekommen und
hatte ihn angebettelt ihr zu helfen, da keiner der anderen Landsleute Kampferfahrungen
hatten und es nachts hier nur so von Dämonen und Geistern wimmelte,
hatte er schließlich zugesagt und war unter äußerst schwierigen
Begebenheiten, die ihm anstrengend
erschienen, zu den Ufern des Moores gelangt.
Dragorn duckte sich hinter eine besonders
große und knorrige Wurzel und beobachtete die Lichter, die sich beim
näherkommen als ziemlich menschliche Wesen entpuppten. Diese Menschen
schienen schwer bewaffnet und mit dicken Rüstungen bekleidet zu sein
und man musste sich fragen, wie diese spindeldürr erscheinenden Gestalten
so eine gewaltige Montur tragen konnten. Auch, das konnte Dragorn jetzt
erkennen, waren die seltsamen, wie Glühwürmchen erscheinenden
Lichter Fetzend von hellgelber Magie, welche sich in kleinen, leuchtenden
Punkten um die Spitzen der gewaltigen Speere der Wesen drehten, und ein
schummriges Licht aussandten. Es waren Reiter, auf teuflischen Gäulen,
die still wie der Tod wankten und langsam, mit geisterhaft vorsichtigem
Tempo ihre Wege durch den Sumpf fanden. Diese Reiter waren eigentlich keine
Menschen mehr, erkannte Dragorn jetzt, wankte geschockt und mit Angstschweißausbrüchen
auf der Stirn zurück, da es reitende Skelette in Rüstungen mit
scharfen Eckzähnen waren, zwölf an der Zahl, welche die Leere
in ihren Augenhöhlen gefangen zu halten schienen.
"Die Wächter des Höllenschlunds...",
stotterte Dragorn, schluckte und fühlte sich wie zu einer Salzsäule
erstarrt, torkelte gefühllos zurück und stockte dann am ganzen
Leib zitternd unter einer großen Kiefer,
die schwarz und finster in den kühlen Nachthimmel aufragte.
Langsam versuchte er sich zu fassen, denn
die Gestalten schien ihn gesehen zu haben, bewegten sich mit der genausten
Präzision auf ihn zu, während sie die Spieße in ihrer knochigen,
bleichen Hand drehten und wendeten.
"Du musst es schaffen!", sagte er mit gepresster
Stimme zu sich selbst, während er versuchte die Muskelkrämpfe
in seinem Körper zu bändigen. Stockend bewegte er die Hand, wie
als würde er nur für Sekunden aus der Lähmung erwachen,
zu seinem breiten, ledernen Gürtel, an dem sein Sarazenenschwert geheimnisvoll
prangte.
Aber kurz bevor er den Griff erreicht hatte,
jagte ein ohrenbetäubender Schmerz durch seinen Arm, von der Hand
aus bis zur Schulter und in seinem Inneren schien etwas fürchterlich
laut zu knallen und dann alles leicht zu werden. Die Verkrampfung aus seiner
Hand ließ augenblicklich, aber mit einem schmerzhaften Knacken nach
und er konnte sein Schwert völlig packen, es schwungvoll aus seiner
Scheide ziehen und seinen kurz aufblitzenden Glanz bewundern. Seine Augen
blinzelten ungläubig, als seine Angst völlig nachließ und
eine ungewohnte, fast spöttische Kühle wiederkehrte. Ein Lächeln,
vielleicht das erste seit zwei Tagen,
huschte über seine Lippen und blieb da für einen ungezwungenen
Augenblick haften.
Noch immer hielten die unheimlichen Reiter
mit den flammenden Speeren auf ihn zu, doch jetzt waren sie nicht mehr
für ihn unheimlich, sondern einfach nur noch Skelette, in denen noch
ein Funken Leben steckte, das er jetzt einfach aushauchen konnte. Ein leichter
Windstoß blies seine langen, schwarzen Haare auseinander und sie
ordneten sich wie von alleine wieder hinter seiner Schulter. Der erschöpft
grinsende Gesichtsausdruck blieb und er ließ das Schwert in einer
Übung kurz durch die Luft sirren, und trat in Kampfstellung, während
ihm der erste Reiter schon sehr nahe gekommen war.
