Arxsca der Sturmdrache von Jasmin Geiseler

Die Sonne erschien langsam über der schneebedeckte Kuppel des Berges. Das warme, rötliche Licht ließ das Tal in all seinen Farben erstrahlen. Schon nach wenigen weitere Augenblicken war die helle Scheibe am Himmel. Ein neuer Tag war angebrochen.
Unruhig scharrte das braune Pferd mit seinem Huf im Sand. Es schaufelte solange in der Erde umher, bis Gorp endlich ein Auge öffnete und sich dann gähnend aufsetzte.
"Was soll denn das, Garusa? Kannst du mich denn nicht einmal, einen einzigen Tag ausschlafen lassen?" fragte Gorp und stierte zu seinem Pferd hinüber. Der Gaul stellte beide Ohren nach vorn und blickte nur mit frechem Blick zu Gorp. Der Junge seufzte und schlug seine Decke beiseite. Seit drei Tagen war er jetzt schon auf dem Weg in die große Stadt Zohrr und seit dieser Zeit war er gezwungen, im Freien zu schlafen. Auf seinem Weg befand sich kein Dörfchen und auch keine Herberge. Nichts anderes außer nacktem Stein und große, dunkle Tannenwälder.
Gorp packte seine Sachen zusammen und band Garusa von der dicken Birke ab. Das Pferd freute sich, dass es endlich weiter ging und trat aufgeregt mit den Vorderfüßen auf der Erde herum.
"Jetzt mal ganz ruhig. Nicht, dass du mir wieder durchgehst wie gestern", sagte Gorp und nahm Garusa an den Zügeln. Er wollte erst einmal ein Stück laufen, um sich einigermaßen wach zu bekommen.
Er war eine Weile durch den Wald gelaufen, als neben ihm im Gebüsch etwas zappelte. Gorp nahm die Bewegung gar nicht wahr, doch sein Pferd blieb stehen und senkte den Kopf.
"Was ist denn jetzt schon wieder? Komm weiter, Garusa!" drängelte Gorp und zog mit aller Kraft an den Zügeln. Garusa ließ sich nur widerwillig weiter bewegen.
Einen Moment schien alles wieder ruhig zu sein. Bis sich das Geäst neben Gorp spaltete und ein kleines Geschöpf hinaus sprang. Gorp erschrak sich wohl genauso wie Garusa und ging einige Schritte zurück. Das aber nur, weil er das aufgescheuchte Pferd kaum festhalten konnte und sich an die Zügel klammerte. Es dauerte eine geraume Zeit bis Garusa still auf einer Stelle stehen blieb. Gorp behielt vom starken Festhalten tiefe Abdrücke in den Händen und etwas wütend blickte er auf das kleine Geschöpf, das noch immer in der Mitte des Weges saß.
"Kannst du dich das nächste mal bitte nicht so anschleichen?" sagte Gorp wütend.
"Entschuldige bitte..." gab das Wesen mit leichtem Lachen in der Stimme zurück und trat näher heran. Es war ein junger Drache. Nicht größer als ein Hund. Er hatte eine rubinrote Färbung und eine weiße Vorderpranke. Seine Augen stachen frech aus dem schwärzlichen Gesicht hervor und die kräftigen Schwingen lagen eng an dem Körper. Sein Schwanzende, das aussah wie ein Pfeil, pendelte hin und her.
"Wo hast du dich denn die ganze Zeit rumgetrieben, Morrolith?" wollte Gorp von dem kleinen Drachen wissen.
"Mal hier, mal da..." antwortete dieser nur und trottete den Weg weiter.
Gorp rollte mit den Augen und folgte ihm. Morrolith balancierte auf einem Baumstamm entlang und benutzte seine Schwingen, um das Gleichgewicht zu halten.
"Wie weit ist es den noch bis Zohrr?" fragte der Drache.
"Noch ungefähr einen Tag. Aber dir ist doch klar, dass du nicht mit in die Stadt kommen kannst oder?"
Morrolith seufzte. "Ja, Ja... Ich weiß. Ich werde draußen warten und mich nicht blicken lassen, bis du wider da bist", antwortete er.
"Es dauert ja nicht lange. Ich kaufe nur einige Lebensmittel und schon bin ich wieder draußen. Versprochen!" sagte Gorp.
Als die nächste Nacht anbrach, beschloss Gorp noch ein Stück über das freie Gelände, auf dem sie sich jetzt befanden, weiter zu gehen. Er wollte der Stadt des Nachts noch näher kommen.
