Die schöne Faj und ihr Fluch von unicorn.de

"Oh Nein! Fängt das etwa doch wieder an?" stöhnte König Waronai.
Seine Tochter war mal wieder verschwunden. "Riuza? Haben Sie Jahira gesehen?", fragte er eine der Zofen seiner Tochter.
Diese schüttelte nur ihren Kopf und meinte: "Tut mir Leid! Aber ich fürchte, die ist mal wieder abgehauen!"
Erneut stöhnte der König. So etwas hatte er sich bereits gedacht. Seine Tochter verschwand gerne einfach mal so. Sie hasste ihre tägliche Etikette und der König war sich bewusst, dass sie keine Lust auf den morgigen Ball hatte, aber sie musste dorthin! Ihr Verlobter wäre sicherlich sehr sauer, wenn sie nicht erscheinen würde.
Dann würde es garantiert auch Streit mit dem Nachbarkönigreich, zu dem Jahiras Verlobter gehörte, geben.

Jahira unterdessen rannte durch den wunderschönen Wald hinter dem Schloss. Sie mochte diesen Wald sehr. Doch ihre Kleidung war für den Wald nicht besonders gut geeignet. "Mist! Das Kleid stört voll!" meckerte sie, als sie sich nun schon zum zwanzigsten Mal im Saum ihres roten Samtkleides verhedderte.
Kurzer Hand zog sie es sich dann aus und schmiss das Übergewand auf einen der Dornbüsche. Nun nur noch mit ihrem Untergewand bekleidet rannte sie weiter durch den Wald. Bald fiel ihr auf, dass sie noch nie so weit gekommen war. Bisher hatten die Wachen immer nur zehn Minuten gebraucht, bis sie sie wieder eingeholt hatten. Jahira ging nun langsamer. Vielleicht hatte sie ja ausnahmsweise heute Glück. Schließlich waren alle mit den Vorbereitungen des morgigen Balles beschäftigt! Jahira war sich sicher, dass sie ihr Verschwinden nicht all zu schnell bemerken würden. Die kleinen Prinzessinnenschuhe störten sie auch sehr, aber sie hatte keine Lust, mit den bloßen Füßen über die Brenneseln zu laufen. Plötzlich sah sie unter sich einen großen Schatten und blickte verwirrt auf.

"Holt sie mir zurück! Habt ihr verstanden?" der König hatte dies nun schon zum zehnten Mal zu seinen Rittern gesagt.
Auch Ignaz, einer der Knappen, hatte sein Geschrei mit angehört. Er würde zwar nicht mit den Rittern mitsuchen dürfen, aber dies ganze hatte ihn schon sehr interessiert.
Er mochte Jahira. Eine zeitlang hatte sie ihm früher, als sie noch ein Kind war, immer erzählt, wo sie hinwollte, damit er mit ihr spielen konnte, doch dann hatten die Wachen mitbekommen, dass sie zuerst zu Ignaz ging und erwischten sie deshalb leichter. Außerdem war Jahira mit der Zeit älter geworden und hatte keine Lust mehr, irgendetwas mit ihm zu unternehmen. Tatsächlich hatte sich Jahira so dermaßen verändert, seit sie ein Jahr lang bei ihrer Tante gewesen war, dass Ignaz sie danach fast nicht wieder erkannt hätte. Jahira war zu einer feinen Dame geworden, sie war ungemein hübsch und attraktiv und hatte das Kindheitsaussehen in diesem einen Jahr vollkommen abgelegt. Langes, braunes Haar, das sie in einem geflochtenen Zopf ihren ganzen Rücken entlang hing. Ihre Haut war sanft und weich, nicht zu dunkel für eine Prinzessin, aber auch nicht zu hell, wie manche aus den nordischen Ländern. Die Wimpern schienen unendlich lang und die strahlendblauen Augen schienen tiefer als jeder Ozean zu sein.