In einer einzigen, blitzschnellen Sekunde
stach der Wächter mit seiner magischen Waffe nach ihm, die viel länger
als zuvor zu sein schien und zerfetzte sein Hemd. Fast währe er, Dragorn,
es gewesen, der zerfetzt worden, währe, wenn er nicht eilig gehandelt
hätte und ausgewichen wäre.
Nun hielt der Dunkle in der geschickt ausgeführten
Bewegung inne und zischte dem bereiten Krieger zu:
"Ein schöner Tag zum sterben, nicht wahr?"
Das Geräusch, was er beim Sprechen machte,
war höllisch und hörte sich an, als wäre ein Eiswürfel
in einem Glas mit Wasser zersprungen.
Schon das nächste Rühren des Teufels,
hätte den Ringsucher töten können, da sich die Lanze in
einem unaufmerksamen Moment seinerseits in seine Brust gebohrt und Rippen
zerstoßen hatte, die sich nun mit einem Film aus giftigem Eis umschlossen
fühlten. Das war die Magie der toten Wächter. Der Schmerz explodierte
in seiner rechten, nun stark blutenden Brust und begann sich weiter in
ihm auszubreiten.
Dragorn presste das Leid in einem einzigen,
aber langandauernden Schrei heraus, versuchte gegen die Magie anzukämpfen,
während er den breiten, hölzernen Pfahl mit einem Ruck aus sich
herausriss und dicker, Blutstrom aus der Wunde schoss und er fast die Besinnung
verlor, doch ein Schlag mit dem Speer des zweiten Reiters gegen seine Schläfe,
riss ihn aus seiner Besinnungslosigkeit und ein Dröhnen drang durch
die linke Seite seines Kopfes und er vernahm das leise Geräusch von
zu Bruch gehenden Knochen.
"Jetzt noch nicht!", brüllte der zweite
Reiter dem ersten mit der eisigen Stimme zu. "Wir wollen noch unseren Spaß
mit dem Kerlchen hier haben!"
Die nächste Geste des Dunklen ließ
Dragorn erstaunen, denn der Teufel legte doch tatsächlich die Hand
auf seine Brust, drang in ihn ein wie durch nichts, befühlte den Schlag
des Herzens, umklammerte es schattenhaft und riss es mit einer fast sanften
Handbewegung heraus, doch seltsamerweise verlor der Ringsucher kein Blut
und erlitt auch sonst keinen weiteren Schmerz, eher wurde ihm der alte
genommen und kein Gefühl war mehr in seinem Körper. Alles erschien
ihm unheimlich, doch damit kümmerte er sich nicht mehr, da war nur
noch diese durchdringende Leere in ihm, die ihn zu bestrafen schien und
sein Leben in Ketten hielt und ihn einfach nicht sterbend zusammenkrachen
ließ.
"Nun bist du ein Unsterblicher!", gurrte der
Reiter mit diesem leichten, hohlen Zischen in der frostigen Stimme und
grinste hämisch. "Du wirst nun tun, was wir von dir verlangen, oder
dein Leben auf dieser Welt ist für immer verwirkt, Diener!"
"Und so lange wir dein Herz in der Hand und
deine Seele in Ketten halten, bist du es... Unser Diener! Willenloser!
Schmarotzender Untertan!", schallte der dritte und machte eine wegwerfende
Geste mit der knochigen Hand. "Du wirst uns in den Höllenschlund folgen
und uns deinen Körper zum Spielen überlassen, oder du siehst
kein Tageslicht mehr... Ach und gib mir dein Schwert! Es ist gut, ich werde
es gebrauchen können!"
Willenlos warf Dragorn es ihm zu, wobei seine
Muskeln schlaff und wie tot erschienen. Das Skelett fing die Waffe in der
Luft auf und betrachtete es kurz, warf es aber dann doch in einen der sumpfigen
Tümpel, spuckte und schüttelte den Kopf.
"Schlechtes Material! Brauche es doch nicht...
Was hast du sonst noch bei dir, Unsterblicher?"
Der Ringsucher ließ seine Arme am Körper
herunterbaumeln und der lederne, kleine Rucksack rutschte ihm von den Schultern,
landete mit einem dumpfen Scheppern auf dem Boden. Danach öffnete
er ihn gehorsam. In ihm befand sich eine Flasche Wasser, ein harter Kanten
Brot, eine angebissene Wurst und drei Möhren.
"Gib her!", befahl der vierte im Bunde der
zwölf Reiter und öffnete die Hand, um die Nahrung in Empfang
zu nehmen.
