Ein Mord ist ein Mord von Rardian

'Rea hilf!' schoss es Garbal durch den Kopf, als er an den Anblick dachte, dessen er gerade hatte ansichtig werden müssen. Das Geschehene stellte keine direkte Bedrohung für die Bauern der Umgegend oder für die hiesige Garnison dar, doch war es zumindest ungewöhnlich genug, um eine Störung des Obristen zu dieser späten Stunde zu rechtfertigen.

Garbal erinnerte sich an die vergangenen Momente zurück und erschauderte ein weiteres Mal. Er hatte gerade beim Abendbrot gesessen, als einer der neuen Rekruten, ein Elb namensTheodon, in den Speisesaal gestürmt kam und mit zitternder Stimme Meldung machte. Er habe auf seinem Wachrundgang vom Kornspeicher her seltsame Geräusche gehört. Als er der Sache auf den Grund gehen wollte, habe er eine schreckliche Entdeckung gemacht. Der Speicher sei voll von Ratten und anderem Gekreuch gewesen.

Garbal machte sich flugs darauf selbst ein Bild von der Lage und erschauderte zum ersten Mal an diesem Abend. Der Elb hatte mit seiner militärisch knappen Schilderung des Gesehenen stark untertrieben. Der Kornspeicher schien ein Eigenleben zu führen. Überall krabbelte, quickte und raschelte es. Die Kornsäcke lagen zerfetzt umher; das Korn, so man dessen überhaupt ansichtig werden konnte, lag auf dem Boden verstreut. Ein fauliger Gestank schlug Garbal entgegen. Dies war eindeutig das Werk des Demnogonis, des Herrn der Dämonen und der Verderbnis, dem Gott der Fäulnis, des Übels und des Siechtums. Hier taten die mindersten seiner Heerscharen ihren Dienst und leisteten ganze Arbeit. Kein Zweifel, der Obrist musste davon in Kenntnis gesetzt werden!

Inzwischen war Garbal bei den Offiziersquartieren angelangt und sprintete die wenigen Stufen in das erste Stockwerk hinauf. Oben verlangsamte er seinen Schritt, um nicht völlig außer Atem beim Obristen anzulangen.

Das Quartier des Obristen lag am Ende des Ganges, und Garbal hielt darauf zu. Er starrte auf den waagerechten Streifen hellen Lichts, der unter der Tür hindurchschimmerte und wunderte sich leicht, als die Tür hastig von der anderen Seite geöffnet wurde und der waagerechte Streifen sich mit einem senkrechten verband, der stetig breiter wurde. Dazu hörte er noch die Stimme des Obristen, die wie ein heiserer Schmerzensschrei klang.

Garbal beschleunigte seinen Schritt und zog sein Schwert blank, doch er strauchelte und fiel fast, als er der eisig kalten Stimme gewahr wurde, die ebenfalls aus dem Zimmer drang:

"Hm, Menschlein... Du willst also fliehen? Siehst du, du kannst nicht einmal mir entfliehen. Wie glaubst du, könntest du dann IHM entfliehen? IHM, deinem Herrn und Meister? Er ist doch dein Herr, nicht wahr?"

Die Antwort des Obristen kam zittrig, Garbal war inzwischen nahe der Tür stehen geblieben und lauschte, dem Tode nahe, dem von der eiskalten Stimme dominierten Gespräch:

"Ja, mein Herr ist Demnogonis! Doch war dies als Preis nie ausgemacht! Wenn du von meinem Körper Besitz ergreifst, wird das mein Tod sein!"

Ein Rasseln erklang, und Garbal brauchte einige Momente, bis er eine Art Lachen darin erkennen konnte. Dann sprach die Stimme wieder:

"Und du glaubst wirklich, du könntest mit IHM um den Preis feilschen? Es ist Demnogonis Wille und deshalb geschehe es so!"

Die Stimme schwoll zu einem schrillen Kreischen an und beinahe zögerlich mischte sich der qualvolle Schrei des Obristen in die grauenhafte Geräuschkulisse. Das war genug für Garbal! Entsetzen erfüllte sein Denken. Er ließ sein Schwert fallen und hastete die Treppen hinab...

---

Der Markt von Fionir bot dem Betrachter ein buntes Bild. Längsgestreifte Planen schützten vor eventuell einsetzenden Regen und vorwiegen gnomische Händler, in die verschiedensten Farben gekleidet, feilschten mit reisenden Menschen, Elben und Gnomen aus aller Welt. Lärmendes Treiben hielt die Menge in Bewegung.

Seit zwei Wochen nun hielt sich Garbal nun schon in der Hauptstadt Terafilias auf und mit jedem Tag fühlte er sich unwohler. Immer musste er auf der Hut sein, um nicht Gefahr zu laufen, entdeckt zu werden, immer zuckte er unwillkürlich zusammen, wenn das dumpfe Schlagen, schwerer Stiefel auf den Pflastersteinen der Straßen der Stadt erklang. Er war zum Desserteur geworden.

