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Diese Geschichte wurde von den Drachental-Besuchern
zur zweitbesten Projekt-Story 2003 im Drachental gewählt!

Drachengeburt von Tamara Eisenkoeck

Als es Nacht wurde, begannen Blitze über den Himmel zu zucken und Donner grollte über das kleine Plateau hinweg. Es regnete nicht, aber der alte Elb wusste, dass es nicht so bleiben würde. Neben dem dunkel gekleideten Mann lag ein Wolf, dessen Fell grau und schütter war. Sein Atem ging so flach, dass man nicht feststellen konnte, ob er überhaupt noch am Leben war.
Es würde nicht mehr lange dauern, bis der Jäger ihr Versteck erreicht hatte - mit furchtbaren Folgen für das Gelege. So viel war dem Elben klar. Und er sollte Recht behalten. Im gleißenden Licht eines weiteren Blitzes tauchte eine Gestalt zu Pferd am Rand des Plateaus auf. Der Elb stand auf und zog sein Schwert.
"Ihr müsst nicht kämpfen. Ich verspreche Euch, dass ich Euch nichts tun werde, wenn Ihr Euch ergebt", eröffnete der Fremde und glitt gemächlich von seinem Rappen. Das Tier tänzelte nervös.
Der Elb lachte rauh. "Damit Ihr in aller Ruhe das Gelege zerstören könnt?"
"Das ist meine Aufgabe - und meine Pflicht."
Der Elb nahm eine stabile Position ein und hob den Waffenarm. Es begann zu regnen.
Auch der Jäger zog sein Schwert. "Dann verteidigt Euch, Greis!"
Er stürzte auf den Alten zu und Stahl krachte auf Stahl. Der Elb wankte, wich aber keinen Schritt zurück. Sein Gegner setzte ihm ohne Pause nach und trieb ihn mit mächtigen Schwerthieben vor sich her. Einzig die Erfahrung des Elben bewahrte ihn davor, sofort kapitulieren zu müssen. Ein letzter Streich prellte dem Alten das Schwert aus der Hand und schleuderte es meterweit fort.
"Gib auf!", knurrte der Jäger. Doch genau in diesem Moment griff der Wolf mit einem wütenden Knurren an und warf den Jäger zu Boden. Sein Maul suchte die Kehle des Mannes.
Der alte Elb erhob sich mühsam und wankte auf den dunklen Höhleneingang zu, der den hinteren Teil des Plateaus markierte. Er musste das Drachenweibchen warnen. "Flieh!", sagte er zu ihr und etwas Riesiges regte sich im Dunklen.
"Du bist beunruhigt", stellte die gefügelte Echse fest und ihre grünen Augen leuchteten dem Elben entgegen.
"Er ist da. Du musst dich in Sicherheit bringen."
"Sie werden gleich schlüpfen", antwortete das Drachenweibchen ohne eine Spur von Beunruhigung und fast im selben Moment hörte der Alte ein Knirschen und Knacken. Sie hatte Recht. Sie waren dabei zu schlüpfen.
"Wir haben keine Zeit! Flieh!", rief der Elb, aber das Drachenweibchen gab ein trauriges Geräusch von sich. "Ich kann nicht. Er darf sie nicht töten."
"Er wird dich töten!", behauptete der Elb verzweifelt.
"Das macht nichts. Ich bin alt."
"Du bist die Letzte."
"Sie werden kommen." Sie wies mit dem Kopf auf die Eier.
"Nicht wenn er sie vernichtet." Der Elb packte eines der Eier und begann es aus dem Nest zu rollen. Er verbarg es hinter einem Felsen und sprach einen leichten Zauber, um es als Gestein zu tarnen. Es war nicht gerade fachgerecht, aber es würde seinen Zweck erfüllen, erfüllen müssen. Zu mehr war er nicht mehr fähig. Und wenn es nicht reichte? Das wagte er sich gar nicht vorzustellen. Ein schrilles Jaulen vor der Höhle verriet das Ende des Kampfes. Der Wolf musste tot sein, wie es nicht anders zu erwarten gewesen war.
Der alte Elb tastete nach seinem Dolch. Er würde nicht kampflos aufgeben. Die Gestalt des Jägers erschien inzwischen am Ausgang der Höhle und hob sich drohend gegen den Himmel ab. Das Drachenweibchen spannte seine zerrissenen Flügel und sein Kopf wandte sich dem Menschen zu, der gekommen war, um den letzten Drachen und dessen Gelege zu vernichten. Doch sie hatte keine Gelegenheit, ihren Nachwuchs zu beschützen. Ein Schnalzen erklang und schon steckte ein Pfeil in ihrem Hals. Sie röchelte und sank dann langsam zu Boden. Der alte Elb wusste, dass der Pfeil durch einen dunklen Zauber vergiftet sein musste, denn eine gewöhnliche Waffe reichte nicht, um ein derart magisches Wesen zu töten. Voller Wut stürzte er sich auf den Jäger. Dieser ließ die Armbrust fallen und zog stattdessen wieder sein Schwert. Er wich dem Angreifer ruhig aus und verpasste dem Elben stattdessen einen tiefen Stich in den Arm.