Dragorn nahm den Rucksack und warf ihn dem
Reiter zu, der ihn geschickt auffing und darin herumzuwühlen begann.
Derweil fiel dem Ringsucher eher unbewusst auf, dass der, welcher sein
Herz genommen hatte, einen Käfig in den Klauen hielt, der schwarz
und dünn verziert war. In ihm war ein schattenhafter Nebel, ständig
zu wallen schien und sich um einen kleinen, rötlichbraunen Gegenstand
zu kräuseln schien. Es war sein Herz. Sollte er es schaffen, dem Wesen
den Käfig aus der Hand zu stoßen und sein Herz zu ergreifen,
könnte er wieder Herr über sein Tun werden.
"Warum frisst du Karotten?", fragte der zweite
den vierten bösartig geifernd. "Du weißt doch genau, dass es
dir nichts bringt, Nahrung aufzunehmen!"
"Sie machen guten Augen!", gab der vierte
lauthals schmatzend zur Antwort und in dem Moment glommen seine Augen blutrot
auf.
Dragorn dachte weiter angestrengt über
sein Herz nach, doch bevor er einen rechten Entschluss gefasst hatte, reckte
der mit dem Käfig blitzschnell den Hals hinab zu dem Ringsucher, funkelte
ihn aus garstig glühenden Augenhöhlen an und fragte in schimpfenden
Ton belauernd:
"Du da, he, woran hast du gerade gedacht?"
Er erschrak, er hätte damit rechnen müssen,
dass die Teufel auch seine Gedanken lesen konnten und handelte schnell.
Er stieß dem Reiter die Stirn gegen das Nasenbein, was sofort zu
brechen schien, ihn aber überhaupt nichts spüren ließ,
da er ja unsterblich war, sodass dieser den Käfig in hohem Bogen in
Richtung Sumpf fallen ließ und fast vom Pferd fiel. Die anderen schwarzen
Hengste keilten erschrocken aus, wieherten feurig und stießen Feuerzungen
aus den Nüstern, die zwei der Reiter lodernd in Brand setzten. Sie
kreischten, schlugen wild um sich, ein Pferd galoppierte verstört
davon und die Hufe donnerten auf den Erdboden.
Dragorn hechtete dem Käfig hinter her,
fing ihn mit beiden Armen auf, während sein Herz wieder in ihn hineinglitt
und hell aufleuchtete, als es wieder zu schlagen begann. Er selbst kullerte
stöhnend und zugleich luftholend in das dreckige Wasser des Sumpfes
und tauchte notgedrungen hinter einem Schilfgebüsch wieder auf. Sein
Herz raste und jeder Schlag jagte ihm Schmerzen durch die Arterien, weil
endlich wieder Blut in ihnen floss und der Ringersucher atmete schwitzend
tief ein und aus, um den Herzschlag wieder seinem Atemrhythmus anzupassen.
Die zwölf Reiter suchten noch immer lauthals fluchend nach ihm, während
er spürte, dass die Kette um seine Seele sich auch langsam aufzulösen
begann.
Plötzlich ertasteten seine Finger zwischen
Algen, Schlamm und Getier einen scharfen Gegenstand im Wasser, der halb
im Boden steckte. Dragorn umfasste ihn und förderte ihn zu tage. Erleichtert
atmete er auf, es war sein Schwert. Er hatte einen spontanen Einfall und
tauchte kurz unter, um nach einem Stein oder etwas ähnlichem zu suchen.
Er fand einen Ast, der sich mit Wasser vollgesogen
hatte und deshalb ziemlich schwer war. Schnell entfernte er die Algen und
wollte gerade loslegen seinen Plan auszuführen, als er tappende Schritte
auf sich zukommen hörte. Reflexartig versenkte er seinen Körper
etwas tiefer in das trübe Wasser, sodass nur noch sein Kopf von der
Nasenspitze anzusehen war. Das musste reichen, den Rest würde das
Schilf erledigen.
Es war einer der Reiter, der auf seinem dunklen
Tier am Rande des Gewässers suchte, den Kopf leicht vorn übergeneigt,
die Zügel nur locker in Händen haltend. Seine Blicke streiften
die Umgebung genau, schienen sie geradezu zu durchkämmen.
