Begegnung mit einer
Mondwölfin
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"Nein, nicht..." Mit diesem Aufschrei fuhr Bedwyr aus dem Schlaf hoch. Verwirrt schüttelte er den Kopf. Immer noch sah der junge Krieger, wie seine Gefährten immer schneller verschwanden. Wieder musste er sich mit Gewalt daran erinnern, daß ER derjenige gewesen war, der in die Schlucht gestürzt war - seine Freunde waren vermutlich sicherer als er. Mit einem leichten Kopfschütteln vertrieb er die letzten Traumfetzen aus seinem Geist. Gleichzeitig spürte er die eisige Kälte wieder. Seit Wochen irrte er in dieser unwirtlichen Gegend umher. Ebensolange wartete er verzweifelt auf einen winzigen Sonnenstrahl. Nur Eis und Schnee und Kälte hatten ihn in diesem Tal bisher empfangen... Der Hunger trieb Bedwyr schließlich von dem einsam stehenden Baum herunter, auf dem er sein dürftiges "Nacht"lager aufgeschlagen hatte. Er würde nach seinen Fallen sehen. Sicherlich hatte sich wieder irgendein unvorsichtiger Nager in den Schlingen des blonden Jünglings verfangen. Und glücklicherweise hatte er weder sein Schwert noch seinen Zündstein bei dem langen Sturz verloren. Da, rechts - da war doch ein Krachen. Das Zerbrechen eines Astes unter einem unvorsichtigen Fuß. Und jetzt links - noch einmal. Schnell duckte sich Bedwyr in das Unterholz. Zu viele phantastische und furchteinflößende Wesen hatten ihn in den letzten Wochen zu Tode erschreckt. Aber diesmal - es klang anders... Noch während er angestrengt zwischen den kahlen Zweigen hindurchstarrte, drang plötzlich der schaurige und langgezogene Klang eines einsamen Wolfsgeheuls an sein Ohr. Verwundert schlich Bedwyr in diese Richtung. Genau dort hatte er doch eine seine Fallschlingen aufgestellt... Und tatsächlich: Als er endlich freien Blick auf die schneebedeckte Lichtung hatte, sah er sie. Im Glanz des Mondlichtes erschien die Silhouette der Wölfin wie in fluoreszierendes Silber getaucht. Wieder hallte das klagende Heulen durch den winterlichen Wald. Bewyr strengte seine Augen nocheinmal an. Dort, ja genau, dort bei der großen kahlen Eiche hatte er seine Schlinge ausgelegt. Und genau dort blitzte auch immer wieder ein schwarzer Schatten zwischen den Schneewehen auf. Langsam richtete sich der junge Krieger auf. Vorsichtig betrat er die Lichtung. Aufmerksam musterte die silbergraue Wölfin seine Bewegungen. Zielstrebig ging er auf die Eiche zu. Die Wölfin blieb dicht bei ihm. Bewyr zweilfelte nicht daran, daß dieses Geschöpf ihm ohne zu Zögern die Kehle zerreißen würde. Und dann sah er auch den Grund. Ein Wolfsjunges hatte sich in der Fallschlinge verfangen. Mit einem traurigen Winseln legte sich die Wölfin neben ihr Junges. Mit ihren Augen schien sie bis in Bedwyrs Seele zu blicken. Einer plötzlichen Eingebung folgend, kniete er sich zu den beiden Wölfen und löste vorsichtig das Seil um die Pfoten des Kleinen. Sofort sprang der Kleine wieder fröhlich über die Lichtung und jagte Schneeflocken hinterher. "Danke, junger Krieger." Also das konnte Bedwyr sich doch nur eingebildet haben... "Nein, mein Junge. Du hast den Sohn einer Mondwölfin befreit." Diese silberhelle Stimme, die an ein Glockenspiel erinnerte - sie schien tatsächlich der Wölfin zu gehören. Aufmunternd legte die Wölfin ihren Kopf auf Bedwyrs Schulter: "Folge mir." Und damit verschwand sie zwischen den Bäumen. Nur einen kurzen Augenblick zögerte Bedwyr. Dann sah er plötzlich seine Gefährten im Sonnenlicht um den unglückseligen Felsspalt herumstehen, der ihn in diese Welt gebracht hatte. Mit raschem Schritt folgte er der davonhuschenden Wölfin. "Hier - folge den Sonnenstrahlen, und du wirst wieder mit deinen Gefährten vereint sein." Tatsächlich, dort - zwischen den kahlen Baumstämmen stahlen sich einige goldene Sonnenstrahlen hindurch. Er konnte es kaum fassen. Begeistert folgte er dem Licht. Und dann konnte er sich nicht mehr richtig orientieren. Er war nur noch von gleißendem Licht umgeben. "Bedwyr, Junge - geht’s dir gut?" "Der wacht schon wieder auf, gebt ihm nur was zu Essen." Ardalenija? Bruder Tuck? Benommen richtete Bedwyr sich auf – und fand sich inmitten seiner Freunde wieder. "Was ist passiert?" ächzte er. Kundschafter Manni stützte ihn und antwortete: "Du bist da runtergekracht. Gott sei Dank bin ich ein guter Kletterer und konnte dich wieder rausholen." Das konnte nicht sein, da war doch diese Wölfin. Bedwyr lugte über den Rand des Felsspalts. Leise konnte er Glocken aus der Tiefe hören: "Eine Mondwölfin zum Freund zu haben, ist ein unschätzbares Geschenk..." © Lupina
della Luna
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