Der alte wankte und hätte um ein Haar den Dolch fallen lassen, ergriff ihn dann aber nur umso fester. Er stach zu und schaffte es, den Jäger am Handrücken zu verletzen. Selbstverständlich reichte es nicht, um den Mann ernsthaft zu behindern und der Schwung seines Stoßes riss ihn stattdessen nach vor, sodass der Jäger die Gelegenheit hatte, einen tödlichen Schwerthieb durchzuführen. Der Elb stürzte schwer und schaffte es nur mit Mühe, sich in eine halbwegs aufrechte Stellung hochzukämpfen.
"Es ist soweit, Elb. Steht auf."
Der Alte versuchte, auf die Beine zu kommen, aber sie versagten ihm den Dienst. Er unternahm noch einen erbärmlichen Versuch, den Jäger zu Fall zu bringen - natürlich misslang es ihm.
"So sterbt auf Euren Knien!" Der Mann holte aus, um dem Elben den Kopf vom Rumpf abzutrennen, aber eine Bewegung von links warnte ihn und er rettete sich durch eine Rolle vor einem weißleuchtenden Etwas, das über ihn hinwegzog.
Er blickte auf und konnte ein gutes Dutzend weißer Drachen erkennen, das aus der Höhle gekommen war und in Richtung Himmel davonflog. Die Jungen waren geschlüpft. Er war zu spät gekommen. Wutentbrannt wandte er sich wieder dem Elben zu, der sterbend vor ihm auf dem Boden lag.
"Ich gratuliere Euch, Elb. Ihr habt es geschafft. Nun werden sich diese Drachen über das Land verteilen und die Dörfer und Städte in Brand setzen!"
"Ihr habt es immer noch nicht verstanden. Was aus diesen Drachen wird, liegt ganz alleine an Euch. Ihr könnt es beeinflussen und nur Ihr. Seht. Sie kommen zurück."
Der Elb hatte Recht. Der ganze Schwarm nahm wieder Kurs auf das Plateau und landete mit weitausgebreiteten Flügeln. Sie umringten den Jäger und den Alten.
"Es hängt ganz von Euch ab und dem, was Ihr nun tut", wiederholte der Elb und hustete. Blut lief ihm aus dem Mund.
Der Jäger hob sein Schwert, auch wenn er wusste, dass er diesen Kampf nicht gewinnen konnte. Er trieb einen der Drachen zurück und hieb nach seinem Hals. Der Drache fauchte und sein weiß wurde schmutziger, dunkler und schließlich fast schwarz.
"Es fängt schon an! Sie werden zu Dunkeldrachen", bemerkte der Jäger und hieb weiterhin nach dem Drachen.
"Weil Ihr sie dazu macht", keuchte der Elb. Es ging mit ihm zu Ende.
Und dann verstand der Jäger. Er ließ sein Schwert fallen und wich zurück. Der Drache blickte ihn lauernd an.
"Was muss ich tun? Ist es schon zu spät?", fragte der Mann erschrocken über seine eigene Blindheit. Er hatte sie dazu gemacht. Er hatte dutzende Drachenjungen zu Dunkeldrachen gemacht. Das war das Geheimnnis der Drachen. Sie passten sich einfach nur ihrer Umgebung an und den Wesen in ihrer Umgebung.
"Du musst sein Vertrauen zurückgewinnen. Zeige ihm deine leeren Hände und umarme ihn."
"Ich soll einen Drachen umarmen? Seid Ihr verrückt?"
"Nein. Tut es oder es wird zu spät sein und wenn sie sich erst einmal entschieden haben, gibt es kein Zurück mehr."
Der Jäger befolgte die Anweisungen des sterbenden Elben. Zuerst war er felsenfest davon überzeugt, dass der Drache ihn töten würde, aber dann änderte sich die Farbe des Drachen wieder, wurde heller und schließlich weiß. Der Jäger trat noch näher an das magische Wesen heran und umarmte es dann behutsam. Die Schuppen des Drachen nahmen einen goldenen Ton an und als der Jäger zurücktrat, hatte sich auch der Ausdruck in den Augen des Drachen geändert. Er war sehr warm und freundlich. Der Jäger blickte sich um und erkannte, dass sich die anderen Drachen dem ersten in Farbe und Art angeglichen hatten. Die Drachen wandten sich um und spannten ihre Flügel. Der erste von ihnen hob ab und die anderen folgten ihm. Bald waren sie außer Sicht.
Der Jäger wandte sich zum Elben um, aber dieser war bereits tot.
Er zog sich in die Höhle zurück, um über sein bisheriges Leben und seine Zukunft nachzudenken. Als er wieder zurückkam, wusste er mit einem Mal, wer er war. Seine Bestimmung war es nicht mehr länger, Drachenjäger zu sein, sondern deren Beschützer, der dafür zu sorgen hatte, dass ihr Geschlecht nicht ausstarb, denn er hatte ihre Bedeutung erkannt. Eine Welt ohne Magie war nicht möglich und die Drachen waren das magische Herz der Welt. Und da er den ehemaligen Schutzherrn der Drachen getötet hatte, war es nun an ihm, dessen Platz einzunehmen.
Er machte sich auf den Weg.
 
© Tamara Eisenkoeck
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