Ja, wenn man sie sah, dachte man sofort, sie sei eine stolze Königin, und eine Zeit lang hatte sie sich auch so benommen. Doch dann hatte ihr Vater ihr von ihrem Verlobten erzählt und dass er bedenken würde, sie bald zu verheiraten. Das wollte Jahira nicht. Sie glaubte, durch eine Heirat wäre ihr Leben viel zu sehr eingeschränkt. Außerdem wollte sie ihren Mann selbst aussuchen. Deshalb war sie weggelaufen, das war Ignaz klar. "Hoffentlich begegnet sie nicht Slimior!", dachte Ignaz.
Slimior war ein Drache, den Ignaz vor einigen Jahren zum Freund gewonnen hatte, doch er hatte eine seltsame Abneigung gegen alle Adligen, und besonders Prinzessinnen konnte er nicht ausstehen. Ignaz beschloss vorsichtshalber gleich zu Slimior zu gehen und nach dem rechten zu sehen.

Zuerst brachte Jahira vor Verwunderung und Angst kein Wort über ihre Lippen, doch dann packte sie der riesige, grau-grüne Drache mit seinen scharfen Krallen, die sich durch das dünne Untergewandt in ihr Fleisch bohrten. Jahira schrie vor Schmerz auf. Der gezackte Schwanz des Drachen hinterließ eine Rille auf der Erde, als der Drache ihn auf den Boden stieß. Dann flog er mit Jahira, die sich vor Angst die Augen zu hielt, in Richtung eines Gebirges. Jahira wandte nur einmal ihren Kopf und sah, dass das Schloss ihres Vaters immer kleiner und kleiner wurde. Keine zehn Minuten dauerte es, bis sie das Gebirge erreichten. Dort landete der Drache auf einer Vorplattform und schob Jahira in eine Höhle. Sein riesiger Kopf schnappte hinter ihr zu, als sie sich nicht weiter bewegte.
Dann fauchte er sie an: "Rein da!"
Zitternd begab sich Jahira in die finstere Höhle. Sie hörte, wie der Drache hinter ihr her kam, doch sie wagte es nicht, sich umzudrehen und ihn sich genauer anzusehen. Die Höhle wurde von Mal zu Mal immer dunkler. Jahira stolperte bald nur noch vorwärts. Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befand. Plötzlich schubste sie der Drache von hinten und Jahira spürte, dass sie auf kalten Stein fiel. Um sie herum wurde es noch schwärzer (wenn das überhaupt noch möglich war).

Ignaz pfiff nun schon mindestens zum zwanzigsten Mal. Solang ließ Slimior doch sonst nicht auf sich warten. Normalerweise war sein Körper schon zwei Sekunden nachdem Ignaz gepfiffen hatte über den Baumwipfeln zu sehen.
Allmählich wurde Ignaz ungeduldig. "Hoffentlich ist nichts passiert!" dachte er besorgt.
Er war der einzige, dem Slimior traute. Es war schon einige Jahre her, da hatte er Slimior versorgt, weil sich dieser seinen Flügel gebrochen hatte. Seitdem vertraute Slimior wenigstens ihm. Die Ritter wussten von dem Drachen, doch da er nur ab und an mal über ihr Land flog, hatten sie keine Probleme mit ihm und ließen ihn in Ruhe. Aber sollte er jetzt Prinzessin Jahira irgendetwas angetan haben, dann war er in großer Gefahr, das wusste Ignaz. Wieder pfiff er und wartete einige Sekunden. Doch wieder war weit und breit kein Slimior zu sehen. Ignaz wusste nie, wo sich Slimior aufhielt. Das war seinem Wissen nach so ziemlich genau der ganze Wald und der Wald war groß! Ignaz wollte schon gehen, als er endlich den Schatten eines Drachen über sich sah.
"Endlich kommst..." Doch Ignaz stockte.
Das war gar nicht Slimior. Das war ein ganz anderer Drache. Dieser Drache hatte lilane Flügel und drei Hörner auf seinem Kopf. Slimior hatte nur ein Horn auf seinem Kopf.