Dragorn sah durch eine Lücke im Schilfgebüsch,
wie die Hufe des Rosses ungeduldig im Boden scharrte und schnaubende Geräusche
machte, die leichte Rauchfahnen aus den Nüstern aufstiegen ließen.
Der Schweif knallte und schlug warnend um sich. Das Skelett senkte den
Arm mit dem magisch glühenden Speer, beleuchtete den Boden, um nach
möglichen Spuren zu suchen, die der Ringsucher womöglich ins
Gras getreten hatte. Es fand zwar keine Fußabdrücke, dafür
aber Schleifspuren, die Dragorn hinterlassen haben musste, als er in den
Tümpel gekullert war. Der Kämpfer schluckte seine Bedenken herunter
und versuchte seinen Kopf etwas zu drehen, um sich nach den anderen Teufeln
umzusehen. Tatsächlich entdeckte er einen weiteren, der sich ihm aber
abgewandt hatte und dessen Pferd anscheinend davon gelaufen war.
In dem Moment kam der leuchtende Speer dem
Sucher gefährlich nahe und er spürte, wie das heiße Leuchten
der Magie seine erst vom Schlamm nasse Stirn trocknete. Jetzt war der Moment
gekommen, das Wesen hatte ihn entdeckt und ohne weiter zu überlegen,
ergriff er den Speer und zerrte seinen Gegner, bevor der auch nur einen
Ton herausbekam, ins Wasser. Es spritzte und der Klatsch musste mindestens
drei Reiter aufmerksam gemacht haben, doch bevor sich der naheste umgedreht
hatte, ein abgewetztes Breitschwert in den zu Klauen gekrümmten Fingern,
hatte Dragorn erst dem Skelett den Hals umgedreht, sodass der Kopf vom
Körper flog und sich dann am Halfter des Pferdes in den ersten Steigbügel
gezogen. Er schwang sich nicht ganz hinauf, sondern verharrte so und ließ
das Pferd ein paar Schritte weitergehen. Der Reiter, dessen Pferd davon
gestürmt war, hatte sich vollends umgedreht und erblickte jetzt nur
noch einen herrenlosen Gaul, der am Ufer trabte, Dragorn sah er nicht,
da dieser vom Körper des Pferdes verdeckt wurde.
"Was ist da...?", wollte der verunsicherte
Wächter sagen, bemerkte aber ein deutliches Knacken, was sich im Gebüsch
unweit des Moores abspielte und das Dragorn erzeugt hatte, indem er den
Stock, den er aus dem Wasser gezogen hatte, als Ablenkung dort hingeschleudert
hatte. Er, der höllische Wächter, lächelte bösartig
und siegesgewiss, trat leise auf und kam der Hecke nähere, während
er des Breitschwert in der Hand wog und sich schon auf den Schlag vorbereitete.
"Hast wohl schon einen von uns erwischt?"
"Nein, zwei!", erklang die Stimme des Ringsuchers,
der sich nun ganz auf das schnaubende Tier gezogen hatte und den magischen
Speer, den er dem Kopflosen abgenommen hatte, mit einem Kräftigen
Ruck seines Armes auf den Feind schleuderte. Das Wurfgeschoss verhakte
sich in dessen Rippen und er wurde durch die Wucht mitgezogen und an dem
nächsten Baum aufgespießt, doch noch lebte er.
"Das... ist... eine Lüge!
Lüge...!"
Dann war es vorbei, Dragorn hatte dem garstig
grinsenden Wesen das Haupt abgeschlagen, welches nun am Boden herumkullerte.
Kaum hatte der Mensch dem toten Körper ein verträumtes Lächeln
geschenkt und mit der Zunge geschnalzt, um sein Pferd voranzutreiben, da
schoss eine schwarze Gestalt aus dem Gebüsch, welche zweifellos ein
Skelett mit einem schwarzen Umhang war, umschlang ihn mit beiden Armen
in einem stählernen Griff, sodass er vom Pferd auf den Boden krachte
und der Schwarze seine Langen, nadelspitzen Eckzähne in seine Halsschlagader
schlug, wobei er blutdurstig zischte und kalt und verfault hauchte:
"Weißt du... Auch wir müssen einmal
essen... Aber nicht so wie ihr... Es gibt uns Leben..."
Schon der erste Tropfen blut, der dem Wesen
die Kehle benetzt hatte, ließ ihn deutlicher werden (d.h.: Es begannen
wieder Fleisch und Muskelfleisch an ihm zu wachsen.). Adern pflanzten sich
durch Fleisch und Knorpelmasse und so länger das Wesen saugte und
trank, desto menschenähnlicher wurde es.