Der Mond strahlte hinab, doch so ruhig sollte es nicht bleiben.
Wolken zogen auf, die dunkler als die Nacht waren, düster und Unheil verheißend. Wind lebte auf, fegte Staub und Blätter über die Ebene, nahm an Stärke stetig zu, bis er den Beiden das Vorankommen ernsthaft erschwerte, sie sogar wieder etwas zurückdrängte.
"Wo kommt denn der Wind auf einmal her?" rief Morrolith und hielt den Kopf nach unten, um keinen Sand in die Augen zu bekommen.
Gorp hielt sich schützend den linken Arm vors Gesicht und zog mit der anderen Garusa vorwärts.
"Das ist doch nicht normal..." jammerte Morrolith und purzelte rückwärts, als eine Windböe ihn erfasste.
Nicht nur, dass es windig war, sondern es fing auch noch an in Strömen zu regnen. Der harte Regen traf mit aller Kraft auf die Erde und hatte in Sekunden tiefe Löcher hinein gerissen.
"Mist, das hat uns gerade noch gefehlt!" schrie Gorp gegen den Sturm an, in der Hoffnung, sein Gefährte möge ihn hören.
"Wir müssen irgendwo Schutz suchen!" fügte Gorp hinzu und lief schneller. Sie fanden einen kleinen Felsvorsprung, der ihnen ein wenig Trockenheit bot.
"Ein solch starker Regen ist kein guter Vorbote", meinte Morrolith besorgt und ließ das gesammelte Regenwasser von seinen Flügeln laufen.
"Vorbote worauf?" wollte Gorp wissen und schüttelte seinen nassen Schuh aus. Das Wasser sammelte sich in einer kleinen Mulde und sah aus wie ein winziger Tümpel.
"Hast du noch nie von Arxsca gehört?"
Gorp schüttelte nichtswissend den Kopf.
"Er wird auch Sturmdrache genannt. Wenn solch ein heftiges Unwetter hereinbricht, hat meist dieser teuflische Drache seine Krallen im Spiel. Gott gewähre dem Gnade, der Arxsca über den Weg läuft. Er soll ein sehr grausames Wesen sein. So grausam wie ein Sturm mit tödlichen Blitzen", erzählte Morrolith.
Gorp sah Morrolith nur stumm an und erhob dann wieder die Stimme: "Erzähl mir doch keiner Schauergeschichten, sondern mach uns lieber ein Feuer. Es ist kalt", meinte er schließlich und warf einiges Geäst auf einen Haufen. Morrolith entzündete einen kleinen Stumpf Holz und legte diesen in das Geäst hinein. Das Lagerfeuer brannte sofort und spendete Wärme und Licht.
"Ich erzähle nur die Wahrheit", sagte Morrolith, der es nicht leiden konnte, wenn ihm jemand nicht glaubte.
Gorp rollte sich nur seufzend in seine Decke ein, schaute noch einmal zu Garusa hinüber und schloss dann die Augen, ohne noch einmal das Wort an Morrolith zu richten.
Das Unwetter schien nicht abzuklingen, es wurde sogar noch heftiger und der Regen klatschte mit solcher Wucht zur Erde, dass Morrolith keine Auge zubekam.
Als ein heller Blitz den Himmel durchzuckte, schreckte der kleine Drache auf. In diesem Moment sah er eine große Bewegung in der Finsternis. Nicht mehr als ein Schatten im strömenden Regen.
Morrolith starrte bewegungslos nach draußen und plötzlich sah er die Gestalt ganz klar.
Ein gigantischer Drache. Das Wasser lief an seinen hart gepanzerten Schuppen hinab und seine kalten Augen sahen zu Morrolith hinüber. Der Drache war schlank, aber unter seiner straffen Haut zeichneten sich ganz deutlich harte Muskeln ab. Der Schädel lief nach vorne hin spitz zu und seine Zähne waren so lang, dass sie an den Seiten aus dem Maul heraus standen. Seine Erscheinung war angsteinflößend.
Als der nächste Blitz durch den Himmel jagt, warf der Sturmdrache seinen Kopf zurück und brüllte aus vollem Halse. Sein dröhnender Ruf ließ die Regentropfen abschrecken.
Garusa fing an ängstlich zu wiehern  und an dem Strick zu ziehen. Gorp sprang erschrocken auf und suchte erst den Augenkontakt zu Morrolith. Der kleine Drache wies ihn an, nach draußen zu sehen.