Der Drache landete neben ihm und meinte: "Du musst Ignaz sein! Slimior schickt mich! Du sollst mit mir kommen!"
Der Drache hatte eine eher weibliche Stimme und aus diesem Grund vermutete Ignaz, dass es wohl eine Drachin sein würde. Die Drachin legte sich so weit es ging runter, sodass er auf ihren Rücken kraxeln konnte, doch Ignaz machte keine Anstalten, dies zu tun.
Erstaunt fragte die Drachin: "Worauf wartest du?"
Ignaz antwortete: "Woher soll ich wissen, dass ich dir vertrauen kann?"
Die Drachin schnaubte entrüstet: "Ich bin eine Drachin! Drachinnen lügen nie!"
Ignaz verdrehte seine Augen: "Dann sag mir wenigstens wie du heißt!"
Wieder schnaubte die Drachin: "Für dich immer noch 'wie sie heißen'! Ich bin Hujazia, Slimiors jüngere Schwester! Und jetzt steig auf! Zaigoon wartet nicht gern!"
Nur widerwillig stieg Ignaz auf den breiten Rücken der Drachin, diese erhob sich sobald er saß in die Lüfte.
Nach einer Weile fragte Ignaz: "Wer ist Zaigoon?"
Die Drachin antwortete: "Mein Vater!"
"Ich wusste gar nicht das es außer Slimior noch andere Drachen gibt!"
"Wir sind seine Familie!" – "Aber ich habe euch noch nie im Wald gesehen!"
"Wir bewohnen das Gebirge, genau wie Slimior auch! Er ist nur ab und an in diesem Wald gewesen, weil er dich besuchen wollte."
"Und warum wollte er mich besuchen?"
"Das erfährst du bei Zaigoon!"
"Warum war er damals im Wald, als er sich den Flügel gebrochen hat?"
"Das wirst du auch bei Zaigoon erfahren!"
"Weißt du zufällig etwas von Prinzessin Jahira?"
Hujazia schwieg. Ignaz seufzte schwer. Hoffentlich ging es ihr gut. Sie waren schnell beim Gebirge, bei dem Ignaz noch nie zuvor gewesen war. Hujazia befahl Ignaz, ihr zu folgen. Sie schienen in einem vollkommenen Dunkel zu sein.

Jahira hielt ihre Augen fest geschlossen. Ihre Stirn pochte vor Schmerz und auch ihre Arme taten weh. Sie hörte Stimmen, doch sie war zu benommen um zu verstehen, über was die Stimmen redeten.
Nach einer Weile wurden die Geräusche um sie herum klarer: "Also ich kann dir nur mit Sicherheit sagen, dass es ihm nicht an der Tapferkeit gebrechen wird! Wenn überhaupt, dann wird er am Willen brechen, Oh großer Drachenlord! Aber für diesen Fall haben wir ja schon vorgesorgt!"
Jahira riss ihre Augen bei dem Wort Drachenlord weit auf. Ihr fiel jetzt erst wieder ein, dass sie sich ja bei Drachen befand. Sie sah ein kleines Blutrinnsal über ihre Wimpern sickern. Sie fasste sich an die Stirn und danach klebte Blut an ihrer Hand. Sie hatte sich dort bei ihrem Sturz anscheinend irgendetwas aufgeschlagen. Sie warf einen Blick auf ihre Schultern. Die Kratzer wurden bereits blau. Jahira richtete sich auf und sah sich um. Sie befand sich in einer Zelle. Außerhalb ihrer Gitterstäbe unterhielten sich zwei Drachen, den einen erkannte sie an den grün-grauen Schuppen, der andere war ihr fremd. In der Nähe von ihr lag eine Truhe. Jahira richtete sich mühselig auf. Sie öffnete die Truhe vorsichtig und erkannte, dass einge Dolche in ihrem innern lagen. Schnell schlug Jahira die Kiste wieder zu. Warum hatten die Drachen so etwas bei ihr reingestellt? Was erwarteten sie von ihr? Plötzlich betrat ein weiterer Drache den Raum. Und hinter ihm kam... Ignaz! Jahira war überrascht, ihn hier anzutreffen. Ihren alten Spielkameraden hatte sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.