In diese Gedanken versunken bemerkte Garbal die Person nicht, die schon eine ganze Weile hinter ihm her ging. Eine schlanke Gestalt in eine dunkle Robe gehüllt, die Garbal mit dunklen Augen unter einer weiten Kapuze musterte.

Mit einem Male trat die Gestalt in Aktion und griff Garbal mit der einen Hand am Arm, mit der anderen umschloss sie dessen Mund. Garbal versuchte, sich der unerwarteten Attacke zu erwehren, doch war er zu überrascht, um dabei erfolgreich zu sein und so konnte er nicht verhindern, in eine dunkle Gasse gezogen zu werden. 'Jetzt ist alles aus!' dachte Garbal verzweifelt.

Die Gestalt stand Garbal nun gegenüber, weit und breit war niemand zu sehen, der ihm zu Hilfe hätte eilen können. Das Gesicht seines Gegenübers konnte er nicht sehen, da dieses von der Kapuze komplett verborgen wurde. Die Stimme, mit welcher der Unbekannte sprach, klang schneidend durch das Gemurmel, das vom Markt herüberwehte:

"So habe ich dich doch endlich gefunden, lieber Garbal. Du hast es mir wahrhaftig nicht leicht gemacht. Du wirst dich sicher fragen, was das Ganze soll, doch lass mich erklären!"

Garbal zitterte am gesamten Körper. Dies war kein Angehöriger der Armee. Also war vielleicht doch noch nicht alles verloren! Der Gesichtslose fuhr mit Grabesstimme fort:

"In der Garnison am Lejlator, deiner Garnison, wurde der Obrist tot aufgefunden. In der Nacht, in der diese verwerfliche Tat geschah, floh einer der Offiziere, Garbal mit Namen. Leider ließ er die Tatwaffe am Ort des Geschehens zurück, so dass er leicht des Mordes überführt werden konnte. Da es sich bei dem Obristen um einen der engeren Freunde des Oprimons handelte, ist nun halb Terafilia auf der Suche nach dem Flüchtigen. Wie er es bis nach Fionir geschafft haben konnte, bleibt ein Rätsel..."

Der Unbekannte ließ dem erbleichenden Garbal einige Augenblicke Zeit, das Gehörte zu verdauen, ehe er im Plauderton fortfuhr:

"Du hast nicht viele Auswege aus deiner Misere! Ich will dir einen anbieten, an den du vielleicht noch nicht gedacht hast. Ich biete dir die Möglichkeit, der dunklen Bruderschaft der Verderbnis beizutreten. Wir haben in SEINEM Namen große Ziele und könnten jemanden wie dich, skrupelos und mit dennoch weitreichenden Kenntnissen, gut gebrauchen."

Und etwas leiser setzte er seinen Monolog fort:

"Du musst dich nicht sofort entscheiden. Wäge deine Möglichkeiten ab! Doch du wirst schnell feststellen, dass die Zahl deiner Auswege mehr und mehr abnimmt."

"Doch entscheide dich bald!" flüsterte er verschwörerisch und verschwand im Dunkel der Gasse.
So ließ er Garbal einfach stehen, ließ ihn allein mit seinen düsteren Gedanken und seinen selbstzerfleischenden Zweifeln.

Mist! fluchte er lautlos. Langsam ging er zum Marktplatz zurück, die Hände auf den Rücken gelegt, gedankenversunken und von ruhelosen Gewissensbissen geplagt. In was bin ich da nur hineingeraten? Dieser verdammte Dämon verfolgte ihn!

Garbal musste weiter fliehen! Aber wohin? Er dachte an seine Heimat Trautwald, einem kleinen Dörfchen am Grünen See. Dort hatte er sich immer geborgen gefühlt und dort würde ihn niemand finden, zumindest vorerst. Er besaß noch das Pferd, mit dem er nach Fionir gekommen war. Mit diesem würde er das hundert Meilen entfernte Tal, in dem sein Heimatdorf lag, binnen kürzester Zeit erreichen können, denn das treue Ross konnte wie der Wind galoppieren. Zuvor aber würde er noch den hiesigen Tempel der Lejla besuchen und für eine glückliche Flucht beten und opfern.

Garbal war klar, dass sein Leben sich verändert hatte. Selbst wenn es ihm gelang, sein Dorf zu erreichen, würde er dort nicht lange sicher sein. Selbst wenn er den Feldjägern der terafilischen Armee entkommen konnte, einem Gott würde er nicht so lange ausweichen können. Die Diener des düsteren Demnogonis würden stets auf seinen Fersen sein. Garbal erzitterte am ganzen Körper. Noch nie in seinem Leben hatte er so furchtbare Angst gehabt. Und dabei fing alles gerade erst an...
 

Noch eine kleine Anmerkung des Autors:

Die Geschichte spielt auf Rorqual, der (play-by-Email-) Welt der roten Wasser (www.rorqual.de), genauer: in dem Reich, das ich dort spiele.

.