"Weißt du...", begann es wieder, als
es absetzte um kurz Luft zu holen, Dragorn immer noch fest im Griff seiner
stählernen Klauen, "wir haben Jahre Lang keinen Lebenden mehr...",
er schien vor dem Wort zurückzuschrecken, "...ausgesaugt..."
Es schien unheimlich lange zu dauern, bis
er diesen Satz zuende gesagt hatte und diese Zeit nutzte der Ritter, um
nachzudenken, was ihm aber schwer fiel, da er einen hohen Blutverlust erlitten
hatte und er jetzt erst den Schmerz verspürte, der ihm die ganze Zeit
im Körper gebrannt hatte, zum Beispiel, als er sich an der Klinge
seines Schwertes geschnitten hatte, oder als er zweimal zu Boden geworfen
wurde. Die ganze Erschöpfung der letzten beiden Tage loderte in ihm,
doch die Wunde in der rechten Brust, die ihm der Speer zugefügt hatte,
die war auf wundersame weise verheilt, hatte sich geschlossen, als er für
einen kurzen Moment ein Unsterblicher in den Fängen der Teufel war.
Er erinnerte sich an die saugenden Geräusche,
die es gab, wenn das Wesen ihm an den Hals fiel und die Eckzähne in
ihn schlug, erinnerte sich an das Gefühl, welches er dabei empfunden
hatte, die grabenden Regungen der Zähne in seinem inneren...
Nun wusste er, dass er einen Entschluss fassen
musste, also stieß er sein Schwert in den Rücken des langsam
zu Fleisch gewordenen Reiters in der schwarzen Kutte und stieß auf
größeren Wiederstand als bei den Skeletten, da die Muskeln und
das Fleisch dem Kerl einen besseren Schutz boten. Der Dunkle zuckte zusammen,
krümmte sich nach hinten, seine Augen waren Blutunterlaufen und nun
sah Dragorn auch, dass die Haare des nun menschlichen Wesen vor ihm dunkel
und wirr waren, die Nase hakenförmig. Er erschrak, als er sah, dass
der Blutdurst in den Augen seines Gegenübers verschwunden war und
sie statt dessen einen glasigen Dunst in sich beherbergten. Kleine Blutrinnsale
tropften von den Eckzähnen herab und vermischten sich mit dem Blut,
welches aus der Wunde an seinem Hals lief. Der Körper sackte über
ihm zusammen, schien leblos, doch dann krallte sich die eiskalte Pfote
des Mannes in seinen durchlöcherten Lederpanzer.
"Nun bist du einer von uns...", hauchte er,
"aber wenn man dir den Kopf abtrennt", er machte ein zischendes Geräusch,
als wolle er darstellen, wie sich es anhörte, wenn es passieren sollte,
sozusagen ein kleiner Vorgeschmack, "bist du ganz tot..."
"Nein!", brüllte Dragorn auf, stieß
den verrückt kichernden Mann von sich weg, sprang in der gleichen
Bewegung auf die Füße, machte eine horizontale Bewegung mit
dem Sarazenenschwert und der Kopf des Reiters kullerte über den Boden.
Der Blutfluss hatte den Boden benetzt und sofort durchstieß ein Energiestrom
von Kraft durch den Körper des Ringsuchers, der sich deshalb aufbäumte,
brüllend und schnaubend, alle Muskeln bis zum zerreißen anspannend.
Die Verletzung an seiner Seite heilte schneller als er es vermutet hatte
und etwas anderes geschah auch noch, er fühlte, es musste mit seinem
Oberkiefer zu tun haben, riss sein Maul auf und schickte einen dröhnenden
Schrei zum Himmel, der mehr als Schmerz und Rache in sich trug. Lange Eckzähne
prangten in seinem Mund, standen Heraus wie bei denen eines Wolfes, zum
Packen, durchlöchern oder gar töten gedacht. Ein Gewitter zog
blitzschnell auf, doch statt dass es zu regnen begann, wallten die Wolken
hellbraun, kupfergelb und bronzefarben, grau lag in den schattigeren Ecken
und aus der tobenden Wolken und Nebelmenge formte sich ein Gesicht, eine
Fratze, die das höchste Grauen darstellte und in dem Moment, in welchem
ein Blitz, hell und gleißend, vom Himmel schoss, seinen Bahnen bis
hinunter zum Festland setzte und dann direkt auf Dragorn einschlug, der
die Arme empfangsfreudig hinaufreckte, suchte sich Blut in seinen Augen
den Weg, durchspülte die Pupillen, sodass statt der gewohnten Augenfarbe
ein teuflisches Rot entstand.