Ignaz musterte zuerst die beiden Drachen, die ihm gegenüber standen. In dem einen erkannte er Slimior, also musste der andere Zaigoon sein. Dann wanderte Ignaz' Blick weiter durch den Raum und fiel schließlich auf ein Mädchen, das ihn anstarrte. Die Haare des Mädchens hatten sich gelöst und ihre Kleidung war halb zerrissen. An der Stirn hatte sie eine üble Wunde, die stark blutete und ihre Schultern waren zerkratzt.
Sie sah zwar ganz anders aus wie sonst, und dennoch erkannte Ignaz sie: "Jahira!", hauchte er, entsetzt über den Anblick, den ihm die sonst so schöne Prinzessin bot.
Jahira antwortete nicht, sondern blieb stumm.
Ignaz wand sich wütend an Slimior: "Was soll das ganze?"
Dieser antwortete achselzuckend: "Zaigoon hat mir befohlen, sie zu entführen! Kann sein, dass ich etwas grob war... aber ich mag eben keine Prinzessinnen!"
"Und weshalb solltest du sie entführen?"
Bevor Slimior antworten konnte, schaltete sich Zaigoon ein: "Weil ich es ihm befohlen habe... und zwar", sprach er weiter bevor Ignaz fragen konnte, warum, "weil wir deine Hilfe brauchen!"
Stille.
Ignaz war über diese Worte so überrascht, dass er in seinem Kopf keine Sätze bilden konnte. Er öffnete öfters seinen Mund, schloss ihn dann aber wieder. Plötzlich fragte Jahira: "Warum braucht ihr seine Hilfe?"
"Wer hat dir denn erlaubt zu schwätzen?" Man sah Slimior richtig an, dass er Jahira nicht ausstehen konnte.
Diese verstummte sofort wieder. Ignaz machte das sauer und so wiederholte er Jahiras Frage einfach.
Zaigoon grummelte ein wenig und meinte dann: "Uns wurde geweissagt, dass wir in drei Tagen zu Stein erstarren werden, wenn wir bis dahin nicht einen wichtigen Stein besitzen!"
"Und was habe ich mit der ganzen Sache zu  tun?"
"Nur ein Krieger kann es der schönen Faj abnehmen. Ein Krieger... nun ja, der stark genug ist, um sie zu töten!"
Ignaz brauchte ewig, um die Bedeutung dieser Sätze zu verstehen. Doch dann verstand er, was die Drachen da von ihm verlangen: "Ich soll irgendeine Tussi umbringen?"
Wütend schnaubte Zaigoon: "Wenn du es nicht tust, dann bringen wir diese Göre um! Für uns ist das kein Problem!"
Ignaz meinte daraufhin: "Aber das geht doch nicht! Ich kann dieser... Faj dieses... Dingsda nicht abnehmen, weil ich nicht weiß, wie das geht! Außerdem bin ich überhaupt kein Krieger! Ich bin doch nur ein einfacher Knappe!"
Slimior schnaubte und meinte: "Du trägst das Zeichen auf deinem Arm!"
Ignaz starte ihn an. "Welches... welches Zeichen?"
Slimior kam auf ihn zu. Ignaz wich einen Schritt zurück, stieß aber gegen Hujazias Bauch. Slimior packte seinen Arm mit seinen Krallen und riss das Hemd nach oben. Auf Ignaz’ Arm waren deutlich einige braune Flecke zu erkennen, die aussahen wie ein Dreieck.
"Da siehst du es! Ich wusste sofort, wer du warst, als dein Arm damals verrutscht ist! Deshalb habe ich dir auch vertraut."
Ignaz war nach diesem Satz ein wenig enttäuscht, meinte dann aber: "Das ist doch völliger Blödsinn! Das sind Muttermale! Die haben sich erst gebildet, als ich zehn geworden bin!"