Gorp lief ein kalter Schauer über den Rücken als er das mächtige Monster sah, das sich aufgebaut auf den Felsvorsprung zu bewegte. Jeder Schritt ließ die Erde erzittern. Die langen Krallen gruben sich in die aufgeweichte Erde.
Gorp drückte sich an die Wand hinter ihm.
Der Sturmdrache schleuderte den Kopf nach vorn und packte das Pferd am Rücken. Er hob es mit Leichtigkeit an und riss es von der Leine. Wie eine ausgehungerte Schlange verschlang der Drache das Pferd und Gorp konnte seine Augen vor Entsetzung nicht einmal schließen.
Doch er spürte wie sich seine Augen mit Tränen füllten als er sein Pferd im Rachen von Arxsca verschwinden sah.
Der Sturmdrache wischte sich mit der Zunge über die blanken Zähne und stierte dann mit seinen scharfen Augen zu Morrolith und Gorp.
Reflexartig und ohne zu überlegen, ging Gorp leicht in die Hocke und griff nach einem Stein. Er war flach und rund. Er holte aus und warf den Stein in die Richtung des Sturmdrachens.
Erst jetzt bemerkte er, dass er einen Fehler begangen hatte. Der Stein traf Arxsca an der Nase und der Drache zog überrascht den Kopf hoch und brüllte auf.
"Was hast du getan?" warf Morrolith Gorp vor, doch dieser konnte seine Reaktion selber nicht fassen. Es war wohl die innere Wut, die ihn dazu bewegt hatte.
Der Sturmdrache warf den Kopf hin und her und stieß dann mit aufgerissenem Maul nach vorn. Er schlug seinen Schädel unter den Felsvorsprung und in diesem Moment stellte sich ihm Morrolith in den Weg. Die Schwingen ausgebreitet und die Zähne gefletscht. Er wollte Gorp verteidigen und sich selber.
Arxsca stoppte. Sein heißer Atem fegte Morrolith entgegen. Dieser blieb aber stehen ohne eine Spur Angst in den Augen. Nicht einmal ein Flackern huschte ihm über seine glasigen Augen.
Die Nüstern des Sturmdrachen schlossen und öffneten sich. Sekunde vergingen und keiner der Drachen bewegte sich. Gorp hielt die Luft an. Er traute sich nicht zu atmen und sein Blick war an den Sturmdrachen gefesselt. Aus Morroliths Rachen drang ein leises Surren und Fauchen und er sah keine Sekunde weg. Sein Blick traf sich mit Arxscas. Bis Arxsca den Kopf zurück nahm. Er richtete sich auf und sah Morrolith nur an. Große Verwunderung und Überraschung schien sich in dem Gesicht des Sturmdrachens breit zu machen. Der Regen fiel nun sanfter zu Erde und der Sturmdrache machte kehrt. Sein Körper löste sich im weißen Nebel auf und verschwand mit dem nächsten kräftigen Windstoß, der in den Himmel fegte.
Morrolith brach erleichtert zusammen und schloss die Augen. Gorp kam sofort zu ihm und kniete sich neben ihm hin.
"Was ist denn passiert?" wollte er wissen und rieb sich die Schweißgebadeten Hände an seiner Jacke ab.
"Ich weiß es nicht. Aber ich fühle mich auf einmal so befreit. So als ob ich die reinste Luft eingeatmete hätte, die jemals auf dieser Welt entlanggezogen ist. Der Sturmdrache ist vor mir gewichen..." antwortete Morrolith und sah in den Himmel.
Die dunklen Wolken lösten sich auf und die Sonne des nächsten Morgens erschien dahinter. Die feinen Regentropfen, die sich auf den Blättern der Bäume und den Grashalmen gesammelt hatten, rieselten zum Boden. Bald darauf war keine einzige Wolke mehr am Himmel und das reine Blau des Himmels zog sich bis zum Horizont...
 
© Jasmin Geiseler
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Kleine Anmerkung:
Zwischen den beiden Absätzen "Wolken zogen auf, die ..." und "Mist, das hat uns gerade noch gefehlt! ..." sollten ursprünglich eigentlich keine weiteren Sätze stehen. Da in der Vorgabe dort aber versehentlich eine Leerzeile war, die dadurch vermutlich zu einem entsprechenden Missverständnis führte, habe ich das daher so gelten lassen.
Moordrache
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