Das Gesicht öffnete den Mund, um mit
einer dröhnenden, tiefen, allmächtig herrischen Stimme zu sagen:
"Mein Krieger des Todes, von dir verheißt
die Prophezeiung, dass du einst kommen wirst, wenn sich der Mond blutrot
gefärbt hat und sich die gewaltigen Schatten des Bösen über
die Landen gelegt haben! Nimmst du an?"
"Ja!", schrie Dragorn, ein grausam tierisches
Brüllen in der Stimme, was noch vom Höllenschlund her hallte.
"Dann vereinige dich mit dem Ring des Todes,
oder verfalle auf ewig der Hölle!"
"Satan würde ewig vor mir erzittern,
mein Herr und Gebieter! Gebt mir den Ring des Todes!", rief er, die Hand
wie zum Schwur erhoben.
"Nimm so den Ring des Todes, Totenmeister!",
sagte die Stimme und aus den Wolken formte sich ein Hand, die zu einer
riesigen Klaue gekrümmt war und sich über den nun tosenden Wassern
des Sumpfes hin und her bewegte. Das Wasser teilte sich an einer Stelle,
öffnete sich erhaben und ein dämonisch glühender Ring verließ
die Tiefen des Tümpels, schwebte durch eine Handbewegung des allmächtigen,
reinen Bösen über dem Schilf, was sich wie bei Sturm und Wind
bewegte, hinweg und Dragorn brauchte nur die Hand auszustrecken, damit
das magische Schmuckstück auf sein Finger gestreift wurde. Flammen
schossen aus dem Ring, legten sich wie eine dunkle Aura dicht um den Totenmeister,
dessen Aussehen einer Leiche gleichte, die so mit Kraft und Energie gestopft
war, dass es so aussah, als würden die Muskeln jeden Moment unter
der geballten Power platzen. Die Kleider hingen ihm in Fetzen und dreckverschmiert
und verkrustet vom Körper, sein Schwert abgenutzt und doch scharf,
wie ein Blattchen rostiges Metall, das immer noch hart und unzerstörbar
war, was Blutvergiftungen hervorrief in kleine, besonders spitze Splitter
in die Haut dringen ließ...
1612 Gordolon – Legende von Dragorn dem Totenmeister
Die Menschen sagten, das schiere Grauen wäre
geboren worden, hätte sich wie ein schwarzer Teppich über das
Land gelegt und alles vernichtet. Burgen waren zerstört, Dörfer
in Brand gesetzt, Frauen und Kinder geschändet, deren Männer
im Kampf gegen die Dämonischen Horden Satans gekämpft hatten
und blutrünstig zerfetzt worden waren... Der Tod hatte das land schwer
getroffen. Normalerweise galten die Männer Mephistos, die zu Tausenden
kamen, als sterblich, doch einer unter ihnen, der immer in einer schwarzen
Kutte auftauchte und die Herscharen anführte, konnte von keiner Klinge
ernsthaft verletzt werden und so siegte am Ende doch das Böse und
herrschte über die Welt und da der Durst nach Blut nun nicht mehr
gestillt werden konnte, starben auch die Herscharen schließlich,
doch einer blieb immer noch erhalten, Dragorn der Totenmeister.
2003 Geeinigten drei Länder – Tagebucheintrag
von Dragorn dem Totenmeister
Heute traf ich auf meiner Wanderschaft durch
die verwüstete Welt einen Keimling, der aus der Asche des Vulkans
entsprossen war. Ich hoffe, dass die Welt bald wieder so wird wie früher.
Es ist langweilig so lange zu leben; - ich denke an einen Selbstmord. Aber
was wäre, wenn auch der scheitern würde? Das wie und wozu kann
ich ja noch herausfinden, ich habe ja alle Zeit der Welt.
Aber eines ist mir klar:
Den Ring des Todes werde ich wohl nie wieder
abnehmen können, da er in meine Haut hineingewachsen ist...
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