Slimior schnaubte enttäuscht, doch Zaigoon meinte: "Das ist egal! Uns wurde geweissagt, dass ein Junge mit vierzehn Jahren, der drei Punkte auf dem rechten Oberarm hat, die ein Dreieck bilden, uns diesen Stein bringen wird!"
Ignaz weigerte sich strikt, diese Geschichte zu glauben. Doch bevor er erneut protestieren konnte, meinte Zaigoon: "Und jetzt Schluss damit! Wir haben dir alles erzählt, was du wissen musst! Entweder du gehst jetzt sofort zu Faj und bringst uns diesen Stein, oder ich erlaube Slimior, dass er deine Prinzessin fressen darf!"
Ignaz bekam einen schweren Kloß in den Hals. Sein Blick wanderte über die drei Drachen bis hin zu Jahira, an der sein Blick ruhen blieb. Wie schrecklich Slimior sie zugerichtet hatte. Er wollte nicht, dass sie seinetwegen starb. "Gut. Ich tue es! Aber ihr müsst mich zu Faj bringen, ich weiß nämlich nicht, wo sie wohnt!"
Zaigoon ließ ein Schnauben ertönen, bei dem Jahira und Ignaz erschrocken zusammen zuckten, um dann zu erkennen, das Zaigoon lachte. "Das ist das geringste deiner Probleme. Hey du!", schnauzte er dann Jahira an. "Hol einen Dolch aus der Truhe da!"
Jahira hatte Angst. Sie ging zur Truhe und entnahm ihr einen Dolch. Diesen warf sie Ignaz zu. Ignaz fing ihn auf. Er betrachtete ihn. Es war ein schöner Dolch, mit fein eingearbeiteten Edelsteinen.
"Dieser Dolch wird dir helfen, Faj zu töten, weil es deine Geliebte war, die ihn aus dieser Zaubertruhe genommen hat! Und jetzt geh mit Hujazia! Sie bringt dich zu Faj!"
Ignaz widerstrebte diese ganze Geschichte, aber er tat, was Zaigoon ihm befohlen hatte.

Hujazia flog Ignaz zu einer weiter entfernt gelegenen Höhle des Gebirges. "Hier drinnen lebt Faj! Sie ist eine furchtlose Kriegerin, eine begabte Zauberin und sie ist außergewöhnlich hübsch! Aber du wirst das ganze schon irgendwie schaukeln!", meinte sie um Ignaz Mut zu machen.
Dieser wurde dadurch aber eher beunruhigt, da er kaum kämpfen konnte. Doch Hujazia flog davon, ohne auf Ignaz zu achten. Ignaz sah ihr noch eine Weile beunruhigt nach. Dann ging er in das Innere der Höhle. Die Höhle war nicht halb so düster wie die Höhle, in der die Drachen wohnten. Bald darauf kam er zu einem runden Raum, der von Sonnenlicht durchflutet zu sein schien, obwohl die Decke oben zu war.
"Es muss ein Zauber sein!", dachte Ignaz.
Ein hübsches junges Mädchen lag auf einer Couch. Ignaz war sich sicher, dass dies Faj war. Er wartete eine Weile lauschend, bis er sich todsicher war, dass Faj schlief. Ignaz' Finger umklammerten den Dolch fester, als normal. Seine Hand wurde allmählich weiß. Langsam und unsicher ging er auf Faj zu. Doch plötzlich schreckte diese von ihrem Schlaf hoch. Ignaz blieb wie angewurzelt stehen.
Faj musterte ihn interessiert lächelnd. "Zaigoon schickt dich, nicht wahr?"
Langsam, ohne es wirklich zu registrieren, nickte Ignaz. Faj lachte. Ignaz beobachtete sie dabei. Faj war unglaublich hübsch. Wahrscheinlich sogar noch hübscher als Jahira.
Sie hatte goldblondes Haar, das wie Engelshaar geschmeidig und sanft auf ihre Schultern fiel. Ihre grünen Augen strotzten nur so von Kraft, Fröhlichkeit und Energie. Ignaz ließ seinen Dolch entmutigt sinken. Er war sich sicher, gegen Faj keine Chance zu haben. Allmählich vergaß er alles um sich herum. Faj richtete sich auf. Sie trug ein hellblaues Kleid, das wunderschön an ihr hinunter fiel. Nun erkannte Ignaz das Diadem, das sie auf dem Kopf trug. In ihm lag ein blauer Stein. Ihre Ärmel waren lang, aber durchsichtig. Ihre Haut war die eines Pfirsichs, so weich und schön. Langsam kam sie auf ihn zu. Bei jeder Bewegung wippte der Saum ihres Kleides auf und ab. Sie streichelte Ignaz ruhig über die Backe und lachte ihn an. Ignaz vergaß alles um sich herum. Slimior, die anderen Drachen, Jahira, die Burg und seinen Ritter - das alles existierte nicht mehr für ihn. Es gab nur noch ihn. Ihn und Faj. Fajs Gesicht kam dem seinen unglaublich nah. Er fasste ihr Haar, dann berührten sich ihre Lippen... keine Sekunde darauf erwachte Ignaz aus seiner Trance.
Er wurde sich bewusst, was er da tat und riss Faj von sich weg. Mit seiner Hand wischte er sich über seinen Mund. Er starrte Faj entsetzt und verunsichert an. Faj schien auch ein wenig überrascht. Doch sie fing sich schnell wieder und lächelte und blinzelte ihn unschuldig an. Diesmal spürte Ignaz die Trancefänge, die sie dadurch ausstrahlte und wehrte sich gegen sie. Er würde nicht noch einmal in ihren Bann geraten. Aber wo war sein Dolch? Ignaz drehte sich in alle Richtungen um, sah den Dolch und riss ihn hoch.
"Das willst du nicht wirklich tun, oder?"
Ignaz drehte sich nicht zu ihr um: "Warum sollte ich das nicht tun wollen?"
"Weil deiner Prinzessin damit auch nicht geholfen ist."
"Jahira.", zischte Ignaz leise. "Was hast du mit ihr gemacht?"
"Ich, gar nichts. Aber erstens, selbst wenn du es schaffst, sie zu befreien, ist sie dennoch mit einem anderen verlobt, du hast also gar keine Möglichkeit, das Herz der jungen Frau zu erobern, und zweitens, warum sollte Slimior nicht seine Freude mit ihr haben? Ihm macht es schließlich Spaß, Prinzessinnen zu zerkauen!"
Ignaz spürte ihren Atem in seinem Nacken und begriff, dass sie wieder näher gekommen war. "Was willst du von mir?"
Faj lachte leise. "Ich bin verflucht, musst du wissen! Jedes Mal, wenn mich ein Mann ansieht, verliebt er sich unsterblich in mich. Das ist ähnlich wie mit den Sirenen. Ich stürze alle ins Verderben. Nur wer mich aus freien Stücken küsst, kann meinen Fluch brechen! Ein Orakel prophezeite mir, dass dies nur ein tapferer Krieger schaffen kann! Zaigoon ist ein alter Freund von mir! Er hat versprochen, mir zu helfen, diesen jemand zu finden!"
"Deshalb also!", dachte Ignaz verbittert.
Je mehr er über diese Faj wusste, umso weniger konnte er sie leiden. Faj packte ihn an seinem Arm und drehte ihn um. Das schöne Mädchen lächelte ihn an: "Nur ein kleiner Kuss aus freien Stücken und deiner Prinzessin wird es gut gehen!"
Sie spitzte ihre Lippen. Ignaz riss sich angewidert los: "Du hast gesagt, Jahira sei nicht mehr zu retten! Und ich lasse mir von dir überhaupt nichts befehlen!"
Fast im selben Moment brach Faj zusammen. Sie stöhnte und starrte Ignaz entsetzt an. "Dann töte mich wenigstens, dann tu wenigstens das, was Zaigoon dir befohlen hat... Tote soll man in Ehren halten!"
Ignaz war verwirrt. Was meinte sie damit. Faj schien seine Gedanken zu erraten: "Zaigoon ist tot! Die Ritter aus eurem Land haben ihn und die anderen seine Sippe getötet, um diese Prinzessin zu befreien! Sie werden sie wieder sicher nach hause bringen! Also los, worauf wartest du noch, töte mich!"
Ignaz streckte ihr den Dolch wütend entgegen, brachte es aber nicht übers Herz, es ihr in den Leib zu stoßen. Er blieb einfach in dieser Pose stehen. Doch da sprang Faj, schneller als er es bemerken konnte, auf und schmiss sich in den Dolch. Blut spritzte zu allen Seiten davon.
Ein irres Lächeln breitete sich auf Fajs Gesicht aus: "Es ist besser so! Werde glücklich, seltsamer Knappe!" Mit diesen Worten kippte sie zur Seite und starb mit dem wunderschönen Lächeln auf dem Gesicht.
Ignaz starrte sie eine Weile an, bis er seine Schrecksekunde überwunden hatte. Dann ging er wieder nach draußen. Dort überlegte er sich eine Weile wie er nach unten kommen sollte, bis er schließlich einen kleinen gewundenen Pfad entdeckte und auf ihm entlang nach unten spazierte. Nach ein, zwei Stunden, in denen er Richtung Schloss gegangen und über Fajs Worte nachgedacht hatte, erreichte er sein Zuhause.
Dort empfing ihn sein Ritter: "Wo hast du nur gesteckt, Junge! Du hättest mit uns mit reiten sollen, dann hättest du gesehen, wie ich und die anderen Ritter einen todesmutigen Kampf gegen einige Drachen ausgefochten haben, um Prinzessin Jahira zu befreien! Ach, es müssen an die zwanzig gewesen sein und alle dreimal so groß wie die Burg..."
Ignaz wusste, dass sein Ritter gern maßlos übertrieb, aber zumindest war ihm jetzt auch klar, dass Faj nicht gelogen hatte.
Einerseits trauerte Ignaz schon ein wenig um Slimior, andererseits war er so dermaßen sauer, dass sein zweiter Gedanke nur noch Gehässigkeit bot: "Schade eigentlich! Ich hätte Slimior zu gern gefragt, was es nun eigentlich wirklich mit der ganzen Sache auf sich hatte! Obwohl Fajs Version von der Geschichte wahrscheinlich wahrscheinlicher ist!"
Plötzlich kam ein Ausrufer und Ignaz Ritter drängte ihn an den Anfang. Der Ausrufer verkündete: "Wie euch sicher allen bekannt ist, ist heute Prinz Tjeri aus Gaukalun eingetroffen. Morgen um diese Zeit soll die Vermählung von Prinz Tjeri und Prinzessin Jahira stattfinden. Der König lädt sie dazu alle ganz herzlich ein!"
Der Ausrufer rollte sein Pergament zusammen. Ignaz war erschrocken über diese Worte. Er wollte es nicht wahr haben und fragte deshalb seinen Ritter: "Was? Was hat er gesagt?"
"Na, dass Prinz Tjeri und unsere Prinzessin morgen heiraten werden, das sollte dir eigentlich bewusst sein!"
"Ja, klar! Ist mir bewusst!"
Sein Ritter ließ ihn mit hochgezogenen Augenbrauen stehen. Ignaz war bleich geworden.
Er dachte an das, was Faj gesagt hatte: "... selbst wenn du es schaffst, sie zu befreien, ist sie dennoch mit einem anderen verlobt, du hast also gar keine Möglichkeit, das Herz der jungen Frau zu erobern..." Ignaz war wütend, aber er musste sich widerwillig eingestehen, dass Faj mit allem, was sie gesagt hatte, Recht behalten hatte.
 

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Anmerkung von Moordrache:
Das Wort "Gebrechen" wurde zwar nicht ganz im vorgegebenen Sinn verwendet, aber nun ja... ;-)

 
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